Interview mit Kardinal Stanisław Dziwisz, dem ehemaligen Privatsekretär von Johannes Paul II.: „Europa wurde und wird immer noch auf christlichen Werten aufgebaut“.
Neben Johannes Paul II. – zuerst als dessen Schüler, dann als sein Sekretär – war Stanisław Dziwisz vierzig Jahre lang der treueste Begleiter des polnischen Papstes. 2006 zum Kardinal geweiht erwähnt er faszinierende Details des Lebens von Johannes Paul II. und kehrt ebenfalls auf die Situation der Kirche unter dem Kommunismus zurück. Kardinal Dziwisz, Freund und engster Mitarbeiter von Johannes Paul II., liefert uns ein starkes Zeugnis und versäumt es als Mann des Glaubens nicht, ein Zeugnis der Hoffnung zu geben. Ein Interview, das Ferenc Almássy im Oktober 2019 in Krakau für TV Libertés geführt hat .
Ferenc Almássy: Eminenz, vielen Dank, dass Sie uns in Krakau in Ihrem Büro für dieses Interview für TV Libertés empfangen. Sie haben vor kurzem gesagt, ich zitiere: „Diese Pilgerreise von Johannes Paul II. nach Polen im Jahr 1979 hat die geistige Situation der Kirche in Polen radikal verändert. Wie viele Beobachter des öffentlichen Lebens es behaupten, konnten sich die Christen zählen, Mut schöpfen und eine Gemeinschaft erleben, die Loyalität gegenüber dem christlichen Ideal und Masseneffekt verband, was wenig später zur Entstehung des Phänomens Solidarność führte.“ Wir erinnern uns an den Ruf Johannes Pauls II. in Polen, als er sagte: „Lass Deinen Geist kommen und das Antlitz der Erde, dieser Erde erneuern.“ Es war 1979. Im folgenden Jahr erschien die Bewegung, die Gewerkschaft Solidarność (Solidarität), und zehn Jahre später fiel die Berliner Mauer. Wäre der Kommunismus Ihrer Meinung nach in Osteuropa gefallen, wenn es keinen polnischen Papst auf dem Stuhl Petri gegeben hätte?
Stanisław Dziwisz: Als Johannes Paul II. zum Papst gewählt wurde, waren die politische Situation und auch die Situation der Kirche in Polen völlig anders. In Europa gab es eine Grenze zwischen Ost und West, den Eisernen Vorhang. Im Osten regierte der Marxismus, der Kommunismus. Im Westen war die Situation anders.
Es besteht kein Zweifel, dass sich die Situation unter dem Einfluss des polnischen Papstes Johannes Paul II. schnell entwickelte. Der Heilige Vater verstand sofort, dass die Zukunft nicht dem Kommunismus gehörte, sondern der Freiheit, der Achtung der Menschenrechte und auch der Völker, und dass die Völker Osteuropas souverän sein würden. Es begann mit der Rede von Johannes Paul II. auf dem Petersplatz in Rom anlässlich seiner Inthronisierung: „Habt keine Angst!“ Und heute können wir sagen, dass dieser Satz „Habt keine Angst, reißt die Türen weit auf für Christus!“ zum Programm seines gesamten Pontifikats geworden ist.
Die erste Pilgerreise des Heiligen Vaters nach Polen war wichtig, aber damit sie stattfinden konnte, musste er zuerst nach Mexiko. In gewisser Weise ebnete ihm diese Pilgerreise nach Mexiko den Weg nach Polen. Denn wenn Mexiko, das der katholischen Kirche feindlich gesinnt war und eine antiklerikale Verfassung hatte, Johannes Paul II. begrüßte, sollte Polen sich auch umso mehr öffnen, was nicht einfach war.
