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Marek Jurek: „Ja zu Familie, Nein zu Gender“ – Ein Volksbegehren für den Ausstieg Polens aus der Istanbul-Konvention

Lesezeit: 6 Minuten

Interview mit Marek Jurek, ehemaliger Marschall (Präsident) des polnischen Sejm 2005-07, ehemaliges Mitglied des Europäischen Parlaments 2014-19, Gründungsmitglied der Partei „Recht der Republik“ (Prawica Rzeczypospolitej), Vorsitzender des Christlich Sozialen Kongresses (Chrześcijański Kongres Społeczny).

Zusammen mit dem Ordo Iuris Institut steht der Christlich-Soziale Kongress hinter dem Volksbegehren „Ja zu Familie, Nein zu Gender“, das darauf abzielt, dass Polen aus dem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, bekannt als „Istanbul-Konvention“, aussteigt. Nachdem 150.000 Unterschriften von Bürgern gesammelt wurden, wurde der Gesetzentwurf am Mittwoch erstmals im Sejm debattiert.

Dieses Interview fand am Donnerstag, den 18. März, statt.

Olivier Bault: Gestern debattierte der Sejm über das Volksbegehren „Ja zu Familie, Nein zu Gender“, das, wenn es angenommen wird, dazu führen wird, dass Polen aus der Istanbul-Konvention aussteigt. Sie wollen also nicht die Gewalt bekämpfen, wie es die polnische Linke suggeriert, richtig?

Marek Jurek: Jedes zivilisierte Land kämpft gegen häusliche und sexuelle Gewalt, und der einzige Mehrwert dieser Konvention ist die Gender-Ideologie, die sie trägt. Artikel 12 der Istanbul-Konvention behauptet, „stereotype Rollen“ für Männer und Frauen auszurotten. Es gibt keine „stereotype“ Geschlechterrolle mehr als in der Ehe und in der Rolle von Vater und Mutter. Die polnische Verfassung schützt Ehe und Mutterschaft als gesellschaftliche Werte, während diese Konvention auf völlig anderen Werten beruht. Die Hälfte der mitteleuropäischen Länder, einschließlich aller anderen Länder der Visegrád-Gruppe, haben diese Konvention nicht ratifiziert. In der Tschechischen Republik gibt es eine liberale Regierung, in der Slowakei gab es bis vor kurzem eine Linksregierung und in Ungarn eine konservative Regierung. Trotz dieser Unterschiede lehnen diese drei Länder, aber auch andere wie Litauen, Lettland und vor allem Bulgarien, diese Konvention ab.

Das Volksbegehren „Ja zu Familie, Nein zu Gender“ hat zwei Teile. Der zweite Teil wird die polnische Regierung verpflichten, ihren internationalen Partnern eine Konvention über die Rechte der Familie vorzuschlagen. Die in unserem Komitee vertretenen Gruppen, die diese Bürgervorlage initiiert haben, hatten der Regierung bereits einen Konventionsentwurf vorgelegt. Ich selbst habe ihn bei vielen Gelegenheiten vorgestellt, als ich noch Mitglied des Europaparlaments war, unter anderem in der französischen Nationalversammlung, in Ungarn, in Kroatien, usw.

Olivier Bault: Wird diese Konvention über die Rechte der Familie auch Klauseln enthalten, die sich mit häuslicher Gewalt bzw. Gewalt gegen Frauen befassen?

Marek Jurek: Ja, denn wir lehnen nicht alle Klauseln der Istanbul-Konvention ab. Wir lehnen ihre Philosophie ab. Gestern, während der Debatte im Sejm, habe ich vorgeschlagen, dass die Abstimmung über das Gesetz, das die Istanbul-Konvention aufkündigt, von einem Nationalen Pakt gegen Gewalt begleitet werden sollte. Alle neuen Regelungen gegen häusliche Gewalt und Gewalt gegen die Schwächsten könnten durch das Gesetz zur Kündigung der Istanbul-Konvention in das polnische Recht aufgenommen werden. Das könnte der dritte Teil dieses Gesetzes sein. Erinnern wir uns daran, dass die Rechte, die jetzt die Mehrheit im Parlament hat, bisher mehr als die Linke zur Bekämpfung der häuslichen Gewalt in Polen getan hat.

