Von Olivier Bault.
Polen – Im Schloss Krasiczyn im Südosten Polens in der Nähe der Stadt Przemyśl fand vom 26. bis 30. August die zweite Ausgabe eines neuen Ereignisses statt, das dazu berufen wird, alljährlich wiederholt zu werden, nämlich die unter der Form einer Sommeruniversität organisierte polnisch-ungarische Führungskräfteschule mit etwa 350 jungen Ungarn und Polen. Dieses Ereignis hat in den Augen der aktuellen Führung in Ungarn und Polen offensichtlich eine gewisse Bedeutung, denn außer Marek Kuchciński, bis vor kurzem Präsidentdes Sejm (er trat Anfang August zurück, da er Mitgliederseiner Familie bei offiziellen Flügen mitfliegen ließ), der auch der Haupturheber dieses nunmehr regelmäßigen Ereignisses ist, waren auch zwei Vizepräsidenten der polnischen und ungarischen Parlamente hierfür nach Krasiczyn gekommen, nämlich Ryszard Terlecki (PiS),Vizepräsident des polnischen Sejm und János Latorcai (KDNP, Juniorpartner des Fidesz), Vizepräsident des ungarischen Parlaments.
Der Hauptveranstalter des Ereignisses war das Institut für polnisch-ungarische Zusammenarbeit Wacław Felczak, eine polnische Institution, die durch das Gesetz vom 8. Februar 2018, ein Jahrnach der Gründung der ungarischen Schwesterorganisation, der Wacław-Felczak-Stiftung, gegründet wurde. Wacław Felczak war ein polnischer Historiker, der sich in den polnisch-ungarischen Beziehungen spezialisiert hatte und während des II. Weltkriegs ein Kommunikationsnetz im Untergrund zwischen der polnischen Heimatarmee (Armia Krajowa) und der polnischen Exilregierung in London über Budapest eingerichtet hatte.
Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern sind im Laufe der Jahrhunderte immer eng und freundlich gewesen bzw. haben Polen und Ungarn eine lange Tradition der gegenseitigen Unterstützung in schwierigen Zeiten. Doch seitdem die Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (Prawo i Sprawiedliwość, PiS) von Jarosław Kaczyński im Herbst 2015 an die Macht gekommen ist, und seitdem Kaczyński und der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán bei einem Treffen im Wirtschaftsforum Krynica 2016 erklärt haben, dass Europa eine kulturelle Gegenrevolution brauche, haben die Angriffe von Brüssel gegen die beiden mitteleuropäischen Hauptstädte sie dazu gebracht,ihre Zusammenarbeit zu verstärken und die Integration unter den Ländern Mitteleuropas voranzutreiben, um ein Gegengewicht dem deutsch-französischen Tandem entgegenzusetzen, das innerhalb der EU nach dem Brexit nur noch drückender für die kleinen Länder werden kann.
Doch da die Beziehungen zwischen diesen beiden mitteleuropäischen Ländern schon so gut sind, wieso werden dann solche Sommeruniversitäten organisiert? Der Professor Maciej Szymanowski vom Felczak-Institut erklärt es wie folgt: „Wir haben gerade eine Umfrage realisiert, die zeigt, dass etwa 90% der Ungarn es wünschen, dass ihr Land gute Beziehungen mit Polen unterhalte bzw.mehr als 50% möchten, dass diese Beziehungen noch enger werden.
Andererseits beobachten wir u.a. bei der jüngeren Generation, dass die Ungarn immer weniger der Tatsachen im zeitgenössischen Polen bewusst sind. Und ich fürchte wohl, dass es umgekehrt das gleiche sei. Das Ziel unserer Sommeruniversität ist eben, die polnisch-ungarischen Beziehungen bekannter zu machen und die gegenseitige Kenntnis von Polen und Ungarn zu verbessern, indem man auch auf die Herausforderungen für unsere beiden Länder heute und für das 21. Jahrhundert aufmerksam mache.“
Und wer sind diese jungen Leute, die dazu eingeladen werden, an der polnisch-ungarischen Führungskräfteschule teilzunehmen? Es sind„Leute, die trotz ihres jungen Alters in ihrem Umkreis, in ihrer Universität, in Vereinen, in lokalen Gemeinden, in Zeitungsredaktionen usw. schon aktiv sind,“ so Szymanowski. „Viele dieser Leute werden wahrscheinlich bald Verantwortung für ihr Land, für Polen oder für Ungarn zu übernehmen haben.“
Diese besondere Beziehung zwischen Ungarn und Polen steht im Mittelpunkt einer neuen Dynamik, die im Bereich der regionalen Zusammenarbeit an der Tagesordnung liegt, seitdem der PiS 2015 die Wahlen gewonnen hat. Die heute in Polen regierende Partei und der ungarische Fidesz haben vieles gemeinsam. Wie in Krasiczyn anlässlich eines Diskussionsforums mit Kuchciński, Terlecki und Latorcai gesagt wurde, ist es, weil sie den Sinn einer zutiefst im Christentum verankerten Identität bewahrt haben, dass die mitteleuropäischen Nationen dreißig Jahre nach dem Fall des Kommunismus diejenigen sind, die Europa von dessen derzeitigem Abdriften in die Selbstvernichtung ablenken könnten.
