Skip to content Skip to sidebar Skip to footer

Prostitution als Tugend. Warum will die Linke dieses Tabu zerstören?

Sovereignty.pl ist ein englischsprachiges konservatives Portal, wo polnische Kolumnisten und Kommentatoren über die großen Themen schreiben, die die öffentliche Debatte in ihrer Heimat antreiben.

Lesezeit: 5 Minuten

Aus Prostitution wird nunmehr „Sexarbeit“. Mit seiner Sexualität Geld zu verdienen, wäre schließlich eine Arbeit wie jede andere. Wie die polnische Linke und ihre Medien das ernste soziale Problem des Körperverkaufs verharmlosen.

Dieser Artikel von Zuzanna Dąbrowska wurde auf Englisch auf Sovereignty.pl veröffentlicht. Um die vollständige englische Version auf Sovereignty.pl zu lesen, klicken Sie bitte hier.

 

„Niemand wollte glauben, dass ich einen Kunden hatte, der mir Benzinkanister brachte. Er arbeitete für ein staatliches Unternehmen und hatte Anspruch auf einen Zuschuss für Benzin. Wenn er mehr bekam, als er brauchte, betankte er mein Auto unten im Gebäude“. So beginnt das Geständnis der „Sexarbeiterin“ Ola in einem Bericht, der vom Portal gazeta.pl veröffentlicht wurde. Der Titel des Artikels ist sehr aufschlussreich: „Ein Job wie jeder andere“. „Ola beginnt jeden Tag damit, ihre beiden Katzen zu füttern. Es sind entlaufene Katzen, die sie wieder eingefangen hat. Danach geht sie ins Fitnessstudio, wo sie einen persönlichen Trainer hat, oder sie geht direkt in die Mietwohnung, in der sie arbeitet. Sie ist seit einigen Monaten in dieser Branche tätig. Sie gibt an, bis zu 100.000 Zloty [22.000 Euro, AdÜ.] zu verdienen, wenn sie einen ‚guten Monat‘ hat. Sie möchte so schnell wie möglich genug Geld verdienen, um sich eine Wohnung in Zakopane [Touristenstadt und Skigebiet in den Bergen Südpolens, AdR.] zu kaufen und, wie sie es nennt, über ein ‚passives Einkommen‘ zu verfügen. Zuvor hatte sie in einer Bank gearbeitet und ist ausgebildete Juristin“, heißt es weiter.

Früher war sie Bankangestellte und heute ist sie „Sexarbeiterin“. Ihr neuer Beruf ermöglicht es ihr manchmal, an einem Tag so viel zu verdienen wie zuvor in einem Monat. Eine andere Protagonistin der Reportage, Joanna, hat genug von dem Tabu, das die Prostitution in Polen umgibt (das Wort wird nur einmal im Text erwähnt, und zwar in desavouierender Weise: Die Linke fördert den Ausdruck „Sexarbeit“ und, was die polnische Linke betrifft, sogar noch genauer den englischen Ausdruck „sex working“).

„Ich liebe die Menschen. Ich bin der Meinung, dass man in jedem Menschen etwas Besonderes finden kann. Und ich würde sehr gerne diese Sexarbeit in Polen entdämonisieren“, träumt die Frau. Joanna verkauft Videos im Internet und trifft sich auch live mit ihren Kunden. Dabei achtet sie auf die nötigen Vorsichtsmaßnahmen: Sie vereinbart keine Termine in ihrer Wohnung und gibt ihre wahre Identität nicht preis. Sie macht keinen Hehl daraus, dass ihr die „Sexarbeit“ nicht nur Geld, sondern auch Befriedigung bringt: „Die Freude auf ihren Gesichtern ist für mich wie eine Dopaminspritze. Wenn ein Kunde, der seit 20 Jahren keinen Sex mehr hatte, zu mir kommt und glücklich ist, nachdem er mich getroffen hat… Was will man mehr?“

