Interview mit Pater L’ubomír Urbančok, Sekretär des Generalvikars: „Wie überall sind wir auch hier einem starken Einfluss ausgesetzt, der uns in Richtung Säkularisierung und Liberalisierung drängt.“
Ferenc Almássy traf Pater L’ubomír Urbančok in der slowakischen Stadt Tyrnau (Trnava), die gemeinhin als das „kleine Rom“ der Slowakei bezeichnet wird. Pater L’ubomír, der durch seine Mutter ungarischstämmig ist und mehrere Sprachen spricht, hat in Prag eine Universitätsausbildung zum Astronomen absolviert. Der junge, traditionalistische Priester, der gerade erst 30 geworden ist, ist sehr aktiv. Er ist in sozialen Netzwerken präsent und setzt sich dafür ein, die lateinische Messe populär zu machen und die jüngere Generation anzusprechen. Er macht auch keinen Hehl aus seinen konservativen Ansichten, zu denen er steht und die er verteidigt, insbesondere in der Presse.
In diesem Interview spricht Pater L’ubomír über verschiedene Themen: den Zustand der Kirche in der Slowakei, einem Land, das als sehr katholisch gilt, in dem aber wie überall die Kirchen leerer werden – insbesondere seit dem Beginn der Covid-Pandemie; den Papstbesuch in der Slowakei; die Zukunft der lateinischen Messe; seine konservative Meinung über Papst Franziskus und seinen Progressivismus; bzw. den Rückgang des Glaubens und das Erstarken der Progressisten in der Slowakei.
Ferenc Almássy: Pater L’ubomír, vielen Dank für dieses Interview, das Sie der Visegrád Post anvertrauen. Nachdem Sie Sekretär des Erzbischofs von Tyrnau waren, sind Sie nun offiziell Sekretär des Generalvikars in Rom. Außerdem wurde Ihnen die Verantwortung für die lateinischen Messen in der Diözese übertragen.
Pater L’ubomír: Die Aufgaben, die Sie aufzählen, sind die prestigeträchtigsten unter meinen Aufgaben, aber meine Hauptaufgabe ist derzeit das Studium.
Ferenc Almássy: Sie sind auch im Internet aktiv. Dort haben Sie zum Beispiel viele Internetnutzer an die lateinische Messe herangeführt.
Pater L’ubomír: Ja.
Ferenc Almássy: Was übrigens sehr interessant ist, wenn man bedenkt, dass vor einigen Monaten der Papst – ich vereinfache das jetzt mal ein bisschen – die lateinische Messe angegriffen hat. Ich würde also mit folgender Frage beginnen: Wie ist Ihre Meinung? Was halten Sie von diesem Dokument? Oder anders gefragt: Wie sieht Ihrer Meinung nach die Zukunft der lateinischen Messe aus?
Pater L’ubomír: Was das Dokument des Heiligen Vaters mit dem Titel „Traditiones custodes“ betrifft, so stellt es eine Entwicklung dar, die vorhersehbar war. Schon seit sehr langer Zeit wurde über die Vorbereitung einer solchen Initiative gesprochen. Einige Probleme wurden von Kardinal Burke und auch von anderen Bischöfen angesprochen: Es scheint, dass das Dokument eine Reihe von Widersprüchen enthält. Was das vom Heiligen Vater vorgebrachte Hauptargument betrifft, dass wir uns gegenüber Gemeindemitgliedern, die Messen im alten Ritus besuchen, manchmal in einer Zwickmühle befinden – zum Beispiel, weil sie die Lehren des Zweiten Vatikanischen Konzils nicht kennen –, so ist dies eine verständliche Sorge seinerseits. Als Papst ist es seine Aufgabe, zu überwachen, was in der Kirche geschieht. Es ist also eine verständliche Sache. Aber was mich betrifft, so habe ich schon vor diesem Dokument, als mir (als Priester) das Argument vorgelegt wurde, dass es Gemeindemitglieder gibt, die das Zweite Vatikanische Konzil nicht akzeptieren, immer geantwortet, dass ich auch Messen nach neuem Ritus – nach reformiertem Ritus – feiere und den Gemeindemitgliedern, die daran teilnehmen, die Beichte abnehme. Und ich könnte auch sehr gut sagen, dass es unter denjenigen, die an diesen Messen im reformierten Ritus teilnehmen, einige gibt, die die Lehren der Kirche nicht akzeptieren…
Es ist sehr traurig, dass man den Gläubigen weismachen will, dass die Liturgie der Kirche selbst eine Quelle der Spaltung sei: diese Heilige Messe selbst, von der wir als Katholiken glauben, dass sie uns das Opfer Christi am Kreuz vergegenwärtigt. Von diesem Christus, der in die Welt gekommen ist, um sein Leben aus Liebe zu den Menschen, für das Heil der Welt, zu geben. Für einen Katholiken ist es unvorstellbar, dass die Heilige Messe dazu dienen soll, die Gläubigen innerhalb der Kirche zu spalten. Wenn das Problem, das der Heilige Vater zu verhindern sucht, die Spaltung ist, dann muss man sich wahrscheinlich vor allem sagen, dass die Liturgie keine Ursache für die Spaltung sein kann… Im Laufe der Geschichte hat die Heilige Messe nie zu einer Spaltung geführt – und einer der Hauptgründe, warum ich die Messe im alten Ritus liebe, ist, dass sie es mir leichter macht, die Gemeinschaft der Heiligen zu leben. Als ich zum Priester geweiht wurde, wollte es die