Tschechien/Russland – Die Sache sorgt seit über einer Woche viel für Aufsehen. Am 17. April verkündeten der tschechische Ministerpräsident Andrej Babiš und sein interimistischer Außenminister Jan Hamáček der Welt, dass der russische Geheimdienst für eine Explosion in einem Munitionsdepot in der Tschechischen Republik im Jahr 2014 verantwortlich sei und dass die tschechischen Behörden daraufhin – in voller Übereinstimmung mit Präsident Zeman – beschlossen haben, 18 russische Diplomaten auszuweisen. Russland schlug fast sofort mit der Ausweisung von 20 tschechischen Diplomaten zurück, woraufhin Prag mit der Ausweisung von weiteren 70 Mitarbeitern der russischen Botschaft in Prag reagierte. Unterdessen wiesen auch die Slowakei und die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen aus Solidarität mit den Tschechen russische Diplomaten aus und lösten damit eine diplomatische Krise aus, wie es sie in den letzten Jahren in Mitteleuropa nicht gegeben hat.
Zeman äußert Zweifel
Am Sonntag, den 25. April, veröffentlichte der tschechische Präsident Miloš Zeman jedoch eine ziemlich lange Pressemitteilung, in der er erklärte, dass er Zweifel an der Verantwortung der russischen Dienste habe, die seiner Meinung nach noch nicht mit Sicherheit festgestellt worden sei. Für den Fall, dass die russische Verantwortung bewiesen werde, sei seine Position identisch dann wohl mit der der Babiš-Regierung: „Wenn die Beteiligung russischer Agenten an der Explosion des Munitionsdepots in Vrbětice bewiesen wird, wird Russland für den Terrorakt bezahlen müssen, zum Beispiel durch den Ausschluss von Rosatom von der Ausschreibung für die Erweiterung des Atomkraftwerks Dukovany“. Aber er betont das „wenn“:
„Sollte sich jedoch das frühere Ergebnis der Untersuchung des Falles bestätigen, nämlich dass die Explosion durch den falschen Umgang mit Munition verursacht wurde, wird dies weitreichende Folgen für die tschechische Innenpolitik haben.“
präzisierte er. Abgesehen davon, dass dies nicht ganz der „absoluten Unterstützung“ entspricht, von der Andrej Babiš eine Woche zuvor gesprochen hatte, wirft diese Haltung des tschechischen Staatsoberhauptes eine Reihe von Fragen auf. Ist die Zuständigkeit der russischen Dienste formell festgelegt worden? Wenn ja, warum tanzt dann Miloš Zeman – noch einmal – so aus der Reihe? Und wenn nicht, ist es noch schlimmer, da man eine diplomatische Krise mit Russland auf der Basis unbegründeter Anschuldigungen ausgelöst hätte? Auch das ist schwer zu glauben.
„Warten wir die Ergebnisse der Untersuchungen ab, ohne Hysterie und Spekulationen“
In der Tat erklärt Miloš Zeman, dass die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen seien und dass es wichtig sei, die endgültigen Ergebnisse abzuwarten: „Wir arbeiten mit zwei Untersuchungstheorien – eine, dass es eine Explosion als Folge eines unsachgemäßen Umgangs mit Sprengstoff gab, und eine zweite, dass es eine Operation eines ausländischen Geheimdienstes gewesen sei […] Ich nehme beide Theorien ernst und möchte, dass sie beide gründlich untersucht werden […]
Ich hoffe, dass wir die Wahrheit erfahren werden […] Lasst uns also ohne Hysterie und Spekulationen die Ergebnisse der Untersuchungen abwarten und dann eine Entscheidung treffen.“
Miloš Zeman ist ein notorischer Freund Russlands
Während man also auf die Klärung der jeweiligen und abweichenden Versionen des tschechischen Präsidenten und der Regierung wartet, sprangen die russischen Medien (Interfax, Tass, RIA Novosti, Kommersant usw.) sofort in die Bresche und betonten, dass „der tschechische Präsident [erklärt habe], dass es keine Daten über russische Agenten in Vrbětice gebe“ (Interfax), während die westlichen Medien in die andere Richtung beipflichten. So beharrt die Deutsche Welle darauf, dass „Zeman weithin als der russischen Regierung nahestehend wahrgenommen wird“, während das österreichische öffentlich-rechtliche ORF darauf hinweist, dass Miloš Zeman Russland dennoch „mit ungewöhnlicher Schärfe“ kritisiert hat, was auf Umwegen impliziert, dass seine Zweifel nur ein Lippenbekenntnis gewesen wären. Und tatsächlich schließt Zeman eine russische Verantwortung in diesem Fall keineswegs aus, im Gegenteil: „Daraus folgt nicht, dass der Verdacht ihrer [der russischen Dienste, NdR.] Beteiligung nicht ernst sei […] Die Tatsache, dass der Sicherheitsinformationsdienst (BIS) ihre Beteiligung nicht bewiesen hat, bedeutet nicht, dass sie den Vrbětice-Komplex nicht betreten haben“, erklärte er.