Die dritte Protagonistin der Reportage, Zoja, spricht über den formellen Aspekt ihres „Berufs“. „Sie würde es bevorzugen, wenn Sexarbeit legal wäre. Wir sprechen über Renten- und Krankenversicherungsbeiträge, aber auch über Arbeitnehmerrechte“, heißt es. Sie arbeitet abends, weil sie tagsüber eine fleißige Chemiestudentin ist. Die Frau erinnert sich, dass sie lange Zeit Scham empfunden habe, aber dank der Trennung von ihrem Freund habe sie sich dem Thema „Sexworking“ geöffnet. „Ich hatte mich schon lange aus soziologischer Sicht dafür interessiert und als meine Beziehung zerbrach, habe ich mich theoretisch und praktisch darauf vorbereitet; ich habe beschlossen, es auszuprobieren“, erzählt sie. Die beiden anderen Protagonistinnen in dem Artikel sagen regelrecht, dass sie es des Geldes wegen tun.

Der Bericht wurde im Januar veröffentlicht und löste schnell einen Sturm aus. Kritiker wiesen darauf hin, dass er eine beschönigende Sicht der Prostitution darstelle, die nicht nur nahezu risikofrei sei – körperlich, geistig und emotional –, sondern auch ein Gefühl der Erfüllung als Lebensstil biete. Wie der Titel schon sagt, handelt es sich um eine Arbeit, die nicht weniger Wertschätzung verdient als eine andere. Jede der Protagonistinnen stellt einen anderen Wert des Sexarbeiterinnenberufs in den Vordergrund: schnelles Geld, Zufriedenheit, befriedigte Eitelkeit, Unabhängigkeit… Interessanterweise ist der Autor des Textes nicht irgendein Journalist, sondern ein außerordentlicher Professor am Institut für Literatur und neue Medien der Universität Stettin, Łukasz Muniowski.

Dies rief einen bekannten Sportjournalisten und Gründer des sehr populären Youtube-Sportkanals Kanał Sportowy, Krzysztof Stanowski, auf den Plan. „Das ist kranke Scheiße. Sie ermutigen zur Prostitution. Sie profitieren von der Prostitution“, sagte der Journalist ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. „Selbstmordgedanken, depressive Geisteszustände: Das ist die wahre Prostitution. Das ist kein Vergnügungspark oder Geld für nichts. Aber es stimmt, man würde weniger Klicks erreichen. Für die Website der Zeitung ist Ihre Version die ‚optimale Option‘. Mein Appell an die Zuhälter der Mediengruppe Agora [Eigentümerin der Website gazeta.pl und der Zeitung Gazeta Wyborcza]: Hört auf, die Gesellschaft zu versauen, hört auf, die Köpfe der jungen Leute zu versauen! Es reicht!“, donnerte Stanowski in YouTube. Offenbar sprach der beliebte Kolumnist damit aus, was die große Mehrheit der polnischen Gesellschaft immer noch von der Idee hält, der Prostitution ein positives Image zu verleihen.

Seine Argumente überzeugten den Chefredakteur des Portals gazeta.pl jedoch nicht. Rafał Madajczak entschied sich dafür, den positiven Ton des Textes zu verteidigen. „Wir hatten einfach Protagonistinnen, die sich in ihrem Beruf wohlfühlen, und das haben wir gezeigt. Wir sind nicht hier, um zu erziehen, sondern um die Welt zu zeigen. So sieht dieser Ausschnitt der Welt aus“, so der Journalist. Die Nachrichtenseite nahm sich diese „Mission, die Welt zu zeigen“ in diesem einseitigen Licht offenbar so sehr zu Herzen, dass sie nur drei Wochen nach Muniowskis Bericht einen weiteren Artikel veröffentlichte, in dem die Prostitution normalisiert wurde. Diesmal handelte es sich um die Beschreibung eines Interviews, das die französische Schriftstellerin Emma Becker gegeben hatte. Nachdem sie ihr erstes Buch geschrieben hatte, brauchte sie Inspiration und Geld, um ein weiteres zu veröffentlichen. Auf einem ihrer Spaziergänge in Berlin kam sie an dem Bordell „La Maison“ vorbei. „Da fiel ihr ein, als Prostituierte zu arbeiten. Auf diese Weise konnte sie nur zwei Tage pro Woche arbeiten, hatte genug zum Leben, und die restliche Zeit beschrieb sie ihre Erlebnisse“, so der Autor des Artikels, Jakub Pierzak, Journalismusstudent an der Universität Breslau.

