Dieser Artikel ist am 9. Februar 2022 in Valeurs Actuelles erschienen.
Die größten konservativen Parteien in Europa haben gerade eine Einigung erzielt, die sich bald in einem politischen Bündnis im Europäischen Parlament manifestieren könnte. Aber kann sich aus der gegenwärtigen Fundamentalopposition jene grundlegende Reform entwickeln, welche die europäischen Institutionen so dringend brauchen, fragen sich David Engels, Professor an der Freien Universität Brüssel und am Instytut Zachodni in Posen (Poznań), und Krzysztof Tyszka-Drozdowski, Analyst in einer polnischen Regierungsbehörde, die sich mit Industriepolitik befasst.
Die größten konservativen Parteien Europas haben endlich eine grundsätzliche Einigung über ihre Werte und ihre zukünftige Zusammenarbeit erzielt – eine Einigung, die sich bald in einem politischen Bündnis im Europäischen Parlament manifestieren könnte. Zwar könnte diese Allianz zu einer der stärksten Gruppierungen im Parlament werden, doch angesichts der derzeitigen politischen Konstellation besteht wenig Hoffnung, endlich den „Cordon sanitaire“ zu durchbrechen und den Weg von einer Fundamentalopposition zu jener grundlegenden Reform zu öffnen, die die auseinanderdriftenden europäischen Institutionen so dringend benötigen.
Sicherlich zeigen Polen und Ungarn von Tag zu Tag, welche Erfolge eine patriotische und konservative Regierung erzielen kann, aber der Druck, dem sie ausgesetzt sind, ist so groß, dass ihr Einfluss auf die Entwicklung in Europa begrenzt bleibt. Ein Wahlsieg des Rassemblement National (oder der Bewegung Éric Zemmours) in Frankreich bzw. der beiden konservativen Parteien in Italien könnte hingegen wie eine Lawine wirken. Natürlich werden der Deep State und die politisch-korrekten Eliten, genau wie einst in den USA nach der Wahl von Donald Trump, alles daran setzen, eine solche Regierung zu sabotieren, und vor allem in Frankreich wird es schwierig sein, ohne parlamentarische Mehrheit eine echte Veränderung herbeizuführen. Dennoch wäre die Erschütterung der globalistischen Ordnung beträchtlich, vor allem, wenn sie von einer engen Zusammenarbeit mit den anderen konservativen Parteien und Regierungen in Europa begleitet sein würde.
Im Falle Frankreichs würde dies vor allem bedeuten, sich stärker Polen zuzuwenden – endlich, wäre man versucht zu sagen, denn das relative Desinteresse der konservativen französischen Eliten an der derzeitigen polnischen Regierung ist ein schwerer taktischer Fehler. Was könnten die Herausforderungen und Perspektiven einer solchen potenziellen Zusammenarbeit zwischen der polnischen PiS und der patriotischen Rechten in Frankreich sein, vor allem angesichts der derzeitigen doppelten patriotischen Präsidentschaftskandidatur in Frankreich und der ideologischen Unsicherheit, die sich dort gerade verbreitet?
Interne Entwicklung
Lange Zeit waren die europäischen Konservativen so gespalten, dass es berechtigt ist, sich zu fragen, ob selbst der Begriff „konservativ“ überhaupt noch eine Bedeutung hat. Souveränismus gegen Okzidentalismus, Russophilie gegen Atlantismus, Christentum gegen Säkularismus, Liberalismus gegen christlichen Sozialismus – der Konservatismus ist eine eigene Welt mit vielen inneren Spaltungen, die oftmals stärker ausgeprägt sind als die weitgehend vorgetäuschten Divergenzen zwischen der „Linken“ und der politisch-korrekten „Rechten“. Wird es möglich sein, diese historischen Spaltungen zu überwinden, die oftmals durch alte geschichtliche Ressentiments zwischen Fraktionen, Parteien und Staaten verschärft werden? Ja, aber es gibt einen Preis zu zahlen: Es gilt, endlich eine Reihe von Ressentiments (und Hoffnungen) zu begraben, um alle Energien auf jene Punkte zu konzentrieren, die für einen politischen Sieg entscheidend sind.
Polen ist ein hervorragendes Beispiel für diesen Ansatz, und die ideologischen Entscheidungen der derzeitigen Regierung sollte man als realistische und pragmatische Inspiration für andere konservative Parteien in Europa ansehen.
