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„Der Antisemitismus ist leider in Österreich geblieben“

Die Magyar Nemzet ist die größte Tageszeitung Ungarns. Die 1938 gegründete Magyar Nemzet (dt. Ungarische Nation) ist eine führende Zeitung der Konservativen und steht der Regierung von Viktor Orbán nahe.

Lesezeit: 3 Minuten

Dieser Artikel ist am 29. Mai 2021 in der Magyar Nemzet erschienen.

„Wir sehen bei den Demonstrationen, die sich explizit gegen Israel und zugunsten der Palästinenser richten, dass da nicht nur Migranten mitlaufen, die jetzt gerade erst nach Österreich gekommen sind. Sondern in der Regel sind das Menschen mit österreichischem Pass, die schon in zweiter, dritter oder vierter Generation in Österreich leben“, sagte Benjamin Nägele, Generalsekretär des Bundesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden Österreichs, gegenüber Magyar Nemzet und bezog sich dabei auf die Demonstrationswelle, die diesen Monat in Wien stattfand. Ihm zufolge vereint der Antijudaismus neben Islamisten auch Extremisten der Linken und der Rechten, die ebenfalls gegen sanitäre Maßnahmen protestieren und die Shoah im Vorbeigehen relativieren.

– Wie haben Sie und Ihre Familie die letzten Wochen in Österreich erlebt, die, ausgelöst durch den anhaltenden Konflikt im Nahen Osten, von Anti-Israel-Demonstrationen geprägt waren?

– Diese Entwicklungen erleben wir nicht zum ersten Mal. Der Antisemitismus ist leider auch in Wien und in Österreich geblieben. Bei jeder einzelnen Eskalation im Nahen Osten gibt es natürlich ein Überschwappen, nicht nur Richtung Europa, sondern auch weltweit. Wir haben natürlich sehr sensibel darauf reagiert, auch weil wir als jüdische Gemeinde eine sehr persönliche, emotionale Beziehung dazu haben. Viele haben Familie und Freunde dort, um die man sich wirklich sehr gesorgt hat. Gleichzeitig wissen wir eben aus Erfahrung, dass leider der Konflikt immer wieder dazu missbraucht wird, Israelis und Juden gleichzusetzen, die jüdischen Gemeinden dafür verantwortlich zu machen, was im Nahen Osten, was im Nahostkonflikt passiert und es entlädt sich dann auch immer wieder in antisemitischen Parolen, die wir auch in Wien leider gesehen haben, z.B. in Form der Glorifizierung von islamistischen Terrororganisationen wie der Hamas oder dass immer wieder der Holocaust relativiert werden. Und es ist natürlich so, dass unser Sicherheitsgefühl darunter leidet. Wir haben natürlich Maßnahmen ergriffen, die Gemeindemitglieder sensibilisiert, und natürlich auch die Sicherheitsmaßnahmen in enger Absprache mit den Sicherheitsbehörden sehr gut verstärkt.

– Wie viele Juden leben heute in Österreich?

– Wir haben circa 7.800 Mitglieder in Wien und knapp etwas über 8.000 Mitglieder in ganz Österreich. Wir sind auch eine sehr diversifizierte jüdische Gemeinde, also es gibt tatsächlich sichtbares jüdisches, auch orthodoxes Leben in Wien. Im jüdischen Bezirk gibt es natürlich Konfliktpunkte, wenn diese Anti-Israel-Demonstrationen wirklich durchs Stadtzentrum ziehen und in direkter Umgebung Gottesdienste stattfinden.

– Kürzlich rieten die Vertreter der Wiener Gemeinde ihren Mitgliedern, die Gegend um die Mariahilfer Straße zu meiden, wo eine Anti-Israel-Demonstration abgehalten werden sollte. Könnte das die neue Normalität in Wien sein? Dass die Bürgerlichen zu Hause bleiben, weil die Straße den Extremisten gehört?

– Wir hatten Ende letzten Jahres einen Terroranschlag direkt vor dem Stadttempel, wir hatten auch im Jahr 1981 schon einen Anschlag. Seitdem ist natürlich Sicherheit ein sehr wichtiges Thema bei uns. Wir sensibilisieren daher unsere Gemeindemitgliedern schon seit vielen Jahren, wenn es Demonstrationen gibt, es können islamistische oder palästinensische Demonstrationen sein, es können auch Demonstrationen zum Boykottaufruf gegen Israel sein, das können rechtsradikale Demonstrationen oder auch wie es im letzten Jahr wirklich häufig der Fall war, Demonstrationen, die sich gegen die Regierung und gegen die Corona-Maßnahmen richten, weil da auch immer wieder mit antisemitischen Ressentiments gearbeitet wird. Der Vergleich, sich selber als Opfer, als Jude zu stilisieren, Holocaust-Verharmlosung etc. Wir reden also hier von ganz unterschiedlichen Spektren, linksradikal, rechtsradikal, islamistisch.

– Österreich hat eine muslimische Bevölkerung von etwa 700.000 Menschen. Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) sagte, dass „fremde Konflikte nach Österreich importiert werden“. Würden Sie zustimmen, dass Sie mit der Aufnahme von Menschen aus Konfliktgebieten auch deren Probleme – einschließlich Antisemitismus – mit importieren?

– Antisemitismus wurde nicht erst in den letzten Jahren exklusiv durch die Migrationskrise importiert, es war zuvor schon da. Wir sehen bei den Demonstrationen, die sich explizit gegen Israel und zugunsten der Palästinenser richten, dass da nicht nur Migranten mitlaufen, die jetzt gerade erst nach Österreich gekommen sind. Sondern in der Regel sind das Menschen mit österreichischem Pass, die schon in zweiter, dritter oder vierter Generation in Österreich leben. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass bei diesen Demonstrationen türkische Nationalisten neben Hamas-Anhängern, bis hin zu Rechtsradikalen laufen, die alle eins gemeinsam haben: sie alle eint der Hass gegen Israel und vor allem auch der Hass gegen Jüdinnen und Juden in Europa.

– Was erwarten Sie von den österreichischen Behörden? Wie könnte der Staat seine Bürger effektiver schützen?

– Das wichtigste Wort ist der Schutz, der Schutz sowohl der Grundrechte und der demokratischen Werte, die wir haben, als auch der physische Schutz. Ich denke, beides ist sehr wichtig in einer demokratischen Gesellschaft. Wir erwarten und wir haben auch eine ausgezeichnet Kooperation mit den Behörden hier. Wir haben ja ein unglaublich hohes Sicherheitsniveau bei der jüdischen Gemeinde als auch in der Stadt Wien als Ganzes. Wien ist ja eine der schönsten und sichersten Städte der Welt und wir als jüdische Gemeinde fühlen uns hier sehr wohl.

László Szőcs

Von der Visegrád Post aus dem Ungarischen übersetzt.