Ungarn – Am 5. März veröffentlichte das regierungsnahe Nézőpont-Institut die Ergebnisse einer Meinungsumfrage zu den Positionen der ungarischen Wähler zum russisch-ukrainischen Konflikt. Die Umfrage wurde zwischen dem 28. Februar und dem 2. März telefonisch unter einer Gruppe von 1000 aktiven Wählern durchgeführt, wobei Kriterien wie Alter, Region, Art der bewohnten Gemeinde und Bildungsniveau berücksichtigt wurden. Für diese Umfrage weist Nézőpont eine maximale Fehlerquote von 3,16% bei einem Vertrauensniveau von 95% aus.
Laut dieser Umfrage denken 61% der ungarischen Wähler, dass Viktor Orbán die ungarischen Interessen am besten vertrete, während nur 10% der Wähler glauben, dass der Kandidat der vereinigten Opposition Péter Márki-Zay diese Rolle am besten ausfülle.
Der Oppositionskandidat kann übrigens auch im eigenen Lager nicht viel mehr überzeugen: Nur 43% der Wähler, die ihn als Ministerpräsidenten haben wollen, glauben, dass er die ungarischen Interessen am besten vertreten würde. Diese Zahl sinkt sogar auf 25% in der breiteren Gruppe der Oppositionswähler – eine Gruppe, in der 18% der Befragten glauben, dass Viktor Orbán am besten geeignet sei, die ungarischen Interessen zu vertreten.
Die Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine bewegt die öffentliche Debatte in Ungarn seit Beginn des russisch-ukrainischen Konflikts, wobei der Ministerpräsident dagegen ist, während Péter Márki-Zay zumindest unklare Aussagen zu diesem Thema gemacht hat. Aus der Umfrage geht hervor, dass 80% der ungarischen Wähler gegen Waffenlieferungen an die Ukraine sind, während 15% der Wähler sie befürworten. 92% der Fidesz-Wähler und 62% der Oppositionswähler sind gegen die Lieferung von Waffen an die Ukraine. In diesem Punkt ist die Kluft zwischen Fidesz- und Oppositionswählern deutlich: 5% der Fidesz-Wähler sind für eine Waffenlieferung an die Ukraine, während 27% der Optionswähler diesen Gedanken unterstützen.
Darüber hinaus hat das Meinungsforschungsinstitut Publicus (das linken Kreisen nahesteht) gerade eine von dem sozialistischen Europaabgeordneten István Újhelyi in Auftrag gegebene Umfrage veröffentlicht, die sich vehement gegen die Politik der Ostöffnung der Orbán-Regierung wendet, obwohl er selbst in der Vergangenheit Verbindungen zu China hatte. Die Umfrage wurde zwischen dem 3. und 14. Februar, also vor der russischen Militärintervention in der Ukraine, unter einem Panel von 2006 Befragten durchgeführt.
Laut dieser Umfrage stimmten 67% der Befragten „eher der Aussage zu, dass Viktor Orbán und seine Regierung die europäische Einheit untergraben, indem sie den Interessen des russischen Präsidenten Putin dienen und damit die Sicherheit Europas und Ungarns gefährden.“ Eine wichtige Nuance: Nur 10% der Fidesz-Wähler stimmen dieser Aussage zu, während 90% der Oppositionswähler es tun. 53% der Befragten meinen, dass die derzeitige Außenpolitik der Regierung in erster Linie den Interessen Russlands dient (vor einem Jahr waren es nur ein Viertel, die diese Aussage bejahten).
Es folgt eine Reihe von Selbstverständlichkeiten: 84% der Befragten messen – unter den EU-Werten – dem Frieden und der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten große Bedeutung bei. 82% der Befragten stimmen der Aussage zu, dass Ungarn von seinen Werten her zum Westen gehört und dass man sich in Zukunft dem Westen annähern sollte. 88% der Befragten stimmten der Aussage eher zu, dass die NATO-Mitgliedschaft Ungarns Sicherheit für das Land bedeute, weshalb die Zusammenarbeit innerhalb der NATO von entscheidender Bedeutung sei. Schließlich stimmten 71% der Befragten der Aussage eher nicht zu, dass es im Interesse Ungarns sei, sich Russland anzunähern und sich von der EU und den USA zu entfernen.