So hat sich Polen für den Eurorealismus entschieden: Anstatt eine Auflösung der Europäischen Union anzustreben (was nur zum Wiederaufleben der alten politischen Asymmetrien in Europa führen würde und zudem bei den Bürgern höchst unpopulär wäre), setzt Polen lieber auf eine grundlegende Reform der Institutionen und hält die Zusammenarbeit in Bereichen wie Verteidigung, Migrationspolitik, Infrastruktur, Verbrechensbekämpfung, Forschung oder der Vereinheitlichung legaler und wirtschaftlicher Normen für wesentlich.
Im Bereich der Identität betont Polen die Bedeutung des christlichen Erbes und betrachtet den Laizismus, wie er in Frankreich praktiziert wird, d.h. mit einem klar antichristlichen und islamophilen Blickwinkel, als Sackgasse: Nur die Verteidigung einer starken nationalen Kultur, die in einer positiven Haltung gegenüber den spirituellen Werten der Vergangenheit verankert ist, kann die aus der multikulturalistischen Doktrin resultierende Atomisierung verhindern. Im wirtschaftlichen Bereich schließlich besteht Polen auf der Verpflichtung des Staates, die Bürger vor den Auswüchsen des Ultraliberalismus zu schützen, und hat ein umfassendes Sozialprogramm zum Schutz der Unter- und Mittelschicht aufgelegt.
Rechnet man noch eine äußerst klare Haltung zu Migration, LGBTQ-Ideologie, Abtreibung, Natalismus und Euthanasie hinzu, so wird schnell klar, dass die polnische Regierung bereits seit vielen Jahren eine Politik betreibt, die in vielen Punkten den Forderungen der französischen Konservativen entspricht. Ein vertieftes Bündnis zwischen der stärksten Kraft der französischen Rechten und der polnischen Regierungspartei könnte daher für beide Seiten höchst interessant sein, um einen starken Motor für das neue Bündnis der europäischen Konservativen zu bilden.
Politisches Gleichgewicht in Europa
Auf den ersten Blick sollte die französische Rechte also vieles mit den polnischen Konservativen verbinden. Wir sind uns über die Misserfolge der Europäischen Union einig. Wir sind uns in der Frage der Einwanderung einig. Wir sind uns einig, dass der Liberalismus, wie John Milbank es ausdrückt, ein anthropologischer Fehler ist, da die Gemeinschaft Vorrang vor den Wünschen des Einzelnen haben muss, die heute zum Absoluten erhoben werden. Wir stimmen darin überein, dass sich der Einzelne nur durch die Gemeinschaft und nicht außerhalb ihrer voll entfalten kann, dass das Glück von der eigenen Verwurzelung in der Tradition abhängt, während Entwurzelung und Verleugnung der Vergangenheit es untergraben. Doch trotz dieser Gemeinsamkeiten gibt es nicht nur einen Zankapfel – Russland –, sondern einen zweiten: Deutschland.
Die Russlandfrage ist offensichtlich: Viele französische Intellektuelle pflegen eine romantische Vorstellung von Russland, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht und durch den patriotischen Konservatismus von Wladimir Putin genährt wird. Es stimmt zwar, dass dieser ideologisch auf den ersten Blick eher mit einer traditionalistischen Weltsicht übereinstimmt als die von der derzeitigen US-Regierung verfolgte Politik, aber die Franzosen täten gut daran, nicht die Augen vor der dunklen Seite von Putins Regierung zu verschließen, deren Korruption jedem Vergleich spottet, unter der Dissidenten nicht nur ihrer Twitter- und Facebook-Accounts, sondern auch ihrer Freiheit beraubt werden, und die eine expansionistische und hegemoniale Agenda verfolgt, die sich klar gegen die Unverletzlichkeit der Grenzen richtet, die für das europäische Gleichgewicht so grundlegend sist – und für das Überleben von Staaten wie Polen, Weißrussland, die Ukraine und die baltischen Länder so überlebenswichtig. Ein Kompromiss zwischen dem polnischen und dem französischen Konservatismus ist daher nur auf der Grundlage einer Äquidistanz zwischen Ost und West möglich.
Diese Äquidistanz stößt auf den zweiten Zankapfel: Deutschland. Es ist unbestritten, dass Deutschland (wieder) zur Hegemonialmacht in Europa geworden ist. Nun ist der größte Verbündete Russlands in Europa nicht Frankreich, sondern Deutschland. Nur ein Beispiel, das jüngste: Es war nicht Frankreich, das Nord Stream II gebaut hat. Es stimmt, dass die Franzosen eine romantische Vorstellung von Russland haben, aber die französische Elite lebt vor allem in einer Illusion über Deutschland. Das „deutsch-französische Paar“ („couple franco-allemand“) ist ein Ausdruck, der nur im Hexagon verwendet wird; die Deutschen benutzen ihn nie.
