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Modeste Schwartz: „Meine Ausweisung ist ein gutes Beispiel für die Rückwandlung Rumäniens in einen Polizeistaat“

Lesezeit: 10 Minuten

Ungarn – Ferninterview mit Modeste Schwartz, Absolvent der Pariser École Normale Supérieure (ENS-Ulm), Sprachwissenschaftler, Übersetzer, Autor, Publizist und Redakteur bei der Visegrád Post und sonstwo: „Meine Ausweisung ist ein gutes Beispiel für die Rückwandlung Rumäniens in einen Polizeistaat“.

Ende Oktober, als er aus dem Westen nach Klausenburg (Kolozsvár) in Rumänien zurückflog – einer Stadt, wo er in den letzten 15 Jahren die meiste Zeit verbracht hat – wurde Modeste Schwartz bei seiner Ankunft über einen Aufenthaltsverbot von fünf Jahren gegen ihn in Kenntnis gesetzt. Warum? Staatsgeheimnis. Bekannt von unseren Lesern, Modeste Schwartz, der Bohèmien und Störenfried der Redaktion der Visegrád Post, beantwortete die Fragen von Chefredakteur Ferenc Almássy.

Ferenc Almássy: Dieses Interview ist etwas besonders. Zuerst, weil wir uns wohl kennen; unsere Leser kennen Dich auch schon, aber unter Deinem Pseudonym: Modeste Schwartz. Und dann ist es ein etwas besonderes Interview, denn Du bist gerade aus Rumänien verbannt worden… Kannst du mit einigen Worten den „Fall Weiss“ zusammenfassen?

Modeste Schwartz: Ich hatte letzte Woche das traurige Privileg, in den Schlagzeilen der rumänischen und ungarischen Presse zu sein – einschließlich der Presse der ungarischen Minderheit in Siebenbürgen, der ich aus privaten Gründen gefühlsmäßig nahestehe –, und zwar wegen des fünfjährigen Aufenthaltsverbots auf rumänischem Gebiet, das mir am 24. Oktober am Flughafen in Klausenburg von der rumänischen Grenzpolizei mitgeteilt wurde.

Die „Fakten“, die mir vorgeworfen werden, fallen zwar – durchaus opportun – unter der „nationalen Sicherheit“ – ein gutes Mittel um die Wackeligkeit von vorgefertigten Beweisen und zweifelhaften Aussagen zu verbergen, eine Methode, auf die der rumänische Schattenstaat öfters zurückgreift –, aber die im Bescheid vom 13. September 2018 zitierten Gesetzesartikel lassen kaum Zweifel ob der Natur der Ausreden, die ausgewählt wurden, um diesen offensichtlichen Missbrauch vordergründig zu rechtfertigen: Es ist u.a. von Gefährdung der „Einheit“ des rumänischen Staates die Rede – eine klare Andeutung auf einen unterschwelligen Vorwurf von „irredentistischen“ Aktivitäten.

Vom administrativen Standpunkt aus sieht die Vorgehensweise zum Verwechseln wie die im Fall Attila Dabis aus: ein ungarischer Nationalist, der seit vergangenem März Aufenthaltsverbot in Rumänien hat. Erinnern wir hier, dass die Scheuche des ungarischen Irredentismus die Lieblingsstrategie der Selbstlegitimierung durch den rumänischen Schattenstaat darstellt, seitdem er mit den Problemen konfrontiert wird, die eine förmlich freie Presse und ein förmlich demokratisches Regime für diese Art von Strukturen bedeutet. Nach dem Ende des kommunistischen Regimes aufgelöst hat die Securitate de Stat – die vermutlich keine Sekunde aufgehört hat zu funktionieren – ihre Reoffizialisierung (unten neuem Namen) am Anfang der 1990er Jahre infolge der ungarischfeindlichen Ausschreitungen in Neumarkt am Mieresch (Marosvásárhely) erhalten, von denen einige sagen, dass besagte Securitate sie unter der Hand provoziert habe. Seitdem sind die Opfer der meisten zahlreichen Verletzungen der europäischen protokollarischen Ordnung durch Rumänien eben ungarische Amtsträger unterschiedlicher Bedeutung und zwar bis zum Staatschef, wobei die westliche Presse darüber nicht berichtet.

