Dieser Artikel ist am 29. März 2022 in der Magyar Nemzet erschienen.
„ – Der Bericht der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) übernimmt den Standpunkt der ungarischen Opposition, in einem Stil, der eher an parteiischen Journalismus erinnert als an eine neutrale, auf Fakten basierende Bewertung“ – so Jerzy Kwaśniewski gegenüber Magyar Nemzet. Der Mitbegründer des konservativen juristischen Forschungszentrums Ordo Iuris in Polen und Vorsitzender von dessen Vorstand leitet die Wahlbeobachtungsmission der Organisation namens Allianz für das Gemeinwohl (Szövetség a Közjóért) anlässlich der ungarischen Wahlen. Kwaśniewski, der von der Brüsseler Ausgabe von Politico als eine der wichtigsten europäischen Persönlichkeiten eingestuft wurde, ist der Ansicht, dass Mitteleuropa an seinen Verfassungstraditionen festhalten sollte.
– Die neuesten Nachrichten aus Ungarn sind, dass Sie mit Ihren Kollegen als Wahlbeobachter durch das Land reisen. In welchem Rahmen führen Sie diese Tätigkeit aus?
– Die von mir geleitete Wahl- und Referendumsbeobachtungsmission wurde von der Organisation Ordo Iuris und der Universität Collegium Intermarium in Warschau vorbereitet und umfasst Partner aus Kroatien, Spanien, Bulgarien und der Ukraine im Rahmen unseres internationalen Netzwerks Allianz für das Gemeinwohl (englisch: Alliance for the Common Good, ACG). Aufgrund der Kriegssituation konnten unsere ukrainischen Kollegen nicht zu uns stoßen, aber sie waren an den Vorbereitungen beteiligt. Insgesamt sind wir achtzehn im Land. Wir kamen am 24. März an und wollen nach den Wahlen noch einige Tage bleiben. Dann werden wir unseren Abschlussbericht vorlegen.
– Das OSZE-Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte (englisch: ODIHR) hingegen hat bereits den Zwischenbericht seiner Wahlbeobachtungsmission in Ungarn veröffentlicht, einen Bericht, den Sie in einer Grundsatzerklärung kritisiert haben. Warum diese Kritik?
– Zum Zeitpunkt unserer Ankunft stand dieser Bericht bereits im Zentrum der Scharmützel der ungarischen Politik, während im Ausland verschiedene Kräfte sofort damit begannen, ihn als politische Waffe gegen Ungarn einzusetzen. Dies sollte nicht geschehen, da der Bericht, wenn er auf diese Weise verwendet wird, den ungarischen Wahlkampf beeinflusst – und das auch noch auf dem Höhepunkt der Schlacht. Darüber hinaus fasst der Bericht nicht nur die „Sorgen“ zusammen, die manche Menschen über das ungarische Wahlsystem haben, sondern er verstärkt diese Sorgen sogar noch. Schließlich verstößt der Bericht – und das ist der Aspekt, den wir am meisten kritisieren – gegen internationale Standards in Bezug auf Genauigkeit, Überprüfbarkeit und Neutralität.
– Könnten Sie einige Beispiele nennen?
– Um beispielsweise auf die Kinderschutzgesetze zu verweisen, die Gegenstand des bevorstehenden Referendums sind, werden die Namen der betreffenden Texte mit dem Prädikat „angeblich“ versehen – anstatt die offizielle Terminologie zu verwenden. In vielen Passagen werden die Quellen der vorgebrachten Kritik nicht genannt, und es fallen auch viele Passagen auf, in denen es versäumt wird, den Standpunkt der Regierungsparteien darzustellen. Kurz: Dieser Bericht übernimmt den Standpunkt der Opposition – er ist parteiisch. Ein ehrlicher Bericht – der die Meinungen der Beteiligten darstellen soll – muss beide Seiten zu Wort kommen lassen. Das Bild, das er von den Umständen, unter denen die Wahlkreise neu eingeteilt wurden, zeichnet, ist ein verzerrtes Bild, und ihre Behauptungen über die fehlende politische Ausgewogenheit in der Presse des Landes sind nicht belegt. All das erinnert eher an voreingenommenen Journalismus als an eine neutrale, auf Fakten basierende Bewertung.
– Was aber garantiert Ihrerseits die Neutralität Ihrer Arbeit?
– Wir haben auf eine Reihe von Grundprinzipien hingewiesen, an die wir uns zu halten versuchen. Diese Regeln – wie die, neutral zu bleiben oder bei Schlussfolgerungen Genauigkeit walten zu lassen – sind Grundprinzipien, die sich übrigens auch in den Dokumenten internationaler Organisationen wie der OSZE selbst oder der Europäischen Union wiederfinden. Nur wer sie befolgt, kann behaupten, ein neutraler Beobachter zu sein. Wir sind nicht hierher gekommen, um Einfluss auf laufende politische Prozesse zu nehmen.
– Mit wem sollten Sie sich hier treffen?
