Gáspár Maróth: Aus einem Nachteil schaffte die Regierung einen historischen Vorteil.
Innerhalb weniger Jahre hat Ungarn nicht nur die erfahrenste Armee Mitteleuropas sondern auch die modernste Militärindustrie aufgebaut, die diejenige der Nachbarländer um Jahrzehnte übertrifft – so Gáspár Maróth gegenüber Magyar Nemzet. Der Regierungskommissar für Verteidigungsentwicklung stellte auch die Rolle des deutschen Unternehmens Rheinmetall vor und skizzierte gemeinsame Forschungsprojekte, die sich wie Science-Fiction anhören.
Die derzeitige Regierung nutzte die Gelegenheit der von der NATO gebotenen verbindlichen Verteidigungshaushaltsausgaben. Mit Bedacht organisiert wird dies ein außergewöhnliches Programm für die industrielle und wirtschaftliche Entwicklung des Landes darstellen, erklärte Gáspár Maróth.
Laut Maróth bieten das Programm zur Entwicklung der Streitkräfte und der Verteidigung zusammen mit den damit verbundenen militärischen Investitionen große Regierungsaufträge, die die Vorzeigeprojekte der hier ansässigen Hersteller darstellen. Dieser Prozess bestimmt ebenfalls das darauf basierende Forschungs- und Entwicklungsprogramm. „Damit folgen wir im Wesentlichen dem kohärenten in der Geschäftswelt vorhandenen Denken, anstatt rückwärts zu planen, wie es in vielen EU-Ländern der Fall ist“, bermerkte der Regierungskommissar.
Von vorne anfangen
Gáspár Maróth erinnerte daran, dass das ungarische Militär 2015-2016 im Großen und Ganzen nicht vorhanden war. „Plötzlich wurde Unser Nachteil zu unserem historischen Vorteil, weil wir in den letzten Jahren eine industrielle Entwicklung erreichen konnten, die den militärischen Standards in den uns umliegenden Ländern technologisch um Jahrzehnte voraus ist. Während unsere Nachbarn darum kämpfen, ihre veraltete Militärindustrie am Leben zu erhalten, können wir die ungarische Militärindustrie durch unsere Investitionen auf ein völlig anderes Niveau bringen“, erläuterte Maróth.
Er fuhr fort, dass die ungarische Regierung 2016 zwei Richtungen in der Entwicklung der Militärindustrie eingeschlagen habe: Zum einen pflegte sie ihre aus historischer Tradition bestehenden deutschen Beziehungen und zum anderen versuchte sie, die Bemühungen der Visegrad-Länder zu harmonisieren. Die V4-Länder verfolgten jedoch unterschiedliche Strategien. Für die Tschechen und Slowaken bzw. teilweise für die Polen bestand das Hauptziel darin, die alten Rüstungsunternehmen zu erhalten. „Gleichzeitig konnten – in Deutschland – große Firmen in den letzten 100 bis 150 Jahren kontinuierlich Innovationen entwickeln. So spielten deutsche Kanonenrohre in vielen Konflikten der Geschichte eine große Rolle. In seinen hochmodernen Fabriken produziert Rheinmetall weiterhin die effizientesten Kanonen. In diesem Revitalisierungsprozess haben sie nun begonnen, nach neuen Standorten zu suchen, während sich Deutschland in einem großen gesellschaftspolitischen Wandel befindet. In Bezug auf immer neuere Technologien mangelt es darüber hinaus an qualifizierten Arbeitskräften“, so Maróth über die Gründe, aus denen das deutsche Traditionsunternehmen zum Hauptpartner für ungarische Verteidigungsinvestitionen geworden ist. Dem Regierungskommissar zufolge wissen die Deutschen, dass eine qualitativ hochwertige ungarische Berufs- und Ingenieurausbildung mit einem äußerst anregenden wirtschaftlichen Umfeld verbunden ist.
„Wir konnten unsere nicht existierende Militärindustrie durch schnelle Entscheidungen und zuverlässige Zusammenarbeit kompensieren“, sagte er.
Als paralleles Beispiel führte er die Automobilindustrie an: Ungarn startete vor dreißig Jahren in der letzten Position in der Region und ist heute zu einem der weltweit führenden Produktionsstandorte geworden.
Ein geschützter Sektor
In Bezug auf das Joint Venture mit Rheinmetall ist anzumarken, dass das Unternehmen langfristig in Ungarn investiert. „Wir werden unsere eigenen Werke unter dem Firmennamen Rheinmetall auf dem internationalen Markt einführen, was ein außerordentlicher Vorteil darstellt“, erklärte der Regierungskommissar. Während die gepanzerten Lynx-Kampffahrzeuge in Zalaegerszeg, die gepanzerten 4 × 4-Geländefahrzeuge und andere Kampffahrzeuge mit Rädern in Kaposvár hergestellt werden, soll das staatliche Traditionsunternehmen Rába in Győr einer ernsthafteren Umstrukturierung unterzogen werden.
„Es ist wichtig, dass das Unternehmen diesen Wandel durchläuft, da es in seinem derzeitigen Zustand nicht in der Lage ist, mit den ungarischen Verteidigungskräften zusammenzuarbeiten“, betonte Maróth.
Laut Gáspár Maróth ist während dieser Pandemie klar geworden, dass wir in der Verteidigungsindustrie nicht auf die asiatische Produktion angewiesen sind. Die Priorisierung dieses Sektors in der NATO gewährleistet kontinuierliche Produktionsmöglichkeiten. „Während der ersten Welle setzte die vom ungarischen Staat gekaufte österreichische Rüstungsfirma Hirtenberger die Produktion in mehreren Schichten fort, während das Autoteilewerk im Besitz der Gründerfamilie stillgelegt werden musste“, erläuterte der Regierungskommissar.