Der Heilige Vater wollte zum Jubiläum des Heiligen Stanislaus [Stanisław Szczepanowski] kommen. Die Behörden wollten auf keinen Fall akzeptieren, dass seine Pilgerreise mit diesem Jubiläum in Verbindung gebracht werden könnte, da der heilige Stanislaus ein Bischof war, der sich der Macht seiner Zeit widersetzte und deshalb durch die Hand des Königs von Polen starb. Es wurde befürchtet, dass ein Besuch von Johannes Paul II. in Polen bei den Zeremonien des Heiligen Stanislaus Widerstand gegen die Behörden hervorrufen würde. Nach Verhandlungen wurde dann eine Einigung über seinen Besuch in Polen erzielt, jedoch erst im Juni 1979, was der Heilige Vater akzeptierte. Aber er sagte zu den polnischen Bischöfen: „Einverstanden, ich werde nach Polen kommen, aber wir werden das 900jährige Jubiläum des Heiligen Stanislaus anlässlich meines Besuchs feiern.“
Niemand hätte gedacht, dass sein Besuch in Polen nicht nur für Polen, sondern für alle Länder Osteuropas bzw. sogar für ganz Europa so wichtig sein würde. Mit diesem Besuch begann der Marsch in Richtung Freiheit. Und besonders mit seinen Worten, die auf dem Siegesplatz in Warschau während der Predigt gesprochen wurden: „Lass Deinen Geist kommen und die Erde erneuern“. Diese Erde. Die Polen fühlten sich frei. Sie spürten, dass etwas geschah, einen Hauch von Freiheit.
Aus dieser Predigt heraus begann der Befreiungsprozess vom kommunistischen Joch in Warschau und auch dann in Gnesen (Gniezno). Wir können davon ausgehen, dass seine erste Reise 1979 die Befreiung des Kommunismus für Menschen und Völker initiierte. Dies führte zum Fall der Berliner Mauer, die nur das Symbol für die Veränderungen in Europa war. Es war nicht der Fall der Berliner Mauer, der die Freiheit gab; der Befreiungsprozess hatte mit der Reise des Papstes nach Polen, nach Warschau, nach Gnesen (Gniezno), nach Tschenstochau (Częstochowa) und nach Krakau begonnen.
In Polen fühlten sich die Menschen zu Hause, frei und befreit durch die Argumente, durch die Worte und durch die Position Johannes Pauls II. Es war der Beginn dieser großen Befreiung. In Polen und Ungarn oder sogar in der Tschechoslowakei hatte es bereits Versuche gegeben, den Kommunismus loszuwerden. Aber das war der Beginn der vollständigen Befreiung, in der wir heute leben. Kommunisten regieren wie alle Diktaturen, indem sie Menschen versklaven, durch die Angst. Unter dem Einfluss des Heiligen Vaters hörten die Menschen jedoch auf, Angst zu haben.
Dies ist auch, was Solidarność entstehen ließ. Ich betone, dass der Fall der Berliner Mauer bloß ein Symbol war. Der Ursprung des Befreiungsprozesses liegt in den Reisen Johannes Pauls II. und in seiner Haltung. Als er in Rom ankam, sprachen die Menschen auf Italienisch vom „Compromesso storico“, vom historischen Kompromiss, nach dem die Zukunft der Welt, Europas, dem Marxismus gehörte. Der Heilige Vater hat das nie akzeptiert und die Menschenrechte und die Rechte der Völker beansprucht. Und es ist seinem Handeln zu verdanken, dass diese Veränderungen in der Welt und insbesondere in den unterdrückten Nationen Mittel- und Osteuropas stattgefunden haben.
Ferenc Almássy: Sie waren bereits Kaplan und Sekretär von Erzbischof Karol Wojtyła, der zum Papst Johannes Paul II. werden sollte, er war also damals an der Spitze der Diözese Krakau. Wie war seine Einstellung? Wie war die Haltung von Msgr. Wojtyła, dem zukünftigen Papst Johannes Paul II., gegenüber den kommunistischen Behörden? Wurde die Kirche verfolgt? Wie haben Sie Ihr Priestertum unter dem Kommunismus gelebt? War die Überwachung durch die Behörden beständig und wie geschah es konkret?
Stanisław Dziwisz: Karol Wojtyła war zum Erzbischof von Krakau ernannt worden, weil man hoffte, dass er nicht gegen die Regierung, sondern gegen Kardinal Wyszyński (den Primas von Polen) eine Opposition darstellen würde. Da der neue Erzbischof ein großer Intellektueller war, wurde seine Position in der Gesellschaft hoch angesehen. Allerdings haben sie sich geirrt, weil die Zusammenarbeit zwischen Karol Wojtyła und Wyszyński sehr gut funktioniert hat. Daher versuchte die Regierung dann, die Rolle Wojtyłas einzuschränken. Aber es hat nicht funktioniert. Wojtyła bildete keine Opposition. Er versuchte, die Wahrheit zu verkünden, er gewann durch seine Argumente, durch seine Überzeugung, durch seine entschlossene, unflexible Haltung.