Miloš Zemans Aussagen haben bereits Reaktionen in der Tschechischen Republik selbst ausgelöst, wo
der oppositionelle Senator Pavel Fischer am Sonntag, den 25. April erklärte, dass „Zeman sich jetzt offen auf die Seite Russlands [stelle] und zu dessen Fürsprecher geworden [sei]“.
Am Montagabend, 19. April, projizierten Aktivisten das Wort „Velezrada“, (Hochverrat) in riesigen Leuchtbuchstaben auf die Prager Burg.
Russischer Gegenangriff auf Medienebene
Inzwischen hat auch die russische Regierung auf diese Unstimmigkeiten auf tschechischer Seite reagiert und ist in die Offensive gegangen. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, bestand darauf, dass deutsche Medien „entdeckt [hätten], dass es auch Antipersonenminen“ – Waffen, die nach internationalen Konventionen, einschließlich der Ottawa-Konvention von 1996, verboten sind – im berüchtigten Munitionslager von Vrbětice gegeben habe, während der russische Senator Alexej Puschkow auf Telegramm erklärte: „Sie [die Tschechen, NdR.] haben keine Beweise vorgelegt, weil es sie einfach nicht gibt“, und behauptete kategorisch, die ganze Angelegenheit sei nichts als ein „Propagandaangriff“ gegen Russland.
Ein Kontext, der Fragen aufwirft
Die Ankündigung des tschechischen Ministerpräsidenten am 17. April verwies auf „unwiderlegbare Beweise“, die am Vortag erlangt wurden und die die Verantwortung des GRU – des russischen Militärgeheimdienstes – für die Explosion im Munitionsdepot in Vrbětice 2014 belegen sollten. Ruslan Boschirow und Alexander Petrow, zwei Namen, die in Großbritannien mit dem Fall Skripal in Verbindung gebracht wurden, kamen in der tschechischen Presse heraus und wurden als Akteure in diesem Ereignis dargestellt. In dem Waffendepot befanden sich Waffen und Munition, die für die Ukraine bestimmt waren – einigen russischen Quellen zufolge auch für die kämpfenden Kräfte in Syrien – damals mitten in einem heftigen Konflikt mit Rebellen im Osten des Landes.
Seit dem Amtsantritt von US-Präsident Biden hat sich das Spannungsniveau in Ost- und Mitteleuropa in Bezug auf Russland noch einmal erhöht. Da die Ukraine einen bewaffneten Konflikt und neue Opfer im Donbass, der abtrünnigen Region in der Ostukraine mit gewisser russischer Unterstützung, befürchtet, war das Thema russische Impfstoffe ebenfalls ein Katalysator: In der Slowakei führte es zum Rücktritt des Ministerpräsidenten, und auch in der Tschechischen Republik ist die Regierung nervös.
Die V4 hat ihre volle Unterstützung für die Tschechische Republik in der aktuellen Krise angekündigt. Auf Initiative des polnischen Premierministers Mateusz Morawiecki hielten die Staats- und Regierungschefs der Visegrád-Gruppe am Montag, den 26. April, einen virtuellen Online-Gipfel ab, um insbesondere Sicherheitsfragen in Mitteleuropa anzusprechen.
Obwohl es keine formale Verbindung zwischen all diesen Elementen gibt, ist es legitim, den aktuellen geopolitischen Kontext im Auge zu behalten und einen Überblick über das zu behalten, was derzeit in der Region geschieht.