Das ungarische Modell
Er bemerkte auch, dass es Probleme bei den Aufträgen geben könnte. Bestimmte Länder mit großen Verteidigungsbudgets haben ihr militärisches Beschaffungsetat gekürzt. Dies ist jedoch überhaupt nicht der Fall für Ungarn; das Land kommt von einem sehr niedrigen Niveau und ist von der NATO-Verpflichtung von 2% des Gesamtbudgets noch weit entfernt. Somit gibt es viel Raum für erhöhte Rüstungsaufträge.
„Die Militärindustrie ist ein sehr sensibler Sektor. Wenn sie zu gewinnorientiert ist, können große Unternehmen leicht eine Nachfrage nach ihren Produkten erzeugen, was sehr ernste politische Probleme aufwirft. Deshalb glauben wir auch an das ungarische Modell: Wenn der Staat eine Rolle übernimmt, werden diese Joint Ventures anders funktionieren als Offshore- oder börsennotierte Unternehmen mit unsicherem Hintergrund. Rheinmetall ist diese Partnerschaft eingegangen und es war keine leichte Entscheidung“, teilte Maróth mit und eröffnete einen weiteren Grund für die Zusammenarbeit.
Junge ungarische Ingenieure können sich an der Entwicklung der Militärtechnologie beteiligen. Die Militärindustrie ist in den Bereichen Materialwissenschaften, Kinetik, Lasertechnologie, Automatisierung und vielen anderen Bereichen führend. „Nur wenige Menschen wissen, dass inländische Lasertechnologieexperimente durchgeführt wurden, die auf den Warschauer Pakt zurückgehen. Die Frage ist, wann die Technologie ein Niveau erreicht, in dem sie sicher eingesetzt werden kann. Im Rahmen des Rheinmetall-Abkommens hatte das Laserentwicklungsprogramm großes Glück, da Ungarn eines der wichtigsten Forschungszentren in Europa und der Welt besitzt – das Laserforschungsinstitut ELI (Extreme Light Infrastructure) in Szeged. Es ist kein Zufall, dass die Delegation des Unternehmens nach der Grundsteinlegung für die Infanterie-Kampffahrzeugfabrik in Zalaegerszeg nach Szeged gereist ist“, erklärte Maróth in Bezug auf das gemeinsame Entwicklungsprogramm mit den Deutschen.
Allen voraus
Was die militärische Technologieforschung in der Europäischen Union – PESCO – betrifft, schloss sich Ungarn mehreren Initiativen an und entwickelte dann ein eigenes Programm, an dem Deutschland, Frankreich und Polen als erste teilnahmen. „Laut den Rüstungsdirektoren der EU-Staaten müssen die Parameter der einzelnen Waffensysteme innerhalb der NATO angenähert werden. Der erste Schritt in diesem Prozess ist die Vereinheitlichung der Betriebsmanagement- und Trainingssimulatorsysteme“, berichtete Maróth.
Während 2020 unter anderem die Ausrüstung der Schwerbrigade Tata, die Beschaffung von Militärtransportflugzeugen sowie Luftverteidigungsraketen und Radargeräten auf der Tagesordnung standen, wird der Schwerpunkt im nächsten Jahr auf der Fortsetzung und Vervollständigung des industriellen Einsatzes und der damit verbundenen Forschungs- und Entwicklungsprogramme liegen.
„Das wichtigste Element ist die Einrichtung des Forschungsinstituts für die Verteidigungsindustrie (Védelmi Ipari Kutató Intézet), das wir mit den Ministern Tibor Benkő und László Palkovics vorbereiten. Wir diskutieren über Forschung und Entwicklung, die nicht in direktem Zusammenhang mit den aktuellen Programmen der ungarischen Streitkräfte stehen, aber im Bereich Innovation weit voraus sind“, so Maróth über die wichtigen Aufgaben für das kommende Jahr.
Er fügte hinzu, dass die Beschaffung für die militärische Entwicklung ebenfalls fortgesetzt wird, aber er kann sich nicht dazu äußern, solange die Verhandlungen noch nicht abgeschlossen sind.
Eine Milliarde Euro als Ziel
Der Regierungskommissar sagte: Das ursprüngliche Ziel des 2016 gestarteten Militärentwicklungsprogramms und der dahinter stehenden industriellen Entwicklung war es, das führende ungarische Unternehmen in der Branche mit einem Umsatz von einer Milliarde Euro innerhalb von zehn Jahren zu sein. „Jetzt scheinen wir dieses Ziel bis 2024 – vor mehreren Nachbarländern – weit zu übertreffen. Die bereits fertiggestellten und in Betrieb befindlichen inländischen Werke stellen das höchste verfügbare technologische Niveau weltweit dar. Der Anteil der Angestellten und Arbeiter wird sehr gering sein. Ein gutes Beispiel dafür ist, dass im tschechischen Unternehmen 1.200 Mitarbeiter die gleiche Anzahl an Handfeuerwaffen herstellen wie – nach unseren Plänen – zweihundert Mitarbeiter im Arsenal-Werk im ungarischen Kiskunfélegyháza.
„Es wird eine Hightech-Industrie mit zweitausend oder dreitausend Menschen aufgebaut, in der wir zusammen mit unseren Lieferanten den größten Teil der Steuereinnahmen und Gewinne im Land behalten können“, erläuterte Gáspár Maróth über die bevorstehende ungarische Militärindustrie.