Gnade, dass ich durch Ars in Frankreich reiste – wohin ich übrigens regelmäßig für meinen Sommerurlaub zurückkehre – und dass man mir dort als frisch geweihtem Priester das Privileg gewährte, die Messe auf dem Altar des Pfarrers von Ars mit seinem Kelch zu feiern – ein Privileg, das nur frisch geweihten Priestern und Bischöfen vorbehalten war. Da wurde mir das Ausmaß der Kraft bewusst, die von der Tatsache ausging, dass ich die Messe genau so feierte, wie er sie gefeiert hatte… Ich denke also, dass dies das Wichtigste ist, und das ist es, was ich den Gemeindemitgliedern immer sage: dass wir uns auf unsere traditionelle Heilige Messe als die armen Sünder, die wir sind, beziehen müssen, und dass die sehr dichte Symbolik, die sie enthält, dazu da ist, um unserer Schwäche zu Hilfe zu kommen. Ich versuche daher, jegliche Polemik in diesem Bereich zu vermeiden. Natürlich muss man auch offen reden, aber man darf nie das Wesentliche aus den Augen verlieren. Und das Wesentliche ist für mich, dass die Heilige Messe den Gläubigen hilft, Gott zu begegnen. Das Wichtigste ist für mich, dass wir über das Wesentliche sprechen. Und das Wesentliche ist das.
Ferenc Almássy: Die Slowakei ist ein Land mit 5,5 Millionen Einwohnern, das früher zur Tschechoslowakei gehörte, das auch den Kommunismus erlebte, und trotz allem pflegt man zu sagen, dass es ein sehr katholisches Land sei. Wie sieht es heute tatsächlich aus? Wie steht es um den Katholizismus und die römisch-katholische Kirche in der Slowakei?
Pater L’ubomír: Alles ist gut, wie Sie sagen; vor kurzem bin ich auf einen interessanten Artikel gestoßen, in dem behauptet wurde, dass der Vatikan selbst im Jahr 2000 eine europaweite Umfrage durchführen ließ, aus der hervorging, dass der katholischste Staat die Slowakei war – gemessen an der Zahl der Priesterberufungen pro 100.000 katholische Einwohner. Es gab sogar mehr als in Polen! Wenn ich mich recht erinnere, gab es in der Slowakei etwa 16 Berufungen auf 100.000, während es in Polen 13 waren. Man kann also in der Tat sagen, dass uns der Kommunismus in gewisser Hinsicht vor einem gewissen Säkularismus geschützt hat, der im Westen schon früher einsetzte, dann vor der sexuellen Revolution bzw. Mai 1968. Man muss anerkennen, dass sich der christliche Glaube dort am besten verbreitet, wo die Unterdrückung am schlimmsten ist.
All dies muss also hinzugefügt werden. Aber nach dem Ende des Kommunismus, in den 1990er Jahren, gab es einen regelrechten Boom an Berufungen. In vielen Fällen handelte es sich dabei um Priester, die unter dem Kommunismus nicht Priester werden konnten. Ich kannte beispielsweise einen Pfarrer, der 20 Jahre darauf gewartet hatte, um zum Priester geweiht werden zu können.
Das sind also sehr schöne Geschichten, aber selbst vor diesem Hintergrund ist es nicht weniger wichtig zu verstehen, dass auch wir in der Slowakei, wie die Ungarn und die Polen, nun Teil dieses Europas sind. Und wie überall sonst sind wir auch hier einem starken Einfluss ausgesetzt, der uns in Richtung Säkularisierung und Liberalisierung drängt.
Nun zu der Frage, inwieweit wir gegen diese negativen Einflüsse vorgehen können… Es ist wichtig, dass wir verstehen, was unsere Identität ist, dass wir uns dessen bewusst sind, woran wir glauben. Und je schwächer dieser Glaube ist… Nun beruht er aber nicht nur auf einer Tradition, sondern auch auf einem Wissen: zu wissen, warum wir katholisch sind. Als ich in Prag studierte, ging ich eines Tages mit einer meiner Freundinnen spazieren, als sich uns eine ihrer Freundinnen anschloss, die mir erzählte, dass sie aus einem bestimmten Dorf in der Slowakei stammte. Sobald sie den Namen des Dorfes gesprochen hatte, wusste ich, dass sie katholisch war. Denn diese Art von Dörfern gibt es noch – wenn auch nur in Ausnahmefällen –, wo, sagen wir, von einer Gesamtbevölkerung von 5000 Seelen 4000 zur Sonntagsmesse gehen. Auch hier geht die Zahl der Besucher heute drastisch zurück, aber damals war es noch so. Deshalb fragte ich sie nicht einmal, ob sie katholisch oder protestantisch sei … Ich fragte sie auch trocken, wo sie in Prag zur Messe ging. Daraufhin antwortete sie, dass sie in Prag nicht zur Messe gehe. Ich sah sie an und fragte sie, warum sie nicht zur Messe gehe, wo sie doch aus einem so gläubigen Dorf komme. „Weil es hier üblich ist, nicht zur Messe zu gehen.“ – antwortete sie mir. In diesem Moment wurde mir klar, wie wichtig das Gewissen und die Identität sind: Wie entscheidend es ist, dass ich weiß, warum ich die Heilige Messe besuche. Warum ich ein katholischer Christ bin. Die große Gefahr ist, dass, wenn man etwas in großen Mengen tut, oft die Qualität darunter leidet. Und das gilt meiner Meinung nach auch für den Glauben.