Ferenc Almássy: Du scheinst zu behaupten, dass die halboffiziellen Gründe nicht die echten Gründe für diese Entscheidung seien. Welch sind in diesem Fall die echten Gründe für Deine Ausweisung?

Modeste Schwartz: Ganz offensichtlich hat der rumänische Schattenstaat entschieden, auf brutaler Weise auf meine journalistische Tätigkeit der letzten zwei Jahre zu reagieren, während deren ich – vor allem in der Visegrád Post – eine gewisse Anzahl seiner antidemokratischen Einmischungen im nationalen politischen Leben angeprangert habe, indem ich den Einfluss von internationalen Netzwerken – wie die Open Society – ans Licht brachte, die diese Einmischungen lenken und international decken. Bemerken wir nebenbei, dass obwohl ich geografisch in Klausenburg lebte, Siebenbürgen eher selten zum Thema meiner Artikel wurde, die im Gegenteil öfters die objektive Allianz zwischen gewissen ungarisch-liberalen Kreisen in Siebenbürgen und dem rumänischen Schattenstaat aufdeckten, was die implizit im Bescheid vorhandene Anschuldigung der „ungarischen Propaganda“ noch skurriler macht.

Ferenc Almássy: Man hat wohl verstanden, dass Du nicht das bist, was manche Rumänen Dir durch die Blumen vorwerfen. Trotzdem sehen wir uns gezwungen, Dir die Frage zu stellen: Welch ist dein Standpunkt über Siebenbürgen?

Modeste Schwartz: Historisch betrachtet habe ich gar keinen. Denn für mich ist das alles vor allem eine Angelegenheit der Geschichte. Ich bin nicht besonders für oder gegen den Vertrag von Trianon oder für bzw. gegen den Edikt von Nantes, denn ich denke, dass dies keinen Sinn hätte. Politisch muss man wohl vor allem sehen, dass die ungarischsprachige Bevölkerung höchstens 20% der Bevölkerung Siebenbürgens darstellt, während der Rest fast ausschließlich aus Rumänen besteht. Unter diesen Umständen sieht man nicht wirklich, wie die Ungarn aus Siebenbürgen die rumänische Gebiets- und Verfassungsordnung in Frage stellen könnten. Es besteht zwar ein rumänischer Separatismus in Siebenbürgen, dessen bedeutendster Propagandist der Rumäne Sabin Gherman ist, ein Journalist, der offensichtlich von gewissen westeuropäischen Interessensphären beauftragt wird, die Drohung einer Teilung – nach dem Muster Schottlands – gegen Bukarest bestehen zu lassen, falls die rumänische politische Klasse zu sehr zum Souveränismus neigen würde. Nichts deutet darauf hin, dass er eine große rumänisch-siebenbürgische Unterstützung im Volk genießen würde, während die meisten Ungarn – treu ihrer ethnischen Partei, der heute mit dem ungarischen Fidesz verbundenen RMDSZ/UDMR – sich auch von dessen demagogischer Rhetorik fernhalten.

Dagegen gibt es im Osten Siebenbürgens eine Region von ca. zweieinhalb Bezirken – das Szeklerland –, die überwiegend von ungarischsprachigen Szeklern besiedelt wird. Trotz der in dieser Richtung von den Presseagenten des rumänischen Schattenstaats organisierten Kopfwäsche ist die Forderung der Autonomie dieser Region innerhalb des rumänischen Staates kein Separatismus und hat nicht unbedingt etwas mit einer revisionistischen Vision der siebenbürgischen Frage zu tun. Es ist eine kleine Region, die sich in der geographischen Mitte Rumäniens befindet, da wo Siebenbürgen am weitesten von der ungarischen Grenze entfernt ist, und man kann kaum sehen, wie deren Autonomie „automatisch“ zu einem Anschluss an Ungarn führen könnte. Was mich betrifft, ohne überhaupt in dieser Richtung aktiv zu sein, denke ich persönlich, dass dieser Wille der Autonomie seitens der Szekler durch das Selbstbestimmungsrecht der Völker gerechtfertigt ist. Ich betrachte in der Tat – wie Alain de Benoist –, dass man nicht gleichzeitig Traditionalist und Jakobiner sein kann – ein Widerspruch, den man sehr oft bei den rumänischen Nationalisten antrifft, die großteils denken, sie würden einen althergebrachten Einheitsdrang fortleben, während sie bloß die chauvinistischen Parolen der Ceaușescu-Ära nachplappern.

