Von Modeste Schwartz.
Rumänien – Überraschende Wendung in der Affäre um das katholisch-ungarische Gymnasium in Târgu-Mureș (Marosvásárhely): das Gesetz, das den Betrieb dieser Institution erlaubt – die seit mehreren Jahren der Gegenstand einer Kontroverse ist, von der wir schon gesprochen haben – ist soeben (am 13. Februar) vor dem rumänischen Verfassungsgerichtshof angefochten worden. Nichts Neues unter der Sonne der „Zwistigkeiten zwischen Volksgruppen“? Das ist das, was viele glauben werden, wenn sie sich mit großen Titeln zufrieden geben – sogar in Ungarn, wo, trotz einer potentiellen Reserve von einer Million zweisprachiger Korrespondenten/Dolmetscher (die ungarische Minderheit in Siebenbürgen), die Information der breiten Öffentlichkeit über Rumänien in Wirklichkeit von einer Handvoll „Experten“ abhängt, die oft nachlässig um nicht zu sagen „merkwürdigerweise selektiv“ in der Auswahl dessen sind, was sie für ihre einsprachigen Mitbürger übersetzen werden oder nicht.
Die erste Überraschung betrifft die Identität der Kläger. Der Einspruch wurde von Mandataren zweier konservativen Parteien erhoben: einerseits der Nationalen Liberalen Partei (Partidul Național Liberal, PNL) von Präsident Johannis, selber Siebenbürger Sachse, der den „Minderheits-Glücksbärchi“ so gut spielen konnte, um eine ohnehin verständnisvolle westliche Presse zu erweichen und um die ungarischen Stimmen bei den Wahlen zu ergattern, die ihn an die Macht brachten; diese Partei durchlebt außerdem eine soziale und territoriale Restrukturierung, indem sie in manchen ihrer alten Hochburgen im mittleren Siebenbürgen und in der Walachei Rückgänge verzeichnet bzw. gar verschwindet, um sich auf den „nördlichen neo-protestantischen Halbmond“ (Nord-Siebenbürgen und Nord-Moldau) zu konzentrieren, während die neo-protestantischen Netzwerke sich ihren Parteiapparat immer offener aneignen. In diesem Teil der Welt, wo man uns oft erklärt (allerdings trotz einer schon an Gegenbeispielen reichen Geschichte), dass die größte „religiöse Kluft“ zwischen dem östlichen Christentum (Orthodoxie) und dem westlichen Christentum (Katholizismus und ungarische Kalvinisten bzw. sächsische Lutheraner) läuft, gibt es also eine rumänische neo-protestantische Partei, die das Vorhandensein einer ungarischen katholischen Schule in Frage stellt, die wiederum von der regierenden – inoffiziell von der orthodoxen Kirche bevorzugten – rumänischen sozialdemokratischen Partei im Rahmen der Konsolidierung ihrer Allianz mit dem ungarischen Fidesz von Viktor Orbán (selber… Kalvinist!) unterstützt wird. Auch wenn die Religion ein durchaus starkes Identitätsmerkmal in diesem Teil der Welt bleibt, ist es in dem vorliegenden Fall wohl eindeutig, dass die Wirklichkeit etwas vielschichtiger ist als die Stereotypen des „Balkanologen“ vom Dienst.
Der zweite Kläger ist die winzige Volksbewegungspartei (Partidul Mișcarea Populară, PMP); offiziell konservativ scheint aber ihr Programm allein darin zu bestehen, als institutionelle Schatulle für das politische Überleben des abgesetzten Ex-Duce Traian Băsescu zu dienen, dessen mit sehr konkreten Interessen gesponnenes politisch-mafiöses Netzwerk (einigermaßen ein Abbild der letzten Bastion von Anhängern, die noch vor kurzem den armen Michail Saakaschwili, seinen Gefährten der „orangen Welle“, umgab) sich der Zeit zwangsläufig besser widersetzt als seine Beliebtheit beim Wähler. Nun ja, der gleiche Băsescu, der es einst mochte, sich neben Viktor Orbán zu zeigen, und ihn ungarische Pässe in Siebenbürgen verteilen ließ – während er selber Moldawien mit rumänischen Pässen füllen ließ.
Das Geheimnis ist eigentlich kein großes: jetzt, wo Orbán den Segen seiner amerikanischen neo-konservativen Herren nicht mehr genießt, hat Băsescu keinen Grund mehr ihn zu schonen, und, in seinem vollständigen politischen Zynismus hat er im Gegenteil alles Interesse, rechtzeitig auf den Zug der ungarnfeindlichen Ressentiments zu springen, wäre es bloß um seinem Rivalen Johannis nicht alle Früchte eines so schönen Anbaus zu überlassen.
