Dieser Artikel ist am 15. Juli 2021 in der Magyar Nemzet erschienen.
In den letzten Jahren wurde die polnische verfassungsmäßige Souveränität von Brüssel in beispiellos brutaler Weise angegriffen – Tamás Deustch sprach mit der Magyar Nemzet über den laufenden Rechtsstreit zwischen Brüssel und Warschau. Laut Deustch, Leiter der Fidesz-Delegation im Europaparlament, ist Brüssel von ungewöhnlich aggressiven imperialistischen Impulsen erfasst.
– Sie haben sich für den Vorrang des nationalen Rechts und damit des polnischen Verfassungsgerichts vor dem europäischen Recht ausgesprochen. Welche Konsequenzen könnte diese Entscheidung für die Beziehungen zwischen der EU und ihren Mitgliedsstaaten haben?
– Die Brüsseler Bürokratie, im Griff ihrer imperialistischen Gelüste, hat es nach Jahren harter Arbeit geschafft, die Briten gegen die Europäische Union aufzuhetzen, und in den letzten Wochen wurden wir Zeugen von Angriffen seltener Gewalt gegen Deutschland, ausgelöst durch die Entscheidung des deutschen Verfassungsgerichts über das Verhältnis zwischen EU-Recht und dem Recht der Mitgliedsstaaten. Nun ist endlich Polen an der Reihe, den Zorn Brüssels wegen der Entscheidung seines Verfassungsgerichts zu erleiden.
In den letzten Jahren wurde die polnische verfassungsmäßige Souveränität in Form eines politisch-rechtlichen Guerillakrieges über die Kontrolle der polnischen Justiz – einer Angelegenheit der nationalen und verfassungsmäßigen Souveränität – von Brüssel aus mit beispielloser Brutalität angegriffen.
Irgendwann nahmen die Briten die Herausforderung an und schlugen der EU schließlich die Tür vor der Nase zu. Auch die Deutschen haben es aufgegriffen, denn trotz der Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland lässt das Bundesverfassungsgericht Brüssel wissen, dass es sich sehr wohl fühlt, vielen Dank, und nicht vorhat, seine Meinung zu ändern. Offensichtlich haben sich auch die Polen der Herausforderung gestellt. Die grundsätzliche Frage ist, ob diese imperialistischen Impulse Brüssels, die zu einer schrittweisen Zerschlagung der EU führen, weitergehen werden, oder ob die Mitgliedsstaaten mit gesundem Menschenverstand ihre Freiheit und Souveränität genießen dürfen. Brüsseler Imperialismus oder freiwillige und effektive Zusammenarbeit souveräner Nationalstaaten – das ist „die Frage, die jetzt beantwortet werden muss“ [Anspielung auf ein berühmtes patriotisches Gedicht von Sándor Petőfi]. Wenn die fieberhaften und immer aggressiveren Angriffe der Brüsseler Bürokraten weitergehen, werden sie Folgen von einer Schwere haben, die nicht absehbar ist.
– Symbolisieren die Entscheidungen des deutschen und polnischen Verfassungsgerichts, dass die EU an einer Weggabelung angelangt ist, die möglicherweise einen Bruch bedeutet?
– Der Kern der juristischen Debatte ist seit Jahrzehnten die Frage, ob EU-Recht Vorrang vor nationalem Recht hat oder nicht. Es ist ganz klar, dass, wenn es um gemeinsame Zuständigkeiten, also Vorrechte der Union geht – also wenn die Mitgliedsstaaten bestimmte Aspekte ihrer Souveränität an die EU übertragen haben –, das EU-Recht Vorrang hat. In Bereichen, in denen es jedem der 27 souveränen Mitgliedstaaten freisteht, seine Angelegenheiten nach eigenem Gutdünken zu regeln, kann von einem Vorrang des europäischen Rechts mangels Kompetenzen, d.h. Vorrechten, keine Rede sein.
Diese letzte Periode – mehr oder weniger ein Jahrzehnt – hat uns ermöglicht, die Entwicklung aggressiver imperialistischer Impulse in Brüssel zu beobachten.
Drei europäische Länder – mit sehr unterschiedlicher Geschichte und unterschiedlichen Rechtssystemen – sind bereits in den gleichen Konflikt mit Brüssel geraten – und ich habe Ungarn noch gar nicht erwähnt. Es scheint mir, dass die Brüsseler Imperiumsgründer die EU methodisch abbauen.
– In den letzten Tagen wurde in der Presse immer wieder der Begriff „Polexit“ verwendet, der darauf hinweist, dass sich Polen durch die jüngste Entscheidung de facto vom europäischen Recht gelöst hat und damit einen Schritt näher an einen möglichen Austritt aus der Europäischen Union ist. Ist das nicht eine Übertreibung?
– Schon während der jahrzehntelangen, immer wiederkehrenden Konflikte zwischen der EU und Großbritannien sprachen alle von Übertreibung als Antwort auf diejenigen, die vor einem möglichen britischen Austritt warnten – was schließlich auch geschah. Es sind nicht die Polen, die sich vom europäischen Recht abwenden: Im Gegenteil, Brüssel drängt Polen methodisch vor die Tür. Es scheint mir, dass Brüssel an seinen Waffen festhält, weil die Eurokraten sich der Illusion hingeben, dass es ohnehin nie zu einem Polexit kommen wird.
Ich hoffe, dass die Bürokraten im Kern der EU-Institutionen endlich wieder die Gründungsverträge der EU lesen und erkennen, dass die Union nur überleben und funktionieren kann, wenn ihre Regeln in Brüssel wie anderswo respektiert werden – und wenn Brüssel aufhört zu versuchen, den Mitgliedsstaaten immer mehr Hebel der Macht zu entreißen.
Zoltán Kottász