Ungarn/EU – Es wird wohl wie schon 2018 der Zufall des Kalenders gewesen sein, denn niemand wird sich irgendeinen Zusammenhang ausdenken… Kaum hat Ungarn die Fidesz-KDNP-Koalition bei den Parlamentswahlen am 3. April mit einer Zweidrittelmehrheit bestätigt, setzt die Europäische Union ihre Sanktionsverfahren gegen dieses Land wieder in Gang, dessen politische Entscheidungen Brüssel missfallen.
Auslösung des Verfahrens des „Konditionalitätsmechanismus“
So kündigte die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von de Leyen, am Dienstag, den 5. April, während einer Fragestunde mit Abgeordneten des Europäischen Parlaments an, dass soeben beschlossen worden sei, den brandneuen „Konditionalitätsmechanismus“ gegen Ungarn einzusetzen. Dabei handelt es sich um die berühmte „allgemeine Konditionalitätsregelung zum Schutz des Haushalts der Union“, die es der EU ermöglicht
„Maßnahmen zum Schutz des Haushalts zu ergreifen, z. B. die Aussetzung von Zahlungen oder Finanzkorrekturen“.
Wir erinnern uns, dass der EUGH am 16. Februar die ungarischen und polnischen Klagen gegen diesen Mechanismus abgewiesen hatte. Nun antwortete Von der Leyen am Dienstag auf eine Anfrage des linksradikalen belgischen Abgeordneten Philippe Lamberts (Grüne/EFA). Lamberts, ein Aktivist der belgischen Partei Écologistes Confédérés pour l’Organisation de Luttes Originales, sagte wörtlich (siehe Video der Sitzung, ab 8’30): „Ich würde es begrüßen, wenn Sie ein wenig auf die Aktionen eingehen würden, die Sie in den kommenden Wochen unternehmen wollen, denn was letzten Sonntag in Ungarn passiert ist, zeigt das Ergebnis einer totalen Kontrolle der Medien durch die Regierung“.
Antwort der Kommissionspräsidentin, die den Applaus der Europaabgeordneten hervorrief: „Kommissar Hahn hat heute mit den ungarischen Behörden gesprochen und ihnen mitgeteilt, dass
wir nun ein formelles Benachrichtigungsschreiben an Budapest schicken werden, um den Konditionalitätsmechanismus zu aktivieren. Wie Sie wissen, wird damit ein Verfahren mit spezifischen Fristen gestartet, und daher ist derzeit ein Prozess im Gange.“
In der Praxis dürfte das Verfahren, das gerade nach den Parlamentswahlen vom 3. April eingeleitet wurde, jedoch noch sechs bis acht Monate dauern, bevor konkrete Sanktionen gegen Budapest verhängt werden können, da die Regierung von Viktor Orbán noch die Möglichkeit hat, Korrekturen als Reaktion auf die Kritik aus Brüssel einzuführen. Im Übrigen sei daran erinnert, dass
die (zumindest teilweise) Aussetzung der für Ungarn bestimmten EU-Gelder gegebenenfalls und auf ausdrücklichen Antrag der Kommission von mindestens 15 (von 27) Mitgliedstaaten, die mindestens 65% der EU-Bevölkerung repräsentieren, gebilligt werden müsste.
In der Zwischenzeit bleibt die Auszahlung der Next Generation EU-Konjunkturfonds an Ungarn (und auch an Polen) ausgesetzt.
Auf die Ankündigung, den neuen Konditionalitätsmechanismus in Anspruch zu nehmen, folgte auf den Finanzmärkten sofort ein Kurssturz des Forint, während der BUX-Index der Budapester Börse um 3,55% fiel.
Noch kein Verfahren gegen Polen … aber auch keine Freigabe der Gelder
Auf die Frage der niederländischen Europaabgeordneten Sophie in’t Veld (Renew Europe) erinnerte Frau von der Leyen daran, dass die Europäische Kommission derzeit nicht beabsichtige, die Freigabe des Konjunkturfonds für Polen zu genehmigen. Diese Haltung Brüssels erklärt vielleicht auch das Veto, das Polen gerade am 5. April gegen einen Kompromissvorschlag zur Umsetzung des international vereinbarten effektiven Mindeststeuersatzes von 15% für Unternehmensgewinne eingelegt hat. Der polnische Justizminister, Zbigniew Ziobro, hatte vor kurzem dazu aufgerufen,
Beschlüsse zu blockieren, „die Einstimmigkeit erfordern, bis die Union alle ihre Verpflichtungen gegenüber Polen erfüllt hat.“