Ukraine – Ausweisungdrohung gegen den ungarischen Konsuls in Bergsaß (Beregszász/Beregowo, Ukraine) und neue diplomatische Spannungen zwischen Budapest und Kiew.
Update vom 4. Oktober 2018
Die diplomatischen Spannungen zwischen Budapest und Kiew sind seit September 2017 regelmäßig, seitdem die ukrainischen Behörden angefangen haben, das Unterrichtswesen zu reformieren, indem sie alle Minderheitensprachen aus den Schulen verbannen wollen (vorerst das Russische, aber auch das Polnische, das Rumänische, das Ungarische und das Bulgarische). Dies hat Ungarn dazu geführt, sein Veto gegen die Anwesenheit der Ukraine bei einem NATO-Gipfel zu verhängen, um gegen die Konsequenzen dieses Gesetzes für die ungarische Minderheit in Subkarpatien zu protestieren. Der Brand im Februar 2018 im ungarischen Kulturzentrum in Ungwar (Uschgorod) hatte ebenfalls diese Spannungen neu belebt.
An diesem Freitag, den 21. September 2018 erklärte der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin, dass die Ukraine bereit war, den amtierenden ungarischen Konsul in Bergsaß auszuweisen, wenn Budapest ihn nicht zurückrufen würde.
Diese Erklärung ist die Konsequenz eines Videos, in dem Ungarn aus der Ukraine an einer kurzen Zeremonie teilnehmen, in der ihnen die ungarische Staatsbürgerschaft verliehen wird. Am Ende dieses Videos kann man jemanden hören, der darauf hinweist, dass man den ungarischen Pass an der ukrainischen Grenze nicht benutzen darf, sondern nur den ukrainischen.
Denn in der Tat anerkennt die Ukraine die doppelte Staatsbürgerschaft prinzipiell nicht und es ist zu empfehlen die Verleihung einer weiteren Staatsbürgerschaft den Behörden zu verschweigen, damit die ukrainische Staatsbürgerschaft nicht verloren geht. Die Anwendung der strengen Bestimmungen dieses Gesetzes scheint jedoch unterschiedlich zu sein, denn es ist ein offenes Geheimnis, dass der Oligarch und frühere Gouverneur von Dnepropetrowsk Igor Kolomoiski über drei Staatsbürgerschaften (darunter die ukrainische) verfügt.
Seit 2010 und der Rückkehr Viktor Orbáns an die Macht haben die ungarischen Behörden eine Politik der Rückintegration in die ungarische Staatsbürgerschaft zugunsten der vielen ungarischen Minderheiten in den Nachbarländern Ungarns unternommen, die eine Konsequenz der Grenzziehung durch den Vertrag von Trianon nach dem Ersten Weltkrieg sind. So haben über eine Million Personen (vorwiegend in Rumänien und in Serbien) zwischen 2010 und 2017 die ungarische Staatsbürgerschaft erhalten. Einzig die Ungarn aus der Slowakei sind abseits dieses Verfahrens verblieben, da das slowakische Parlament Hals über Kopf ein Gesetz verabschiedet hatte, das den Entzug der slowakischen Staatsbürgerschaft für die Bürger vorsieht, die eine weitere Staatsbürgerschaft beantragen würden.
Im Falle der Ukraine gab es wahrscheinlich trotz eines theoretischen Verbots der Doppelstaatsbürgerschaft eine gewisse Nachlässigkeit bei der Kontrolle über den Erhalt einer weiteren (in dem Fall ungarischen) Staatsbürgerschaft, umso mehr als diese immer öfter den Schlüssel für die Auswanderung nach Ungarn bzw. in die europäische Union bedeutet, um die Ukraine zu verlassen, wo der Lebensstandard seit der Krise von 2013 deutlich gesunken ist. So ist die ungarische Gemeinschaft, die 2001 mit 150.000 Angehörigen geschätzt wurde, in den letzten Jahren mit ungefähr 1.500 Auswanderern (vor allem junge Menschen) pro Jahr bedeutend geschrumpft.
Ein weiterer Grund zur Sorge für die ungarischen Behörden ist die Veröffentlichung im Internet durch die ukrainische nationalistische Internetseite „Myrotvorets“ (Friedensstifter) der Namen (bzw. Wohnorte) einer gewissen Anzahl von lokalen Politikern der ungarischen Minderheit in Subkarpatien, von denen man vermutet dass sie zusätzlich zur ukrainischen auch die ungarische Staatsbürgerschaft besitzen.
