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Das Verbot eugenischer Schwangerschaftsabbrüche tritt in Polen in Kraft

Lesezeit: 4 Minuten

Am Mittwochabend veröffentlichte die polnische Regierung das Urteil des Verfassungsgerichts vom 22. Oktober, das die Klausel des polnischen Abtreibungsgesetzes, die Schwangerschaftsabbrüche aufgrund der Behinderung des ungeborenen Kindes erlaubt, für verfassungswidrig erklärt. Konkret bedeutet dies, dass es nach polnischem Recht nicht mehr möglich ist, eine Schwangerschaft abzubrechen, wenn „pränatale Untersuchungen oder andere medizinische Daten auf die hohe Wahrscheinlichkeit einer schweren und irreversiblen Behinderung des Fötus oder einer unheilbaren, lebensbedrohlichen Krankheit hinweisen“. Bisher war eine Abtreibung in einem solchen Fall bis zur 24. Schwangerschaftswoche erlaubt. Schwangerschaftswoche erlaubt. Diese Bedingung war eine von drei, in denen eine Abtreibung zulässig war. Die anderen beiden Bedingungen, die weiterhin in Kraft bleiben, beziehen sich auf Fälle, in denen die Schwangerschaft das Ergebnis von Vergewaltigung oder Inzest ist (dann ist ein Abbruch bis zur 12. Schwangerschaftswoche erlaubt) oder wenn die Schwangerschaft das Leben oder die Gesundheit der Schwangeren gefährdet (ohne zeitliche Begrenzung).

1.000 bis 2.000 Abtreibungen jährlich im Fokus

Die vom polnischen Verfassungsgericht für ungültig erklärte Klausel, die von 119 Abgeordneten der PiS, der Agrarpartei PSL, der rechten „Anti-System“-Partei Kukiz’15 und der Konfederacja, einem Bündnis aus Liberal-Konservativen, Libertären und Nationalisten, beantragt worden war, galt für über 90 % der 1.000 bis 2.000 Abtreibungen, die jedes Jahr in polnischen Krankenhäusern durchgeführt werden. Fast die Hälfte der Abtreibungen, die unter dieser Klausel durchgeführt wurden, betrafen Kinder mit Down-Syndrom. Als 2017 im Sejm eine Bürgervorlage eingebracht wurde (nachdem etwa 830.000 Unterschriften gesammelt worden waren!), um diese Abtreibungen zu verbieten, die von der Pro-Life-Bewegung (und auch im Urteil des polnischen Verfassungsgerichts) als eugenisch bezeichnet werden, kündigte Präsident Andrzej Duda seine Absicht an, ein solches Gesetz zu unterzeichnen, falls es angenommen würde, eben um die Beseitigung von Kindern mit Down-Syndrom im Mutterleib zu verbieten. Ende Dezember, als sich die Polen fragten, warum das Verfassungsgericht die Gründe für sein Urteil vom 22. Oktober noch nicht veröffentlicht hatte, sagte der Vorsitzende der PiS-Fraktion im Sejm, Ryszard Terlecki, er hoffe, dass sie im Januar veröffentlicht werden. Auf die Frage nach dem Zeitpunkt des umstrittenen Urteils, mitten in einer Pandemie, antwortete Terlecki, dass „es immer der falsche Zeitpunkt ist“, und fügte hinzu: „Wir wollten schon immer Kinder mit Down-Syndrom schützen, also musste es irgendwann passieren. Das hat eine sehr heftige Kontroverse ausgelöst, aber ich denke, die Sache ist gerecht und sie wird durchgeführt werden.“

Die Regierung von Mateusz Morawiecki hätte das Urteil eigentlich schon Anfang November veröffentlichen müssen, wartete aber nach eigenen Angaben auf die Begründung des Urteils. Offiziell wartete das Verfassungsgericht bis vor ein paar Tagen auf die letzte abweichende Meinung eines seiner Richter. Während das Urteil selbst nur zwei abweichende Meinungen von dreizehn Richtern (von insgesamt fünfzehn Mitgliedern des Verfassungsgerichts) hervorgerufen hatte, die an den Anhörungen zu dem Fall teilgenommen hatten, äußerten drei weitere Richter eine abweichende Meinung in Bezug auf die Gründe des Urteils.