Aber ich wiederhole, er hat keine Opposition gebildet. Er diente der Wahrheit. Er kämpfte mit Worten, Argumenten und auch für die Rechte der Kirche, weil die Behörden den Bau von Kirchen nicht genehmigten. Die Neustadt Nowa Huta (bei Krakau) sollte ihr Symbol sein. Es musste eine Stadt ohne Kirche und ohne Gott sein. Karol Wojtyła stand als Erzbischof dem Volk zur Seite und forderte die Achtung des Rechts der Gläubigen auf eine Kirche und die freie Meinungsäußerung. Und er erwies sich als ein sehr entschlossener, unflexibler und starker Mann, und das brachte ihn den Menschen näher. Dies gab ihm große Autorität in Polen und insbesondere in der Diözese Krakau.
Entscheidend für die Definition seiner Position gegenüber dem System war, dass er nicht gegen Menschen kämpfte, sondern gegen die kommunistische Ideologie, die der Person die Freiheit entzieht. Er wusste zu fordern. Bei großen Versammlungen sprach er mutig über die Menschenrechte und die Rechte des Volkes. Er forderte keinen Kampf, forderte aber die Achtung der Rechte, die Gewissensfreiheit und auch die Meinungsfreiheit. Er tat es überzeugend und das Volk, aber auch die Regierenden, konnten sich seinen Argumenten nicht widersetzen.
Ferenc Almássy: Sie waren auch an der Seite von Johannes Paul II., als 1981 der berühmte Anschlag auf dem Petersplatz in Rom stattfand. Sie haben ihn damals gehalten und später gesagt: „Heute kann ich sagen, dass zu dieser Zeit eine unsichtbare Kraft eingegriffen hat, um das Leben des Heiligen Vaters zu retten, ein Leben, das ernsthaft bedroht war.“ Ist die Tatsache, dass der polnische Papst diesen Anschlag überlebt hat, ein Wunder?
Stanisław Dziwisz: Die kommunistische Macht in Moskau und Polen war sehr besorgt über die Wahl von Johannes Paul II. Von Anfang an hatten sie Angst vor der Position von Papst Johannes Paul II., vor seiner moralischen Stärke und vor der großen Unterstützung, die er in der Gesellschaft genoss. Deshalb beschlossen sie, den Papst physisch zu liquidieren. Auf jeden Fall sehe ich die Dinge so. Und es geschah mit dem Versuch, Papst Johannes Paul II. auf dem Petersplatz zu liquidieren. Ich spreche als Zeuge, weil ich mit dem Heiligen Vater im Jeep stand. Infolgedessen war ich direkt am Geschehen rund um diesen Anschlag beteiligt. Wir haben versucht, ihn zu beschützen, alles zu tun, um ihn am Leben zu erhalten. Die acht Minuten zwischen dem Petersplatz und dem Gemelli-Krankenhaus waren die Entfernung, die er zurücklegen musste, um überleben zu können. Die Situation war tragisch, die Kugel hatte seinen Körper durchbohrt. Er hatte viel Blut verloren. Ich war in dem Krankenwagen, der ihn nach Gemelli brachte. Zuerst war er noch bei Bewusstsein und betete. Ich und die andere Person, die dort war, hörten ihn: Er betete und bot sein Leben für die Kirche, für die Welt an. Er fragte nicht, wer es tat, wer der Angreifer war. Zu diesem Zeitpunkt wussten wir nicht, wer dies getan hatte, aber den Papst interessierte dies nicht, er hatte bereits vergeben. Auf dem Weg ins Krankenhaus hatte er ihm vergeben, was er getan hatte. Danach, als wir im Krankenhaus ankamen, verlor er das Bewusstsein und musste gerettet werden. Es gab sehr schwierige Momente im Krankenhaus. So sehr, dass ein Arzt zu mir kam und sagte: „Wir spüren kaum, wie das Herz schlägt, der Blutdruck sinkt, gehen Sie zu ihm und geben Sie ihm die Krankensalbung.“
Es war ein Kampf um sein Leben. Nicht um seine Gesundheit, sondern um sein Leben. Es gab Probleme mit dem Blut, weil er viel Blut verloren hatte. Das Blut, die Blutgruppe, die vorbereitet worden war, war falsch. Im Krankenhaus wurden Ärzte mit der gleichen Blutgruppe gefunden. Sie gaben ihr Blut, damit er diesen Anschlag überleben konnte.