Gemäß der Seite Karpatinfo ist es in der Vergangenheit vorgekommen, dass Personen (unter anderem der ehemalige Abgeordnete Oleg Kalaschnikow und der Journalist Oles Buzina), dessen Kontaktdaten auf dieser Seite veröffentlicht worden waren, ein paar Tage später ermordet wurden. Im Jahr 2016 hatte der ukrainische Präsident Poroschenko zugegeben, dass die Behörden diese Seite kaum kontrollieren konnten.
Auf der Facebook-Seite von Myrotvorets veröffentlichte liste.
In Subkarpatien haben übrigens Gruppen wie die sog. Karpatische Sich (Karpatska Sich, dessen Name sich von einer ukrainischen bewaffneten Gruppe inspiriert, die in der Region Ende der 1930er Jahre operierte) schon Demonstrationen organisiert, während deren feindliche und drohende Parolen gegen die ungarische Minderheit skandiert wurden.
Der ungarische Außenminister Péter Szijjártó hat erklärt, dass die etwaige Ausweisung aus der Ukraine des Konsuls von Bergsaß nicht ohne Antwort aus Budapest bleiben würde. Die Hauptantwort Ungarns ist es, die von der Ukraine gewünschte Annäherung zu NATO und EU — zwei Organisationen von denen Ungarn ein Mitglied ist — zu bremsen. Szijjártó behauptete ebenfalls, dass diese Aktionen seiner Meinung nach im Rahmen des Wahlkampfs für die kommenden Präsidentschaftswahlen in der Ukraine vom März 2019 stattfinden und dass er anlässlich einer Sitzung der UNO mit seinem ukrainischen Amtskollegen darüber reden würde.
Vor der ukrainischen Schulreform von September 2017 hatte sich jedoch Budapest bemüht, gute Beziehungen mit der neuen Regierung in Kiew zu pflegen. In der Tat hat die ungarische Regierung nunmehr zur Strategie (nach dem chaotischen Jahrzehnt der 2000er Jahre, wo die liberale Linke in Ungarn regierte), dafür zu sorgen, dass die ungarischen Minderheiten in den Nachbarländern nicht mehr einen Zankapfel sondern eine Brücke zwischen Ungarn und dessen Nachbarn darstelle, und eine Logik entwickelt, wo beide Seiten durch Verhandlungen und gegenseitige Interessen gewinnen konnten.
So hatte Viktor Orbán in seiner Rede in Tusványos im Sommer 2016 (als er der erste Staatschef war, der seinen Wunsch aussprach, dass Donald Trump die Wahlen in den USA gewinne) erklärt, dass Ungarn in Subkarpatien investiere und das Recht der ukrainischen Bürger verteidige, innerhalb der Europäischen Union ohne Visum reisen zu dürfen — ein Recht, für das Ungarn und die Länder der V4 plädiert haben. Die Aufhebung der Visumpflicht für die ukrainischen Bürger für Reisen kurzer Dauer innerhalb der Europäischen Union ist im Laufe von 2017 in Kraft getreten.
Zwei Jahre später zog Viktor Orbán eine weniger positive Bilanz über die Lage in der Ukraine: „Ich sehe für sie keinen NATO-Beitritt und die Perspektive eines EU-Beitritts ist gleich null. Und statt eines neuen ukrainischen Staats sehe ich im Moment nur eine ukrainische Wirtschaft, die aufgrund ihrer Verschuldung in Richtung Sklaverei hinsteuert.“
Inzwischen hat die ukrainische Schulreform die Beziehungen zwischen Kiew und Budapest aber auch mit Warschau und Bukarest verschlechtert.
[Update vom 4. Oktober 2018] Die ukrainischen Behörden haben am heutigen Donnerstag durch ihren Außenminister Pawlo Klimkin angekündigt, dass der ungarische Konsul in Bergsaß (Beregszász/Beregowo), das ukrainische Staatsgebiet innerhalb von 72 Stunden verlassen muss.
Pawlo Klimkine hat seinen ungarischen Amtskollegen Péter Szijjártó in New-York Anlässlich einer Sitzung der UNO getroffen. Das Treffen hat jedoch nicht ermöglicht, die Differenzen zwischen Kiew und Budapest bezüglich der Gewährung der ungarischen Staatsbürgerschaft an ethnische Ungarn in Subkarpatien zu bereinigen.
Als Antwort für die Ausweisung des ungarischen Konsuls hat Péter Szijjártó angekündigt, dass Ungarn ebenfalls einen ukrainischen Konsul ausweisen bzw. seine Vetopolitik im Rahmen der von der Ukraine gewünschten Annäherung zu NATO und Europäische Union fortsetzen werde.