Ungarn – „Es darf keine ‚Zweige’ Russlands in Europa geben, die die EU von innen heraus spalten. Sie versuchen, Russland zu helfen, so viel Geld wie möglich zu verdienen, auch jetzt noch. Jeder weiß ganz genau, wer sich in der EU gegen Menschlichkeit und gesunden Menschenverstand stellt. Wer überhaupt nichts tut, um dabei zu helfen, den Frieden in der Ukraine wiederherzustellen. Das muss aufhören, Europa muss aufhören, auf die Ausreden der Budapester Behörden zu hören“, erlaubte sich der ukrainische Präsident Selenskyj am 29. März in einer Videokonferenz mit Kopenhagen.
Seit dem Beginn des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine wird von den ukrainischen Behörden auf Ungarn – wegen seiner Ablehnung der Forderungen der Ukraine – mit dem Finger gezeigt. Dabei ist Kiew sehr damit beschäftigt, den europäischen Ländern zu sagen, was sie tun sollen, und moralische Gutscheine zu verteilen, während es ernsthafte Verhandlungen mit Russland lange Zeit ablehnte und Zivilisten bewaffnete.
Selenskyj beschwört Menschlichkeit und gesunden Menschenverstand, während er von Ungarn verlangt, auf russisches Gas zu verzichten. Ein schönes Beispiel für die Umkehrung der Anschuldigungen. In einer Zeit, in der der Kiewer Komiker den moralisierenden Kriegsherrn spielt und die Geopolitik aus der Asche aufzuerstehen und sich zu demokratisieren scheint (was einen rutschigen – aber zweifellos nur vorübergehenden – Ausstieg aus dem Covid-Narrativ wegfegt), sollten wir uns also an einige grundlegende Elemente des gesunden Menschenverstands und der Geopolitik erinnern:
- Ungarn ist nicht die Ukraine.
- Ungarn befindet sich nicht im Krieg mit Russland.
- Die Interessen Ungarns sind nicht mit denen der Ukraine identisch.
- Viktor Orbán regiert Ungarn.
- Volodymyr Selenskyj regiert die Ukraine.
Soweit sollten alle folgen, obwohl….
Aber fahren wir fort.
- Ungarn hat Mühe, sich wieder zu bewaffnen, und will sich nicht an einem Konflikt in seiner Nachbarschaft beteiligen, da es befürchtet, in einen Konflikt hineingezogen zu werden. Es wird daher keine Waffen liefern und will sich aus allem heraushalten, was zu einer Eskalation führen könnte, einschließlich des Schmuggels von Waffen über seine Grenze zur Ukraine.
Auf der ukrainischen Seite der Grenze leben noch 100.000 bis 150.000 ungarische Ureinwohner, die dort seit mehr als 11 Jahrhunderten leben und von Stalin an die Ukraine angegliedert wurden. Waffenschmuggel in diese Region könnte diese Region in den Konflikt hineinziehen – die Russen haben gewarnt, dass sie auf westliche Waffenkonvois schießen werden, sobald sie auf ukrainischen Boden gelangen –, während sie bislang glücklicherweise verschont geblieben ist.
- Ungarn ist zu 85% von russischem Gas abhängig.
Dieses Gas wird zum Heizen (60% der Ungarn heizen mit Gas), aber auch in der Industrie verwendet.
- Diese Abhängigkeit hat Viktor Orbán geerbt.
Während seiner drei aufeinanderfolgenden Amtszeiten seit 2010 war er der wichtigste Akteur Ungarns bei der Diversifizierung der Energiequellen seit der Wende, insbesondere durch die Beteiligung des Landes an der Drei-Meere-Initiative (Verbindung der kroatischen und polnischen LNG-Terminals) oder durch intensive Verhandlungen mit Serbien, der Türkei und Aserbaidschan über die Beschaffung und den Transport von Gas aus dem Südkaukasus.
- Es gibt keine finanziellen, materiellen, physischen und logistischen Mittel, die es ermöglichen, die russischen Lieferungen in weniger als zehn Jahren vollständig zu ersetzen, so die ungarischen Experten.
Ist dies nun klarer geworden?
Fügen wir hinzu, dass Ungarn auch zu 65% von russischem Öl sowie von russischem Uran abhängig ist.
Gehen wir noch einen Schritt weiter.
Die Gasknappheit, die in Europa eintreten wird, wird im besten Fall zu einer Explosion der Gaspreise führen; im schlimmsten Fall werden Menschen nicht heizen können, Industrien werden stillstehen.
Das bedeutet, dass Europa in eine große Krise eintritt, vor der aufgrund der wirtschaftlichen und energiepolitischen Verflechtung der europäischen Märkte keine nationalen Maßnahmen die Bürger dauerhaft und umfassend schützen können.
Was die Covid-Maßnahmen begonnen haben, setzen die Sanktionen gegen Russland perfekt fort: Die Preiserhöhungen für Energie, Kraftstoffe, Lebensmittel, Baumaterialien oder auch Elektronik sind erst der Anfang.
Doch das reicht den USA und der Ukraine nicht, die bereit sind, bis zum letzten Europäer für ihre strategischen Interessen bzw. für das Überleben ihres Regimes zu kämpfen. Und die Europäer folgen, getrieben von Angst und Emotionen und ohne sich der Konsequenzen dieser Entscheidung bewusst zu sein… Wahnsinn.
„Ich weiß, dass es Europa etwas kosten wird, das russische Gas zu eliminieren“, erklärte Präsident Biden und rieb sich die Hände bei dem Gedanken, uns bald dreimal so viel überteuertes US-amerikanisches LNG zu verkaufen.
