Österreich – Nach den von der Antikorruptionsstaatsanwaltschaft angeordneten Durchsuchungen am Mittwoch, 6. Oktober, nicht nur in der Zentrale der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) und bei der Gratis-Tageszeitung Österreich, sondern auch im Finanzministerium und vor allem im Bundeskanzleramt – erstmalig in der Geschichte des Landes! – hat sich der Skandal um die Partei des „Lieblingseidams“ der österreichischen Politik – der nun beschuldigt wird, das in die Tat umgesetzt zu haben, wovon sein ehemaliger Vizekanzler Hans-Christian Strache auf Ibiza nur so geträumt hatte – hat sich schnell zu einer großen Regierungskrise ausgeweitet.
Druck der Opposition auf die Grünen zwang den Kanzler zum Einlenken
Für die Gegenseite ist die Partitur einfach und im voraus festgelegt. Es ist die gleiche wie überall sonst, sobald eine Regierungspartei in einen Skandal verwickelt ist. Die SPÖ (Sozialisten), die FPÖ (Patrioten) und die NeOs (Liberale), die normalerweise durch alles getrennt sind, fanden schnell einen Weg zueinander und forderten – wie viele Demonstranten in den letzten Monaten bezüglich der Covid-Beschränkungen – den raschen Rücktritt von Sebastian Kurz von seinem Amt als Bundeskanzler, frei nach dem Motto: „Kurz muss weg!“ Da die ÖVP jedoch – noch – geschlossen hinter ihrem Vorsitzenden stand, richtete sich der Druck rasche auf den Juniorpartner der Konservativen in der Regierungskoalition, nämlich auf die Grünen, die – solange sie in der Opposition waren – nie aufgehört hatten, das System Kurz anzuprangern, mit dem sie sich nun verbündet haben. Sie standen somit vor dem Dilemma, Kurz auf Kosten ihres eigenen Ansehens zu unterstützen oder durch ein Ende der Koalition eine Regierungskrise zu provozieren. So forderte Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) die ÖVP vor kurzem auf, einen anderen Kanzler an die Stelle von Kurz zu setzen.
Ein Rücktritt als taktischer Rückzug
Und so verkündete Kurz selbst am 9. Oktober um 19.30 Uhr live im ORF: „Sie haben alle mitbekommen, dass in den letzten Tagen strafrechtliche Vorwürfe gegen mich erhoben worden sind.
Diese Vorwürfe stammen aus dem Jahr 2016. Sie sind falsch. Und ich werde das auch aufklären können, davon bin ich zutiefst überzeugt.
Es ist etwas, das viele Spitzenpolitiker schon erleben mussten. Im Inland und im Ausland.
Was diesmal anders ist, ist, dass der Koalitionspartner sich dazu entschlossen hat, sich klar gegen mich zu positionieren.
[…] ich persönlich wäre auch dankbar, wenn die Unschuldsvermutung wirklich für alle Menschen im Land gelten würde. […] In dieser durchaus kritischen Phase wäre es meiner Meinung nach unverantwortlich in Monate des Chaos oder auch des Stillstands zu schlittern.
Und genauso wäre es – das ist nur meine Sicht der Dinge – auch unverantwortlich die Regierungsverantwortung in eine Vierparteienkoalition [SPÖ, FPÖ, Grüne und NeOs, AdR.], ein Experiment zu übergeben, das dann am Ende des Tages auch noch von Herbert Kickls [der FPÖ-Obmann, AdR.] Gnaden abhängig ist.
[…] Ich möchte daher, um die Pattsituation aufzulösen, Platz machen, um Chaos zu verhindern und Stabilität zu gewährleisten. Ich habe das Regierungsteam der Volkspartei ersucht, die Arbeit unbedingt fortzusetzen. Und ich habe als Obmann der Volkspartei […] den Bundespräsidenten Alexander Schallenberg als neuen Regierungschef vorgeschlagen.“
Kurz zieht weiterhin die Fäden in der ÖVP
Sebastian Kurz ist also als Bundeskanzler zurückgetreten, um den Klub seiner Partei im Nationalrat zu leiten, während Außenminister Alexander Schallenberg Bundeskanzler werden soll. Ansonsten bleibt praktisch alles beim Alten, die Koalition mit den Grünen wurde gerettet.
Diese Einigkeit ist jedoch nur Fassade, denn nur weil die Grünen im Begriff waren, mit der Opposition für ein Misstrauensvotum zu stimmen, sahen sich die Konservativen gezwungen, Sebastian Kurz zurückzuziehen, ein Rückzug, der im Übrigen recht relativ ist:
Als Fraktionsvorsitzender und noch immer Parteiobmann wird er weiterhin de facto fast alle Fäden in der ÖVP ziehen und vielleicht sogar die Regierung unter der Hand führen. Ein Zustand, den SPÖ-Obfrau Pamela Rendi-Wagner und FPÖ-Obmann Herbert Kickl einmal mehr unisono anprangern. Fortsetzung folgt.