Ferenc Almássy: Kommen wir auf Deine Ausweisung und Dein Aufenthaltsverbot zurück. Was unterscheidet diesen Fall von anderen ähnlichen in den letzten Jahren in Rumänien? Inwiefern ist er besonders oder bemerkenswert?

Modeste Schwartz: Die meisten Aufenthaltsverbote gegen Ungarn betrafen bisher rechtsradikale Aktivisten und Politiker, deren Diskurs in der Tat die Rechtmäßigkeit der Friedensverträge in Frage stellen, die dem Ersten Weltkrieg ein Ende setzten, und vor allem des Vertrags von Trianon, der das Königreich Ungarn um zwei Drittel seines Gebiets amputierte. Doch sogar in deren Fall beruhen diese Ausnahmemaßnahmen ehrlich gesagt auf eine vermutlich voreingenommene Interpretation lato sensu des rumänischen Rechts, das zwar jeden „Plan“ strafbar macht, der darauf zielt, die territoriale Integrität des Landes in Frage zu stellen – doch auch auf Rumänisch ist die Ausweitung des Begriffs „Plan“ auf eine bloße Meinung ziemlich weit hergeholt. Doch diesmal trifft es einen französischen Journalisten, der keinen revanchistischen Standpunkt – weder pro noch contra – vertritt und keiner ungarischen irredentistischen Organisation angehört. Somit ist die Clique an der Spitze des rumänischen Schattenstaats deutlich das Risiko eines qualitativen Sprungs in die Richtung eingegangen, die dieses Land seit einigen Jahren von den europäischen Normen bezüglich Gleichheit und Meinungsfreiheit entfernt.

Ferenc Almássy: Deine in den letzten Monaten in der Visegrád Post veröffentlichten Beiträge schienen insgesamt der Regierung der derzeit regierenden Parlamentsmehrheit günstig zu sein. Man kann sich also über eine solche Entscheidung wundern, die prinzipiell der Exekutive obliegt. Wie siehst Du in Deinem Fall respektive die Verantwortung von dem, was Du „Schattenstaat“ nennst, und von der rumänischen Regierung?

Modeste Schwartz: Als das, was man nunmehr den „Fall Weiss“ nennen soll, ausgelöst wurde, kam die Regierung von Viorica Dăncilă gerade durch eine xte Kabinettsumbildung aus einem weiteren Skandal heraus, der ebenfalls – wie zufällig – das friedliche Zusammenleben der Volksgruppen des Landes gefährdete: indem sie für den Rumänischunterricht in den Schulen des Landes (einschließlich der Volksschulen bzw. auch in denen der ungarischen Minderheit) urplötzlich ein Bildungsniveau in rumänischer Philologie verlangte, das von nur wenigen Lehrkräften aus der ungarischen Minderheit erreicht wird, zwang der umstrittene Erlaß dazu, erfahrene ungarische Pädagogen, die die Kinder in ihrer Muttersprache in Empfang nehmen können, Hals über Kopf mit volksrumänischen Anfängern zu ersetzen, die großteils nur Rumänisch sprechen.