– Wir haben ausnahmslos alle politischen Parteien kontaktiert, ferner das Verfassungsgericht, die Verantwortlichen für den ungarischen Wahlprozess auf verschiedenen Ebenen, Nichtregierungsorganisationen (NGOs), darunter – im Zusammenhang mit dem Referendum – die Organisatoren der Budapest Pride. Wir werden uns mit Vertretern der Presse treffen: nicht nur der Presse mit ungarischem Kapital (privat oder staatlich), sondern auch derjenigen Titel, die sich in ausländischem Besitz befinden. Wir sind uns der Polarisierung auf dem Medienmarkt ebenso bewusst wie der Tatsache, dass ausländisches Kapital in Europa einen starken Einfluss auf die Presse ausübt. Dieser ausländische Einfluss ist auch in der Politik präsent: Trotz der Gesetze, die in vielen Ländern – auch in Ihrem Land – die direkte Finanzierung von Wahlkampagnen aus dem Ausland verbieten, wissen wir sehr wohl, dass ausländisches Kapital versucht, diese Regel zu umgehen, indem es NGOs finanziert, die Aktivitäten im politischen Bereich entfalten.
– Und werden Sie empfangen?
– Unsere Treffen werden noch organisiert, aber im Allgemeinen sind die Antworten, die uns erreichen, positiv.
– Einige sind der Ansicht, dass der OSZE-Zwischenbericht darauf abzielt, Vorwürfe des Wahlbetrugs vorzubereiten, falls bei den Wahlen am 3. April die derzeit regierende Koalition bestätigt werden sollte. Was halten Sie davon?
– Es ist mir unmöglich, eine feste Meinung zu diesem Thema zu haben, aber sicher ist, dass die Situation, die entstanden ist, nicht gut ist. Zumal die OSZE-Vertreter wahrscheinlich wussten, welche Wirkung ihr Bericht haben würde, der auf dem Höhepunkt der Schlacht veröffentlicht wurde. Das weckt Zweifel an ihren ursprünglichen Absichten. Wir beobachten seit Jahren, wie internationale Organisationen wie die OSZE zwischen „alten“ und „neuen“ Demokratien unterscheiden, wobei letztere typischerweise in Ost- und Mitteleuropa zu finden sind. Ihre Beobachtungsmissionen sind ab ovo so konzipiert, als müsse sich jemand um die Entwicklung der Demokratie in unseren Ländern kümmern. Typischerweise verstoßen diese internationalen Organisationen zwar gelegentlich gegen ihre eigenen Normen, untergraben aber durch ihre Aktivitäten die Positionen der Staaten in Ost- und Mitteleuropa und geben vor, bei der Geburt unserer politischen Prozesse die Hebamme spielen zu wollen. Diese erzieherische Haltung ist natürlich gegenüber Ländern verständlich, die gerade ihre ersten oder zweiten freien Wahlen abhalten, aber nicht gegenüber Ländern mit jahrhundertealten Verfassungstraditionen. Dies ist völlig inakzeptabel. Aus diesem Grund haben wir beschlossen, mit unseren Juristen und Experten auch unter den internationalen Beobachtern der ungarischen Wahlen vertreten zu sein, um ein Gegengewicht zu bilden. Dementsprechend haben wir beim Nationalen Wahlbüro unsere Registrierung beantragt.
– Vor einer Woche sprachen wir mit Aleksander Stępkowski, dem Sprecher des polnischen Obersten Gerichtshofs, ausgehend von den Rechtstraditionen, die Sie erwähnten: von der ungarischen Goldenen Bulle – deren 800. Jahrestag gerade in diesem Jahr gefeiert wird – und der polnischen Adelsrepublik; wie ist es möglich, dass gerade unsere Länder in der Europäischen Union ständig mit neuen Kontroversen über die Rechtsstaatlichkeit zu kämpfen haben? Was er uns antwortete, war, dass die Meinung seiner Institution seine Brüsseler Gesprächspartner nicht so sehr interessiere, da diese nur auf ihre liberalen Freunde hören würden. Überrascht Sie das?
– Es war der Rechtsprofessor Jean d’Aspremont, der in einer seiner Studien das Völkerrecht als ein System von Überzeugungen behandelt hat. In Wirklichkeit sind Normen das Werk einer kleinen Minderheit, die sie, sobald sie sie einmal festgelegt hat, anderen aufzwingt. Vor einigen Wochen diskutierten wir – von Ordo Iuris – mit den Mitgliedern des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE-Ausschuss) des Europaparlaments über die Rechtsstaatlichkeit. Unsere Experten hatten sich auf diese Debatte vorbereitet, in der es um die Justizreform in Polen und auch um andere Themen ging. Das interessierte den LIBE-Ausschuss nicht im Geringsten – stattdessen hatten seine Mitglieder zwei Fragen an uns: Erstens, warum wir Frauen hassen, und zweitens, ob wir Geld vom Kreml bekommen.