Es sollte auch darauf hingewiesen werden, dass die Istanbul-Konvention nicht nur falsch ist, weil sie auf einer Gender-Ideologie basiert, sondern auch voller Heuchelei ist. In Artikel 17 zum Beispiel geht die Konvention davon aus, dass gewalttätige und diskriminierende Muster gegenüber Frauen in der Gesellschaft präsent bleiben müssen. Sehr hart wird in Artikel 12 mit Traditionen und traditionellen Gesellschaftsmodellen umgegangen, die „ausgerottet“ werden sollen. Wenn es dagegen um Muster geht, die neuen Moden entsprechen, wie z.B. die Förderung von „Hardcore“-Sex in der Massenkultur mit der damit verbundenen Gewalt gegen Frauen, wird in Artikel 17 nur von einer „Selbstregulierung“ der Medien gesprochen, und zwar „unter Wahrung der Meinungsfreiheit“. Im zweiten Absatz dieses Artikels heißt es sogar, dass es das Beste sei, Eltern zu lehren, wie ihre Kinder nicht mit diesen Mustern konfrontiert werden sollen, die es ohnehin gibt und weiterhin geben wird. Das zeigt, dass diese Konvention nicht gegen Gewalt ist, sondern gegen die Kultur, die auf Ehe, Familie, mütterlicher und väterlicher Verantwortung und den Institutionen, auf denen das Leben der Nation basiert, beruht.

Marek Jurek und Olivier Bault in Warschau. Bild: Olivier Bault

Olivier Bault: Das Europaparlament hat bereits mehrfach die bloße Tatsache verurteilt, dass Polen erwägt, aus der Istanbul-Konvention auszusteigen. Im vergangenen Juli sagte der französische Staatssekretär für europäische Angelegenheiten, Clément Beaune, dass es finanzielle Sanktionen seitens der EU geben sollte, wenn Polen die Istanbul-Konvention aufkündigt. Befürchten Sie keine europäischen Sanktionen, wenn Polen aus dieser Konvention aussteigt?

Marek Jurek: Da Polen ein größeres Land ist als die sechs mitteleuropäischen Länder, die diese Konvention nicht ratifiziert haben, ist sein Ausstieg aus der Istanbul-Konvention eine notwendige Bedingung für den Aufbau einer Union, die auf Respekt und Zusammenarbeit zwischen den Nationen basiert. Nach den europäischen Verträgen hat die EU keine Zuständigkeit für die von dieser Konvention abgedeckten Themen, wie Bildung oder Familie. Die Rolle der EU sollte darin bestehen, einen modus vivendi zwischen Ländern mit unterschiedlichen Ansätzen zu diesen Themen aufzubauen. Dies ist die gegenseitige Achtung und Einheit in der Vielfalt, die ein erklärtes Leitprinzip der EU ist. Vor allem aber schließt das Prinzip der Achtung der Rechtsstaatlichkeit jede Einmischung der europäischen Institutionen in die Regelung dieser Fragen auf nationaler Ebene aus. Die EU-Spitze und auch der französische Außenminister sind jedoch der Meinung, dass die EU die Verkünderin der Gender-Ideologie sein soll. Dies ist ein brutaler Angriff auf die konstitutionelle Demokratie. In Bulgarien war es beispielsweise das Verfassungsgericht, das die Ratifizierung der Istanbul-Konvention blockierte, und in der Slowakei und in Ungarn waren es ebenfalls verfassungsrechtliche Hindernisse, die gegen die Ratifizierung geltend gemacht wurden. Dieser Vorstoß gegen die verfassungsmäßige Demokratie der Mitgliedsstaaten von denselben Leuten, die behaupten, die Rechtsstaatlichkeit in Polen zu verteidigen, zeigt, dass die Angriffe auf unser Land nichts mit der Verteidigung der Demokratie zu tun haben. Es ist nur ein Weg, sich in die politische Debatte innerhalb unseres Landes einzumischen.

Olivier Bault: Warum hat Ihrer Meinung nach die derzeit regierende Koalition der Vereinigten Rechten die Istanbul-Konvention nicht gekündigt, und warum hat Ministerpräsident Mateusz Morawiecki es vorgezogen, die Angelegenheit an das Verfassungsgericht zu verweisen?