Die Angelegenheit folgte zahlreichen ähnlichen Zwischenfällen (bezüglich der Vorbereitung der Schulbücher usw.), deren gemeinsamer Nenner die Ablehnung ist, wahrnehmen zu wollen, das das Rumänische für die Mitglieder der ungarischen Minderheit praktisch eine Fremdsprache ist, die zwar wichtiger als andere ist, weil sie nunmal Amtssprache ist, doch diese Differenz ändert im Grunde genommen die bezüglichen pädagogischen Anforderungen nicht. Diese Realitätsverweigerung konnte in einigen Fällen auf Dummheit bzw. Ignoranz beruhen – doch ist sie insgesamt allzu verbreitet um nicht einem politisch motivierten schlechten Willen zu entsprechen. Doch was versteht man übrigens mit einer „politischen Motivation“? Im gegebenen Fall des Erlasses bezüglich der Ausbildung der Lehrer konnte es sich keinesfalls um eine Orientierung der Regierung handeln: Obwohl sie an der Regierung nicht beteiligt ist, stellt die Partei der ungarischen Minderheit (RMDSZ/UDMR) seit Monaten einen externen Verbündeten der Regierungskoalition dar und könnte sogar zur Rettungsweste Liviu Dragneas werden, falls sein derzeitiger Regierungspartner (die kleine Partei ALDE, die ideologisch unstabil und für verschiedene Einflüsse seitens der Finanz allzu empfänglich ist) plötzlich umfallen sollte. Die Verabschiedung des betreffenden Erlasses war somit offensichtlich ein Sabotageakt, dessen Urheber innerhalb des Unterrichtsministeriums (wenn nicht gar der Minister selbst) durchaus infiltrierte Agenten des Schattenstaats sein könnten. In diesem Fall ließ die Reaktion der Regierung infolge des massiven Protests der RMDSZ/UDMR nicht lange auf sich warten: Der Erlass wurde aufgehoben, der Minister musste zurücktreten.

Ferenc Almássy: Wäre eine solche Reaktion im „Fall Weiss“ möglich bzw. denkbar?

Modeste Schwartz: Wahrscheinlich nicht. Denn in der Tat illustriert dieser ungewöhnliche Fall einen weiteren stark beunruhigenden Aspekt der beinahe unbegrenzten Macht eines unkontrollierten Schattenstaats über die demokratisch gewählten Instanzen der rumänischen Regierung: Indem man die „Fakten“, die sie mir vorwirft, unter dem Siegel der „nationalen Sicherheit“ klassifizieren, binden die Urheber dieses Rechtsmissbrauchs dadurch großteils die Hände der Regierung. Man stellt sich nur schwer vor, dass ein PSD-Mitglied – Abgeordneter oder Minister – das Risiko einginge, sich darüber auszusprechen, ohne zuvor die Rechtmäßigkeit dieser Anschuldigungen geprüft zu haben. Wie soll man aber die Stichhaltigkeit einer Akte überprüfen, die höchstwahrscheinlich (falls sie nicht völlig leer sei) auf vorfertigte Beweise bzw. erkaufte oder erpresste Aussagen beruht? Praktisch erfordert ein solcher Vorgang die Durchführung einer Gegenuntersuchung und zwar mit Mitteln und spezifischen Kompetenzen, die der Abwehr obliegen. Mit anderen Worten ist der rumänische Schattenstaat in solchen Affären gleichfalls Richter und Partei bzw. wohnen die durch diese Patriotismus-Erpressung terrorisierten demokratisch gewählten Instanzen machtlos der Errichtung eines Polizeistaats nach südamerikanischem Vorbild bei.

