Der Kampf um eine alternative Europäische Union ist eines der wichtigsten Desiderate der Politik des 21. Jh.s, denn ohne eine enge Zusammenarbeit der europäischen Nationen auf der einen Seite und einem gemeinsamen Kampf gegen die zahlreihen inneren und äußeren Feinde des Abendlandes auf der anderen Seite ist der Westen zum Niedergang verdammt. Ein erster wichtiger Schritt zur Umsetzung dieses Gedankens wurde durch die „Gemeinsame Erklärung“ von mittlerweile 16 konservativen europäischen Parteien gegeben, der hoffentlich auch den Weg für einen gemeinsamen politischen Auftritt bereiten wird. Die in der gemeinsamen Erklärung festgelegten Ziele und Gemeinsamkeiten verweisen alle auf die Notwendigkeit einer stolzen Pflege unserer historischen Identitäten und Autonomien bei gleichzeitiger Einsicht in die Verpflichtung zu einer engen europäischen Zusammenarbeit zum Schutz dieser Identität gegenüber allen inneren wie äußeren Bedrohungen. Besonders begrüßenswert ist dabei, daß dem bislang den Konservativen zu Recht oder zu Unrecht zugeschriebenen nationalistischen Souverainismus ein deutlicher Riegel vorgeschoben wurde und es der gemeinsamen Erklärung eben nicht um Auflösung der EU und der Rückkehr zu einem Flickenteppich von 40 Mittel- und Kleinstaaten geht, sondern eher um die kreative Umgestaltung der europäischen Institutionen. Die sich daraus ergebenden Perspektiven sind vielfältig und bedürfen wohl einer intensiven Analyse, um effizient umgesetzt werden zu können. Hierbei sehe ich bei folgenden Punkten besonderen Handlungsbedarf.
Ein erster und sicherlich zentraler Punkt ist die Frage nach der moralischen Grundlage der Gesellschaft, welche wir schaffen möchten, wobei sich zwei Pole abzeichnen, die in der französischen und der polnischen Position extreme Vertreter finden: Auf der einen Seite die republikanische Laizität, auf der anderen Seite der Gedanke der christlichen Zivilisation. Beide scheinen auf den ersten Blick unvereinbar, und doch denke ich, daß eine Zusammenführung aus verschiedenen Gründen im Bereich des Möglichen liegt. Zum einen zeigt das völlige Scheitern der französischen Bemühungen um Integration muslimischer Parallelgesellschaften, daß eine staatliche Werteneutralität eben nicht der Festigung der eigenen, sondern vielmehr der fremden Identität in die Hände spielt, indem es jahrhundertealte Traditionen schwächt und kulturfremde Gruppen unmittelbar in einen Rang erhebt, der ihnen nicht zusteht. Zum anderen wird dadurch aber auch deutlich, daß alles, was an den republikanischen „Werten“ wirklich Sinn und Zweck hat, sich letztlich aus der vorrepublikanischen und christlichen Tradition speist:
Moderne Werte sind, wie Chesterton bereits bemerkte, nichts anderes als „wildgewordene“, da beziehungs- und maßlose christliche Werte;
eine entsprechende Beschneidung dieses Wildwuchses könnte also durchaus eine neue Harmonie herstellen.
Ein zweiter Punkt ist sicherlich die Frage nach der außenpolitischen Orientierung Europas. Auch hier scheint auf den ersten Blick ein grundlegendes Problem zu bestehen im Gegensatz zwischen amerikanischer Westorientierung und russischer, ja gar eurasischer Ostorientierung. Man sollte diese Gegensätze zwar nicht klein reden, wenn auch zu bedenken ist, daß der an den USA teils naiv verherrlichte Liberalismus dabei ist, sich selbst zu zerstören, während der scheinbare russische Traditionalismus oft genug nur eine hübsche Fassade für erheblich weniger appetitliche oligarchische Machtspiele darstellt. Doch mir scheint, daß dieser Konflikt v.a. einen Streit um die europäische Seele selbst darstellt und dementsprechend zuerst im Inneren gelöst werden soll, bevor er es durch Einbeziehung einer fremden Macht wird:
Europas größtes Ziel sollte es sein, seine Machtpolitik eben nicht in Anlehnung an seine Nachbarn zu gestalten, sondern frei und autonom – gerade in einer solchen Rückbesinnung auf die ureigene Aufgabe als Weltmacht und nicht bloß Satellit liegt denn auch der Schlüssel zum Überwinden des Gegensatzes von Ost und West.
Ein weiterer Diskussionspunkt ist das Verhältnis zum Islam. Die Islamisierung vieler westeuropäischer Groß- und Mittelstädte ist keine Verschwörungstheorie, sondern eine alltägliche Realität, ebenso wie das Ausscheren jener Parallelgesellschaften aus dem allgemeinen abendländischen Kontext. Trotzdem wäre es falsch, hier nur einen Gegensatz zwischen Abendland und Islam zu sehen, denn jene politischen Kräfte, welche aus Berechnung oder falschverstandener Toleranz eine muslimische Masseneinwanderung befördert und ihre Integration vereitelt haben, sind das wahre Problem bei der Migrationsfrage.