Allerdings, warnte Terlecki, gibt es eine sehr starke Versuchung,„Europäer“ einer anderen Art zu werden. Und zwar nicht als Polen oder Ungarn, sondern als Europäer ohne nationale Identität, ohne Grenzen, ohne christlichen Glaube, ohne Pflichten oder oder Aufgaben, sprich einzig und allein darauf fokussiert, ein angenehmes Leben mit ununterbrochenem Spaß zu führen.“ In dieser Suche nach dem Vergnügen „wird die Existenz der Nationalstaaten,unterschiedlicher Sprachen bzw. kultureller Unterschiede als Störung“ empfunden, betonte er. „Ihr werdet also wählen müssen:sich entweder für dieses Europa des leichten Lebens entscheiden oder sich dessen bewusst bleiben, dass Ihr Eurem Vaterland gegenüber Pflichten habt,“ setzte Terlecki fort, indem er das junge Publikum vor diesem „Europa des Vergnügens“ warnte, das im Zusammenhang mit der raschen Islamisierung des Westens des Kontinents bloß eine Illusion sei. „In einem solchen Europa des Vergnügens wird man nur ein paar Jahre, vielleicht eine Generation lang leben können, doch früher oder später wird es eine Konfrontation geben.“
Sein ungarischer Amtskollege fügte hinzu, dass er in so einer Welt nicht leben möchte und betonte den jahrhundertelangen Kampf Polens und Ungarns für die Unabhängigkeit. Für ihn soll sich die junge Generation auf diese Erfahrung stützen, um dem jeweiligen Land zu dienen bzw.für ein besseres Europa zu wirken. Latorcai zufolge ist die Tatsache, dass es unter den Staats- und Regierungschefs in Westeuropa so viele kinderlose bzw. homosexuelle Menschen gibt, für die ungünstige Entwicklung dieser Gesellschaften symptomatisch.
Ohne Überraschung schienen die meisten Teilnehmer damit eher einverstanden, da viele von ihnen Studenten der katholischen Universitäten in Warschau und Budapest, Aktivisten von pro-Leben-Bewegungen bzw. mit den in Polen und Ungarn regieren den konservativen Parteien verbunden sind.
Das Felczak-Institut ist allerdings eine polnisch-ungarische Initiative, die dazu berufen ist, nachhaltiger als die heutigen politischen Konstellationen zu sein. Am kommenden 13. Oktober gibt es in Polen Parlamentswahlen. Die Umfragen sehen zwar einen eindeutigen Wahlsieg des PiS voraus, doch mit dem an der Weichsel geltenden Verhältniswahlrecht ist es nicht sicher, dass Kaczyńskis Partei zum zweiten Mal hintereinander eine absolute Mehrheit im Parlament bekommen wird. Vor den Wahlen von 2015 und seit dem Fall des Kommunismus1989/1990 hatte niemals eine Partei allein die absolute Mehrheit erhalten. Vor 2015, als die Bürgerplattform (PO) Donald Tusks mit der Bauernpartei PSL regierte, war Polen das einzige Land der EU,wo sowohl die Regierungsparteien wie auch die größte Oppositionspartei, Recht und Gerechtigkeit, die Aufrufe für europäische Sanktionen gegen Ungarn ablehnten. Angesichts des neulichen Abdriftens der polnischen Liberalen nach links könnte ihre Haltung gegenüber Ungarn diesmals eine andere sein, falls der PiS die Macht abgeben müsste. Falls die Ergebnisse der Europawahlen uns jedoch irgendwie zeigen sollten, wie die Polen im Oktober abstimmen werden, so könnte dieser Linksruck der Liberalen dem PiS doch zu einer Fortführung seiner absoluten Mehrheit verhelfen, wie dies 2014 und2018 für den Fidesz in Ungarn der Fall war.
Soweit für das Kurzfristige. Doch fügt sich die nun im zweiten Jahr in Folge in Krasiczyn organisierte Führungskräfteschule in einem langfristigen Rahmen ein.
Übersetzt von Visegrád Post.