KURZ GESAGT |
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Im Herzen Europas, zwischen Kroatien und Serbien, existiert ein Stück Land, das auf keiner offiziellen Karte verzeichnet ist. Diese unbeanspruchte Parzelle ist das Ergebnis eines kartografischen Disputs, der bis zur Auflösung Jugoslawiens zurückreicht. Inmitten dieses juristischen Vakuums hat der australische Teenager Daniel Jackson seine eigene Nation gegründet: Verdis. Was als jugendliche Neugier begann, entwickelte sich zu einem ambitionierten politischen Projekt. Obwohl Verdis von keinem Staat anerkannt wird, zeigt der Fall, dass selbst heute noch neue Nationsideen in den Nischen des internationalen Rechts entstehen können.
Ein vergessener Fleck auf der Landkarte
Im Südosten Europas, entlang der Flussufer des Donau, liegt eine 1,6 Hektar große Waldfläche, die weder Kroatien noch Serbien für sich beanspruchen. Diese Anomalie entstand aus unterschiedlichen Auffassungen über die Grenzziehung nach dem Zerfall Jugoslawiens. Während Serbien den Fluss als natürliche Grenze sieht, hält Kroatien an alten Katasterplänen fest. Daraus resultierende Gebiete sind rechtlich unklar und bleiben unbeansprucht.
Daniel Jackson entdeckte dieses Gebiet erstmals mit 14 Jahren während seiner Erkundungen auf Google Maps. Was als harmloser Zeitvertreib begann, entwickelte sich schnell zu einem ernsthaften politischen Vorhaben. Zusammen mit Freunden erklärte er das Gebiet zur „Free Republic of Verdis“, inspiriert von der lateinischen Bedeutung „grün“. Der Name spiegelt die ursprüngliche ökologische Ausrichtung wider.
Verdis ist jedoch nicht die einzige Mikronation in der Region. Liberland, gegründet 2015 von einem tschechischen Politiker, liegt etwas weiter nördlich. Beide teilen den Status eines unbeanspruchten Territoriums im diplomatischen Graubereich. In einem Interview mit The Guardian betonte Jackson, dass seine Gruppe die älteste aktive sei, die dieses Gebiet beanspruche, was ihrer Ansicht nach die Legitimität im internationalen Recht stärken könnte.
Verdis: Vom Traum zur politischen Realität
Was als jugendlicher Traum begann, hat sich zu einem ernsthaften Projekt entwickelt. Daniel Jackson, heute 20 Jahre alt, lebt im Exil im Vereinigten Königreich, nachdem er 2023 bei einem Versuch, das Gebiet zu betreten, von der kroatischen Polizei aufgehalten wurde. Seit diesem Vorfall ist ihm die Einreise nach Kroatien auf Lebenszeit untersagt, was den Zugang zu Verdis erheblich erschwert.
Trotz dieser Hindernisse hat Jackson eine Regierung mit sieben ehrenamtlichen Ministern aufgebaut. Verdis hat mittlerweile rund 400 Bürger, ausgewählt aus über 15.000 Bewerbungen. Die Regierung hat eine Verfassung erstellt, eine offizielle Karte gezeichnet und eine blau-weiße Flagge gehisst, die an die argentinische erinnert.
Obwohl die Pässe von Verdis nicht für Reisen nutzbar sind, werden sie in einigen Bars als Identitätsnachweis akzeptiert. Die Finanzierung erfolgt durch Spenden, den Verkauf von Fanartikeln und ein Bürgerbeteiligungsprogramm. Eine Kryptowährungskampagne im Juli 2025 erbrachte über 37.000 Euro, was zeigt, dass das Projekt in bestimmten Online-Communities Anklang findet.
Ambitionierter Staat ohne Anerkennung
Verdis existiert nicht nur im Kopf seiner Gründer. Daniel Jackson ist überzeugt, dass ein Besuch des Territoriums die Unterstützung einer NGO – deren Name aus rechtlichen Gründen anonym bleibt – sichern und einen entscheidenden Schritt zur diplomatischen Anerkennung darstellen würde. Doch der Zugang zum Gebiet ist nahezu unmöglich. Seit 2023 überwachen Kameras die kroatische Seite, und selbst das Anhalten eines Bootes in der Nähe ruft die Küstenwache auf den Plan.
Trotzdem verfolgt Verdis konkrete Pläne. Jackson träumt davon, das Gebiet zu einer humanitären Plattform zu machen, einem neutralen Zentrum für NGOs. Der Vizepräsident Hector Bowles hat sogar eine Hilfsorganisation gegründet, die Unterstützung in die Ukraine liefert. Das ursprünglich ökologische Ziel hat sich zu einer pazifistischen Vision gewandelt.
Verdis strebt nicht an, der Europäischen Union beizutreten, auch wenn Jackson das europäische Projekt unterstützt. Stattdessen hofft das Land, einmal am Eurovision Song Contest teilzunehmen. Kontakte zu Künstlern bestehen bereits, darunter Luke Black, der Serbien 2023 vertrat. Obwohl er nicht aktiv am Projekt teilnimmt, lobt er „den Mut eines 20-jährigen, ein solches Vorhaben zu tragen“.
Ein Manifest für neue politische Ansätze
Was als jugendliche Herausforderung in einem rechtlichen Graubereich begann, hat sich zu einem lebendigen Manifest für neue politische Ansätze entwickelt. Hinter dem in einem englischen Wohnzimmer gehissten Banner verbirgt sich ein Projekt, das ebenso fragil wie entschlossen ist. Es wird getragen von der Überzeugung, dass es möglich ist, eine Nation neu zu erfinden.
Der Fall von Verdis wirft Fragen auf über die Natur von Staatlichkeit und die Grenzen des Völkerrechts. Wie weit kann die Idee einer Nation gehen, wenn sie ohne territoriale Anerkennung existiert? Und welche Rolle spielen solche Mikronationen in einer zunehmend globalisierten Welt, in der traditionelle Grenzen immer mehr hinterfragt werden?
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