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Katarzyna Gęsiak: „Den Abtreibungsbefürwortern, die Fake News verbreiten, liegt nicht viel am Wohl der Opfer“

Lesezeit: 6 Minuten

Interview mit der polnischen Rechtsberaterin Katarzyna Gęsiak, Mitverfasserin einer vergleichenden Analyse von Meinungsumfragen zur Einstellung der Polen zur Abtreibung: „Meiner Meinung nach liegt den Abtreibungsbefürwortern, die [Fake News] verbreiten, nicht viel am Wohl der Opfer.

Das polnische Institut für Rechtskultur Ordo Iuris hat gerade eine Analyse von Umfragen veröffentlicht, die die Einstellung der Polen zur Abtreibung zeigen. Die Monografie präsentiert einen vergleichenden Ansatz zu den Ansichten der polnischen Gesellschaft zum Thema Abtreibung von den frühen 1990er Jahren bis heute. Mitautorin des Berichts ist die Rechtsberaterin Katarzyna Gęsiak.

Sébastien Meuwissen hat sich mit Katarzyna Gęsiak getroffen, um mit ihr über dieses Thema zu sprechen und sie zu fragen, wie sich die Haltung der Polen zur Abtreibung seit dem Fall des Kommunismus entwickelt hat.

Sébastien Meuwissen: Was denken die Polen über Abtreibung und wie hat sich die öffentliche Meinung zu diesem Thema in den letzten drei Jahrzehnten verändert?

Katarzyna Gęsiak: Die Ergebnisse der von uns analysierten Umfragen über die Ansichten der Polen zur Zulässigkeit von Abtreibungen haben gezeigt, dass die polnische Gesellschaft Abtreibungen im Allgemeinen akzeptiert, wenn das Leben oder die Gesundheit der Mutter bedroht ist und wenn die Schwangerschaft das Ergebnis einer verbotenen Handlung ist, wie zum Beispiel einer Vergewaltigung. In dieser Hinsicht haben sich die Ansichten in den letzten 30 Jahren nicht grundlegend geändert. Die meisten Polen glauben, dass es in solchen Fällen legal sein sollte, den Lebensschutz des ungeborenen Kindes einzuschränken. Anders sieht es jedoch aus, wenn die Abtreibung aus anderen Gründen durchgeführt werden soll.

Die Ergebnisse von Arbeiten, die das Centre for Public Opinion Research (CBOS) seit 1992 durchgeführt hat, zeigen, dass in der erwachsenen Bevölkerung die Unterstützung für eine Abtreibung aufgrund einer Behinderung des Kindes oder einer Abtreibung, die durch die schwierige persönliche oder finanzielle Situation der Mutter motiviert ist, deutlich zurückgegangen ist. In diesen Fällen werden die Ansichten junger Menschen jedoch immer radikaler. Leider unterstützen immer mehr junge Menschen den Zugang zur Abtreibung.

Sébastien Meuwissen: Wie erklären Sie sich die erheblichen Unterschiede in den Ergebnissen, die bei der Befürwortung von Abtreibungen in Polen zu beobachten sind, je nachdem, welches Forschungszentrum die Studie durchgeführt hat?

Katarzyna Gęsiak: Das ist sehr interessant. Wenn wir nämlich die Umfragen des staatlichen CBOS-Zentrums und die „kommerziellen“ Studien vergleichen, d.h. die des Zentrums United Surveys für die Dziennik Gazeta Prawna (DGP), das Portal Wirtualna Polska (wp.pl) und das IPSOS-Zentrum für das Portal OKO.press, können wir erhebliche Unterschiede bei den Ergebnissen feststellen. Erstaunlich sind die Ergebnisse einer für OKO.press durchgeführten Umfrage, die eine rekordverdächtig hohe und unverhältnismäßig höhere Zustimmung zur Abtreibung zeigt, als bei anderen Umfragen.

Ich persönlich habe keine Angst zu behaupten, dass solche signifikanten Diskrepanzen auf die Unzuverlässigkeit der Studie hindeuten. Warum zeigen alle anderen Umfragen das eine an und die Ergebnisse nur einer Umfrage etwas ganz anderes? Und warum unterscheiden sich die Ergebnisse der Studie, die für ein Portal mit einer dezidiert abtreibungsfreundlichen Haltung durchgeführt wurde, so sehr von den anderen? Ich kann mir keine andere rationale Erklärung vorstellen.

Sébastien Meuwissen: Es wurden mehrere Versuche unternommen, die polnische Verfassung zu ändern, um den Schutz des Lebens ungeborener Kinder zu erweitern. Wann haben diese Versuche stattgefunden und welche Auswirkungen hatten sie auf die Ansichten der Polen zu diesem Thema?