Leider ist die Fähigkeit der rumänischen politischen Klasse (bzw. mindestens seiner unabhängigsten Mitglieder) durch historische ziemlich ungünstige Präzedenzfälle einigermaßen begrenzt. Großteils im 19. Jahrhundert durch die Geheimdiplomatie der Habsburger begünstigt erstarkte der rumänische Nationalismus im österreichisch-ungarischen Siebenbürgen gegen die ungarische Nation, die (um den Preis eines gewissen historischen Revisionismus) als der Erbfeind dargestellt wurde. Die ersten Schritte des demokratischen Rumäniens nach 1989 bestätigten diese gefährliche Neigung: Die Annahme – um die kommunistischen Hymnen zu ersetzen – einer Nationalhymne, deren Text ungarischfeindliche Elemente beinhaltet bzw. die Wahl als Nationalfeiertag des 1. Dezember in Erinnerung an die Annektion Siebenbürgens an den jungen rumänischen Staat, als Österreich-Ungarn sich auflöste. Dieser Trend wird durch die laufenden Feierlichkeiten anlässlich des hundertsten Jahrestags der „Wiedervereinigung der Nation“ noch überspitzt – Feierlichkeiten, von denen niemand – in dem ärmsten Mitgliedsstaat der Europäischen Union – sich traut, die hohen Kosten zu kritisieren, die sogar meine Verbannung im Programm zu führen scheinen (sogar auf dem Briefpapier des Bescheids bezüglich des Aufenthaltsverbots, das mir am 24. October in der Transitzone des Flughafens in Klausenburg ausgehändigt wurde, steht das Logo der Feierlichkeiten für den hundertsten Jahrestag). Dieses Jahr wurde ebenfalls durch die Wahl an der Spitze der rumänischen Akademie des Historikers Ion Aurel Pop gekennzeichnet, Rektor der Babeș-Bolyai-Universität Klausenburg, die nach dem Krieg vom kommunistischen Regime durch den erzwungenen Anschluss der alten und prächtigen ungarischen Bolyai-Universität an die junge Babeș-Universität der gleichen Stadt gebildet wurde. (Es ist diese gleiche Universität, die von Zeit zu Zeit den amerikanischen „Philanthrop“ Don Lothrop einlädt, um an Debatten teilzunehmen, wo er den rumänischen Studenten erklärt – Zitat –, dass „Viktor Orbán Euch Siebenbürgen zurücknehmen will.“ Ehemaliger Direktor des rumänischen Kulturinstituts in New York ist Ion Aurel Pop, dessen Ungarnfeindlichkeit allgemein bekannt ist, in Kronstadt (Brașov/Brassó) aufgewachsen, in einer durch die Zwangsrumänisierung der siebenbürgischen Städte gezeichneten Region, die das Regime Nicolae Ceaușescus charakterisierten.

Ferenc Almássy: Aber all diese Ereignisse, die du erwähnst, sind hundert Jahre alt bzw. stammen für die jüngsten aus den letzten Jahrzehnten des kommunistischen Regimes. Seitdem ist Rumänien u.a. 2007 der Europäischen Union beigetreten. Wie können sie denn das politische Leben des Landes im Jahr 2018 weiterhin entscheidend beeinflussen?

Modeste Schwartz: Für einen externen Beobachter ist die äußerste Paranoia, die – vor allem auf rumänischer Seite – die ungarisch-rumänischen Beziehungen in den letzten hundert Jahren kennzeichnen, wirklich verblüffend: Der bloße Gedanke, dass Ungarn – der militärisch schwächste Staat in der Region – Siebenbürgen (dessen Gebiet größer als Ungarn ist und dessen Bevölkerung mehrheitlich rumänisch und kaum kleiner ist) von Rumänien – das die zweitgrößte Armee im postkommunistischen Teil der NATO besitzt – ernsthaft würde entreißen und rückannektieren wollen, kann nur ein schlechter Witz sein. In den meisten Ländern Europas könnte ein derart realitätsferner Mythos kaum überleben, auch um den Preis einer so intensiven Medienpropaganda, wie sie die sehr zahlreichen in der rumänischen Presse infiltrierten Agenten des rumänischen Schattenstaats seit Jahrzehnten betreiben. Um die Wirksamkeit dieser Vergiftung zu verstehen, muss man mit der allgemeinen Mentalität der Rumänen rechnen, die dazu neigen – deren Landesgrenzen sich seit einem Jahrhundert kaum verändert haben, innerhalb deren sie eine 80-prozentige Volksmehrheit darstellen –, sich als bedrohte Minderheit zu betrachten. Diese Skurrilität ist das Eingeständnis einer tatsächlichen Schwäche – nämlich des modernen Nationalgefühls bei den Rumänen –, die auch die Rückseite einer echten Stärke bildet, die in der Vergangenheit mein Interesse und meine Zuneigung ihnen gegenüber erweckte: ihr anthropologisch traditioneller Charakter. Ähnlich wie die Völker Afrikas und Zentralasiens besitzen die Rumänen ein kollektives Bewusstsein, das vor allem familiär und religiös ist: Die breite Familie und die Orthodoxie (bzw. seit kurzem die neo-protestantischen Kirchen, die jene allmählich im Norden des Landes ersetzen) sind für sie alltägliche Tatsachen, die vielmehr prägen als der schwache und junge rumänische Nationalstaat, der nach dem schlecht verdauten westlichen Vorbild zusammengebastelt wurde, und dessen Involvierung im sozialen Netz – dank der neoliberalen Plünderung des Staates, die die Băsescu-Ära kennzeichnete – eine der oberflächlichsten in Europa ist. In Rumänien ist eine gewerkschaftliche Aktivität, die vom Arbeitgeber nicht genehmigt wurde, ein beinahe offizieller Kündigungsgrund bzw. lassen sich viele Arbeitslose defacto niemals bei den Arbeitsämtern eintragen, da der Betrag der ausbezahlten Entschädigungen den Amtsweg und den bürokratischen Marathon kaum rechtfertigen, die jedwede administrative Formalität in diesem Land bedeutet: das ist die Wirklichkeit, die die großen patriotischen Reden von Ion Aurel Pop, die fremdenfeindlichen Fanfaren der Hundertjahrfeier und – Überraschungsepisode dieser syldavischen Tragikomödie – die Ausweisung des „ungarischen Agenten“ Modeste Schwartz verdecken sollen. Die hysterische Betonung der im Übrigen legitimen territorialen Integrität entspricht dem Mangel an staatlichem Inhalt und echter Souveränität, der den Staat „Rumänien“ kennzeichnet und ist unmittelbar eine Folge davon.

