Österreich – Zum ersten Mal in der Geschichte der Republik Österreich wurde am 6. Oktober das Bundeskanzleramt auf Anweisung der Staatsanwaltschaft durchsucht. Zur gleichen Zeit fanden in Wien ähnliche Aktionen im Finanzministerium und in der Zentrale der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) statt, deren Obmann kein Geringerer als Bundeskanzler Sebastian Kurz ist.
Korruption und Veruntreuung von öffentlichen Geldern?
Die österreichische Staatsanwaltschaft ermittelt tatsächlich wegen Korruptionsverdachts. Unter den rund zehn Verdächtigen – es gibt noch keine Anklage – befinden sich neben Bundeskanzler Kurz (ÖVP) auch Thomas Schmid (ÖVP), ehemaliger Kabinettschef und Generalsekretär des Finanzministeriums, sowie die Brüder Wolfgang und Helmuth Fellner, Verleger bzw. Eigentümer der Gratiszeitung Österreich.
Im Mittelpunkt der Ermittlungen steht der Verdacht, dass Umfragen und Berichte manipuliert worden seien, um den Aufstieg von Sebastian Kurz zum Bundeskanzler zu unterstützen, und dass diese „Dienstleistungen“ durch Ministeriumsinserate in genannter Zeitung bzw. auf deren Portal oe24.at bezahlt worden seien.
Sollten diese Anschuldigungen bewiesen werden, so handle es sich nicht nur um Korruption, sondern auch um Veruntreuung öffentlicher Gelder. Diese Vorwürfe sind daher äußerst schwerwiegend.
„Konstruierte Vorwürfe“ nach Ansicht der ÖVP
Die Partei von Bundeskanzler Kurz reagierte gestern Abend in einer Stellungnahme auf die Durchsuchungen: „Nach den falschen Anschuldigungen, die schon gegen Sebastian Kurz, Josef Pröll, Gernot Blümel, Hartwig Löger, Bernhard Bonelli und andere erhoben wurden und sich mittlerweile alle als haltlos herausgestellt haben,
werden nun weitere Vorwürfe konstruiert über Vorgänge, die teilweise fünf Jahre zurückliegen. Das passiert immer mit demselben Ziel und System: die Volkspartei und Sebastian Kurz massiv zu beschädigen.“
Lt. „Österreich“ seien es nicht die gleichen Umfragen
Auch die Tageszeitung Österreich brachte es in einer APA-Meldung auf den Punkt: „Völlig unabhängig von den Politik-Umfragen für die Tageszeitung Österreich
erarbeitete das Institut ‚Research Affairs’ offenbar auch Umfragen und Studien für das Finanzministerium, so wie die meisten österreichischen Meinungsforschungs-Institute Aufträge von Ministerien oder Interessens-Vertretungen bearbeiten.
Diese Umfragen stehen in keinerlei Zusammenhang mit der Mediengruppe ‚Österreich’, sie wurden völlig unabhängig von den von ‚Österreich’ beauftragten Umfragen der Tageszeitung ‚Österreich’ – so wie übrigens auch vielen anderen Medien -zur Veröffentlichung angeboten. Diese Umfragen des Finanzministeriums mit Research Affairs hatten niemals eine Sonntagsfrage, eine Wählerpräferenz oder eine Wahl-Umfrage zum Inhalt, sondern betrafen im Großen und Ganzen Steuer-, Finanz-, Europa- und Budget-Themen. Die Veröffentlichung von kleinen Teilen dieser Umfragen erfolgte nicht nur in ‚Österreich’ sondern auch in vielen anderen Medien.“
Sebastian Kurz schließt Rücktritt aus
In der großen 22-Uhr-Nachrichtensendung ZiB2 des ORF am 6. Oktober verteidigte sich Bundeskanzler Kurz, indem er jegliche Verwicklung in diese Affäre bestritt und „zu 1.000% ausschloss“, dass er selbst Scheinrechnungen für Umfragen gestellt oder erhalten oder sonst wie darin involviert sein könnte, und daran erinnerte, dass er damals, im Jahr 2016, noch nicht Vorsitzender der ÖVP, sondern nur Außenminister war. Einen Rücktritt aus dem Kanzleramt, wie ihn die Opposition fordert, schließt er daher völlig aus.
Ungewöhnliche Geschlossenheit der Opposition
In der Opposition sieht man die Dinge natürlich in einem ganz anderen Licht. Die Obfrau der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ), Pamela Rendi-Wagner, sagte:
„Wir alle werden Zeuge des moralischen Verfalls der ÖVP […] Es liegen schwerwiegende Vorwürfe am Tisch. Es geht um die Anstiftung zur Untreue und Bestechlichkeit.
Wenn man politische Verantwortung ernst nimmt – und ein Regierungschef trägt hohe politische Verantwortung – und wenn man einen Funken Anstand besitzt, dann müsste man als Kanzler die Konsequenzen ziehen. Wir werden eine Sondersitzung im Parlament beantragen.“ Eine Ansicht, die – ausnahmsweise – auch FPÖ-Obmann Herbert Kickl teilt, der den Kanzler auffordert, so schnell wie möglich zurückzutreten:
„Sollte Sebastian Kurz bis zum Termin der Sondersitzung [des Nationalrats] nicht von sich aus die einzig vor stellbare Konsequenz ziehen, werden wir mit einem Misstrauensantrag nachhelfen“.