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Sovereignty.pl ist ein englischsprachiges konservatives Portal, wo polnische Kolumnisten und Kommentatoren über die großen Themen schreiben, die die öffentliche Debatte in ihrer Heimat antreiben.

Lesezeit: 3 Minuten

Die polnischen Politiker hatten den Konflikt mit Kiew nicht kommen sehen und nicht damit gerechnet, dass ihre ukrainischen Amtskollegen das Verhalten ihres Landes mit dem Russlands vergleichen würden.

Der Leitartikel der Ausgabe vom 7. August 2023 der polnischen Wochenzeitung Do Rzeczy, wurde auf Englisch auf der Website Sovereignty.pl veröffentlicht. Um die englische Version auf Sovereignty.pl zu lesen, klicken Sie bitte hier.

 

Kindliche Gefühle zeichnen sich durch ihre Unbeständigkeit und Extreme aus. Ich kann nicht umhin zu sagen, dass ich genau dieses Verhalten bei der Haltung der polnischen Politiker, oder zumindest der meisten von ihnen, gegenüber Kiew beobachte. Es überrascht nicht, dass viele von ihnen nicht über das hinwegkommen, was sie, die Armen, nicht kommen sehen konnten. Sie konnten es nicht, weil sie ihrer eigenen Propaganda so sehr geglaubt und sich so sehr an die Liebe zu einem von Russland überfallenen Nachbarn gehängt hatten. Daher wussten sie nicht, was sie tun sollten, als sie die Medienberichte hörten, dass Präsident Wolodymyr Selenskyj die Zusammenarbeit mit der PiS satt habe und auf die polnische Opposition setzen würde. Sie wissen nicht, wie sie die immer härter werdenden Anschuldigungen aus Kiew erklären sollen, dass Polen manipuliert, verrät, Populismus betreibt usw. Was sollen wir auf die Äußerungen des ukrainischen Ministerpräsidenten antworten, der das Verhalten Polens in Bezug auf Getreideimporte aus der Ukraine mit dem Russlands verglich?

Erinnern wir uns daran, dass Polen von Beginn der russischen Invasion an eine klare und radikale Haltung eingenommen hat. Zunächst einmal sollte die Hilfe für die Ukraine, wie von Regierungsmitgliedern immer wieder betont wurde, bedingungslos sein. Keine Verhandlungen und keine Transaktionen. Keine Rücksicht auf polnische Interessen.

Zweitens fungierte Polen als wichtigster Verfechter der Interessen Kiews in der Welt. Polen war der stärkste Befürworter der Aufnahme der Ukraine in die NATO und ihrer schnellstmöglichen Integration in die Europäische Union. Diese Haltung wurde auf dem NATO-Gipfel in Vilnius durch die Ankündigung des polnischen Staatsoberhaupts – Präsident Andrzej Duda – symbolisiert, dass Polen dort keine eigenen Interessen habe und sich nur als Anwalt der Ukrainer betätigen wolle.

Drittens verkündeten polnische Politiker – allen voran der Ministerpräsident –, dass eine enge und direkte Abhängigkeit zwischen der Souveränität Polens und der der Ukraine bestehe. Im Juni 2022 erklärte Ministerpräsident Mateusz Morawiecki bei einem Treffen mit den polnischen Botschaftern, dass „die Souveränität der Ukraine eine Bedingung für die Souveränität Polens ist“. Solche Aussagen waren bisher nirgendwo anders zu hören. Jede Schwächung der ukrainischen Souveränität musste eine Schwächung der polnischen Souveränität implizieren.

Viertens war Polen der erste und wichtigste Befürworter der Verhängung aufeinanderfolgender Sanktionspakete gegen den Aggressor, d.h. gegen Russland. Warschau war immer an vorderster Front und der lauteste Kritiker all derer, die nicht deutlich genug darauf vorbereitet waren, Russland zu bestrafen. Die polnische Regierung wies die Erklärungen der anderen zurück und handelte stets wie Cato. Sie verurteilte das Zögern anderer Länder, ohne selbst eine Analyse der Kosten einer solchen Politik vorzulegen und ohne ihre Öffentlichkeit über die möglichen negativen Auswirkungen auf die polnische Wirtschaft zu informieren. Sie tat dies nicht, weil nur eines zählte: die Schwächung Russlands. Aus dieser Perspektive kam jeder Versuch, auf rationale Weise Zweifel zu wecken, fast einem Verrat gleich.

Fünftens hat Polen der Ukraine von Anfang an erhebliche finanzielle, militärische und humanitäre Hilfe geleistet, mehr als jedes andere Land von vergleichbarer Größe und mit vergleichbaren Ressourcen. Dies gilt insbesondere für die Sozialleistungen, die die PiS-Regierung den Ukrainern so großzügig gewährt hat.

Sechstens reproduzierten fast alle polnischen Medien, sowohl die Regierungs- als auch die Oppositionsmedien, unkritisch die Kriegspropaganda, wonach die ukrainischen Streitkräfte spektakuläre Erfolge erzielten, die russische Armee zusammenbräche und es ein Kinderspiel sein würde, Moskau einen tödlichen Schlag zu versetzen. Im Zuge dessen brüsteten sich polnische Politiker mit der militärischen Hilfe, die sie Kiew leisteten. Bedeutet der Transfer einer solchen Menge an Ausrüstung jedoch nicht eine Schwächung Polens im Falle einer Ausweitung des Konflikts? Hat die Zurschaustellung, mit der die Waffen übergeben wurden, nicht dazu beigetragen, das Risiko von Racheakten seitens Moskaus zu erhöhen?

Siebtens: Im Rahmen dieser Politik der bedingungslosen und totalen Liebe zu Kiew ignorierte die polnische Regierung sehr lange Zeit die durchaus berechtigten Forderungen nach einem Gedenken an die polnischen Opfer des Völkermords in Wolhynien und nahm die zunehmend gefährliche Tendenz der Ukrainer zur Verehrung von Verbrechern nicht ernst.

Achtens sahen einige polnische Politiker und Kolumnisten in der russischen Aggression eine Gelegenheit, die Macht des polnischen Staates zu stärken. Dieser Vision zufolge würde Washington Deutschland aufgeben und auf die neu gewonnene Macht Polens setzen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass viele von einer polnisch-ukrainischen Konföderation zu träumen begannen, einer Art etwas bizarrem staatlichen Hybrid. Und das mit vollem Ernst!

Und so muss zwangsläufig die aktuelle Änderung der Haltung Kiews und seine offensichtliche Hinwendung zu Berlin von vielen als Schock erlebt werden. Einige werden auf diese ungünstigen Informationen mit Aggressivität und Wut reagieren, andere werden diskret die Fronten wechseln und hoffen, dass ihre früheren Analysen und Expertisen bald vergessen sind. Wenn es stimmt, dass Präsident Selenskyj auf einen Sieg der Anti-PiS-Opposition setzt, was werden dann die Propagandisten der Regierung tun? Es handelt sich wahrlich um eine Herausforderung von Hamlets Ausmaß. Das größte Problem für Polen ist jedoch, dass die Verantwortlichen unserer Außenpolitik eine solche Wendung der Ereignisse und den potenziellen Konflikt zwischen Warschau und Kiew schlichtweg nicht vorhergesehen haben. Diese Fehler könnten uns sehr teuer zu stehen kommen.

Vollständige Fassung (auf Englisch) auf Sovereignty.pl

Übersetzung: Visegrád Post