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Ungarn: Telex oder der Woke-Journalismus, der nach der Diktatur schreit

Lesezeit: 3 Minuten

Dieser Artikel ist am 11. März 2022 auf dem Portal des OJIM erschienen.

Das Nachrichtenportal Telex entstand im Oktober 2020 als Abspaltung von Journalisten, die für index.hu arbeiteten – das jahrelang das führende Portal der Liberalen in Ungarn war, auf das regierungsnahe Kreise im Sommer 2020 eine Übernahmeoperation starteten. Aufgebaut von einer der führenden Figuren in der Redaktion von index.hu, der Journalistin Veronika Munk, und ihrem Mann, der ebenfalls Schlüsselpositionen in der Redaktion von index.hu innehatte, wurde die Seite innerhalb weniger Wochen zum neuen Referenzportal für Liberale, Progressisten und die trendbewusste „Woke“-Jugend in Budapest.

Wäre dieser Erfolg in einer echten Diktatur möglich gewesen?

Dieses Medium funktioniert nach einem Modell der Beitragsfinanzierung, das durch die Demonstration gegen die Regierung, die am 24. Juli 2020 von der Momentum-Partei in Budapest organisiert wurde, mit ins Rollen gebracht wurde.

Telex erhielt eine Überweisung von 200.000 Euro von dem tschechischen Milliardär Bakala Zdeněk, der den Stiftungen von George Soros nahesteht. Telex ist neben dem Portal 444.hu das regierungskritischste Medium und lässt keine Gelegenheit aus, sich über die Besessenheit der Regierung vom Einfluss der Netzwerke von George Soros lustig zu machen. Das Portal bekennt sich zum „objektiven“ Journalismus und will im öffentlichen Interesse Fakten aufdecken und so als Gegenmacht fungieren.

Die Regierung wirft Telex jedoch vor, sehr deutlich parteiisch zu sein. Dies ist nur zum Teil richtig, da die Redaktion von Telex nicht direkt in den Händen einer oder mehrerer ungarischer politischer Parteien ist. Die Masse an täglichen Inhalten, die von dieser Website produziert werden, lässt das Pendel jedoch sehr deutlich in Richtung eines durchgehend obsessiven Anti-Orbánismus ausschlagen.

Darüber hinaus zeigt die Geschwindigkeit, mit der dieses Medium aufgebaut wurde und mit der es sich in den Köpfen der Menschen als das moderne, trendige und „europäische“ Leitmedium etabliert hat, dass Ungarn keineswegs ein Land ist, in dem die Regierung den Mediensektor mit eiserner Hand regiert, wie es manche vielleicht glauben machen wollen.

Ganz im Gegenteil: Die Erfolgsgeschichte von Telex zeigt, wie gut sich die journalistische Intelligenz in Budapest zu organisieren weiß und über Netzwerke verfügt, um in Rekordzeit ein einflussreiches Medium auf den Markt zu bringen. Da die Seite in kürzester Zeit zu einer der meistbesuchten Nachrichtenseiten Ungarns wurde, hat man für eine sogenannte Mediendiktatur schon Schlimmeres erlebt.

Auf Tuchfühlung mit der Crème de la Crème des europäischen Journalismus

Am 29. November 2021 veröffentlichte die Chefredakteurin von Telex, Veronika Munk, in Brüssel auf ihrem Facebook-Account eine Nachricht, die im Hinblick auf die internationalen Verbindungen des Medienteams zumindest interessant ist:

„Ich bin am Ende eines langen Tages, ich habe auf der Konferenz des European News Media Forum in Brüssel gesprochen. Es war eine große Ehre für mich zu sehen, dass Telex auch international bereits so bekannt ist, dass sich seit Jahrzehnten operierende Medienunternehmen für die Geschichte unseres Mediums interessieren, wie die Tagesschau der ARD, das schwedische öffentlich-rechtliche Fernsehen, die polnische Tageszeitung Gazeta Wyborcza bzw. der französische Sender TF1. Ich fühle mich auch geehrt, dass ich Telex, das gerade einmal ein Jahr alt ist, mit führenden Medienexperten wie dem Direktor des Reuters Institute for the Study of Journalism oder dem CEO der Agence France-presse besprechen konnte.

Auf der Veranstaltung sprachen auch der EU-Kommissar Thierry Breton und die Vizepräsidentin der Kommission Věra Jourová. Letztere nannte Telex namentlich als positives und mutiges (sic) Beispiel eines Vertreters der laufenden Veränderungen in der Medienbranche. Breton und Jourová kündigten an, dass sie im Rahmen der von der EU angestrebten neuen Medienregelung sicherstellen wollen, dass die politische Macht nicht in das Leben der Presseorgane eingreift, und dass sie aktiv gegen Medienmonopole vorgehen wollen. Sie wollen Regeln, die eine zu starke Konzentration im Medienbesitz verhindern.

Ich bin wirklich gespannt, ob sich die Situation der Medien in Ungarn auf die neuen Bemühungen der EU auswirken wird.“

Auf diesem Forum am 29. November wurde angekündigt, dass die Europäische Kommission 1,76 Millionen Euro für die Einrichtung eines „europäischen Newsrooms“ freigegeben habe, in dem 16 Nachrichtenagenturen, darunter AFP (Frankreich), zusammengeschlossen werden sollen, ANSA (Italien), Agerpres (Rumänien), APA (Österreich), ATA (Albanien), Belga (Belgien), BTA (Bulgarien), EFE und Europapress (Spanien), FENA (Bosnien), HINA (Kroatien), MIA (Nordmazedonien), STA (Slowenien), Tanjug (Serbien) und TASR (Slowakei). Das kleine Albanien ist zwar vertreten, aber weder Polen noch Ungarn sind dabei, wofür es also einen verborgenen Grund geben muss…

Von der Visegrád Post aus dem Französischen übersetzt.