Von Petr Dvořák, Chefredakteur beim tschechischen Institut für Politik Pravý Břeh.
Dieser Artikel wurde ursprünglich am Tage des Votums veröffentlicht. Wie vom Redakteur vorgesehen wurde der Misstrauensantrag abgewiesen. Die Redaktion hat jedoch entschieden, diesen Artikel in deutscher Sprache im Nachhinein zu veröffentlichen, da er interessante Elemente über die derzeitige politische Lage in Tschechien über dieses Votum hinaus beinhaltet. Seitdem er sich der migrationsfeindlichen Linie der Visegrád-Gruppe angeschlossen hat, wird Ministerpräsident Babiš wiederholt mit immer heftigeren Angriffen seitens der Opposition und der „Zivilgesellschaft“ konfrontiert.
Tschechien – Ein Misstrauensvotum wird heute gegen den tschechischen Ministerpräsidenten Andrej Babiš stattfinden. Er wird wahrscheinlich mit einem blauen Auge davonkommen, doch ist die Geschichte dahinter faszinierend. Diese Geschichte erzählt, wie der vermutete Betrug Babišʼ in Verbindung mit EU-Fördergeldern sich als die schwerste Verfassungskrise der neueren tschechischen Geschichte erwies.
Als Eigentümer eines großen Handelsunternehmens wird Babiš verdächtigt, jahrelang einen Betrug bezüglich einer Subvention in Höhe von zwei Millionen Euro für den Bau eines Landhotels begangen zu haben. Die Ermittlungen über die sog. Čapí Hnízdo-Affäre (Storchennest) ruft seit einiger Zeit eine öffentliche Debatte hervor – zumindest in den Medien, die Babiš nicht gehören. Letzterer hat die Anschuldigung stets zurückgewiesen und behauptet, die Subvention habe mit ihm nichts zu tun, da das Hotel seinen beiden Kindern aus erster Ehe gehöre. Überraschenderweise war die Polizei nicht in der Lage, sich mit ihnen in Verbindung zu setzen bzw. sie zu befragen.
Wenn die Politik zu einem schlechten Krimi wird
Vor einigen Tagen ist es zweien Reportern von Seznam TV gelungen, Babišʼ Sohn, Andrej Babiš Jr., in dessen Wohnung in der Schweiz anzutreffen bzw. dessen Aussage mittels einer versteckten Kamera aufzunehmen. In diesem Video behauptet Babiš Jr., dass er letztes Jahr wegen seiner Rolle in besagter Storchennest-Affäre auf die Krim gelockt worden sei, wo man ihn entführt habe. Anlässlich dieser Reise wurde er von einem Herrn Protopopow begleitet, einem russischen Staatsbürger und Angestellten von Babiš Vater. „Es war nicht meines Vaters Idee, mich auf die Krim zu bringen,“ erklärt Babiš Jr. im Video. „Es war seine [Protopopows] Idee. Mein Vater brauchte, dass ich wegen des Storchennests verschwinde. Er nutzte die Gelegenheit.“
Seinerseits behauptet Herr Protopopow, einzig als Assistent und Freund von Babiš Jr. gedient zu haben. Allerdings hat Letzterer letztes Jahr tatsächlich die tschechische Polizei von der Ukraine aus gerufen und angegeben, dort gegen seinen Willen zurückgehalten worden zu sein. Die Polizei entschied sich allerdings dafür, über die Affäre nicht weiter zu ermitteln und gab sich anscheinend damit zufrieden, ein Lichtbild von Babiš Jr. mit dessen Mutter und einer Tageszeitung erhalten zu haben. Mehrere tschechische Oppositionsmedien bemerken, dass das Eingreifen von Herrn Protopopow, die Wahl der Halbinsel Krim und die Zuvorkommenheit der Polizei Fragen über die Rolle der russischen Interessen in dieser Affäre aufwerfen.
Andrej Babiš Vater behauptet, dass man seinem Sohn nicht vertrauen kann, weil seine beiden Kinder aus erster Ehe – auf die er selber hinwies, als er des Betrugs beschuldigt wurde – von einer psychischen Krankheit betroffen seien. Deshalb bezeichnet er die Angriffe der Medien und der Öffentlichkeit als „politische Kampagne“ bzw. „Aasgeierangriff“. Die angebliche Schizophrenie von Andrej Babiš Jr. soll von einem medizinischen Bericht bestätigt worden sein, doch dieser wurde von der Ehefrau von Herrn Protopopow unterschrieben, die gleichzeitig Psychiaterin und eine Politikerin der Partei ANO von Herrn Babiš ist. Nebenbei bemerkt wurde die Klinik, wo sie bis diese Woche arbeitete, am Montag von einem Brand betroffen; es wurde der Öffentlichkeit mitgeteilt, das kein Dokument dadurch beschädigt wurde.
Die Parlamentsmehrheit ist nicht abgesichert
Seit der Veröffentlichung des Berichts sind außerordentlich bedeutende Demonstrationen von studentischen NGOs organisiert worden, die manchmal von Parteien der Opposition unterstützt wurden, die Herrn Babiš dazu drängen, die Situation zu klären und sich zurückzuziehen, bevor den Anschuldigungen ordnungsgemäß nachgegangen werde. Babiš wurde ebenfalls offiziell vom tschechischen Senat zum Rücktritt aufgefordert. Allerdings handelte es sich dabei um einen rein symbolischen Akt, da der Senat gemäß der Verfassung keine Befugnisse besitzt, um Herrn Babiš seines Amtes zu entheben.
Es ist in der Geschichte der Tschechischen Republik noch nicht vorgekommen, das gegen einen Ministerpräsidenten ermittelt werde. Normalerweise wäre der Ministerpräsident gezwungen, sich zurückzuziehen und zu warten, bis die Angelegenheit geklärt werde. Allerdings lehnt Herr Babiš es ab, solche Konsequenzen aus der Situation zu ziehen, während dessen Partei ANO bzw. die kommunistische Partei KSČM einstimmig zu dieser Entscheidung stehen.
Die meisten anderen Parteien (ODS, KDU-CSL, TOP 09, STAN und SPD) rufen zu einem Misstrauensantrag auf. Zusammen haben sie 92 Abgeordnete, es fehlt ihnen nur 9 Stimmen, um die erforderliche Mehrheit zu erreichen. Infolgedessen hängt das Ergebnis des Votums von der letzten im Parlament vertretenen Partei, der linken ČSSD. Allerdings befindet sich der Juniorpartner in Herrn Babišʼ Koalition in einer internen Krise und sollte daher eine umstrittene Stabilität mit Herrn Babiš zu der Ungewissheit bevorzugen, die von Alternativszenarien hervorgerufen werden würde.
Der Präsident folgt nicht
Der tschechische Staatspräsident Miloš Zeman ist einer der mächtigsten Akteure in dieser Krise, denn er hat die Befugnis, den Ministerpräsidenten auszuwählen, was ein wichtiger Hebel im Rahmen des tschechischen politischen Systems darstellt. Deswegen braucht Herr Babiš sich nicht allzuviel Sorgen zu machen, denn es gibt praktisch eine strategische Partnerschaft zwischen dem Präsidenten und dem Ministerpräsidenten. Übrigens hat Zeman schon gesagt, dass er Babiš erneut zum Ministerpräsidenten ernennen würde, falls er zum Rücktritt gezwungen würde. Hier endet (zurzeit) die Geschichte.
Übersetzt aus dem Englischen von Visegrád Post.