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Ungarn: Immobilienskandal um das Rathaus von Budapest?

Lesezeit: 4 Minuten

Ungarn – Der Budapester Oberbürgermeister Gergely Karácsony – eine der wichtigsten Figuren der Opposition gegen den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán – ist seit mehreren Wochen zum Gegenstand von Enthüllungen geworden, die ihn beschuldigen, Immobilien der Stadtverwaltung der ungarischen Hauptstadt verkaufen zu wollen, darunter das Hauptgebäude des Budapester Rathauses, ein denkmalgeschütztes Gebäude aus dem 18. Jahrhunderts.

Die sogenannte „Rathausaffäre“ begann mit einem Artikel des Portals Index vom 4. November, in dem behauptet wurde, dass „der [die ungarische Hauptstadt regierenden] Koalition nahe stehende Wirtschaftskreise“, den Verkauf des Rathauses vorbereiteten würden: „Die Führung der Hauptstadt ist auf der Suche nach einem Käufer für den äußerst wertvollen und geschützten Gebäudekomplex […] des Rathauses […] Geschäftskreise, die der Koalition nahestehen, die die Hauptstadt führt, haben erste Schritte unternommen, um das Rathaus zu verkaufen.“ Das Portal gibt seine Quelle zwar nicht an, aber es ist wahrscheinlich, dass es sich um das erste der anonymen Videos handelte, die wir im weiteren Verlauf dieses Artikels besprechen.

Der Oberbürgermeister von Budapest hatte dies am gleichen Tag auf Facebook förmlich dementiert: „Heute war das letzte Mal, dass ich Index gelesen habe. […] Der etwas ungewöhnliche Artikel, […] enthüllt natürlich, dass der Autor lediglich feststellt, dass ‚die der Koalition, die die Hauptstadt regiert, nahestehenden Geschäftskreise die ersten Schritte unternommen haben, um das Rathaus zu verkaufen, und kommt zu dem Schluss, dass die Stadtverwaltung eine Verkaufsabsicht hat. […] Der Autor des Artikels hat das NER [Anhänger Orbáns, AdR] und die Stadtverwaltung von Budapest verwechselt: In unserem Land bestimmen nicht die Wirtschaftskreise die Entscheidungen über die Verwaltung von Vermögenswerten. Die Stadtverwaltung von Budapest hat kürzlich eine Reihe von Entscheidungen über den Gebäudekomplex des Rathauses getroffen, wie die Renovierung des Gebäudes des Merlin-Theaters und die Ausschreibung für den Rathauspark, [aber] es wurde keine Entscheidung über den Verkauf der Immobilie getroffen, für die die Stadtverwaltung keinen Käufer sucht“.

Am nächsten Tag, dem 5. November, enthüllte Index, dass die Immobilienmaklerfirma Northern Rock Kft, die einem gewissen Zsolt Berki gehört, einen Vertrag mit Beák & Társa Ingatlanközvetítő Kft. über den Verkauf (für 100 Millionen Euro – 40 Milliarden Forint) und die anschließende Nutzung des Budapester Rathausgebäudes geschlossen hatte, und veröffentlichte eine Kopie des Vertrags mit dem Hinweis, dass das Dementi von Herrn Karácsony aus diesem Grund „etwas verfrüht“ sei. Index erinnerte auch daran, dass der Eigentümer von Beák & Tarsa, Attila Beák, nicht irgendjemand war, sondern eben der Immobilienmakler, der den Verkauf des ehemaligen Sitzes der Ungarischen Sozialistischen Partei (MSZP) im Jahr 2009 abgewickelt hatte. Laut den Dokumenten, die Index an diesem Tag veröffentlichte, würde der potenzielle Käufer des Gebäudes außerdem „eine dreistöckige Tiefgarage mit 1500 Parkplätzen bauen und das bestehende riesige Gebäude um fast 30.000 Quadratmeter erweitern“ dürfen, wobei der Vertrag außerdem festlegte, dass „der neue Eigentümer oder Investor eine Gelegenheit nach dem Verkauf nutzen [könnte, um] Baugenehmigungen nach seinen Vorstellungen zu erhalten.“ Gergely Karácsony erklärte damals, er kenne Zsolt Berki nicht, habe „keine Verbindung zu ihm“ und niemand in der Stadtverwaltung von Budapest habe auch nur den geringsten Kontakt zu dieser Person.

