Von Marcin Bąk.
Dieser Artikel wurde ursprünglich auf Kurier.plus veröffentlicht.
Polen – Aus den vielen Seiten der brüderlichen Freundschaft zwischen Polen und Ungarn ist eine der wichtigsten die Haltung der ungarischen Armee während der 63 heldenhaften Kampftage des Warschauer Aufstands im Jahre 1944. Warschau und die Polen erinnern sich heute immer noch, wie ihre Waffenbrüder sich damals verhielten.
Ungarn wurde während des II. Weltkriegs in das Bündnissystem des Dritten Reichs hineingezerrt. Die ungarische Armee kämpfte an der Ostfront und erlitt beträchtliche Verluste. Sie wurde in zahlreichen von Deutschland besetzten Ländern stationiert. Allerdings trugen ungarische Soldaten niemals die Waffen gegen irgendwelche polnische Einheit bzw. behandelten sie Polen niemals wie ein besetztes Land. Die Berichte aus den verschiedenen Orten, wo die ungarischen Truppen ab 1943 sowohl an die Front wie zurück unterwegs waren, sind im allgemeinen sehr positiv. Die ungarischen Offiziere waren in der Lage, die Soldaten ordentlich darüber zu informieren, dass sie sich nicht in einem feindlichen Land befanden und dass sie die Disziplin bewahren und der polnischen Bevölkerung respektvoll begegnen sollten. Die deutsche Abwehr wusste über die Stimmung Bescheid, die innerhalb der in Polen stationierten ungarischen Soldaten herrschte, und erhielt auch Berichte darüber, dass sowohl Ausrüstung (darunter auch Waffen) an polnische Untergrundorganisationen – vor allem an die Heimatarmee (Armia Krajowa) – übergeben wurde. Das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) war sich über die Schwierigkeiten bewusst, die mit dem Versuch verbunden waren, die ungarische Armee gegen die Polen einzusetzen, doch 1944 hatte es nicht mehr viel Handlungsspielraum. Es mangelte an militärischen Einheiten bzw. mangelten die Regimente und Divisionen, die das OKW zur Verfügung hatte, fast immer an Soldaten.
Im Juli 1944 näherte sich die Front in Richtung Warschau und die Deutschen bewegten entsprechend Einheiten nach Warschau, die benutzt werden konnten, um Operationen im Gebiet dieses wichtigen Verkehrsknotenpunkt abzusichern.
Generalmajor Béla Lengyel wurde zum Kommandant des II. ungarischen Armeekorps ernannt, das in der Gegend von Warschau eingesetzt wurde. Sein Name bedeutet ahnungsvoll… Pole. Der Familienlegende zufolge stamme er von polnischen Adeligen namens Zajączkowski, die ihren Namen änderten, als sie vor Verfolgungen nach Ungarn flohen. Es ist nicht bekannt, ob es auch der Wahrheit entspricht, aber Tatsache ist, dass der General jahrelang die Position des Militärattachés in Warschau innehatte. Das Korps bestand aus drei Infanteriedivisionen und einer Kavalleriedivision, die auch nicht vollständig waren. Es mangelte an schwerer Ausrüstung und Artillerie. Das Korps konnte daher nicht an der Front zur Verteidigung gegen die Offensive der Roten Armee eingesetzt aber es konnte für zweitrangige Aufgaben benutzt werden.
Von Anfang an rechneten die Warschauer Aufständischen, die am 1. August 1944 zu kämpfen anfingen, sehr viel auf die Wälder rund um die Hauptstadt. Die Wälder der Kampinos-Heide, der Kabaty-Wald und der Chojnowski-Wald waren Orte, wo Partisanentruppen konzentriert waren bzw. Waffen und Ausrüstung abgeworfen wurden. Das OKW versuchte, die Verbindungswege zwischen Warschau und den umliegenden Wäldern abzuschneiden, doch ihm fehlte es an Kampfeinheiten, die in schweren Kämpfen gegen die Aufständischen involviert waren. Nikolaus von Vormann, der Kommandant der 9. deutschen Armee, wusste ganz genau, dass die ungarische Armee sowieso nicht gezwungen werden konnte, auf Polen zu schießen. Er hoffte bloß, dass sie als passive Barriere dienen würde, die den Kontakt unter den polnischen Einheiten hindern würde. Diese Hoffnung stellte sich als illusorisch heraus.
