Ungarn/Polen – Politische Beobachter erwarteten, dass der schwelende Konflikt zwischen den beiden mitteleuropäischen Ländern und den europäischen Institutionen über „europäische Werte“ – die der slowenische Ministerpräsident Janez Janša kürzlich als „imaginäre Werte“ bezeichnete – schließlich zu einem Vertragsverletzungsverfahren nach europäischem Recht führen würde. Dies ist nun seit dem 15. Juli der Fall.
Verstöße in den Bereichen Gleichberechtigung und Grundrechte…
Wie auf ihrer offiziellen Website angegeben, „leitet die Kommission Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn und Polen im Zusammenhang mit der Gleichberechtigung und dem Schutz der Grundrechte ein.“ Die Brüsseler Behörden beschuldigen Ungarn für
„ein kürzlich gebilligtes Gesetz, das insbesondere den Zugang zu Inhalten, die sogenannte „von dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht abweichende Identitäten, Geschlechtsumwandlungen oder Homosexualität“ verbreiten oder darstellen, für Personen unter 18 Jahren beschränkt oder verbietet, sowie um einen Hinweis, der für ein Kinderbuch mit LGBTIQ-Inhalten vorgeschrieben wurde.“
Im Fall von Polen handelt es sich natürlich um die
„sogenannten ‚LGBT-freien Zonen’, die von mehreren polnischen Regionen und Gemeinden geschaffen wurden.“
Verstoß gegen eine Reihe von EU-Vorschriften…
Die Europäische Kommission, geleitet von Ursula von der Leyen, meint, sie verstehe nicht
„warum der Kontakt von Kindern mit LGBTIQ-Inhalten ihr Wohlergehen beeinträchtigen oder nicht dem Wohl des Kindes entsprechen würde.“
und beschloss deshalb in einem ersten Schritt, „Ungarn ein Aufforderungsschreiben zu übermitteln“, weil es „gegen eine Reihe von EU-Vorschriften verstößt.“ Die Kommission betrachtet die vom Budapester Parlament beschlossenen Maßnahmen zum Schutz von Minderjährigen als
„ungerechtfertigte Beschränkungen […], die Menschen aufgrund ihrer sexuellen Ausrichtung diskriminieren“
und wundert sich, dass „die Erbringung von Dienstleistungen, die unterschiedliche sexuelle Ausrichtungen für Minderjährige darstellen, […] wenn diese Angebote aus anderen Mitgliedstaaten stammen“ nun genauso verboten sind wie die aus Ungarn stammenden, was einen Verstoß gegen die Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr darstellen würde. Was die Beschränkungen für an Minderjährige gerichtete audiovisuelle Inhalte betrifft, so sieht die Kommission darin einen Verstoß gegen die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste „in Bezug auf die Normen für audiovisuelle Inhalte und die freie Bereitstellung grenzüberschreitender audiovisueller Mediendienste“.
Schließlich wird die „ungarische Verbraucherschutzbehörde“ dafür kritisiert, dass sie von Verlegern von Kinderbüchern, in denen „LGBTIQ-Personen“ dargestellt werden, verlangt, dass sie
einen Hinweis aufnehmen, dass das Buch ‚Verhaltensweisen, die von den traditionellen Geschlechterrollen abweichen’, darstellt.“
Die Kommission sieht darin eine Einschränkung der „Meinungsfreiheit von Autoren“ und eine ungerechtfertigteDiskriminierung „aus Gründen der sexuellen Ausrichtung“. Auch hier können die europäischen Institutionen nicht erkennen, „warum der Kontakt von Kindern mit LGBTIQ-Inhalten sich nachteilig auf ihr Wohlergehen auswirken oder nicht dem Wohl des Kindes entsprechen würde.“ In dieser Frage hat sich die Kommission daher entschlossen, Ungarn wegen Verstoßes gegen die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken zu verklagen.
Ungarn wird außerdem vorgeworfen, gegen die Transparenzrichtlinie für den Binnenmarkt verstoßen zu haben, da es versäumt habe, „der Kommission einige der angefochtenen Maßnahmen nicht im voraus“ mitzuteilen.
Mangelnde Zusammenarbeit
Bezüglich Polen,
ist die Kommission „besorgt“, dass die „Schaffung von ‚LGBT-freien Zonen’ […] hinsichtlich der Nichtdiskriminierung aus Gründen der sexuellen Ausrichtung gegen EU-Recht verstoßen“ könne.
Sie will daher „eine detaillierte Analyse der Vereinbarkeit der Erklärungen mit dem EU-Recht durchführen“ und beklagt, dass sie von den polnischen Behörden nicht die für diese „Bewertung“ notwendigen „angemessene und umfassende Informationen“ erhalten hat. Mit anderen Worten: Warschau wird ausdrücklich die „mangelnde Zusammenarbeit“ vorgeworfen.
Polen hat deshalb auch ein Aufforderungsschreiben erhalten, das die Europäische Kommission auch mit der Umsetzung ihrer brandneuen „EU-Strategie zur Gleichstellung von lesbischen, schwulen, bisexuellen, Transgender-, nichtbinären, intersexuellen und queeren Personen (LGBTIQ)“ begründet.
Sowohl für Polen als auch für Ungarn bestätigt die Erklärung der Europäischen Kommission einen Bericht der Deutschen Welle vom 1. Juli, wonach die Kommission beabsichtigt, gegen LGBT-Themen auf ähnliche Weise vorzugehen, wie es die US-Behörden gegen den berüchtigten Al Capone getan haben, nämlich durch die Hintertür.
Die europäischen Verträge erlauben es den europäischen Institutionen nicht, ihre Visionen in gesellschaftlichen Fragen, die in die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten fallen, direkt durchzusetzen.