So war es das Deutschland Angela Merkels, das die Dublin-Verordnung für Einwanderer sprengte, als die Kanzlerin, ohne jemanden zu fragen – und vor allem ohne die europäischen Völker zu berücksichtigen –, jene Welle von Einwanderern ins Land holte, die Europa überschwemmte; es war das Deutschland Merkels, das die von Bruno Le Maire vorgeschlagene europäische Steuer auf digitale Giganten ablehnte, um eine Erhöhung der Zölle auf deutsche Autos zu verhindern; es war das Deutschland Merkels, das eine Sparpolitik durchsetzte, die den Süden des Kontinents nachhaltig ruiniert, um von einem unterbewerteten (deutschen) Euro profitieren und seine industrielle Hegemonie durchsetzen zu können; es ist Deutschland, das gerade dabei ist, Europa seine grün-linke ideologische Agenda über Ursula von der Leyens „Green Deal“ aufzuzwingen, usw.
Natürlich darf man nicht in die Falle des Nationalismus tappen, denn die deutsche Hegemonie über Europa hat die Besonderheit, dass ein großer Teil der Deutschen vielmehr davon überzeugt ist, von eben diesem Europa ausgebeutet zu werden, und sogar so weit geht, dass er den Austritt aus der EU wünscht.
Sie haben nicht Unrecht: Die gewaltige politische und wirtschaftliche Macht, die die deutsche Elite auf sich vereint, kommt nicht etwa dem deutschen Bürger zugute, dessen Medianvermögen weit unter dem der meisten seiner Nachbarn liegt, sondern treibt eine wirtschaftspolitische Maschinerie an, die weit von den Normalsterblichen entfernt ist. So wird der deutsche Steuerzahler zwar zur Finanzierung der EU-Subventionen herangezogen, die größtenteils an Staaten im Osten der EU gezahlt werden – doch die dort erwirtschafteten Überschüsse fließen nicht nur größtenteils nach Deutschland zurück, sondern bereichern hier vor allem Banken, multinationale Konzerne und Holdings, die diese Gewinne wiederum außerhalb Europas in Sicherheit bringen.
Daher ist es für die europäischen Konservativen höchste Zeit, diese Asymmetrie anzuerkennen und zu versuchen, sie zu lösen. Da in der gegenwärtigen politischen Situation eine freiwillige Umstrukturierung der deutschen Wirtschaft ausgeschlossen scheint, täte Frankreich gut daran, sich auf die ewige französische Tradition zu besinnen, die sich vom Ancien Régime bis de Gaulle bemühte, dass Europa niemals unter die Hegemonie einer einzigen Macht falle. Frankreich hatte den größten Einfluss auf die Ereignisse auf dem Kontinent, als es Staaten um sich scharte, die frei bleiben und nicht die Hegemonie eines anderen tolerieren wollten. Heute muss diese Politik neu erneuert werden. Frankreich ist zu schwach, um alleine über das Schicksal des Kontinents zu entscheiden, ebenso wie die mitteleuropäische Koalition. Ein Bündnis zwischen Paris und den kleinen und mittleren Nationen aber würde ein Europa der Vaterländer wiederherstellen, in dem Deutschland einen Platz finden kann, der sowohl dem Machtgleichgewicht förderlicher als auch dem Steuerzahler gegenüber gerechter wäre.
Wiedererlangung der wirtschaftlichen, digitalen und energiepolitischen Souveränität
Die Idee der europäischen Souveränität gehört nicht Macron. Sie ist eine gaullistische Idee, denn wir müssen in de Gaulle den wahren Vater des vereinten Europas sehen, mehr noch als in denjenigen, die wir nach amerikanischer Manier als „Gründerväter“ gefeiert haben. Heute sollten alle intelligenten europäischen Populisten und Konservativen Gaullisten sein.
Europa wird nicht zu einer unabhängigen geopolitischen Macht werden, solange es seine Souveränität im Energie-, Industrie- und digitalen Bereich nicht wiedererlangt. Diese Souveränität stößt jedoch auf ideologische Barrieren. Die Kernenergie, die das schnellste Mittel zur Dekarbonisierung ist – wie die Erfahrungen Frankreichs oder Südkoreas gezeigt haben – weckt immer noch Ängste, die durch einen um 50 Jahre veralteten grünen Radikalismus genährt werden. Fortschritte im Bereich der Kernenergie werden durch eine ideologische Hysterie gebremst, die durch die Erklärungen der Regierungen Merkel und Scholz sanktioniert wird. Ein neuer „Green Deal“ muss auf Entwicklung und Modernisierung ausgerichtet sein, nicht auf die Zerschlagung der europäischen Industrie und die Senkung des Lebensstandards.