Dieser Artikel hat zwar weniger Kontroversen ausgelöst als Łukasz Muniowskis Reportage, doch seine Herangehensweise an die Prostitution ist ebenso unkritisch. „Man könnte meinen, dass die Arbeit in einem Bordell die Lust auf Sex verderben könnte. Für die Schriftstellerin hat die Erfahrung der Prostitution dazu beigetragen, ihr Intimleben zu verbessern. Sie hat aufgehört, die Anerkennung ihrer Partner zu suchen, und sich mehr auf ihre Wünsche konzentriert“, betont der Journalist die positiven Aspekte der Sexarbeit. Auch hier wird den Risiken, die mit dem „ältesten Gewerbe der Welt“ verbunden sind, keinerlei Beachtung geschenkt.

Nachdem diese von gazeta.pl veröffentlichten Artikel der Einseitigkeit bezichtigt worden waren, beschloss das Medium, seinen Lesern „inhaltliche Argumente“ in Form eines Interviews mit der Soziologin Agata Dziuban zu liefern. Letztere spricht zwar über die Risiken der „Sexbranche“ (ein weiterer milder Euphemismus), betont aber auch den anspruchsvollen Charakter dieser Tätigkeit. „Wir müssen uns bewusst sein, dass Sexarbeit nicht nur körperliche, physische Arbeit ist, sondern sehr oft auch emotionale und fürsorgliche Arbeit, bei der man sich um die andere Person, ihren Körper und ihre Gefühle kümmern muss“, so die Expertin. Dziuban, die Mitglied der Gruppe Sex Work Poland ist, einer „Koalition für die Rechte von Sexarbeiterinnen“, fordert die Legalisierung der Prostitution. Die Soziologin erklärt, dass dies die Sicherheit der „Sexarbeitern“ verbessern würde. Wie viele solche Personen gibt es in Polen? „Eine Zahl, die seit vielen Jahren in den Polizeistatistiken auftaucht, ist die von 200.000 Sexarbeitern. Ich denke, dass diese Zahl sehr unterschätzt wird, aber man kann mit Sicherheit sagen, dass es Hunderttausenden Sexarbeiter in Polen gibt“, sagt Agata Dziuban. Der Warschauer Aktivist Jan Śpiewak, den man schwerlich verdächtigen kann, Sympathien für die konservative Rechte zu hegen, hatte eine interessante Reaktion auf die Äußerungen der Soziologin. In einem auf i.pl veröffentlichten Artikel listete er eine Reihe von Argumenten auf, die belegen, dass die Legalisierung der Prostitution keineswegs eine Maßnahme zugunsten der Frauen sei. „Es ist offensichtlich, dass die Legalisierung der Prostitution den Organisatoren zugute kommen wird. Hauptsächlich sind das Männer. Heute die kleine und die große Mafia, morgen wahrscheinlich sehr gut organisierte Unternehmen. Es ist kein Zufall, dass die Aktivitäten der Organisation Sex Work Poland über ihre Stiftungen von dem berühmten Spekulanten George Soros unterstützt werden“, bemerkte Śpiewak.

(…)


Vollständige Fassung (auf Englisch) auf Sovereignty.pl

Übersetzung: Visegrád Post