– Die erste Frage spielt vielleicht darauf an, dass Sie als christlich-konservative Organisation Abtreibungen vehement ablehnen. Was haben Sie ihnen geantwortet?
– (Lachen.) Unsere Führungskräfte und Mitarbeiter sind überwiegend Frauen; was die polnische Verfassungstradition betrifft, so schützt sie seit Jahrzehnten das Leben ab der Empfängnis. Wir müssen jedoch unsere nationalen Verfassungstraditionen berücksichtigen. Anstatt zu versuchen, diese divergierenden Ansätze zu vereinheitlichen, sollte die Europäische Union diese Vielfalt anerkennen. Was die Anschuldigung im Zusammenhang mit Russland betrifft, so ist dies ein Vorwurf, an den sich die europäischen Konservativen bereits gewöhnt haben. Nein, wir werden nicht von Russland finanziert – und im Gegensatz zu vielen anderen liberalen Organisationen nicht einmal von George Soros. Und auch nicht die Regierung oder die politischen Parteien in Polen. Wir arbeiten ausschließlich mit den monatlichen Spenden von zwanzigtausend polnischen Familien.
– In den Mainstream-Medien wird Ordo Iuris auch als Anti-LGBTQ-Organisation dargestellt…
– Auch hier ist die Geschichte interessant. Was passiert ist, ist, dass sich viele polnische Gemeinden unserer Erklärung zur Familienpolitik angeschlossen haben, die übrigens nicht einmal auf LGBTQ-Themen eingeht. Daraufhin haben LGBTQ-Aktivisten einen „Atlas der Anti-LGBTQ-Bewegungen“ entworfen und von „No-Go-Zonen“ gesprochen, in denen sie, so glauben sie, gehasst würden. Kein Wort davon ist richtig, aber das ist das Niveau, das die Desinformation mittlerweile erreicht hat, und der europäische Mainstream trägt seinen Teil dazu bei. Darüber hinaus ist Polen eines der wenigen europäischen Länder, in denen Homosexualität nie gesetzlich bestraft wurde. Ob die Handlung selbst unter die Kritik der christlich-religiösen Moral fällt, ist eine ganz andere Debatte.
– Politico, ein liberales Magazin mit Sitz in Brüssel, hat Sie in seine Liste der 28 einflussreichsten Persönlichkeiten in Europa aufgenommen – in die Unterkategorie der Träumer, die als „Patriarchen“ das Rad der Zeit in Polen rückwärts drehen. Wie war Ihre Reaktion?
– Sie haben es zumindest vermieden, mich als Zerstörer zu klassifizieren. Aber all das ist auch Teil der Verunglimpfung der europäischen Konservativen und der Verstärkung der Stereotypen, die sich auf sie beziehen. Wir versuchen gerade, das Rad der Zeit nach vorne zu drehen, indem wir unserer Zivilisation helfen, aus der Sackgasse herauszukommen, in die sie durch Ideologien wie die Gender-Ideologie geraten ist. Was die sardonische Bezeichnung „Patriarch“ angeht, so möchte ich darauf hinweisen, dass es in Polen praktisch keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen bei den Löhnen gibt, dass wir die geringste Zahl an Gewalttaten innerhalb der Familie haben, aber auch die höchste Rate an Anzeigen bei der Polizei bei Straftaten, die dennoch begangen werden. Die Menschen in Westeuropa sollten verstehen, dass Mitteleuropa seine eigene soziale Kultur hat. Sie versuchen, uns mit Gewalt Lösungen aufzuzwingen – wie eben diese Gender-Ideologie –, die als Reaktion auf das schlechte Funktionieren ihrer eigenen Gesellschaften entstanden sind. Wenn wir einen Platz in den Rankings von Politico oder anderen Titeln finden, liegt der Grund dafür darin, dass Mitteleuropa im Moment fordert, dass ihm in der europäischen Politik die ihm zustehende Rolle zurückgegeben werde.
– Wie will die Allianz für das Gemeinwohl (in Ungarn vertreten durch das Alapjogokért Központ [„Zentrum für Grundrechte“]) zu diesem Prozess beitragen?
– Was wir ständig erleben, ist, dass die Institutionen der Europäischen Union – einschließlich des Europäischen Gerichtshofs – immer mehr Vorrechte aus der Souveränität der Mitgliedstaaten herausreißen. Sie haben die Familienpolitik in diese Bemühungen einbezogen, was gegen den Wortlaut der Verträge verstößt. Als Reaktion darauf verteidigen wir die verfassungsmäßigen Identitäten verschiedener Nationen. Auf der Grundlage unserer christlichen Wurzeln ist es uns gelungen, ein Netzwerk von Organisationen der Zivilgesellschaft zu schaffen, das mit einer Stimme sprechen kann – auch in den Kontroversen um die Rechtsstaatlichkeit, die Europa bewegen. Wir glauben an ein Europa der nationalen Souveränitäten und nicht an die föderale Idee.
László Szőcs
—
Von der Visegrád Post aus dem Ungarischen übersetzt.