Die Jobbik: von der stufenweisen „Säuberung“ zur „Liste Gyurcsány“…
„Sag niemals nie“: Dieses zeitlos wahre Sprichwort wird von vielen zitiert, aber nur wenige halten sich daran. Zu denen, die sich nicht daran gehalten haben, gehören in Ungarn die Postkommunisten und die Liberalen – aber auch seit einigen Jahren die Jobbik; diese Parteien haben sich nämlich – um es durch die Blumen auszudrücken – nur so oft voneinander distanziert, um heute einander für eine beinahe liebevolle Umarmung in die Arme zu fallen. Genauso wie József Pelikán, die Hauptfigur im Film Der Zeuge (A Tanú – dem Kultfilm über die Wende in Ungarn 1989/90) natürlich nicht wissen konnte, dass er auf Taucher treffen würde, so konnten sie auch nicht wissen, dass all diese frostigen Abfuhren, all diese schmutzigen Streitereien – die im Nachhinein, im Lichte ihrer gegenwärtigen Intimität, einen Hauch von häuslicher Gewalt annehmen – eines Tages einer flinken Brautwerbung weichen würden, auf die wiederum ein Hochzeitstanz und eine feierliche Hochzeit folgen würden.
Die Wurzeln
Verglichen mit den langen Jahren, in denen sie sich gegenseitig als Juden, Kommunisten und Nazis beschimpften, kann man sagen, dass das Tempo der Vergebung und des Zusammenschlusses ziemlich rasch vonstattenging. Um diesen langen, an Wendungen reichen Prozess besser zu verstehen, muß man, wie üblich, die Geschichte ein wenig zurückspulen. Die Jobbik wurde 1999 als rechte Jugendbewegung gegründet, bevor sie 2003 zu einer Partei wurde. Nach einem ersten gescheiterten Wahlkampf 2006 in Koalition mit der alten nationalistischen Partei MIÉP änderte Gábor Vona die Kommunikation und das Handeln der Partei in Richtung eines willentlich schrillen und extremistischen Stils, wobei er aus dem Antisemitismus eines Teils der Öffentlichkeit, vor allem aber aus deren Hass auf Zigeuner Kapital schlug. Es war diese Haltung, gepaart mit seiner (anscheinend) heftigen Opposition gegen die damalige Regierung (eine Koalition aus Sozialisten und Liberalen aus dem SZDSZ), die Jobbik ab 2009 ins Europaparlament und dann 2010 ins ungarische Parlament katapultierte. Das Credo der Jobbik drehte sich damals um ein zentrales Dogma, nämlich die Opposition gegen die bloße Existenz von Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány; in seiner Gründungserklärung, die noch immer auf seiner offiziellen Website nachzulesen ist, heißt es: „Unsere vorrangige Aufgabe ist es, die Partei, die das Erbe der Kommunistischen Partei ist, und die Ultraliberalen, die mit ihr eine symbiotische Einheit bilden, von der politischen Macht zu entfernen“.
Dieser Aufstieg der Jobbik – beginnend mit den 2007 gegründeten „Steifen“ der Ungarischen Garde und ihrem Wahlerfolg im Jahr 2009 – hat seither freilich den Zorn der liberalen Linken hervorgerufen. Damals – ein Detail, das viel über die Glaubwürdigkeit dieses politischen Manövers aussagt – versuchte das linke Narrativ natürlich, das gesamte „Jobbik-Phänomen“ auf den Fidesz zu schieben (der sich allerdings noch in der Opposition befand). Laut diesem Narrativ war der Fidesz „der Wolf im Schafpelz“ und Jobbik eine „Kreatur des Fidesz“, wobei letzterer diesen Neo- Pfeilkreuzlern die Worte in den Mund legte, die er selbst gerne gesagt hätte, aber nicht zu sagen wagte. Zu dieser Zeit hatte das Political Capital Institute sogar einen speziellen Indikator zur „Messung“ rechtsextremer Tendenzen entwickelt (den „Derex-Index“), während Ferenc Gyurcsány erklärte: „Hier gibt es eine nazistische, antisemitische Partei, und wir tun so, als ob sie ihren Platz in der ungarischen Verfassungspolitik habe“. Den Aufstieg der Jobbik kommentierend, rief dessen Nachfolger Gordon Bajnai „alle parlamentarischen Kräfte zu einer Gewissensprüfung“ auf.
Kümmerling mit Lippenstift
Auf ihrem Höhepunkt, als Jobbik 2010 als drittstärkste Partei des Landes ins Parlament einzog, ging eben dieser Ministerpräsident sogar so weit, Vona und ihre Freunde – eine Partei, dem deren jetziger Vorsitzender Péter Jakab bereits 2009 angehörte – als „Kümmerling“ zu bezeichnen bzw. Fidesz und die MSZP-Sozialisten aufzufordern, sich gegen diesen gemeinsamen Feind zu vereinen. Eine solche Annäherung fand kurz darauf tatsächlich statt. In der Tat, obwohl abgründiger Antisemitismus schon immer ein Merkmal der Straßenaktionen der Jobbik und verwandter Organisationen war, verblüffte ihr stellvertretender Vorsitzender Márton Gyöngyösi – damals Vorsitzender der Jobbik-Fraktion im Parlament und heute Europaabgeordneter der Jobbik – am 26. November 2012 das ungarische Parlament mit der Ankündigung, dass es an der Zeit sei, festzustellen, „wie viele Menschen jüdischer Herkunft in der Regierung und im Parlament ein Risiko für die nationale Sicherheit darstellen“.