Es könnte also durchaus sein, dass es heute weniger Gläubige gibt, dass ihre Zahl abnimmt – das ist sogar sicher –, und wir müssen auch über den Einfluss sprechen, den der Covid in dieser Hinsicht hatte… Was mich jedoch zuversichtlich stimmt, ist die Gewissheit, dass die Qualität steigen wird. Auch der Einfluss des Internets scheint mir in dieser Hinsicht äußerst positiv zu sein, denn leider befindet sich auch die Kirche in einer tiefen Krise, so dass ich heutzutage – traurigerweise – selbst unter den Priestern und Bischöfen nur noch wenige treffe, die über grundlegende Fragen sprechen. Als Priester ist es aber wichtig, dass ich – unter anderem – darüber spreche: dass ich, wenn ich meine Gemeindemitglieder anschaue, Seelen sehe. Wenn ich jemandem auf der Straße begegne, muss ich nicht nur eine Person, sondern auch eine Seele sehen. Aber wie viele von uns in der Kirche denken heutzutage so? Und wenn ich diese Seele sehe und weiß, dass sie vielleicht in Gefahr ist, dass ihr die ewige Verdammnis droht – wie viele sind wir heute noch, die darüber reden? Oder ist es besser, um nicht so unsympathisch zu sein, wie wir im Ruf stehen, über alle möglichen „Marshmallows“ zu sprechen, den Menschen zu sagen, dass sie „einander lieben“ sollen, und andere Slogans von großer Allgemeinheit – aber dabei vermeiden wir es, über das Wesentliche zu sprechen? Die sehr besorgniserregende Situation des Westens beginnt sich nun auch bei uns auszubreiten: Im Seminar sieht man deutlich, dass die Bewerbungen äußerst selten sind.
Ferenc Almássy: Wie ist heutzutage das Verhältnis von Kirche und Staat in der Slowakei?
Pater L’ubomír: Das ist eine Frage, die nicht leicht zu beantworten ist. Es ist auf jeden Fall in gewisser Hinsicht eine enge Beziehung, da es der Staat ist, der einen Großteil der Finanzen der Kirche bereitstellt. Es gibt also eine Einheit: eine enge Zusammenarbeit zwischen Kirche und Staat.
Ferenc Almássy: Und das begann gleich nach dem Regimewechsel?
Pater L’ubomír: Das war schon immer so, auch unter dem Kommunismus, und es blieb auch danach so. Die erste Änderung des entsprechenden kommunistischen Gesetzes erfolgte erst vor knapp zwei Jahren. Die Kirche wird vom Staat im Verhältnis zur Anzahl der praktizierenden Katholiken finanziert. Diese Regel gilt nicht nur für Katholiken. Gemäß dem geltenden Abkommen werden die Beträge bei jeder Volkszählung neu festgelegt. Im Moment werden beispielsweise die Ergebnisse einer Volkszählung erwartet, die in den letzten Monaten durchgeführt wurde. Die Kirche hat sich bemüht, Druck auf die Gläubigen auszuüben, damit diese, wenn sie an der Volkszählung teilnehmen, auch als Katholiken daran teilnehmen. Wir wissen noch nicht, inwieweit uns das gelungen ist; auf jeden Fall war es sicherlich nicht förderlich für den Erfolg, dass die Slowakei ihre Kirchen sehr lange geschlossen hielt – wahrscheinlich am längsten in Europa –, so dass die Bischöfe des Landes, als sie beschlossen, einen Hirtenbrief zu veröffentlichen, um die Gläubigen zu ermutigen, ihren Glauben zu leben, dies nur über das Internet tun konnten. Wie dem auch sei, wenn man den Ergebnissen der letzten Volkszählung Glauben schenken darf, ist die slowakischen Bevölkerung zu 68% katholisch. Die neue Zahl wird wahrscheinlich einen weitaus geringeren Anteil ergeben.
Ferenc Almássy: Und die restlichen 32%?
Pater L’ubomír: Da waren noch die Unierten, gefolgt von den Lutheranern.
Ferenc Almássy: Und nehmen diese Gemeinden zu?
Pater L’ubomír: Nein, es gibt keine Kirche, deren Mitgliederzahl steigen würde.
Ferenc Almássy: Was bedeutet, dass die anderen Agnostiker sind?