Später, als er wieder zu Kräften kam, stellte er fest, dass der Anschlag am 13. Mai stattgefunden hatte, dem Jahrestag der Erscheinungen von Fátima. Zu diesem Zeitpunkt begann er zu sagen, dass er dank Unserer Lieben Frau von Fátima gerettet worden war, dass Unsere Liebe Frau von Fátima ihm ein Leben zurückgegeben hatte, weil er überzeugt war, dass es hätte enden können. Er wandte sich immer an die Jungfrau von Fátima und dankte ihr, dass sie sich nach dem Anschlag um seinen Gesundheitszustand gekümmert hatte und sie ihm ermöglicht hatte, wieder gesund zu werden – es war nicht einfach, denn es hat viele Komplikationen gegeben – und noch viele Jahre arbeiten zu können. Es muss gesagt werden, dass sich diese Gnade, die ihm gewährt wurde, als sehr wirksam erwiesen hat. Der Anschlag hinterließ keine Spuren. Er hatte keine Angst. Als er auf dem Petersplatz „Habt keine Angst!“ sagte, hatte er keine Angst. Er hielt es für eine große Gnade, denn nach einem Anschlag dieser Art kann man erhebliche psychologische Nachwirkungen haben und Ängste haben. Nach einigen Monaten kehrte er ohne Angst auf den Petersplatz zurück. Er rückte leise vor, um wie zuvor zu dienen. Sein Gefolge hatte Angst vor einem erneuten Anschlag, aber er nicht.
Ferenc Almássy: Papst Johannes Paul II. pilgerte dreimal nach Polen: 1979, 1983 und 1987. Haben die polnischen Behörden diese Pilgerfahrten bereitwillig angenommen? Wie haben sie reagiert, warum haben sie akzeptiert? Oder gab es viele Hindernisse?
Stanisław Dziwisz: Sie waren moralisch gezwungen, seine Pläne zu akzeptieren, nach Polen zu reisen. Sie setzten aber Grenzen. Zum Beispiel erlaubten sie dem Heiligen Vater während der ersten Pilgerreise nicht, nach Lublin zu fahren. Er hatte Verbindungen zu dieser Stadt, weil er dort an der katholischen Universität unterrichtet hatte. Sie befürchteten eine Reise zu nahe an der Ostgrenze. Sie erlaubten ihm auch nicht, in den Westen des Landes zu fahren, zum Beispiel nach Breslau oder nach Schlesien. Sie hatten Angst vor den Reaktionen der Bergleute, dass es während seiner Reise zu einer Art innerer Revolution kommen könnte. Aber der Heilige Vater fand einen Weg: Als er in Tschenstochau (Częstochowa) im Heiligtum von Jasna Góra war, lud er Lublin und die katholische Universität ein, ihn zu besuchen. Er lud auch die Diözese Breslau und erneut Schlesien ein. Dort fanden die Treffen statt, er sprach. Es gab auch ein sehr ernstes Problem auf einer anderen Reise. Der Heilige Vater wollte Lech Wałęsa treffen. Jaruzelski antwortete: „Es ist nicht möglich. Der Papst darf Wałęsa nicht treffen“. Sie dachten damals, dass Solidarność beseitigt und zerstört worden sei, und befürchteten, dass Solidarność wiederentstehen würde, wenn der Papst Wałęsa treffen sollte. Der Papst war ganz klar und warnte, sobald er am Warschauer Flughafen ankam: „Wenn ich Wałęsa nicht treffen kann, fliege ich gleich nach Rom zurück.“ Und so gaben sie nach und suchten nach einer Lösung. Für den Papst war es nicht wichtig, ein Gespräch zu führen, sondern die Tatsache zu betonen, dass Solidarność existiert und sein Führer Wałęsa ist. So wurde ihm gesagt, dass er ihn in den Bergen im Tal von Dolina Chochołowska treffen könne. Sie hofften, dass dieses Treffen zwischen Johannes Paul II. und Wałęsa keine großen Auswirkungen haben würde, da es niemanden und keine Zeugen geben würde. Ich erinnere Sie daran, dass dieses Treffen nicht des Gesprächs wegen wichtig war, sondern als neue Anerkennung von Solidarność. Die Diskussion fand in einem Tierheim statt, aber es war offensichtlich, dass der vorbereitete Raum voller Wanzen und Mikrofone war. Der Papst sagte zu Wałęsa: „Lech, lass uns in den Flur gehen. Im Korridor wird nicht zugehört, dann können wir diskutieren.“
Und tatsächlich konnten die Behörden nicht erfahren, was besprochen wurde. Die Tatsache, dass dieses Treffen stattfand, war jedoch von enormer Bedeutung für die Wahrung der Präsenz von Solidarność im polnischen gesellschaftlichen Leben. Man hat natürlich versucht, bestimmte Ausdrücke in den Reden des Papstes zu ändern, weil diese Reden irgendwie die Behörden erreichten. Sie wussten, was der Papst sagen würde. Aber auch dort wollte er nicht nachgeben. Der Papst führte keinen Krieg, aber er war sehr entschlossen. Er war überzeugt, das Richtige zu tun und das Recht zu haben, in seiner Heimat zu sagen, was er für gut für die Menschen hielt.