Wir müssen uns gegen eine lebensfeindliche Umweltschutzpolitik wehren, die uns nicht nur den europäischen Lebensstil nehmen, sondern auch alle Entwicklungskräfte ersticken will. Gleichzeitig müssen wir uns bewusst machen, dass die postindustrielle Wirtschaft ein Mythos ist und dass jeder, der an sie glaubt, sich selbst zur Schwäche verurteilt. Deutschland hat nie daran geglaubt, es hat seine industrielle Basis bewahrt, und von ihr leitet sich seine wirtschaftliche Stärke ab, auch wenn diese zunehmend durch die suizidale Ideologie der Grünen und der Linken in Frage gestellt wird, die nicht nur das Ende Deutschlands selbst, sondern ganz Europas einläuten würde. Eine durchdachte Reindustrialisierungspolitik auf kontinentaler Ebene, die mit einer breiten Zusammenarbeit bei Großprojekten verbunden ist, ist eine Voraussetzung für die europäische Souveränität. Um diese wiederherzustellen, müssen die europäischen Hersteller durch Anreize und verbindliche Maßnahmen nach Europa zurückgeholt werden. Dabei geht es nicht nur um Wirtschaftswachstum, sondern auch um Sicherheit. Während der Krise des China-Virus haben wir erlebt, was es bedeutete, die Lieferketten nach Asien zu verlagern: keine Masken, keine wichtigen Medikamente. Es stellte sich sogar heraus, dass es in Europa nicht einmal eine einzige Fabrik für Paracetamol gab.
Die Wiedererlangung der digitalen Souveränität wird nicht nur durch eine höhere Finanzierung von Forschung und Entwicklung und die Schaffung eines europäischen Netzwerks für die Zusammenarbeit in diesen Bereichen erfolgen. Es muss ein vernünftiger Protektionismus vorgeschlagen werden, ohne den die europäischen Äquivalente der GAFAM (Big Five) nie entstehen können.
Parallel zu einem Protektionismus, der auf die Schaffung europäischer Digitalriesen abzielt, muss die Situation der europäischen Arbeitnehmer überdacht werden. Der Abwärtsdruck auf die Löhne wird nicht aufhören, wenn wir die Einwanderung nicht stoppen. Die europäischen Arbeitnehmer müssen unsere Priorität sein, deshalb soll eine europäische Präferenz eingeführt werden: Diejenigen, die in Europa geboren wurden, deren Väter unsere Zivilisation aufgebaut haben, müssen auch das Recht haben, ihre Zukunft zu gestalten.
Die Vorteile eines europäischen konservativen Bündnisses, das sich auf die Achse Paris-Warschau konzentriert, scheinen daher offensichtlich, und es wäre zu wünschen, dass nicht nur konservative Politiker, sondern auch konservative Intellektuelle und Akademiker ihre Kontakte vertiefen und einen bilateralen Austausch initiieren, der in konkrete strategische Projekte mündet. Wir sind davon überzeugt, dass das polnische Modell als Inspiration dienen könnte, um die internen Meinungsverschiedenheiten innerhalb der patriotischen Rechten in Frankreich zu klären.
Einer der dringendsten Punkte einer solchen Kooperation wäre die Vertiefung der Zusammenarbeit im medialen und akademischen Bereich, da auf beiden Seiten die Meinungen über die konservativen Nachbarpartner nach wie vor stark von Vorurteilen und Diffamierungen dominiert werden, die von den eindeutig links orientierten Mainstream-Medien und den ebenfalls voreingenommenen akademischen „Experten“ verbreitet werden: Der Bürger kann die Wahrheit über die wahre Natur und die wichtigsten Akteure der zeitgenössischen Herausforderungen nur dann richtig einschätzen, wenn er über qualitativ hochwertige und ideologisch unverzerrte Informationen verfügt.
Wir europäischen Konservativen haben zu lange gewartet und zu viele Gelegenheiten verpasst. Wir alle wissen, dass wir die Herausforderungen der multipolaren Welt nur dann bewältigen können, wenn wir geeint sind. Wir können uns weder auf der Grundlage ideologischer Illusionen noch auf der Basis falscher Berechnungen zusammenschließen. Es wäre naiv zu glauben, dass uns nichts trennt. Es wäre jedoch ein großer Fehler, das Potenzial dessen, was uns vereint, nicht zu erfassen.
David Engels und Krzysztof Tyszka-Drozdowski
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Von der Visegrád Post aus dem Französischen übersetzt.