Europäische Union – Inwieweit ist der drastische Anstieg der Energiepreise direkt auf den von Russland geführten Krieg zurückzuführen, inwieweit auf europäische Sanktionen und inwieweit auf russische Aktionen, die darauf abzielen, die Unterstützung der europäischen Unternehmen für die Ukraine zu schwächen? In Polen hat ein Verband großer Stromunternehmen, das Polnische Komitee für elektrische Energie (PKEE), eine Medienkampagne gestartet, um dem entgegenzuwirken, was diese Energieunternehmen als „russische Desinformationskampagne, die darauf abzielt, westliche Unternehmen gegen die Ukraine aufzubringen“ bezeichnen, indem sie behaupten, dass „die Unterstützung des Westens für die Ukraine direkt für den Anstieg der Energiepreise verantwortlich“ sei.
Bei der Diskussion über die Energiepreise wird in der Tat oft vergessen, dass die Gaspreise im September/Oktober 2021 zu steigen begannen, also mehrere Monate vor Beginn der russischen Offensive
gegen seinen slawischen Nachbarn begann. Die Gründe für den Anstieg der Gaspreise in Europa waren damals vielfältig. In den meisten europäischen Ländern, auch in Deutschland, aber mit der bemerkenswerten Ausnahme von Ländern wie Frankreich und Polen, waren die Vorräte kurz vor dem Winter auf einem Tiefstand, nachdem der Winter 2019-20 besonders kalt und lang gewesen war. Auch Probleme bei der Wartung der Infrastruktur in mehreren Förderländern, darunter Norwegen, das damals 20 % des in Europa verbrauchten Gases lieferte, wurden angeführt, obwohl der Verbrauch mit der Rückkehr des Wirtschaftswachstums nach dem Ende der Lockdowns wieder angestiegen war. Schwacher Wind hatte die Produktion deutscher Windkraftanlagen im Sommer verringert und den Gasverbrauch zur Stromerzeugung erhöht, zumal der Stromverbrauch in Europa aufgrund der Hitzewelle im Westen des Kontinents zu dieser Zeit besonders hoch war.
Russland, das vor dem Krieg in der Ukraine 40 % des europäischen Gasverbrauchs deckte, wollte die Situation nicht ausnutzen, um mehr Gas zu verkaufen, wie es jeder normale Lieferant mit den entsprechenden Kapazitäten getan hätte, was es ja auch hätte können. Ganz im Gegenteil:
Im September 2021 buchte Gazprom für Oktober nur 30 % der Kapazität der Jamal-Pipeline durch Polen und heizte mit dieser Entscheidung den Anstieg der Gaspreise weiter an. Damals hieß es, dass dies geschah, um Druck auf die deutschen Behörden auszuüben, damit die neue Nord Stream 2-Pipeline in Betrieb genommen werde.
Die Verdoppelung der Nord Stream-Pipeline war technisch fertig, aber sie scheiterte an der Einhaltung des EU-Rechts, das es Gazprom verbietet, sowohl der Produzent des Gases als auch der Eigentümer der Pipeline zu sein, durch die das Gas transportiert werden sollte. Die Internationale Energieagentur war Ende September 2021 sogar über die Situation besorgt und forderte Russland auf, seine Lieferungen über die Jamal- und Nord Stream 1-Pipelines zu erhöhen, da diese ausreichende Kapazitäten für den europäischen Markt bieten würden, aber Gazprom, bei dem der russische Staat die Mehrheit der Anteile hält, weigerte sich, dies zu tun. So lieferten die Russen im vierten Quartal 2021, als das Gas in Europa knapp wurde und die Preise in die Höhe schossen, als einzige, die ihre Lieferungen an den alten Kontinent schnell erhöhen konnten, nur noch etwa ein Drittel der üblichen Mengen.
Der zweite Gasschock, der noch größer als der erste war, kam nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine und den ersten Sanktionen der EU, als Russland beschloss, seine Lieferungen an einige Länder einzustellen.