Pater L’ubomír: Sie müssen sich als Individuen ohne religiöse Überzeugungen beschrieben haben. Interessanterweise führten einige Gruppen – es ist nicht bekannt, wer hinter diesen Gruppen steht – dieses Mal eine sehr gewalttätige Kampagne: Sie kommunizierten sogar über Plakate, um Druck auf die Menschen auszuüben und sie dazu zu bringen, sich als ohne religiöse Überzeugungen zu bezeichnen. Einige bezeichneten sich sogar als „Pálinka-Anhänger“ [hochprozentiger Schnaps aus dem Karpatenbecken – AdÜ.], was nur dazu diente, die Zahl derer zu erhöhen, die als nicht-religiös eingestuft werden. Und all das ist nicht ohne Bezug zur aktuellen politischen Situation in der Slowakei, denn unsere Staatspräsidentin Zuzana Čaputová kommt aus einer ultraliberalen Partei. Dies ist umso paradoxer, als sie sechs Monate vor den Wahlen vollkommen unbekannt war. Sie wurde durch eine Medienkampagne bekannt, die hauptsächlich im Internet stattfand und ihre Aktivitäten im Zusammenhang mit der Mülldeponie auf dem Gebiet einer kleinen Stadt unweit von hier namens Bösing (Pezinok auf Slowakisch bzw. Bazin auf Ungarisch) beworben hat. Und aus dieser Kampagne erfuhren wir, dass sie von einem Tag auf den anderen beschlossen hatte, Präsidentin der Republik zu werden. Inzwischen hat sie sich zweimal scheiden lassen und zieht nun mit einem neuen Liebhaber, mit dem sie wahrscheinlich zusammenlebt, zwei Kinder groß. Außerdem hat sie sich für Abtreibung ausgesprochen und das Paradoxeste ist, dass der Erzbischof von Tyrnau – der von Benedikt XVI. ernannt wurde, der ihn später wegen seiner sehr liberalen Ansichten zum Rücktritt zwang – selbst Čaputovás Kampagne unterstützt hat. Zu Bischof Bezák muss man auch wissen, dass er, nachdem er zum Rücktritt gezwungen wurde, bis Juni dieses Jahres als Religionslehrer an einem protestantischen Gymnasium tätig war, bevor er – wahrscheinlich in den Ruhestand – ging.
Sagen wir also, dass diese liberale Propaganda hier sehr mächtig ist, und ich habe den Eindruck, dass sie einen großen Anteil an dem Prozess der Spaltung und Zerschlagung der slowakischen Kirche hat. Denn, wie ich bereits sagte, haben wir viele Gläubige, denen jegliche Kenntnis des Glaubens fehlt. Was unsere Staatspräsidentin betrifft… auf den ersten Blick ist sie eine Dame, die man als hübsch bezeichnen könnte, sie ist nett, lächelt, spricht nie wirklich Klartext, und für eine Mehrheit der Slowaken hat das wahrscheinlich ausgereicht, um sie davon zu überzeugen, sie zu wählen, selbst als Katholiken. Man kann sich natürlich auch fragen, inwiefern diese Wahlen eine echte Alternative boten; aber trotzdem ist für mich als Katholik ein Kandidat, der sich für Abtreibung ausspricht, nicht akzeptabel. Sie sagt natürlich, dass jede Frau in dieser Frage frei entscheiden kann, auch wenn sie selbst keine solche Wahl treffen würde. Aber sie war immerhin Gründungsmitglied dieser ultraliberalen slowakischen Partei – genau genommen der allerersten slowakischen Partei dieser Art. Bei den letzten Wahlen wären sie beinahe ins Parlament eingezogen, und aktuellen Umfragen zufolge sollen ihre Wahlabsichten steigen. Ich meine die Partei namens Progresívne Slovensko, die natürlich auch die LGBTQ-Agenda unterstützt.
Ferenc Almássy: Sie haben den Covid erwähnt und die Folgen, die es für die Kirche hatte – insbesondere die Tatsache, dass in den letzten anderthalb Jahren die Zahl der Kirchenbesucher stark zurückgegangen ist. Interessanterweise haben polnische Priester – darunter ein Erzbischof – vor kurzem ihr Schweigen gebrochen und erklärt, dass man jetzt, nach anderthalb Jahren, übertreibe, indem man Maßnahmen ergreife, die man in Kriegszeiten oder zur Zeit von Epidemien, die in fernen Jahrhunderten wüteten, nie ergriffen habe. Wie ist es zu erklären, dass es die brutalsten Maßnahmen gegen die Kirche im sehr katholischen Polen und in der sehr katholischen Slowakei gefunden wurden, gerade jetzt gegeben hat und vielleicht auch weiterhin geben wird?