Was sollte man daraus lernen?
Die regierungsfreundlichen Medien präsentieren die Ergebnisse der Umfrage des Nézőpont-Instituts als Beweis für den Erfolg der Regierungsarbeit. Die „unabhängigen“ Medien verkaufen die Ergebnisse der Publicus-Umfrage als Desavouierung der Regierungspolitik. Diese politische und mediale Konfrontation ist natürlich, verfehlt aber das Wesentliche.
Auf den ersten Blick widersprüchlich, sind die Ergebnisse der beiden Umfragen in Wirklichkeit kohärent und liefern Informationen über den „ungarischen Charakter“ im internationalen Spiel, wodurch eine Reihe von Missverständnissen ausgeräumt wird.
Die Politik der ungarischen Regierung seit 2010 bestand nie darin, die Zugehörigkeit Ungarns zum euro-atlantischen Block in Frage zu stellen.
Es war auch nicht überraschend, dass Ungarn sich hinter das Konzert der Sanktionen und Verurteilungen als Reaktion auf die russische Militärintervention in der Ukraine gestellt hat – eine Haltung, die in der Bevölkerung breite Unterstützung fand. Zu glauben, dass Ungarn seit 2010 versucht, sich von diesem politischen und militärischen Block zu trennen und stattdessen einem Block beizutreten, der von östlichen Partnern regiert wird, ist absurd bzw. böswillig. In diesem Punkt ist die Analyse des Journalisten András Hont, der sowohl die Regierung als auch die Opposition kritisiert, unserer Meinung nach am stichhaltigsten.
Es ist durchaus möglich, die russische Militäroperation zu verurteilen und eher gegen eine Annäherung an Russland zu sein, und gleichzeitig festzustellen, dass die Energiepolitik der Regierung seit 2012 es den Ungarn (noch) ermöglicht, von heftigen Schwankungen der Energiepreise verschont zu bleiben. Frankreich – dessen ein Minister dennoch von einem „totalen Wirtschaftskrieg gegen Russland“ sprach, bevor er seine Äußerungen zurücknahm – zahlt beispielsweise weiterhin seine Gasrechnungen an Russland, wohl wissend, dass ein plötzlicher Ausstieg aus den Verträgen mit seinen russischen Lieferanten eine echte Katastrophe für die französischen Haushalte darstellen würde.
Viktor Orbáns Projekt bestand nie darin, sich auf eine Alternative zur Mitgliedschaft Ungarns im euro-atlantischen Block einzulassen. Dieses Projekt bestand lediglich darin, die Schwäche dieses Blocks zu betonen, um in der Lage zu sein, gewisse Zugeständnisse zu erhalten. Das bedeutet nicht, dass die Ungarn nicht an diesem Block hängen, sondern nur, dass viele von ihnen die Schwächen des Blocks erkennen. Diese Schwächen tendieren sogar zu Masochismus, wenn man die Auswirkungen der Sanktionen gegen Russland auf die europäischen Volkswirtschaften in Betracht zieht.
Insgesamt sind die Ungarn kein „geopolitisches Volk“ mehr. Dies erklärt zum Teil, warum Ungarn unter den ost- und mitteleuropäischen Ländern am wenigsten scharf gegen Russland vorgeht. Seit 1920 glauben die Ungarn nicht mehr an die schönen Reden über das „Selbstbestimmungsrecht der Völker“. Sie haben eine desillusionierte Sicht auf die internationalen Beziehungen und sind sich sehr wohl bewusst, dass ihr Land jederzeit dem Spiel der Großmächte zum Opfer fallen kann.