Europäische Union – Anfang Januar 2023 trafen sich der Vorsitzende der EVP im Europäischen Parlament, der Deutsche Manfred Weber (der während der Kampagne für die Europawahlen 2019 mit Viktor Orbán in Konflikt geraten war), und die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, um über ein zukünftiges Bündnis für die Europawahlen 2024 zu sprechen.
Derzeit ist Manfred Weber Fraktionsvorsitzender der EVP im Europäischen Parlament, während die Europaabgeordneten von Fratelli d’Italia in der EKR-Fraktion sitzen (u.a. mit den polnischen Abgeordneten der PiS oder den Spaniern von Vox).
Webers Ziel könnte es sein, die Schwierigkeiten der sozialdemokratischen S&D-Fraktion nach dem Katar-Korruptionsskandal um die ehemalige Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments Eva Kaili zu nutzen, um neue Allianzen zu schmieden. Manfred Weber hatte Ambitionen, 2019 den Vorsitz der Europäischen Kommission zu übernehmen, aber schließlich wurde Ursula von der Leyden gewählt.
Weber und Meloni scheinen ein gemeinsames Ziel zu haben: eine Alternative zur traditionellen Koalition zwischen der EVP und der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament zu finden.
Derzeit besteht das Europäische Parlament aus 704 Abgeordneten (es werden also 353 Abgeordnete für eine Mehrheit benötigt), die in 7 Fraktionen aufgeteilt sind (es müssen mindestens 25 Abgeordnete aus mindestens 7 verschiedenen Ländern vorhanden sein, um eine Fraktion zu bilden):
EVP: 176 (unter der Leitung von Manfred Weber, in der auch die Europaabgeordneten von Forza Italia vertreten sind).
S&D: 142
Renew: 102
Grüne/EFA: 71
ID: 64 (in der die Europaabgeordneten der Lega von Matteo Salvini sitzen).
EKR: 63 (in der die Europaabgeordneten von Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni sitzen).
Linke: 38
Fraktionslose: 48 (in denen die 12 Abgeordneten von Fidesz sitzen).
Es ist wahrscheinlich, dass die EKR-Fraktion nach den Europawahlen 2024 stärker sein wird. Nun wird die EVP (die in den letzten Jahren sehr geschwächt wurde) ein Bündnis brauchen, um zu versuchen, die wichtigsten Posten in den EU-Institutionen zu behalten, ohne zu viel mit den Sozialisten, Renew oder den Grünen verhandeln zu müssen. Und wenn Manfred Weber persönliche Ambitionen für 2024 hat, wird er unbedingt die Unterstützung der EU-Abgeordneten der italienischen Rechten brauchen.
Aus diesem Grund hat Manfred Weber trotz interner Kritik aus der CDU-CSU der Mitte-Rechts-Koalition in Italien seine Unterstützung zugesagt. Während des Wahlkampfes unterstützte er die Kampagne von Forza Italia (der Partei von Silvio Berlusconi) mit dem Argument, dass je stärker Forza Italia in der Regierungskoalition sei, desto mehr pro-europäische Garantien würde die italienische Regierung geben.
Diese Unterstützung Webers hatte bereits für Aufsehen gesorgt: Ein Teil der CDU-CSU-Europaabgeordneten forderte den Ausschluss von Forza Italia aus der EVP, falls die Partei der Regierung Meloni beitreten sollte. Trotz der Drohungen fand der Ausschluss nicht statt.
Die Mitte-Rechts-Koalition gewann die Parlamentswahlen in Italien im September 2022 mit insgesamt 237 von 400 Abgeordnetensitzen. Innerhalb dieser Koalition erhielt Melonis Fratelli d’Italia 119 Sitze, Matteo Salvinis Lega 66 Sitze und Berlusconis Forza Italia 45 Sitze (Noi moderati, der vierte Koalitionspartner, erhielt 7 Sitze).
Trotz des äußeren Anscheins gibt es viele Dinge, die Weber und Meloni verbinden, angefangen bei ihrer völlig atlantischen geopolitischen Positionierung (und das ist sicherlich, trotz aller Ähnlichkeiten, das, was eine Meloni von einem Orbán in Ungarn unterscheiden wird). So hatte Meloni unmittelbar nach ihrem Wahlsieg einen öffentlichen Austausch auf Twitter mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj.