Ferenc Almássy: Erinnern Sie sich an die Reaktion des heiligen Johannes Paul II. auf die Nachricht von der Entführung und der Ermordung von Pater Jerzy Popiełuszko durch die politische Polizei im Jahr 1984? Sie, Eminenz, wie haben Sie diese Nachricht als Mann der Kirche in der Nähe des Papstes bzw. als Pole erlebt?
Stanisław Dziwisz: Die Nachricht von der Entführung von Pater Popiełuszko – zu der Zeit, als noch von einem Verschwinden gesprochen wurde – war ein echter Schock. Wir waren alle besorgt, dass die Behörden am Ende zu Entführungen greifen würden. Es war noch nicht bekannt, dass diese Entführung zum tragischen Tod von Pater Jerzy Popiełuszko im Martyrium führen sollte. Der Papst hat sich für die Situation Tag für Tag interessiert. Er war in Kontakt mit dem Episkopat. Auch durch das Gebet machte er die Gesellschaft und die Menschen darauf aufmerksam, dass diese Entführung ein tragisches Ereignis war. Es war schwer zu akzeptieren. Es war ein Schock: Wie weit konnte die Regierung gehen? Als wir die Nachricht hörten, dass seine Leiche in der Weichsel gefunden worden war, sahen wir, dass er schrecklich gefoltert worden war. Es brauchte eine starke Reaktion, denn diese Ermordung von Pater Popiełuszko könnte den Beginn anderer tragischer Situationen einleiten. Um sich einer solchen Form der Versklavung und Verfolgung zu widersetzen, hat diese ebenso moralische wie starke Reaktion des Papstes und der Kirche in Polen wahrscheinlich dazu beigetragen, dass es später manchmal zwar Aktionen gegen den Klerus gab, aber sowas ist nie wieder geschehen.
Ferenc Almássy: Während seiner Pilgerreise nach Polen 1991 nach dem Fall des Kommunismus appellierte Papst Johannes Paul II. an seine Landsleute: „Lasst uns die gemeinsame Zukunft unseres Heimatlandes nach göttlichem Recht aufbauen oder vielmehr wieder aufbauen, denn vieles wurde zerstört und liegt in Trümmern in den Menschen, im menschlichen Gewissen, in den Sitten, in der öffentlichen Meinung, in den Medien“. Johannes Paul II. warnte die Polen auch vor missverstandenen Freiheiten, die zu einer bestimmten Form der Sklaverei führen. Er fragte sie, ob sie die Freiheit wollten, die Christus uns gegeben hat, oder ob sie lieber frei von Christus sein und nur fiktive Freiheit genießen möchten. Können wir dreißig Jahre später sagen, dass der Ruf des heiligen Johannes Paul II. gehört wurde, während die religiöse Praxis in Polen weniger verbreitet ist und es einen Rückgang gibt, auch wenn diese religiöse Praxis viel verbreiteter ist als in anderen europäischen Ländern?
Stanisław Dziwisz: Diese Reise, über die wir sprechen, war nicht einfach. Es kam zu einer Zeit, als das polnische Volk seine Freiheit wiedererlangt hatte. Der Papst warnte, dass diese Freiheit gut verwaltet werden muss, dass sie nicht mit Zügellosigkeit verwechselt werden darf, dass sie anderen keine Gewalt antun darf. Er stützte seine gesamte Rede auf den Dekalog. Er sprach die Wahrheit, die Wahrheit Gottes, die nicht immer mit Begeisterung aufgenommen wurde, aber er versuchte, dem Volk, den Menschen einen wahren Weg zu öffnen, der auf der Wahrheit des Evangeliums beruhte. Können wir 30 Jahre später sagen, dass er erfolgreich war?
