Von Ferenc Almássy.
Ukraine, Transkarpatien/Subkarpatien – Vor kurzem sind unzählige alarmierende Artikel über die Lage der Ungarn in der Ukraine erschienen. Es steht zwar nicht alles zum Besten, aber eine gewisse Beruhigung und eine Richtigstellung scheinen geboten zu sein, während die Provokationen sich häufen und viele versuchen, die Spannung zu verschärfen.
Eine gewisse europäische Presse macht sich Sorgen wegen der Ungarn in Subkarpatien – als Ungar benutze ich diese Bezeichnung lieber als Transkarpatien; es ist eine Frage des geographischen Standpunkts – worüber ich mich freilich zunächst freue. Wobei, in einem Zusammenhang von Hybridkriegen, „Fake News“ und „soft Power“ wird dem Zufall nichts überlassen.
Die Ukraine ist ein junger wackeliger Staat ohne eigene staatliche Tradition, der sich in einer unheilvollen wirtschaftlichen Lage befindet; ohne freilich über die Krim oder den Donbass zu reden. Die Ukraine befindet sich auf einer von Dritten reaktivierten Frakturlinie und versucht die USA zu huldigen, aus eigenen Gründen, die ich hier nicht weiter kommentieren werde. Unter anderem hat die ukrainische Regierung entschieden, eine durchaus jakobinische und dem europäischen Chauvinismus des 19. Jh. würdige Maßnahme zu ergreifen: ihre Reform des Unterrichtswesens hat zum Ziel, das Ukrainische als alleinige Sprache an allen Schulen, auch den der nationalen – russischsprachigen, aber auch ungarischen, polnischen, rumänischen bzw. bulgarischen – Minderheiten aufzuzwingen.
Anfangs ging es darum, das Ukrainische als Unterrichtssprache ab dem Gymnasium vorzuschreiben. Jetzt erfahren wir, dass dies später alle Schulen betreffen wird, auch die Volksschulen, und dass das Schulpersonal innerhalb der Schulen ausschließlich auf Ukrainisch wird sprechen dürfen. So hat z.B. in Frankreich die III. Republik die meisten Regionalsprachen und Mundarten des Landes vor nicht einmal 100 Jahren ausgerottet.
Die alarmierenden Artikel häufen sich also, u.a. in Ungarn, wo ein Gefühl der Wut und der Ohnmacht, gepaart mit Traurigkeit und Sehnsucht nach dem Ungarn vor Trianon, die patriotische Presse erfüllt.
40 Tage vor den Parlamentswahlen bzw. in einem innenpolitisch sehr gespannten Klima muß die national-konservative Fidesz-Regierung ihr Image als Beschützer der Auslandsungarn bewahren – sie sind 1,2 Millionen in Rumänien, 500.000 in der Slowakei, 230.000 in Serbien bzw. 150.000 in der Ukraine. So ist die unerbittliche Erpressung seitens der ungarischen Außenpolitik infolge der Ankündigung dieses Gesetzes über das Unterrichtswesen zu erklären, das übrigens von allen – von Rußland bis Polen – angeprangert wurde; allein die USA haben es begrüßt und der Rada – dem ukrainischen Parlament – für diese Reform offen gratuliert.
Das alles kommt zusätzlich zur Nicht-Durchführung der 1991 verabschiedeten regionalen Autonomie und zur Wehrpflicht der jungen Ungarn für den Krieg im Donbass hinzu, der die in dieser Region schon stark geschrumpfte ungarische Volksgruppe vernichtet. Paradoxerweise tragen die Vergabe von ungarischen Pässen an die ukrainischen Bürger ungarischer Nationalität durch die Orbán-Regierung, sowie das visafreie Regime für die ukrainischen Staatsbürger im Schengenraum dazu bei, Subkarpatien von seinen Ungarn zu leeren, die dort ununterbrochen seit mindestens 11 Jahrhunderten heimisch sind, und sich in einer demographisch schwierigen Lage befinden.
Daher soll man schon einiges relativieren bzw. die Herausforderung für diese desolate Volksgruppe aus einer anderen Perspektive anschauen.