Bemerkenswert ist, und das ist auf dieser Verantwortungsebene kein Detail, dass der ukrainische Präsident Selenskyj sich die Mühe gemacht hatte, Giorgia Meloni eine Glückwunschnachricht auf Italienisch zu schreiben, während Meloni ihm … auf Englisch antwortete.
Die Ernennung von Antonio Tajani zum Außenminister hat ebenfalls die atlantische Positionierung der italienischen Regierung gesichert und Matteo Salvinis Spaziergänge in Moskau mit einem T-Shirt mit dem Konterfei des russischen Präsidenten Putin vergessen lassen.
Darüber hinaus stimmten im November 2022 alle Europaabgeordneten der italienischen Regierungskoalition (Fratelli d’Italia, Lega, Forza Italia) für den Antrag, der Russland zu einem Staat erklärte, der den Terrorismus fördert.
Zum Vergleich: Die zwölf Fidesz-Europaabgeordneten nahmen an der Abstimmung nicht teil (laut Zeugenaussagen waren sie anwesend und drückten einfach keinen Abstimmungsknopf), während sich der KDNP-Europaabgeordnete György Hölvényi (ein Verbündeter des Fidesz), der immer noch in der EVP-Fraktion ist, der Stimme enthielt.
Trotz einiger kräftigen Erklärungen bzw. der Entscheidung, gegen Covid nichtgeimpftes medizinisches Personal wieder zuzulassen, ist Giorgia Meloni bisher nur wenig vom Kurs ihrer Vorgänger abgewichen: Die Migrantenboote kommen weiterhin an (wenn auch mit einigen zusätzlichen Schwierigkeiten), die deutsch-brüsseler Wirtschaftsfahrpläne werden befolgt und der geopolitische Atlantizismus im Rahmen des russisch-ukrainischen Konflikts ist in Kraft.
Trotzdem scheint die CDU-CSU nicht sehr begeistert von der Idee zu sein, sich mit Meloni zu verbünden. So haben die deutschen Bundestagsabgeordneten Jürgen Hardt und Alexander Dobrindt diese Strategie Manfred Webers öffentlich kritisiert. Sie verwiesen insbesondere auf die Tatsache, dass einer von Melonis Koalitionspartnern in der Regierung, die Lega, in der ID-Fraktion mit der AfD verbündet ist.
Ein Mitglied der Fratelli-d’Italia-Delegation antwortete außerdem sofort, dass Giorgia Melonis Partei niemals mit der deutschen AfD in Verbindung gebracht worden sei.
Die Idee einer EVP-EKR-Zusammenarbeit wird auch vor einer weiteren großen Schwierigkeit stehen, da die polnische Regierungspartei PiS in der EKR-Fraktion vertreten ist, während die oppositionelle PO in der EVP-Fraktion sitzt.
Diese Schwierigkeiten halten die Europaabgeordneten von Fratelli d’Italia jedoch nicht davon ab, darauf zu hoffen, dass dieses Bündnis 2024 zustande kommen kann. So erklärte Vincenzo Sofo (der für die Lega gewählt wurde und Anfang 2021 zu Fratelli d’Italia wechselte; er ist auch als Ehemann von Marine Le Pens Nichte Marion Maréchal bekannt) gegenüber Euractiv, dass das Modell der italienischen Regierungskoalition in der nächsten Amtszeit in Brüssel nachgebildet werden könne.
Das Spiel der europäischen Allianzen im Hinblick auf die Europawahlen im Mai 2024 hat also bereits begonnen. Es ist jedoch nicht klar, ob ein EVP-EKR-Bündnis im Vergleich zu den derzeitigen Koalitionen wesentliche Veränderungen in der europäischen Politik mit sich bringen würde. Die Integration des EKR-Umfelds in den europäischen Mainstream würde vielleicht sogar dazu beitragen, das europäische Gebäude zu festigen, das trotz der zahlreichen Kritiken, die es erfährt, keine Opposition vor sich sieht, die den Tisch umstoßen könnte.