Ich denke, dass auch heute noch all seine Reisen nach Polen und all seine Reden aktuell bleiben, weil sie zeitlos waren und sind. Darauf können wir heute und in Zukunft zurückkommen. Natürlich gibt es Veränderungen in der Gesellschaft, aber die Kirche bleibt am Leben und ist weiterhin im Volk präsent. Sie erfüllt ihre Rolle und ihre Mission. Sie will sich nicht in die Politik einmischen. Natürlich spiegelt sich das soziale Leben immer in der Lehre der Kirche wider, aber in dieser neuen Situation liegt die Verantwortung für das soziale und zivile Leben vor allem bei denen, die Macht ausüben. Die Kirche spielt eine andere Rolle, eine moralische Rolle. Sie erlaubt sich daher, moralische Urteile über das Verhalten der Regierenden zu fällen. Die Kirche in Polen hat bis heute nie Privilegien gefordert. Sie will den Menschen dienen,
Ich denke, heute muss gesagt werden, dass junge Menschen zwar weniger aktiv sind, aber ihren Glauben nicht verloren haben. Die Bedingungen haben sich geändert, aber der Glaube ist immer noch im Volk vorhanden. Ein Grund dafür ist, dass die Kirche ausreichend präsent ist und es eine gute Katechese gibt, weil Unwissenheit immer gefährlich ist. Die Kirche bemüht sich zu lehren. Noch heute findet die Katechese in allen Schulen statt, vom Kindergarten bis zur Universität, und dies ist die Stärke des polnischen Christentums: eine gute Katechese. Einige rechneten damit, dass die Kirche und der Glaube mit dem Beitritt Polens zur Europäischen Gemeinschaft an Bedeutung verlieren würden. Es gibt verschiedene Signale, aber die Kirche besteht weiter und die Idee, dass sich plötzlich alles ändern würde, dass die Leute der Kirche den Rücken kehren würden und die Jungen sie verlassen würden, wurden nicht bestätigt.
Ferenc Almássy: Polen und die polnische Kirche spielten eine Schlüsselrolle im Fall des Kommunismus als Ideologie, insbesondere als christenfeindliche Ideologie. Gibt es heute nicht eine Ideologie, die auch dem Christentum ziemlich feindlich gegenübersteht? Haben nicht auch die polnische Kirche und Polen eine Rolle dabei zu spielen, Europa dabei zu helfen, sich wieder zu christianisieren und sich gegen einen bestimmten liberalen Nihilismus zu verteidigen?
Stanisław Dziwisz: Wir wollen nicht der Messias der Nationen sein. Trotzdem wollen wir unsere Rolle als Zeugen des Evangeliums und als Zeugen des Christentums spielen, weil Europa auf christlichen Werten aufgebaut wurde und immer noch aufgebaut wird. Es gibt neue Tendenzen und Ideologien, die nicht christlichen Werten entsprechen, aber Polen hat sich bisher gegenüber anderen Nationen bemüht, christliche Werte zu bewahren, vorzuschlagen und auch Zeugnis von diesen Werten und von der Rolle der Kirche im Leben der Völker zu geben. Natürlich können wir sagen, dass die katholische Welt im Westen hier und anderswo gewisse Verluste erlitten hat, aber wir sehen auch wiederbelebende Bewegungen, auch in Frankreich. Ich bin kein Pessimist. Europa hat auch wiederbelebende Kräfte und die Kirche auch, weil die Kirche lebt und auf Christus aufgebaut ist. Christus ist gegenwärtig. Die Kirche existiert seit mehr als 2000 Jahren. Dies bedeutet, dass es in der Kirche auch Kräfte gibt, die es zulassen, dass sie Bestand hat, was bedeutet, dass sie trotz Schwierigkeiten und bestimmter Krisen immer mit Hoffnung vorankommen kann.
Ferenc Almássy: Während seiner irdischen Wanderungen, während seines Lebens in dieser Welt, trug Johannes Paul II. aktiv zum Fall des Kommunismus bei. Wenden Sie sich heute, Eminenz, in Ihren Gebeten oft an Johannes Paul II., damit er persönlich für Europa eintritt und es vor dem Abfall vom Glauben bewahrt?