Pater L’ubomír: Das ist für mich eine schwierige Frage, und ich möchte eine Unterscheidung einführen. Ich finde es sehr positiv, dass in Polen vor einigen Monaten Bischof Gądecki das Schweigen gebrochen hat, um zu sagen, dass die Kirche, sofern sie nicht vorher zugestimmt hat, nie wieder akzeptieren wird, von Eindämmungsmaßnahmen betroffen zu sein, wie sie vor kurzem verhängt wurden. Dann gibt es natürlich noch den derzeitigen slowakischen Ministerpräsidenten, der seit etwas mehr als sechs Monaten im Amt ist und sich selbst als tief gläubig bezeichnet, aber einer Art charismatischer Gruppe angehört, bei der es sehr schwer ist, anhand ihrer Äußerungen, bzw. noch mehr anhand ihrer Handlungen, zu verstehen, woran sie genau glaubt. Ich habe vielleicht gehört, dass er darauf hingewiesen habe, dass es falsch war, derartige Maßnahmen gegen die Kirche zu ergreifen – das Problem ist, dass er, noch bevor er Ministerpräsident wurde, bereits Teil dieser Regierung war und somit die Möglichkeit gehabt hätte, gegen diese Maßnahmen Stellung zu beziehen.
Sobald hier jemand es wagte, eine etwas kritische Meinung in diesem Bereich zu äußern, wurde er schief angesehen. Unter unseren Bischöfen war unser Erzbischof leider der einzige – und ich möchte seinen Namen festhalten: Bischof János Oros –, der es wagte, das Wort zu ergreifen. Es war die einzige Stellungnahme, die bemerkt wurde, wie im Evangelium die Stimme Johannes des Täufers, die in der Wüste klagte. Viel später veröffentlichte die Bischofskonferenz einen Aufruf, in dem sie den Staat aufforderte, die Situation zu überdenken. Nur hier kommen wir wieder auf das zurück, was ich bereits mehrfach erwähnt habe: die Frage, wie es um unser Gewissen bestellt ist und welche Rechte wir haben. Denn wenn ich davon überzeugt bin, dass es das souveräne Recht der Kirche ist, ihre Tätigkeit auszuüben und die Gute Nachricht zu verkünden, dann muss ich niemanden um Erlaubnis bitten, dieses Recht auszuüben, das mir zusteht. Denn damit erkenne ich dem Staat de facto ein Recht auf Einmischung zu. In diesem Bereich kann man sich nach wie vor ein Beispiel an den Vereinigten Staaten von Amerika nehmen. Denn dort bedeutet Liberalismus – im positiven Sinne des Wortes verstanden – tatsächlich, dass ich frei bin, und es an mir liegt, zu entscheiden, was ich tue. Deshalb sage ich gerne, dass wir Katholiken im wahrsten Sinne des Wortes die wahren Liberalen sind. Denn wir müssen zwar an das glauben, was uns der liebe Gott offenbart hat: Das ist unser katholischer Glaube – aber alles andere kann jeder als freier Mensch – aufgrund der Freiheit, die ihm der liebe Gott gegeben hat – selbst entscheiden. Was die „Freiheit, die uns der Staat gibt“, Gott anzubeten, betrifft, so ist das eine Freiheit, für die uns die Geschichte kein Beispiel liefert. Und wir akzeptieren sie Tag für Tag, ohne mit der Wimper zu zucken… Man könnte auch über Frankreich sprechen, wo unser Glaube nur noch in sehr kleinen Gruppen lebt. Wie ich Ihnen schon sagte, verbringe ich dort gerne meine Sommerferien, und da ich die Heilige Messe nach altem Ritus liebe, gehe ich gerne in Gemeinden, die sie praktizieren, und dort ist der Glaube wirklich lebendig, ich sehe dort viele junge Familien und viele Berufungen. Diese Gläubigen waren in der Lage – und hier kann man auch einige Charismatiker erwähnen, wie die der Gemeinschaft Emmanuel in Paray-le-Monial –, sehr ernsthaft auf den Vorplatz ihrer Kathedralen zu gehen, um dort zu protestieren und zu beten. Das ist die Art von Reaktionen, die ich hier vermisst habe, und ich sehe darin ein Zeichen: Für mich bedeutet es, dass der Glaube bei uns in Wirklichkeit nur äußerlich/oberflächlich existiert, aber nicht wirklich lebendig ist.
Ferenc Almássy: Sie meinen, dass dieser Glaube eine soziale Gewohnheit, eine Pflicht wäre?