Auch ist es so, daß viele Muslime im Bereich der Werte mehr mit traditionellen Christen gemein haben als mit vielen „woken“ Bürgern,
so daß es falsch wäre, wie viele angeblich konservative Westeuropäer verlangen, den Islam im Namen einer ultraliberalen, angeblich westlichen Mehrheitskultur zu bekämpfen, die selber doch der ärgste Feind des wahren Abendlandes ist. Daher gilt es, zum einen Migration zu beschränken und zurückzubauen, zum anderen aber, Integration durch Stärkung der europäischen und christlichen Tradition als Leitkultur und nicht etwa eines völlig inhaltleeren Laizismus zu erstreben.
Dies leitet zu einem vierten Punkt über, nämlich dem grundlegenden Unterschied zwischen der politisch-kulturellen Konstellation Ost- und derjenigen Westeuropa, der jeweils eine ganz andere taktische Herangehensweise erfordert. Im Osten erfreut sich der Konservatismus einer breiten Beliebtheit und hat einen traditionellen und patriotischen Lebensrahmen bewahren können, den es zu schützen und zur Basis für eine Rückeroberung des Westens auszubauen gilt, der seinerseits in einem überaus schlechten Zustand ist. Ost und West müssen zusammenarbeiten: Der Osten muß dem Westen seine politische Hilfe anbieten; der Westen muß bereit sein, die im Osten gängigen Vorstellungen in sein eigenes Programm einfließen zu lassen, um eine solidarische konservative Bewegung aufzubauen. Und damit der Osten stark genug ist, sich dem wachsenden Druck der EU zu widersetzen, ist es notwendig, daß die Visegrad-Allianz zunehmend in das Trimariumsgebiet hineinwächst und hier eine auch institutionell zunehmend verfestigte Alternative zum Brüsseler Zwangskorsett schafft, das fähig ist, es auch mit der Achse Berlin-Paris aufzunehmen.
Als einen vorletzten Punkt wollen wir den sozialen Bereich erwähnen. Oft genug scheinen Kulturkonservatismus und Wirtschaftsliberalismus untrennbar zu sein, wie wir am Duktus vieler nicht nur westeuropäischer konservativen Parteien sehen. Und doch ist es so,
daß der Liberalismus in sich bereits die Früchte seiner eigenen Radikalisierung und Zersetzung birgt, und die politische Linke sich ausgezeichnet mit dem ultraliberalen Wirtschaftssystem arrangiert hat, wie das kuriose Zusammenspiel von sozialistischen Forderungen und Big Business beweist.
Gerade angesichts der sich immer weiter öffnenden Schere zwischen Reich und Arm und der faktischen Verhärtung einer neuen Klasse von Superreichen sollte soziales Engagement zu einem Kernelement konservativen Denkens werden, wobei sich in der christlichen Soziallehre und dem Ansatz des Korporatismus das einzige glaubwürdige Gedankengerüst bietet, eine konservative Wirtschaftsordnung zu skizzieren und den Miliardärssozialismus zu bekämpfen.
Der letzte Punkt schließlich betrifft die Rolle Deutschlands. Gegenwärtig hat keine deutsche Partei die Gemeinsame Erklärung unterzeichnet, was eine empfindliche Lücke inmitten des europäischen politischen Gefüges darstellt. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Allen voran steht natürlich die ideologische Instabilität der deutschen AfD, ferner das Narrativ von der Ausbeutung des „Nettozahlers“ Deutschlands durch seine EU-Nachbarn, dann die überraschende Forderung nach einem deutschen EU-Austritt, und schließlich eine offensichtliche Russophilie, die mitsamt einer manchmal fragwürdigen Interpretation der eigenen Geschichte bei den östlichen Nachbarn für Irritation sorgen kann. Und trotzdem: Ebenso, wie Europa nicht ohne Deutschland denkbar ist, muß auch der europäische Konservatismus hier ebenfalls solidarisch Präsenz zeigen. Es steht daher zu hoffen, daß gerade der gemeinsame freundschaftliche Austausch mit den anderen konservativen europäischen Parteien mittel- bis langfristig in Deutschland zu einer gewissen Stabilisierung und ideologischen Angleichung an die Nachbarn zu führen.
Wie man sieht,
ist die „Gemeinsame Erklärung“ also eher als Anfangszeichen eines gemeinsamen Kampfes um eine innere Linie denn als ein Schlußpunkt zu verstehen, und es wäre verkehrt,
sich gegenwärtig auf den Lorbeeren dieses Dokuments ausruhen zu wollen: Mehr denn je tut Eile not, aber auch die Bereitschaft zum Kompromiß und zum gegenseitigen Verständnis, will man verhindern, daß der erpresserische Druck aus Brüssel auch im Osten einen wahltechnischen Umsturz schafft und somit die letzten Bastionen konservativer Regierungsführung schleift.