Das ändert nichts daran, dass diese plötzliche Wende eine heilsame kalte Dusche allen verabreiche, die – unter anderem innerhalb der städtischen Eliten der ungarischen Minderheit – es dann als natürlich betrachteten, dass die Vertreter der „pro-europäischen Rechte“, sprich des „Fortschritts“, sich gegen einen Chauvinismus verbünden, der – zumindest in Rumänien aufgrund der noch ziemlich frischen Erinnerungen an die „national-kommunistische“ Phase des früheren Regimes – spontan mit dem Sozialismus in der Reihe der „kulturellen Archaismen“ assoziiert wurde (ein Klischee, das die Bewegung #rezist im Rahmen ihres Straßenaktivismus gegen die legitim gewählte PSD-ALDE-Regierung in Bukarest weiterhin gebraucht und mißbraucht).
Hören wir ihnen nun zu, diesen Helden der kapitalistischen Modernität und der euro-atlantischen Integration, wie sie durch den Mund des jungen PMP-Abgeordneten Eugen Tomac (ebenfalls Historiker mit dem Fachgebiet USA) sprechen:
„Während des Jahres der Hundertjahrfeier der Union [Siebenbürgens mit Alt-Rumänien] sollen die ungarischen Ambitionen gebremst und nicht gefördert werden, die darauf zielen, die Rumänen zu erniedrigen.“
Es mag schwierig sein zu verstehen, inwiefern der Betrieb eines ungarischsprachigen katholischen Gymnasiums für ungarischsprachige katholische Schüler (übrigens rumänische Staatsbürger) „die Rumänen erniedrigen“ könnte oder sollte; anscheinend haben sogar viele Rumänen große Schwierigkeiten dies zu verstehen, da der zwischen Liviu Dragnea und Viktor Orbán gefundene Kompromiß zugunsten dieses Gymnasiums in den Reihen der jedoch an nationalistischen Faktionen so reichen PSD kaum Staub aufwirbelte. Hingegen versteht man sehr leicht, dass manche Agenten der neo-konservativen Lobby – insbesondere, wenn ihre politische Karriere im Inland alles andere als ein Triumph darstelle – geneigt seien, praktisch alles zu machen, um die derzeitige Annäherung zwischen Rumänien und der Visegrád-Gruppe zu torpedieren – auch wenn sie dadurch ihre eigene Gesellschaft mit den Keimen eines potentiellen Bürgerkriegs infizieren.
Absolvent eines Magisters in „Kommunikationstechnik und sozialem Einfluß“ und ehemaliges Mitglied des Verwaltungsrats von E.on Ruhrgaz in Rumänien (der sich das Monopol für den Gasvertrieb in Siebenbürgen angeeignet hat: rumänische Qualität, deutscher Preis) hat sein PNL-Kollege Florin Roman (der zweite Urheber der Berufung) ebenfalls sein gutes Wort dazu gepredigt, dessen evangelische Weisheit seine zahlreichen neo-protestantischen Parteikollegen zweifelsohne werden zu schätzen wissen:
Indem er die ungarische Regierung anklagt [!] die ungarischen Schulen in Rumänien zu subventionieren und diese finanziell in die Lage zu versetzen, eine warme Mahlzeit pro Tag ihren Schülern anzubieten, schlußfolgert er, dass „man praktisch einer Magyarisierung der rumänischen Kinder aus armen Familien beiwohnt“.
Selber Siebenbürger und gewählt auf den Listen im Bezirk Karlsburg (Alba Iulia), wo die Ungarn eine sehr kleine Minderheit darstellen und kaum genug Schulen für ihre eigenen Kinder haben, weiß der „Journalist“ (ein besonders beliebter Beruf bei den verdeckten Agenten des Rumänischen Informationsdienstes) und Abgeordnete Florin Roman ganz genau, dass er lügt und Spannungen zwischen den Volksgruppen seines eigenen Landes schürt.
Nichts besonders überraschend für wen den allmählichen Untergang der ukrainischen Gesellschaft kennt, wie er zur derzeitigen Katastrophe führte. In diesem Nachbarland Rumäniens (und insbesondere seines nördlichen neo-protestantischen Randes) hat man übrigens öfters die Rolle angemerkt, die die ausgiebig von transatlantischen Quellen finanzierten neo-protestantischen Sekten in diesem Prozeß der sozialen Zuspitzung gespielt haben.
Auch nichts besonders neu für wen die Geschichte des modernen Rumäniens abseits des ziemlich exotischen vom Ceaușescu-Regime eröffneten Zwischenspiels kennt: auf diskreter Weise von den wirtschaftlichen Vormundsmächten (damals England, Frankreich bzw. Deutschland/Österreich inspiriert und gefördert) diente ihnen der rumänische Nationalismus vor allem dazu, das Schreckgespenst einer heiligen Allianz der orthodoxen Völker hinter Russland abzuwenden – aber nebenbei auch um einen östlichen ungarischen Verbündeten in Schach zu halten, dessen Gefügigkeit und Treue (damals wie heute!) Anlaß zur Sorge gab. Divide et impera: gestern gegen den Frühling der Völker (dessen 170. Jahrestag die Ungarn am 15. März feiern werden), heute gegen die Visegrád-Gruppe.