Pater L’ubomír: Ja, das ist genau das, was ich meine. Hier in der Gegend ist das eine sehr ausgeprägte Tendenz. Wenn Sie also sagen, dass die Slowaken gute Katholiken, gläubige Menschen sind, muss ich Ihnen leider antworten, dass es sich eher um kulturelle Gewohnheiten handelt. Natürlich haben wir auch Dennis Prager willkommen geheißen, und er hat mehrere Videos gemacht, in denen er in der Tradition des Heiligen Thomas sehr schön sagt, dass Bräuche von großer Bedeutung sind und dass Glück eine Reihe von kleinen Gewohnheiten ist. Aber ich kann es nicht bei den Gewohnheiten belassen. Im täglichen Leben stehen auch wir Priester, Gläubige, morgens auf, ich bete meine Gebete als Priester, feiere die Messe, habe eine Reihe von Aktivitäten, die jeden Tag die gleichen sind. All das ist von großer Bedeutung, aber es reicht nicht aus. Der Glaube muss lebendig sein, um jede Minute meines Lebens zu bestimmen. Was mich in all diesen europäischen Debatten und auch in unseren nationalen Debatten stört, ist, dass es uns verboten wird, offen über die Gründe für den Rückgang der Gläubigenzahlen zu sprechen. Denn wenn jemand behaupten würde, dass selbst der Glaube nicht mehr in der Lage ist, den Menschen von heute zu motivieren, wäre das eine Lüge. Wie könnte ich glauben, dass Christus, dem so viele Menschen – und sei es nur aus Neugier – gefolgt sind, nicht auch die Menschen unserer Zeit anziehen würde? Dies sind also Fragen von großer Bedeutung, die wir stellen müssen. Aber es kann sein, dass ich vom Thema abgeschweift bin…
Ferenc Almássy: Das macht nichts, das Gespräch ist spannend. Aber kommen wir noch einmal kurz auf die Frage nach der Beziehung zwischen Kirche, Staat und Covid zurück. Welchen Einfluss wird diese Situation Ihrer Meinung nach in Zukunft auf Sie ausüben? – mit anderen Worten: Was ist in der nahen und fernen Zukunft von der Kirche zu erwarten?
Pater L’ubomír: Ich muss wieder ganz allgemein antworten, nämlich dass, soweit ich sehe – um auf die erste Frage zurückzukommen –, die traditionelle Heilige Messe… ich sage nicht, dass sie besser ist…. Ich mag diese Art von Vergleichen nicht: Was ist weniger wert, was ist mehr wert … aber wir vergessen wieder einmal, uns mit dem Problem zu befassen: Was ist die Ursache für die Abkehr von der religiösen Praxis? Und warum weigern wir uns zu sehen, dass bestimmte Dinge eine Anziehungskraft auf die heutigen Gläubigen haben, und wenn das in der Vergangenheit funktioniert hat, warum sollte es dann heutzutage nicht mehr gelten? Ist es nicht merkwürdig, dass dieselbe Liturgie, die die Kirche anderthalb Jahrtausende lang beibehalten hat, ihre Anziehungskraft auf die Menschen unverändert beibehält? Und sollten wir uns darüber nicht freuen?
Auf der einen Seite beklagen wir uns darüber, dass die Kirchen leerer werden? Letztes Jahr hat der holländische Kardinal Eijk ein wunderschönes Buch veröffentlicht, in dem er zeigt, dass es, obwohl wir denken könnten, dass die Kirche in Holland tot ist, kleine, sehr lebendige Gemeinschaften gibt, und er erkennt an, dass diese gerade unter den Anhängern des alten Ritus zu finden sind. Damit hängt die gesamte Antwort auf Ihre Frage davon ab: Können wir, ja oder nein, frei darüber sprechen, warum es Orte gibt, an denen die Zahl der Gläubigen steigt, und Orte, an denen sie sinkt? In jenen Pfarreien, in denen Messen nach altem Ritus abgehalten werden, nimmt sie zum Beispiel zu. Man findet dort junge Familien und junge Priester. Warum gibt es in solchen Gemeinden so viele Priesterberufungen?
Das sind Fragen, über die in der Kirche alle nicht sprechen wollen. Und solange wir nicht darüber sprechen, werden wir die Frage nach der Zukunft der Kirche nicht beantworten können.
Die Zukunft der Kirche – wie Kardinal Sarah in seinen Büchern, die ins Ungarische übersetzt wurden, oder Pater Balázs Barsi, einer meiner ungarischen Lieblinge, so schön gesagt haben – ist folgende: Je mehr sie die Frohe Botschaft Christi verkündet, desto mehr Gläubige wird sie anziehen; wenn sie sich hingegen nur darum bemüht, mit der Welt auf gutem Fuß zu stehen, wird sie das nur ihrem Ende näher bringen. Aber die Kirche wird niemals ein Ende haben: Christus garantiert dies in seinem Evangelium – Christus, der jedoch nie gesagt hat, dass die Welt nur von Gläubigen bevölkert sein wird. Es ist sehr wichtig, dass wir das verstehen, denn wir anderen denken nicht nur formal – denn das ist die Kritik, die der Heilige Vater am alten Ritus vorgeschlagen hat: dass wir nicht bei den Formen stehen bleiben dürfen, und seine Kritik ist gerechtfertigt. Denn diese Form, die die Liturgie ist, hilft uns, indem sie uns zu intimeren Tiefen führt. Und das betrifft die nationale Identität, und das betrifft den Glauben, denn diese Dinge sind miteinander verbunden. Wenn wir unseren Glauben auf diese Weise leben, werden wir klare Antworten auf all die Fragen finden, die in den Debatten unserer Generation – zum Beispiel rund um die LGBT-Frage – immer wieder auftauchen.