Obwohl Gyöngyösi kein Anfänger mehr war und auch vor Äußerungen nicht Halt machte, die selbst für eine Operetten-Nazi-Rolle zu brutal waren – er hatte vom Holocaust als von einer „interessanten Tierart“ gesprochen und dann erklärt, dass „die Juden Ungarns das Lager des Zionismus gegen die ungarische nationale Sache gewählt haben“ –, schuf sein Vorschlag mitten im Parlament, Listen mit Juden zu erstellen, tatsächlich eine Einigkeit unter den anderen Parteien, die es vorher noch nie gegeben hatte. Diese gemeinsame Anti-Jobbik-Front manifestierte sich am 2. Dezember in Form einer Allparteien-Demonstration (natürlich mit Ausnahme von Jobbik), die von fast allen Medien des Landes unterstützt wurde – also auch von den wichtigsten ungarischen Linksmedien und ihren Koryphäen. Ihre Überschriften sprechen für sich: „Operetten-Nazis? – Nein, danke!“ (Népszava), „Alle gemeinsam gegen die Nazi-Gefahr“ (Népszabadság). Gyurcsány bezeichnet Gyöngyösi als „Vertreter des menschlichen Unrats, der zur Bestie geworden ist“; Attila Mesterházy sagt: „Der Faschismus ist ein Virus, und Jobbik ist dessen Wirt“, während Csaba Molnár von Ferenc Gyurcsánys Demokratischer Koalition (DK), um Jobbik und seine Abgeordneten zu bezeichnen, eine sehr lange Reihe von Attributen verwendet: „Nazis, Faschisten, Pfeilkreuzer“. Im Einklang mit der MSZP fordert er nicht nur die Isolierung von Jobbik im Parlament und einen Medienboykott, sondern explizit auch das Verbot dieser Partei.
Nachdem sie den Höhepunkt der Dämonisierung erreicht hatte, begann die Jobbik dann allmählich Lippenstift aufzutragen und langsam zur Mitte zu driften. Das Blickfeld füllt sich mit jungen Menschen, Kätzchen und Welpen, wie Vona auf der Suche nach einem trendigen und ausgefallenen Look – als Vorahnung ihrer zukünftigen „Volkspartei“-Politik – für den Parlamentswahlkampf 2014 seine Bilder füllt. Das hindert jedoch beispielsweise Péter Jakab nicht daran, die „jüdischen Führer“ zu beschuldigen, „absichtlich Vorurteile zu schüren, die dann als Vorwand für die Schaffung von immer mehr Programmen zur Bekämpfung des Antisemitismus dienen, die Millionen verschlingen“. Ihr Listenergebnis von über zwanzig Prozent brachte sie zwar nicht in die Regierung, konnte aber als zufriedenstellend bezeichnet werden, da im Lager der Opposition nur der „Zusammenschluss“ (mit der MSZP, der DK, der Bajnai-Partei und den Liberalen) besser abschneiden konnte – vergessen wir nicht, dass alle diese Leute damals einander nicht so zärtlich liebten wie heute. Vona, obwohl er bereits begonnen hatte, die Partei von ihrer „Nazi-Romantik“ zu reinigen, war immer noch hart in der Kritik gegen die Linken („zwischen zwei Trips sorgen sich die bekifften Liberalen um die Wale“); was Gyöngyösi betrifft, so sprach er weiterhin fröhlich davon, dem „israelisch-zionistischen Terror“ ein Ende zu setzen.
Das gegenüberliegende Lager stand ihnen natürlich nicht nach: Ágnes Vadai – wieder einmal mit dem Finger auf den Fidesz zeigend – erklärte stolz: „Wir brauchen die Stimmen der Nazis nicht“ (sie scheint ihre Meinung in diesem Punkt inzwischen geändert zu haben), während „berühmte linke Intellektuelle“ – von János Bródy über László Dés bis hin zu Lajos Parti Nagy – Videobotschaften aufnahmen, die dazu aufriefen, „gegen Jobbik zu stimmen“. Eine der komischsten Auswirkungen dieser Klagen war – im Nachhinein betrachtet – der pathetische Gesichtsausdruck eines der grimmigsten Verteidiger der aktuellen Allianz, Gergely Karácsony, der Anfang 2014 erklärte – wiederum mit Verweis auf den Fidesz –, dass „das Problem nicht darin besteht, dass es geistig gestörte Menschen gibt, die auf den Straßen marschieren, sondern dass es keine Trennlinie zwischen ihnen und der Mitte-Rechts-Normalität gibt. Es ist dieser Mangel an Prinzipien, der das abstoßendste Merkmal des ungarischen politischen Lebens ist.“ Damals fand er es ja abstoßend; heute hingegen scheint es, dass gerade diese Prinzipienlosigkeit den Schmelztiegel für die wunderbare Vereinigung der ungarischen revolutionären Oppositionen darstellt.