Zunächst waren es die Länder, die sich weigerten, zu einem Rubelzahlungssystem überzugehen, die von Russland sanktioniert wurden und von einem Tag auf den anderen kein russisches Gas mehr erhielten: zuerst Polen und Bulgarien im April 2022, dann im Mai Finnland, als es den Beitritt zur NATO beantragte, und auch die Niederlande und Dänemark (ab Juni), die sich ebenfalls weigerten, in Rubel zu zahlen. Ab Mitte Juni reduzierte Gazprom außerdem seine Lieferungen nach Deutschland über die Nord Stream 1-Pipeline um 40 %, bevor es die Lieferungen Anfang September 2022 ganz einstellte. Am 27. September wurden die Pipelines Nord Stream 1 und 2 durch zwei Explosionen vor der dänischen Insel Bornholm nachhaltig beschädigt, sodass eine (Wieder-)Inbetriebnahme derzeit nicht möglich ist. Ebenfalls ab Juni wurden die Lieferungen nach Italien, dem traditionell zweitgrößten Kunden von Gazprom in Europa nach Deutschland, auf russische Initiative hin schrittweise reduziert, obwohl die Italiener, wie die Deutschen, zugestimmt hatten, sich dem vom Kreml auferlegten System zur Bezahlung vom russischen Gas in Rubel zu unterwerfen.
Während die Russen und der Westen sich gegenseitig die Schuld für den Angriff auf die Nord Stream-Pipelines zuschieben, war es also Russland, das den Anstieg der Gaspreise auf dem europäischen Markt durch eine freiwillige stufenweise im Frühherbst 2021 begonnene Reduzierung der Lieferungen absichtlich herbeigeführt hat. Die EU-Sanktionen betrafen nie das Gas, wie es hier und da manchmal behauptet wird.
Das Gasproblem wird für Menschen in der Europäischen Union durch die Regeln des europäischen Strommarktes, die den Strompreis von den Gaspreisen abhängig machen, noch verschärft. Gasbetriebene Kraftwerke, die leicht ab- und wieder angefahren werden können, sind die Anpassungsvariante der europäischen Stromerzeugung und ihre Produktionskosten bestimmen den Strompreis, wenn sie in Anspruch genommen werden. Da ein großer Teil der französischen Atomkraftwerke aufgrund von Alterung und Wartung abgeschaltet wurde (Frankreich, das früher Strom an seine Nachbarn exportierte, ist heuer gezwungen, Strom zu importieren), werden die Gaskraftwerke ständig belastet. Indem Russland die Gaspreise durch eine freiwillige Angebotsverknappung, die im Herbst 2021 begann und als Reaktion auf die Unterstützung des Westens für die Ukraine beschleunigt wurde, in die Höhe trieb, konnte es auch die Strompreise auf dem europäischen Markt in die Höhe treiben, was die Auswirkungen auf die Verbraucher und Wirtschaftsakteure auf dem Kontinent und auch die inflationäre Wirkung seines Handelns auf die EU-Länder noch verstärkte.
Was die Stromversorgung betrifft, so hat die russische Raketenangriffskampagne gegen die ukrainische Energieinfrastruktur ab November nicht nur dazu geführt, dass die Zivilbevölkerung angesichts des nahenden Winters ohne Strom, Wasser und Heizung auskommen muss, und damit wissentlich eine humanitäre Katastrophe heraufbeschwört, sondern sie hat die Ukraine auch dazu gezwungen, den Export von Strom nach Polen und in die EU einzustellen, was die derzeitige Energiekrise in Europa noch weiter verschärft.
Laut Ukrenergo, dem staatlichen Betreiber des ukrainischen Verteilungsnetzes, sind die Schäden „kolossal“, und die Russen zielen vor allem auf die Umspannwerke ab, die schwer und teuer zu ersetzen sein werden. Nach dem Stopp der Lieferungen durch Polen und der Sabotage der beiden Nord-Stream-Pipelines, die der Westen den Russen anlastet (die wiederum zuerst den Amerikanern und dann den Briten die Schuld gaben), die damit signalisierten, dass die Pipelines in der Region keine sichere Versorgungsquelle mehr seien, wurde auch die Infrastruktur für die Gasverteilung ins Visier genommen, wodurch künftige russische Gaslieferungen durch die Ukraine unsicher werden. Es ist bemerkenswert, dass die Sabotage von Nord Stream 1 und 2 an dem Tag stattfand, an dem die neue Baltic Pipe eingeweiht wurde, die norwegisches Gas von Dänemark nach Polen transportiert, wodurch die östliche Flanke der NATO über die bestehenden Verbindungsleitungen mit norwegischem Gas versorgt werden kann.