Wir Europäer sind Christen – aber was bedeutet es, ein Christ zu sein? Es bezieht sich auf denselben Glauben an Christus, an den unsere Vorfahren ebenso glaubten wie wir. Auf menschlicher Ebene hat es natürlich immer Probleme gegeben und wird es auch immer geben – es wäre falsch, die Vergangenheit zu idealisieren. Aber umso wichtiger ist es für die Kirche zu behaupten, dass diese Welt hier unten nicht das irdische Paradies ist – wie es uns die Kommunisten einzureden versuchten. Genau aus diesem Grund muss die Kirche auch von der Ewigkeit sprechen. Solange wir hier auf der Erde sind, wird das Leben nie vollkommen sein. Was uns trotz allem motivieren sollte, ist die Erwartung des vollkommeneren Lebens, das uns nach dieser Welt versprochen wird.
Ferenc Almássy: Am 12. September war der Papst in Budapest, danach besuchte er die Slowakei. Welche Bedeutung hat dieser Papstbesuch?
Pater L’ubomír: Das ist eine sehr heikle Frage, die Sie mir stellen. Es ist für jeden Staat eine große Ehre, vom Nachfolger des Heiligen Petrus besucht zu werden – und die Bedeutung dieser Ehre ergibt sich aus der Tatsache, dass der Heilige Petrus von Christus den Auftrag erhalten hat: „Stärke die Deinen in ihrem Glauben“. Das ist es, was auch wir vom Heiligen Vater erwarten: dass er uns in unserem katholischen Glauben stärkt. Das ist der Auftrag des Heiligen Vaters, und in dieser Hinsicht war die Ankündigung seines Besuchs eine ausgezeichnete Nachricht. Ich selbst habe in Vorbereitung auf den Internationalen Eucharistischen Kongress in Budapest, an den ich mich sehr gerne erinnere, auf Mária Rádió (das aus Budapest sendet) über die Eucharistie katechisiert. Eines Tages, als ich aus historischer Perspektive über den Besuch von Kardinal Pacelli in Budapest im Jahr 1938 katechetisierte, rief ein älterer Herr im Radio an und erzählte uns, dass er als kleines Kind an diesem Ereignis teilgenommen hatte und wie wichtig es für ihn war. Noch heute erinnert er sich daran, wie er Kardinal Pacelli – der später als Pius XII. zum Papst wurde – mit der Eucharistie in der Hand aufmarschieren sah. Diese Besuche sind also – und das sollte man anmerken – wunderbare Ereignisse, die eine einzigartige Möglichkeit bieten, viele Menschen in ihrem Glauben zu ermutigen.
Andererseits muss man leider sagen, dass der Staat in der Slowakei die Kirche so extrem beschnitten hat, dass nur Geimpfte an dem Besuch des Heiligen Vaters teilnehmen durften; danach machten sie einen Rückzieher, aber die Ungeimpften mussten separat teilnehmen. Das ist natürlich überall dort normal, wo dieses Grünen-Pass-System – das ich natürlich nicht gutheiße – angewendet wurde, aber in diesen Ländern erlaubt dieses System nicht nur den Geimpften den Zugang, sondern auch denjenigen, die (wie ich) von der Krankheit geheilt sind, und denjenigen, die einen negativen Test haben. Die Ankündigung zwei Monate vor dem Papstbesuch, dass nur geimpfte Personen teilnehmen dürfen, sollte wahrscheinlich – da die Slowakei eines der am wenigsten geimpften Länder in Europa ist – dazu genutzt werden, die Menschen dazu zu bringen, sich massiv impfen zu lassen. Nur: Genau das geschah nicht. Zwei Wochen vor dem Besuchstermin waren von den fast einer halben Million Plätzen, die für die vier angekündigten Messen zur Verfügung standen, nur 30.000 Plätze gebucht worden. Letztendlich gab es um die 100.000 Reservierungen. Es gab sogar zahlreiche Priester, die nicht teilnehmen konnten, da sie nicht geimpft waren. Es wurde also letztendlich zu einem sehr traurigen Ereignis, und die meisten Menschen – einschließlich der Priester, die ich kenne – konnten den Besuch höchstens im Fernsehen verfolgen, aber nicht persönlich teilnehmen – aus dem Grund, den ich gerade genannt habe. Nun steht gerade dies im Widerspruch zu dem, was der Heilige Vater oft sagt – ein Gedanke, der mir übrigens sehr gefällt: dass er möchte, dass die Hirten den Geruch ihrer Herde haben (auf Italienisch: il pastore deve avere l’odore delle peccore). Wie wir Priester und Bischöfe ist auch der Heilige Vater nicht nur für die Geimpften da. Es muss in dieser Angelegenheit eine große Freiheit herrschen – und das neigen viele dazu, dies zu vergessen. Es stimmt zwar, dass der Heilige Vater den Menschen empfohlen hat, sich impfen zu lassen – aber das ist nur eine triviale Äußerung. Der Papst genießt in der Reihenfolge der Dokumente den Vorrang, und unter den Dokumenten, die man als offiziell bezeichnen kann, steht die Erklärung der Glaubenskongregation an erster Stelle, in der es heißt – und das, das ist wichtig zu erwähnen, mit der Zustimmung von Papst Franziskus –, dass jeder Mensch allein und frei entscheiden kann, ob er sich impfen lassen will oder nicht. Was in der Slowakei geschah, ist also – so könnte man sagen – das folgende Paradoxon: Wir anderen laden den Heiligen Vater ein, aber der Staat – entgegen den offiziellen Dokumenten des Vatikans – zwang die Kirche, den Zugang zu dieser Veranstaltung zu beschränken, indem er die nicht Geimpften ausschloss. Man kann also sagen, dass er das Werk des Heiligen Vaters als Hirte der gesamten Kirche und die Erfüllung seiner Mission während seines Besuchs behindert hat. Das ist vielleicht die Antwort, die ich Ihnen geben würde. Was die Politik betrifft, so möchte ich mich lieber nicht einmischen.