Ferenc Almássy: Welche werden Deiner Meinung nach die politischen Konsequenzen Deiner Verbannung sein, falls es welche gibt?

Modeste Schwartz: In der virtuellen Welt der Presse des 21. Jahrhunderts gibt es wenig Chancen dafür, dass diese Schikane es schaffe, mich zum Schweigen zu bringen. Doch immerhin, indem er förmlich die Pressefreiheit verletzt, knetet der Schattenstaat vor allem seine meisten Opfer: die rumänischen Steuerzahler, die weiterhin die teuerste Nachrichtendienstsstruktur (sprich politische Polizei) finanzieren werden, während sie für einen Hungerlohn im Dienste von Unternehmen arbeiten, die dem wirtschaftlichen Netz dieses Schattenstaats gehören; und die rumänischen Wähler, die bei allen Wahlen eine getürkte Wahl zwischen unterschiedlichen Marionetten bekommen, die ab dem ersten Tag ihrer politischen Karriere seinen Erpressungen unterworfen sind. Nebenbei kann das Ereignis – meinetwegen – dazu beitragen, die Beziehungen zwischen Budapest und Bukarest zu verschlechtern, sprich die laufende Annäherung zwischen der V4 und Rumänien unter der Gunst einer Schwächung Brüssels und einer Phobie der diplomatischen Isolierung erschweren, die eine wesentliche Neigung des internationalen Verhaltens der rumänischen Eliten darstellt. Diese Sabotage stellt eine absolute strategische Priorität für den rumänischen Schattenstaat und vor allem für dessen euro-globalistische Auftraggeber der Brüssel-Berlin-Achse dar. Ist es nicht immerhin Jean-Claude Juncker selber, der sich vor einigen Tagen dafür entschieden hat, die Hysterie der Hundertjahrfeier wachzuhalten, indem er erklärte, dass „alles Rumänische auch europäisch“ sei? Aufgrund der Leichtigkeit, mit der die Eurokratie ihre eigenen Bestimmungen im Rahmen ihrer Strafkampagnen gegen Ungarn und Polen „adaptiert“, kann man ihm nur Recht geben: Eine Rhetorik des Staatsrechts, die einen Verfall der Institutionen verdeckt, ein Marktgebiet ohne echten staatlichen bzw. kulturellen Inhalt, ein auf Desinformation und Manipulation basierendes politisches Leben – das sind derzeit die „Werte“ die sowohl für Rumänien wie auch für Europa typisch sind.