Stanisław Dziwisz: Ich stimme dem Ausdruck „Abfall vom Glauben“ nicht wirklich zu. Es gibt sicherlich einen Rückgang des religiösen Lebens, insbesondere in bestimmten Kreisen. Es gibt auch Trends, die darauf abzielen, moralische Werte zu zerstören. Aber ich hoffe weiterhin auf die Zukunft. Johannes Paul II. lag die Einheit Europas sehr am Herzen. Er sprach oft von Ost- und Westeuropa als zwei Lungen. Er sagte, dass Europa vereint sein muss, aber er bestand darauf, dass es auf den Werten vereint sein sollte, auf denen es aufgebaut wurde. Er sagte, wenn wir die Wurzel abschneiden, auf der Europa aufgebaut ist, wird es aufhören, als Europa zu leben. Er wollte, dass diese Werte erhalten bleiben und er könnte als Patron der Einheit Europas bezeichnet werden. Dafür werden Stimmen erhoben. Seine Lehre ist zeitlos. Sie war nicht nur dann gültig, als er Papst war. Wir können auch heute noch darauf zurückkommen.
Er ist immer präsent, Johannes Paul II. bleibt eine Quelle der Inspiration. Deshalb wenden sich die Leute an ihn. Sie beten, bitten um seine Fürsprache und erfahren diese Fürsprache. Ich habe viele Zeugnisse, Briefe von Menschen, die sich an ihn gewandt haben und auf moralischer Ebene Gnaden, besondere Gnaden für ihre Gesundheit erhalten haben. Johannes Paul II. bleibt den Menschen nahe. Sie müssen nur auf dem Petersplatz die Menge der Menschen sehen, die ihn seit fast fünfzehn Jahren besuchen. Sogar die Kinder, die ihn nie gesehen haben, die ihn nie persönlich getroffen haben, lieben diesen Papst, den sie durch die Medien und durch die in Familien weitergegebene Erinnerung gekannt haben. In seinem Wirken hatte er Respekt vor jedem Menschen und die Menschen sahen seine Aufrichtigkeit, seine Liebe. Und es blieb auch so. Liebe ist geblieben, gegenseitige Liebe.
Er ist auch ein guter Schutzpatron für Jugendliche und Familien, und es wäre schön, ihn als Schutzpatron der Einheit Europas zu bezeichnen, weil er ein Mann war, der vereinte, der Brücken und keine Mauern baute.
Deshalb sahen ihn auch Muslime, Juden und Buddhisten als religiösen Führer. Wir können nicht von intensiven Aktivitäten in diesem Bereich sprechen, aber er ist zum religiösen Führer der heutigen Welt geworden.
Ferenc Almássy: Sie bringen eine Botschaft der Hoffnung. Sie wissen, dass es in Frankreich andere Probleme gibt als in Polen. Es gibt eine Situation in Frankreich, die ziemlich schwierig ist, und die Situation der Christen verschlechtert sich dort. Was können Sie ganz kurz den Franzosen als Botschaft der Hoffnung geben?
Stanisław Dziwisz: Papst Johannes Paul II. sprach bereits über den Frühling, d.h. über die wiederbelebte Kirche und ihre Rolle in der französischen Gesellschaft. Ich denke, seine Worte waren prophetisch. Wir haben zum Beispiel nach dem Brand in der Kathedrale Notre-Dame gesehen, dass Frankreich den Glauben nicht verloren hat. Wir sahen Menschen beten und ein Frankreich auf den Knien. Und dann gibt es verschiedene neue, wiederbelebende Bewegungen, die nicht nur für die Franzosen, sondern auch für andere Völker von Bedeutung sind. Frankreich ist immer zu Wort gekommen, weil es eine Nation mit einer großartigen Kultur ist, die von Kultur lebt und Kultur schafft. Ich wünsche den Franzosen, dass diese Kultur immer im Dienste des Menschen steht und nicht das zerstört, was in den Menschen schön und gesund war.
Ferenc Almássy: Ihre Eminenz, vielen Dank für dieses Gespräch mit TV Libertés.
Stanisław Dziwisz: Vielen Dank für Ihren Besuch. Ich grüße alle Zuschauer. Vielen Dank für Ihren Besuch hier, vielen Dank für unser Treffen hier. Wir haben über verschiedene Probleme gesprochen, ich hoffe, dass die Franzosen meinem Gedanken zustimmen.