Heftige Reaktionen

Ähnlich wie bei der Urteilsverkündung selbst am 22. Oktober führte die Veröffentlichung der Urteilsbegründung am Mittwochabend auf Betreiben der linksradikalen Organisation „Frauenstreik“ (Strajk kobiet) zu Demonstrationen mit kaum verschleierten Gewaltaufrufen. „Wir rufen alle auf, rauszugehen, sich zu mobilisieren und dieses Mal auf eine Weise zu marschieren, die ein Zeichen hinterlässt. Drückt eure Wut aus, wie ihr wollt. Wir haben nicht damit angefangen“, sagte die Anwältin Marta Lempart, eine der beiden Co-Anführerinnen der Bewegung. Eine junge Journalistin der patriotischen, souveränistischen und lebensbejahenden Media Narodowe, die über die Warschauer Demonstration berichtete, wurde von einer Gruppe „Antifa“ verprügelt bzw. wurde die Kamera ihres Operators gestohlen, kurz nachdem dieselbe Marta Lempart sie als „Provokateure“ und „Nazis“ bezeichnet hatte und die Demonstranten aufforderte, nicht auf ihre Fragen zu antworten, während sie offiziell dazu aufrief, keine Gewalt gegen sie auszuüben.

In der Opposition, wo die Legitimität des polnischen Verfassungsgerichts immer noch angefochten wird (obwohl der rechtliche Konflikt, der der Anfechtung der Legitimität des Gerichts zugrunde liegt, eigentlich nur die Ernennung von drei der fünfzehn Richter betrifft), erklärt die Führung der liberalen Bürgerplattform (PO) und der eher konservativen Agrarpartei PSL, dass die Veröffentlichung der Urteilsbegründung des Verfassungsgerichts am Mittwoch den einzigen Zweck hat, „die Spuren der Niederlage der Regierung im Kampf gegen Covid, das Scheitern des Impfprogramms und das Drama der Wirtschaft zu verwischen“ (so PO-Vorsitzender Borys Budka). Für die Linkspartei (Lewica) bedeutet das Urteil des Verfassungsgerichts „die Legalisierung der Folter von Frauen in Polen“.

Die polnische Rechte unterstützt das Urteil

Innerhalb der PiS-geführten Koalition der Vereinigten Rechten wird dagegen dieses Urteil unterstützt. Für den Pro-Life-Abgeordneten Piotr Uściński (PiS) muss nun das pränatale und postnatale Unterstützungsprogramm für Familien mit behinderten Kindern verstärkt werden. Seit den Pro-Abtreibungs-Demonstrationen im Oktober-November führen Pro-Life-Verbände eine Plakatkampagne durch, um auf perinatale Palliativzentren als Alternative zur Abtreibung im Falle tödlicher fötaler Anomalien aufmerksam zu machen, und an diesem Donnerstag schlug Michał Wójcik, stellvertretendrer Vorsitzender der Partei Solidarisches Polen (Solidarna Polska) von Justizminister Zbigniew Ziobro, die als rechter Flügel der Koalition der Vereinten Rechten gilt, eine Reihe gesetzlicher Lösungen zur Unterstützung von Frauen vor, die ein Kind mit einer tödlichen Erkrankung austragen.

Andererseits haben weder die Regierung noch die Staatsanwaltschaft darauf reagiert, dass auf Pro-Abtreibungs-Demonstrationen seit Oktober und erneut in dieser Woche nach der Veröffentlichung des Urteils vom 22. Oktober im Amtsblatt für eine Telefonnummer geworben wird, die polnische Frauen nutzen können, die im Ausland, zum Beispiel in der benachbarten Slowakei, eine Abtreibung vornehmen lassen wollen. Das Anbieten einer solchen Hilfe ist in Polen illegal und wird mit Gefängnis bestraft, aber Verurteilungen, selbst mit den mildesten Strafen, sind äußerst selten.

 

Straßenwerbung für ein Zentrum für perinatale Palliativmedizin in Warschau, Januar 2021. Bild: Olivier Bault