Einen Tag später erhielt die Presse jedoch ein anonymes Video mit einer Tonaufnahme, in der vier Personen, darunter Balázs Barts, Präsident und Geschäftsführer der Budapester Vermögensverwaltungsgesellschaft (Főváros Vagyonkezelő Központ Zrt.), gerade besagten Verkauf besprachen. Eine der vier Personen sagte dort unter anderem: „Wir reden über das alte Rathausgebäude, und darüber, was davor liegt, und damit über das gesamte Gelände, das in dem Projekt enthalten ist. Es handelt sich um 4,7 Hektar, von denen wir 3,9 Hektar verkaufen und 8.000 Quadratmeter behalten würden“. Er enthüllt dann seine Identität und die zweier seiner Gesprächspartner: „Wir haben Ihnen nicht gesagt, wer wer ist, als wir uns vorgestellt haben, oder? […] Ich bin Balázs Barts, aber ich kenne Gyula und Zsolt.“ Es handelte sich also offenbar um Zsolt Berki, den CEO von Northern Rock Kft. und Gyula Gansperger, einen engen Vertrauten von Gordon Bajnai, der von 2009 bis 2010 Ministerpräsident der sozial-liberalen Koalition MSZP-SZDSZ war. Der vierte Gesprächspartner in diesem Gespräch war anscheinend Gordon Bajnai selbst, der laut einer am 19. November ausgestrahlten Tonbandaufnahme über die geplante Transaktion sagte: „Sie sehen auch finanziell, dass es eine bedeutende Einnahmequelle für die Gemeinde sein könnte. Und es könnte eine signifikante Minderung der Ausgaben sein“.

Am 11. Dezember gab Gábor Kerpel-Fronius (Momentum), stellvertretender Oberbürgermeister von Budapest, im Fernsehsender ATV zu, dass das Kabinett des Oberbürgermeisters (Gergely Karácsony) sehr wohl ein – von Gábor Kerpel-Fronius in Auftrag gegebenes – Dokument über die mögliche Nutzung des Rathausgebäudes diskutiert habe, und räumte ein, dass ein Verkauf des Gebäudes von der Führung der Stadtverwaltung tatsächlich in Erwägung gezogen worden sei, diese Möglichkeit aber im November 2020 aufgegeben worden sei.

Ebenfalls im Dezember behauptete ein Zeuge – de  Gergely Karácsony als Péter Zental bzw. als „Fidesz-Agent“ bezeichnete – in einem Schreiben an die Fidesz-Fraktion im Stadtrat, an den Verhandlungen über den Verkauf des Rathauses beteiligt gewesen zu sein, und bestätigte, dass die Stadtverwaltung ihn darüber informiert hatte, dass das Gebäude zum Verkauf angeboten worden war. Tatsächlich handelte es sich nicht um Zental, sondern um einen gewissen Dezső Bodnár, der zusammen mit Gordon Bajnai und einem ehemaligen Geschäftspartner von Gyula Gansperger den Ermittlern am 20. Dezember erklärte, „dass er den Brief [an den Fidesz] verfasst habe, in dem bestätigt wurde, dass das Rathaus […] auf Initiative der Hauptstadt verkauft werden sollte“, und dass der Oberbürgermeister selbst davon gewusst habe. Herr Bodnár fügte hinzu, „dass er beabsichtigt habe, von den Käufern eine Provision von 10 % auf den Verkauf zu verlangen“.

Diese Geschichte, die durch die Enthüllungen einer anonymen Person immer wieder neue Wendungen nimmt, wird wahrscheinlich weiterhin die Schlagzeilen beherrschen, zumal sie einerseits der Stadtverwaltung von Budapest und der Opposition im Allgemeinen mehr als unangenehm zu sein scheint, andererseits in mehreren Aspekten eine gerichtliche Untersuchung im Gange ist bzw. zweifelhafte Praktiken im Zusammenhang mit Immobiliengeschäften bestimmte Persönlichkeiten beschuldigen könnten.

Es scheint, dass das Durchsickern dieser Enthüllungen vom Fidesz sorgfältig vorbereitet wurde, als Gergely Karácsony noch als Anführer der vereinigten Opposition für die im April 2022 stattfindenden Parlamentswahlen vorgesehen war. Da der Oberbürgermeister von Budapest bei den Vorwahlen der Opposition unterlegen war, würde der Fidesz die Aufnahmen dennoch nutzen, um Gergely Karácsony weiterhin ins Gespräch zu bringen und so die Medienplattform des Gewinners der Vorwahlen und Kandidaten der vereinigten Opposition, Péter Márki-Zay, zu schmälern.