„Aber es ist nicht nur aus moralischer Sicht das Richtige, es wird uns auch auf eine viel stärkere strategische Grundlage stellen“, rechtfertigte er. Überspringen wir die moralische Rechtfertigung, die völlig obszön ist, wenn sie vom größten Invasor von Drittländern in den letzten 100 Jahren kommt, dem Land von Little Boy und Fat Man, Guantánamo, dem Patriot Act, dem Abhören und dem Wirtschaftskrieg gegen seine Verbündeten und so weiter und so fort. Was die strategische Dimension angeht, hat Biden allerdings Recht. Europa unterwirft sich vollständig dem Wunsch Washingtons, das damit seine Position stärkt, nachdem sich die USA schrittweise aus Europa zurückgezogen und sich auf den Pazifikraum konzentriert haben. Dies ist eine goldene Gelegenheit für die USA, die sich nicht täuschen lassen: Sie holen Europa in ihren Schoß zurück und unterwerfen es noch mehr, indem sie ihm das US-Flüssiggas aufzwingen, und gewinnen damit nicht nur neue, saftige Marktanteile, sondern auch einen beträchtlichen Hebel für ihren Einfluss.
Das kleine Ungarn, das allein in den letzten hundert Jahren viel Unglück erlebe musste – zwei verlorene Weltkriege, in die es gegen seinen Willen hineingezogen wurde, eine bolschewistische Revolution, deutsche und sowjetische Besetzungen, die Zerstückelung seines historischen Staatsgebiets durch einen unausgewogenen und ungerechten Friedensvertrag, enorme Zerstörungen und Vertreibungen, den Aufstand und die Unterdrückung von 1956, … – lässt sich also nicht belehren, wenn es versucht, einen Weg zu finden, um in diesem Sturm zu überleben. Insbesondere von der Ukraine, einem gefangenen Staat und jakobinischen Land, das sich nicht um seine einheimische ungarische Minderheit schert, dessen Abgeordneter Serhij Melnitschuk 2019 Ungarn damit drohte, innerhalb von zwei Stunden von der ukrainischen Armee überrannt zu werden.
Und dennoch ist Ungarn das Land, das pro Kopf der Bevölkerung die meisten ukrainischen Flüchtlinge aufgenommen hat und ihnen ohne zu zögern – weder seitens der Behörden noch der Bevölkerung – Hilfe, Unterstützung, Pflege und Unterkunft gewährt.
Und es gibt keine Beschwerden oder Probleme mit den ukrainischen Flüchtlingen. Ungarn ist stolz darauf, ihnen helfen zu können.
Wenn also noch jemand an der Verteidigung unserer Interessen interessiert ist, wenn noch jemand dem Begriff der nationalen Souveränität auch nur den geringsten Glauben schenkt, dann ist es höchste Zeit, die Vernunft wieder in den Mittelpunkt der Politik zu stellen und die Emotionen, die ein ständiges Werkzeug der Manipulation sind, aus ihr zu verdrängen.
Ja, Russland hat der Ukraine den Krieg erklärt und seine Armee ist in sie eingedrungen. Soldaten und Zivilisten sterben, Flüchtlinge verlieren alles und fliehen aus ihrer Heimat. Es ist ein schlimmes menschliches Drama, das man Krieg nennt. Ein alles in allem konventioneller Krieg, bis jetzt, Gott sei Dank. Es ist eine Krise, wie sie die Menschheit schon so oft erlebt hat. Und in einer Krise ist es unerlässlich, einen kühlen Kopf zu bewahren. Jede Überreaktion, jede Hysterie, jede Entscheidung, die von intensiven und konjunkturellen Emotionen bestimmt wird, ist ein Fehler, schlimmer noch, ein Vergehen für einen politischen Führer, dessen erste und absolut vorrangige Aufgabe vor allen anderen Fragen die Wahrung der Interessen seines Landes ist. Aus Korpsgeist und in der Hoffnung, dass dies dazu dienen könnte, Russland zum Einlenken zu bewegen und den Frieden schneller herzustellen, stimmte Ungarn zu, das Sanktionspaket zu bewilligen – obwohl es seinen direkten Interessen zuwiderläuft, da es der Ansicht ist, dass diese Sanktionen Ungarn härter treffen als Russland… Was die grotesken Anschuldigungen betrifft, „pro-russisch“ oder eine russische Marionette zu sein, so ist es sinnlos, Zeit damit zu verschwenden, denn es handelt sich um einen Aufguss des westlichen Woke-Komplottismus, der überall russische Agenten sieht, sobald man nicht an der Gay Pride teilnimmt oder mit Russland Handel treibt – die gleichen Leute haben kein Problem mit einer ganzen Reihe anderer Länder, in denen es noch Sklaverei gibt, in denen Homosexuelle von Dächern heruntergeworfen und Frauen wegen des Verdachts auf Ehebruch gesteinigt werden, in denen der Sozialkredit die Norm ist, in denen friedlichen Demonstranten von der Polizei die Augen ausgestochen werden, in denen Christen wegen ihres Glaubens getötet werden, in denen „Kontaktfälle“ zwangsweise interniert und ihrer verfassungsmäßigen Rechte beraubt werden, usw. Das sind Heuchler.
Zum Schluss noch eine praktische Nebenfrage: Die Ukraine fördert zwei Drittel ihres Gases, aber für den Rest ist Ungarn der zweitgrößte Gaslieferant, gleich hinter Polen. Sollten wir auch diesen Gashahn abdrehen? Dieser Gas stammt ja hauptsächlich aus Russland …
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