Marek Jurek: Im Jahr 2015 hat sich die PiS sehr lautstark gegen die Ratifizierung dieser Konvention ausgesprochen, aber die ersten Kontroversen gab es bereits innerhalb der Regierung Donald Tusks selbst, nachdem die Konvention 2011 unterzeichnet wurde. Die Hauptsorge galt bereits der in der Istanbul-Konvention gefundenen Idee, dass „Gender“ das Geschlecht ersetzt, und den unvorhersehbaren Folgen, die dies im polnischen Recht haben könnte. Leider konzentrierte sich die PiS nach den Wahlen 2015 auf die Konsolidierung der Macht im Inneren und vernachlässigte die Verteidigung unserer Prinzipien auf der europäischen Bühne. Es ist schade, denn Rumänien und Kroatien haben diese Konvention inzwischen ratifiziert und hätten sich vielleicht anders entschieden, wenn das Beispiel Polens sie in ihrem Widerstand ermutigt hätte.

Olivier Bault: Glauben Sie, dass Ihr Volksbegehren eine Chance hat, vom polnischen Parlament angenommen zu werden?

Marek Jurek: Ich hoffe es. Die Parlamentsmehrheit hat kein Interesse daran, die Angeöegenheit auf die lange Bank zu schieben, wie sie es in der Frage der eugenischen Abtreibung getan hat, indem sie sich weigerte, ein Gesetz zu erlassen und sich an das Verfassungsgericht wandte. In einer Situation, in der die Europäische Union die mitteleuropäischen Länder unrechtmäßig dazu drängt, ihre traditionellen Werte zu verwerfen, ist es wichtig, diese Istanbul-Konvention so schnell wie möglich aufzukündigen.

Olivier Bault: Wie erklären Sie sich die außerordentlich aggressiven und sogar offen beleidigenden Äußerungen einiger liberalen und linken Abgeordneten während der gestrigen Debatte im Sejm? Oder die Tatsache, dass eine Mainstream-Zeitung wie die Gazeta Wyborcza schreibt, Ihre Bürgerinitiative sei „ein ultrakatholisches Gesetz“ mit „faschistoiden Klauseln“? Warum eine solche Hysterie anstelle einer normalen demokratischen Debatte?

Marek Jurek: Das zeigt die wahren Absichten der Istanbul-Konvention. Das ist es, was ich gestern im Sejm gesagt habe: Diese Konvention enthält in sich die Elemente eines Angriffs auf unsere traditionellen Werte, auf die „stereotypen“ Rollen von Männern und Frauen, auf die Idee der Ehe zwischen einem Mann und einer Frau, die durch Solidarität, Liebe und Treue verbunden sind. Was wir gestern im Sejm gesehen haben, ist ein Echo dieser Konvention, die die Grundlagen unserer Zivilisation in Frage stellen will, anstatt die Quelle der Gewalt gerade in der Verletzung der Normen unserer Zivilisation zu sehen. Es war ein Fest des Hasses und der Verachtung gegenüber den Befürwortern unseres Gesetzes, die regelmäßig entmenschlicht werden. Denn zu sagen, dass diejenigen, die gegen die Gender-Ideologie sind, Unterstützer der häuslichen Gewalt seien, ist etwas Unvorstellbares und absolut beschämend. Die Verteidiger der Familie als Befürworter von Gewalt darzustellen, bedeutet, seine Gegner zu entmenschlichen. Leider sind die Quellen dieser Unterstellungen im Text der Istanbul-Konvention selbst zu finden.

Ein Teil der Opposition greift diese Debatte auf, um von einem weiteren Ausdruck des angeblichen Autoritarismus der PiS zu sprechen. Wenn das der Fall wäre, wäre Polen schon längst aus der Istanbul-Konvention ausgetreten. Es ist wirklich traurig, dass diese selbsternannten Demokraten nicht in der Lage sind, sich vorzustellen, dass die Polen eine eigene Meinung haben, für die sie bereit sind, ihre Anstrengungen und ihre Zeit zu investieren, die Zeit, die Tausende von Freiwilligen aufwenden, um unter den sehr schwierigen Bedingungen der Pandemie mit den aktuellen Einschränkungen im Gesundheitswesen Unterschriften von Bürgern zu sammeln. Die Art und Weise, wie familienfreundliche NGOs und die Zivilgesellschaft gestern behandelt wurden, ist verheerend für die öffentliche Debatte und für die Demokratie, die als repräsentative Regierungsform verstanden wird, die auf freier und ehrlicher Diskussion beruhen soll.