Eine derartige Instrumentalisierung von Gas für wirtschaftliche Zwecke (Beugung der EU-Regeln in Bezug auf die Nord Stream 2-Pipeline, um seine dominante Position bei Gaslieferungen nach Deutschland und in Länder, die von Deutschland aus mit russischem Gas beliefert werden, insbesondere Österreich, zu festigen) oder politische Zwecke (Aufwiegelung der europäischen Gesellschaften gegen die Politik ihrer Regierungen, die Ukraine zu unterstützen und Sanktionen gegen Russland zu verhängen) ist für Russland nichts Neues. Polen, das lange Zeit unter der ultradominanten Stellung des russischen Gasunternehmens bei seinen Lieferungen gelitten hat, weiß davon ein Lied zu singen und warnte deshalb vor der Nord Stream 2-Pipeline. Während die bestehenden Pipelines (Nord Stream 1 zwischen Russland und Deutschland, Jamal durch Weißrussland und Polen sowie deren Abzweigung Transgas durch Weißrussland und die Ukraine bzw. durch die Slowakei in den europäischen Markt mündet und nach Österreich führt) mehr als genug Kapazität haben, konnte der Zweck von Nord Stream 2 in den Augen der Polen und Balten nur darin bestehen, Moskau die Mittel zu geben, um die Lieferungen in bestimmte Länder zu unterbrechen bzw. zu reduzieren, da diese nun umgangen werden können, während die anderen Kunden Russlands weiterhin beliefert werden können. Dies ist auch die Rolle der Pipelines, die nun die Turkstream-Pipeline, die russisches Gas über das Schwarze Meer in die Türkei transportiert, mit Bulgarien, Serbien und Ungarn verbinden und somit die Ukraine umgehen, um diese Kunden von Gazprom zu beliefern. Diese Verbindung, die im Oktober 2021 in Betrieb genommen wurde, kam für Russland genau zum richtigen Zeitpunkt, um die Ukraine militärisch anzugreifen und gleichzeitig die Gaswaffe gegen jeden in Europa zu behalten.
Polen war lange vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine gerade deshalb an der Spitze der Gruppe von Ländern, die Russlands Instrumentalisierung des Gases anprangerten und vor der Gefahr warnten, dass Deutschland durch die Nord Stream-Pipelines zum Verteilungszentrum für russisches Gas in Europa werden, und seine Einnahmen und die Wettbewerbsfähigkeit seiner Industrie um den Preis einer größeren Abhängigkeit von Moskau steigern könnte, weil es selbst erfahren hatte, wie Gazprom seine dominante Position missbraucht. Erst 2018 gelang es der Europäischen Kommission schließlich, Gazprom dazu zu zwingen, die Klauseln in seinen langfristigen Verträgen zu streichen, die den mittel- und osteuropäischen Ländern auferlegt worden waren und die es ihnen untersagten, das gekaufte Gas weiterzuverkaufen, und die ihnen weitaus höhere Preise als den westeuropäischen Ländern aufzwangen. In diesem Zusammenhang wurde 1997 in einer von Wladimir Putin selbst am Staatlichen Bergbauinstitut in St. Petersburg vorgelegten wirtschaftswissenschaftlichen Dissertation festgestellt, dass die natürlichen Ressourcen Russlands unter staatlicher Kontrolle bleiben sollten, mit dem Ziel, „verschiedene interne und externe politische Entscheidungen zu treffen, die auf die Verwirklichung der geopolitischen Interessen und die Wahrung der nationalen Sicherheit Russlands abzielen“. In diesem Zusammenhang sei auch daran erinnert, dass dies nicht das erste Mal ist, dass Europa von russischem Gas abgeschnitten wird. So zum Beispiel im Januar 2009, als die Unterbrechung der Lieferungen durch die Ukraine mindestens elf europäische Länder mitten in einer Kältewelle brutal von russischem Gas abschnitt.