Die 12. ungarische Infanteriedivision wurde auf die Kampinos-Heide gerichtet um das große Waldgebiet im Norden von Warschau abzuschneiden. In allen polnischen Berichten erinnerte man sich sehr gut daran, dass der Kontakt unter den Einheiten bewahrt werden konnte. Die Heide war ein Gebiet, wo Hilfe für den Aufstand abgeworfen wurde bzw. wo Partisanen sich sammelten. Die Bewegungen zwischen der Heide und Żoliborz (in der Hauptstadt) fand hauptsächlich nachts statt doch gab es keine Kämpfe mit den ungarischen Einheiten. Öfters haben Offiziere von beiden Seiten die Marschrichtungen gemeinsam im voraus geplant, um jeden Zwischenfall oder zufälliges Schießen zu vermeiden. Die erste Kavalleriedivision, die im Süden von Warschau eingesetzt wurde, verfuhr gleichermaßen.
Der Kommandant der 9. deutschen Armee wusste über die Haltung der ungarischen Truppen durchaus Bescheid, wenn er folgenden Bericht vorbereitete:
„Im Westteil der Kampinos-Heide kamen frische Truppen für die Warschauer Aufständischen aus den Reserven der nationalen Milizen zusammen. Um sie fortzujagen bzw. daran zu hindern, in Warschau hineinzusickern, wären Sondertruppen notwendig. Man sollte auf die dort stationierten ungarischen Truppen aufmerksam sein, deren unverantwortliche Haltung eine Bedrohung für die schweren Verteidigungskämpfe darstellen, in denen wir eingesetzt werden.“
Es gibt viele Berichte über die Übergabe von Militärausrüstung und sogar Waffen durch die ungarischen Truppen an die Aufständischen. Die Ungarn gaben auch Informationen über deutsche Truppenbewegungen in Richtung von polnischen Stellungen weiter. Das Kommando der 9. deutschen Armee gab sogar Befehl, ungarische Soldaten zu erschießen, die dabei erwischt wurden, Polen zu helfen. Ihre Gräber sind rund um Warschau u.a. in den Wäldern in der Nähe von Zalesie Górne zerstreut. Die Ungarn halfen auch den Zivilisten, die in unterschiedlicher Weise aus den von den Deutschen besetzten Bezirken Warschaus vertrieben wurden. Andererseits begannen die ungarischen Truppen, sich aus dieser Region zurückzuziehen und sich in Richtung Ungarn zu bewegen. Dies hatte zweierlei Ursachen: das OKW hatte jedes Vertrauen in ihnen verloren, da es offensichtlich Fälle gab, wo die Ungarn den polnischen Aufständischen geholfen hatten bzw. hatte sich Rumänien aus der Koalition der mit dem Dritten Reich verbündeten Staaten zurückgezogen. Die ungarische Honvéd wurde also dringend in der Heimat gebraucht.
Ein interessantes und noch nicht ausgeforschtes Thema rund um Ungarn und den Warschauer Aufstand ist die Teilnahme von Ungarn an den Kämpfen auf polnischer Seite. Am 5. August eroberte das legendäre Bataillon „Zóska“ der polnischen Heimatarmee das deutsche Konzentrationslager „Gęsiówka“ und befreiten dabei mehrere hundert Juden, darunter ungarische Juden. Eine gewisse Anzahl von ihnen schloß sich ihren Befreiern an, als Ärzte, Köche bzw. als Nachhut. Leider teilten sie auch das Schicksal einer der besten Einheit des Aufstands und dies bedeutet sehr hohe Verluste in den darauffolgenden Kämpfen.
Der Warschauer Aufstand war nach 63 Tagen schwerer Kämpfe zu Ende. Die Überlebenden wurden von den Deutschen gefangengenommen bzw. mussten ins Exil. Die Teilnehmer an diesen dramatischen Tagen erinnerten sich der sehr guten Haltung der Ungarn gegenüber den Einwohnern der Hauptstadt.
2015 veröffentlichte Maria Zima das Buch „Węgrzy wobec Powstania Warszawskiego“ (Die Ungarn und der Warschauer Aufstand) und berichtete ausführlich über die schwierigen Beziehungen in den Tagen des Aufstands. Das Buch wurde auch ins Ungarische übersetzt.
Jedes Jahr am 1. August um 5 Uhr nachmittags steht ganz Warschau für eine Minute still, die Straßen sind voller Rauch bzw. sind weiss-rote Flaggen überall zu sehen. An diesem Tag erinnern sich die jungen Einwohner Warschaus an ihre Großeltern und Urgroßeltern aus dem Jahr 1944 bzw. haben die Ungarn einen besonderen Platz in dieser Erinnerung.
Warschau erinnert sich,
Ehre und Ruhm für die Helden!