Ferenc Almássy: Das ist verständlich, aber ich würde dennoch gerne eine letzte Frage stellen – wenn wir schon über den Papst und die Politik sprechen –, und zwar zu den bekannten liberalen – man könnte auch sagen: progressistischen – Positionen von Papst Franziskus. Welche Auswirkungen haben diese auf die eher konservativen Katholiken in Mitteleuropa, insbesondere in der Slowakei?
Pater L’ubomír: Alle Päpste sind sehr einflussreich. Es ist daher logisch, dass es selbst für einen Präsidenten der Vereinigten Staaten nicht so einfach ist, den Papst zu treffen. Wenn er keine wichtige Persönlichkeit wäre, warum würden dann alle Staatsoberhäupter an seine Tür drängen? Aber man muss unterscheiden: Selbst Benedikt XVI., der Theologe war und gerne schrieb, als er sein Buch mit dem Titel Jesus von Nazareth schrieb, unterzeichnete es als „Joseph Ratzinger“. Und in seinem Vorwort schreibt er, dass er dieses Buch als Diskussionsgegenstand vorgesehen hat – und dass er jeden dazu auffordert, es zu kommentieren, wenn auch negativ. Es ist sehr wichtig zu verstehen, dass wir, wenn wir vom Papst als dem obersten Lehrer der Glaubenslehre sprechen, nur von bestimmten Momenten sprechen, in denen er sich als der allererste Glaubenslehrer der Kirche äußert. Und diese Momente kommen nicht jeden Tag vor. Daher versuchen viele, die persönlichen Ansichten des Heiligen Vaters als kirchliche Lehren auszugeben. Die Gespräche des Heiligen Vaters an Bord eines Flugzeugs, seine Gespräche mit Journalisten usw. geben jedoch oft nur seine eigenen persönlichen Ansichten wieder. Für uns zählt jedoch, was der Papst als Papst sagt, und wir beten dafür, dass die Mission des Papstes darin besteht, die Gläubigen in ihrem Glauben zu stärken: der Befehl, den Jesus Petrus gegeben hat.
Ich erinnere mich an die Zeit, als ich als Seminarist in Rom Kirchenrecht studierte; der Professor, der uns Rechtsphilosophie lehrte, fragte uns: Bedeutet Suprema Potestas, dass es der Papst ist, der innerhalb der Kirche über die höchste Macht verfügt? Nun, es gibt vier Definitionen der Macht, die der Papst über die Kirche ausübt. Eine davon besagt, dass er die höchste Macht ist – suprema potestas auf Lateinisch: Er ist der supremus legislator, d.h. die höchste Quelle des Kirchenrechts. „Aber bedeutet das“, fragte uns der Professor, „dass, wenn Papst Franziskus mich heute Nachmittag am Telefon anruft und sagt ‚Eduardo, ich bin es, Franziskus, und ich befehle dir zu heiraten!‘ er das Recht hätte, es zu tun? Ich erinnere mich, dass ich als Einziger die Hand hob, um wie aus der Pistole geschossen zu antworten: ‚Nein!‘ – was mir viele empörte Blicke einbrachte. Könnte der Papst also nicht tun, was er will? Nun, nein! Der Papst ist nur so lange Papst, wie er im Dienst der Glaubenslehre innerhalb der Kirche dazu da ist, die Gläubigen in ihrem Glauben zu stärken. Und auch für uns ist es sehr wichtig, dass wir die Person des Heiligen Vaters nicht anders betrachten, viel für ihn beten und darauf achten, dass wir nicht vergessen, dass es in der Kirchengeschichte viele Fälle gibt, in denen die Handlungen des Papstes leider nicht wirklich dazu beigetragen haben, den Glauben zu fördern. Auch das ist eine Realität. Aber auch dies sollte uns als Beispiel dienen, uns die übergroßen Hindernisse vor Augen zu führen, trotz derer die Kirche trotzdem vorankommt, und uns ermutigen. Es ist wichtig, dass es uns in unserem Glauben bestärkt, dass wir wissen, dass, egal wie sündig ich bin – auch ich als Priester habe meine Fehler, ich mache oft Fehler –, Gott mich trotz allem auserwählt hat, so wie er zwölf einfache Fischer auswählte, um sie zu den ersten Aposteln zu machen. Es wäre natürlich falsch, zu sehr zu vereinfachen, aber es waren wirklich einfache Leute. Und wir sehen, wie sich der Heilige Petrus selbst verhielt: Er verleugnete Christus dreimal. So würde ich für meinen Teil auf diese Frage – diplomatisch – antworten.