Nach den zahlreichen Provokationen ukrainischer Nationalisten gegenüber den Ungarn in Subkarpatien gab es in den letzten Wochen eine neue Reihe von Provokationen… aber diesmal handelte es sich nicht um Aufmärsche ukrainischer nationalistischer Bewegungen. Seit Mitte Februar wurden die Spannungen geschürt: offensichtlich mittels Google ins Ungarische übersetzte Transparente, die die Ukrainer provozieren; anonyme Videos, die zeigen, wie vier Jugendliche, die sich als „ukrainische Nationalisten“ proklamieren, polnische und ungarische Fahnen verbrennen; zwei Brandanschläge – einer davon erfolgreich – gegen das ungarische Kulturzentrum in Uschgorod (Ungvár)…
Gemäß dem Vertreter der Ungarn in Subkarpatien „versucht jemand um jeden Preis Subkarpatien zu destabilisieren, was wir nicht wollen“. Für Zsolt Németh, Präsident des Verteidigungsausschusses im ungarischen Parlament sei das Ziel des Brandanschlags gegen das Kulturzentrum, die Ungarn in der Ukraine zu terrorisieren. Und das alles, betont er, wird von einem seltsamen Schweigen seitens der ukrainischen und europäischen Behörden begleitet.
Um alles noch mehr zu verwirren, haben die ukrainischen Behörden zwei polnische Staatsbürger, Mitglieder der national-revolutionären und pro-russischen Organisation Falanga verhaftet, und werfen ihnen vor, hinter dem fehlgeschlagenen Brandanschlag von Anfang Februar zu stecken.
Es macht keinen Zweifel, dass eine gewisse Anzahl an Kräften Interesse daran haben, dass die Situation in Subkarpatien eskaliere. Ein schneller Überblick über die Presse läßt einen schrecklichen Zweifel in der Sache aufkommen. Einerseit gießt man eifrig Öl ins Feuer, um eine Front gegen die Ukraine zu erzeugen – oder um die Eröffnung einer neuen Konfliktfront für Kiew zu fördern? – und andererseits gießt man ebenfalls Öl ins Feuer, indem man Orbán mit Putin vergleicht, und läßt glauben, dass die ungarische Regierung insgeheim – haben Sie Verschwörungstheorie gesagt? – Subkarpatien zurückholen möchte – Orbán wird sicher seine zehn Panzer hinschicken… die Ukraine kann zittern!
Kurz gesagt schlagen manche zwar Profit aus der Instrumentalisierung der ungarischen Minderheit, aber die Betroffenen, die Ungarn von Subkarpatien, ganz sicher nicht. In diesem Zusammenhang, wo künstliche Spannungen durch unterschiedliche Kräfte geschürt und verstärkt werden, ist es wichtiger denn je, Abstand zu nehmen und aus dieser Logik der Konfrontation herauszukommen. Daher ist es wichtig, jede Provokation zu verurteilen, bzw. sollen die ukrainischen Behörden damit aufhören, sich aus bloßer Rußlandfeindlichkeit ausschließlich an die USA zu wenden. Ferner sollen sie lernen, besondere Beziehungen mit ihren Nachbarn aufzubauen, die nur darauf warten: es liegt im Interesse der V4, dass die Ukraine stabil, wohlhabend und ruhig sei.
Ungarn selbst war bis September – als das umstrittene Gesetz über das Unterrichtswesen verabschiedet wurde – die Hauptstütze der Ukraine auf der internationalen Szene im Hinblick auf die Gewährung des visafreien Regimes innerhalb der EU.
Die Zeit ist für die Ukraine gekommen, an Höhe zu gewinnen und die vergangenen Fehler ihrer Nachbarn nicht zu wiederholen: die Ungarn haben ihren chauvinistischen Versuch vom 19. Jh. sehr teuer bezahlt, die nicht-ungarischen Völker Ungarns magyarisieren zu wollen. Jakobinismus ist nicht der Weg, den ein europäisches Land gehen soll, das an mehreren heimischen Volksgruppen reich ist.
Die Visegrád-Gruppe ist möglicherweise der beste Verbündete der Ukraine; nicht die USA, die weder die Völker der Region verstehen, noch die Interessen der Region beachten. Aber dafür soll die Ukraine für den Dialog offen sein und die Sicherheit ihrer Minderheiten – und heute vor allem, der ungarischen Minderheit – gewähren.