Während die Jobbik eine ungesunde politische Taktik zu verfolgen scheint, haben die Kräfte der liberalen Linken den „Kampf gegen den Faschismus“ in eine Art leicht zu wechselnde Unterhose verwandelt, die allenfalls einen Vorwand für den ideologischen Beschuss der konservativen Kräfte bietet.
Untätigen Nazis in die Arme fallen
Die Spekulationen gehen natürlich weiter, warum Vona diese radikale Partei in die Mitte rückte – eine Mitte, die in jeder westlichen politischen Konfiguration ein linker Flügel wäre –, warum er sich weigerte, darauf zu warten, dass Fidesz einen Koalitionspartner braucht, und warum er (in seinen eigenen Worten) die „Jobbik dazu brachte, ihre Seele zu verlieren“ – wobei eine der möglichen Hypothesen die Rolle des Oligarchen Simicska aufwirft. Auf jeden Fall konnte diese einmal gestartete Lokomotive nicht angehalten werden. Nach dem Überraschngssieg von Péter Márki-Zay mit einer Liste der vereinigten Opposition im Frühjahr 2018 bei einer Stichwahl in Hódmezővásárhely) gewann die Idee einer gemeinsamen Liste – oder zumindest einer Koordination – auf nationaler Ebene an Boden. Die letzten verbliebenen Hindernisse für eine solche Vereinigung waren damals auf der Seite der MSZP und der DK zu finden. Im Februar war Gyurcsány noch empört und sagte, dass „man seine europäischen Werte nicht auf dem Altar der Wahlmathematik opfern kann“, während Ágnes Kunhalmi der Idee treu blieb, dass „Jobbik nicht die Lösung, sondern Teil des Problems ist“. (Jedenfalls hat Gergely Karácsony die heute so sehnlichst gewünschte Vereinigung nicht befürwortet und ist weiterhin der Meinung, dass es bei Jobbik „Nazis“ gibt, „die aber im Moment untätig sind, weil man ihnen verboten hat, ihren Nazismus auszuleben“. Ein Jahr später hingegen sah er in den früher von Gyöngyösi vorgelegten Entwurf, Listen von Juden herzustellen, keine Spur von Nazismus mehr).
Bei den Parlamentswahlen 2018 kandidierten die liberale Linke und die Jobbik schließlich auf getrennten Listen, und die Fidesz-KDNP-Koalition errang nochmals eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Dieser aus Sicht der Regierungsparteien etwas überraschende Erfolg wurde von der Opposition als fatale Niederlage interpretiert. Gábor Vona trat zurück und machte Platz für Tamás Sneider, der früher als Roy in der Skinhead-Bewegung in der Stadt Eger (Erlau) bekannt war: Die ersten sechs Monate seiner Obmannschaft waren so erfolgreich, dass man seine Partei Ende 2018 plötzlich an der Seite der liberalen Linken gegen eine geplante Änderung des Arbeitsrechts demonstrieren sah – wahrscheinlich die erste Gelegenheit für die Öffentlichkeit, Politiker von DK, MSZP und Jobbik in einem Raum zu sehen. Nach dem Scheitern bei den Europawahlen und dem Teilerfolg der nationalen Koordination der Opposition bei den Kommunalwahlen war es dann Péter Jakab – der nun zum neuen Parteivorsitzenden gewählt wurde und Sneider ablöste –, der das i-Tüpfelchen setzte: Im Januar 2021 warf er seine Partei offiziell in das Ehebett der „Regenbogenkoalition“, um sich endlich an der Seite von Ferenc Gyurcsány selbst ablichten zu lassen: jenem Gyurcsány, der anfangs – natürlich im Negativen – den Schlüssel zur Definition von Jobbik lieferte. Jobbik und der letzte Erste Sekretär der Ungarischen Kommunistischen Jugend (KISZ) vor deren Auflösung sind nun ein Fleisch geworden. Diejenigen, die einst dazu aufriefen, sich gegenseitig zu lynchen, sind nun ehelich vereint.
Die extreme Rechte und die extreme Linke kommen schließlich zusammen, so wie die Unterschriften von Molotow und Ribbentrop am unteren Rand desselben Dokuments bzw. die Jacken der ehemaligen Funktionäre der Pfeilkreuzler und diejenigen der Kommunisten in den Umkleideräumen der ÁVH (Geheimdienst des kommunistischen Regimes) am Tag der „Befreiung“. Diese Treffen haben immer schlecht geendet.
Miklós Szánthó. Der Autor ist Direktor des Alapjogokért Központ Instituts („Zentrum für Grundrechte“).