Katarzyna Gęsiak: Was die Verfassung betrifft, so sprechen wir im Wesentlichen über einen Versuch im Jahr 2007, sie zu ändern, bei dem vorgeschlagen wurde, eine Bestimmung einzufügen, die den Schutz des Lebens von der Empfängnis an garantiert. Diese Idee scheint in der Bevölkerung eine große Kontroverse ausgelöst zu haben. Es gab auch mehrere Versuche, die gesetzlichen Bestimmungen zu ändern, wie z.B. 2016, als das Bürgergesetz „Stoppt die Abtreibung“ erschien. Sein Ziel war es unter anderem, die Würde, die einem Menschen auch vor der Geburt zukommt, hervorzuheben und den gesetzlichen Schutz des Lebens, auf den jeder Anspruch hat, zu stärken. Das Projekt muss eine ernsthafte Bedrohung für die Interessen der Abtreibungsaktivisten gewesen sein, denn es löste eine Reihe so genannter schwarzer Proteste aus, in deren Folge der Sejm [Unterhaus des polnischen Parlaments – Anm. d. Verf.] das Gesetz nicht verabschiedete.

Die Aktivität der Abtreibungslobby stoppte auch den Abwärtstrend bei der Akzeptanz von Abtreibung in der Gesellschaft und verstärkte zum Beispiel die Unterstützung für die Legalisierung der „Abtreibung auf Verlangen“. Eine ähnliche Situation lässt sich nach einer Reihe von aggressiven Märschen des sogenannten Frauenstreiks nach dem berüchtigten Urteil des Verfassungsgerichts aus dem Jahr 2020 beobachten, bei denen falsche Informationen über diese Entscheidung weit verbreitet wurden.

Sébastien Meuwissen: Können Sie unseren Lesern erklären, worum es in dem berühmten Urteil des Verfassungsgerichts von 2020 ging?

Katarzyna Gęsiak: Mit diesem Urteil wurde eugenische Abtreibung in Polen verboten. Bis dahin wurden ungeborene Kinder bei Verdacht auf eine Krankheit oder Behinderung getötet. Warum eugenisch? Weil der Kern dieser Praxis die Eliminierung der Kranken und Schwachen ist. Die Vorschrift, die die Abtreibung in solchen Fällen erlaubte, basierte überhaupt nicht auf der Sicherheit der Mutter, sondern erlaubte die Tötung von Kindern, von denen wir nicht einmal sicher waren, ob sie krank oder gesund geboren werden würden. Ich selbst habe von vielen Fällen gehört, in denen der betreuende Arzt aufgrund diagnostizierter Entwicklungsstörungen eine Abtreibung vorschlug, woraufhin das Kind völlig gesund zur Welt kam. Es sollte auch betont werden, dass die größte Gruppe der Kinder, die auf dieser Grundlage getötet wurden, Kinder mit Verdacht auf Down-Syndrom waren, was in vielen Fällen keine ernsthafte oder lebensbedrohliche Krankheit ist, und dass diese Menschen im Erwachsenenalter in der Lage sind, unabhängig zu arbeiten, eine Familie zu gründen usw. Es ist auch wichtig zu betonen, dass das Urteil des Verfassungsgerichts aus dem Jahr 2020 die Prämisse der Bedrohung des Lebens einer Frau nicht beseitigt hat. Es verpflichtet Ärzte und Ärztinnen nach wie vor, das gefährdete Leben jeder Mutter zu retten, auch wenn die Auswirkungen der medizinischen Eingriffe zum Tod des Kindes führen können.

Sébastien Meuwissen: Seit Herbst 2020 sind eugenische Abtreibungen in Polen illegal und stellen eine Straftat nach den strafrechtlichen Bestimmungen dar. Sie arbeiten für eine einflussreiche Denkfabrik, die sich aktiv und erfolgreich für eine Änderung des Gesetzes und die Einführung eines höheren Lebensschutzes in Polen eingesetzt hat. Damals wurden Sie mit zahlreichen Angriffen, Beleidigungen und Drohungen konfrontiert. Wie sieht die Situation 2,5 Jahre später aus?

Katarzyna Gęsiak: Obwohl sich der sogenannte Frauenstreik deutlich beruhigt hat, beobachten wir immer noch neue Formen von Aktivitäten der Abtreibungsbefürworter. Wir erleben zwar keine Angriffe gegen das Institut (wie im Jahr 2020), aber gelegentlich hören wir von neuen Fällen von Frauen, die angeblich durch das Urteil des Verfassungsgerichts geschädigt wurden. Ich meine die Geschichte von Frau Izabela aus Pless (Pszczyna), Frau Agnieszka aus Tschenstochau oder den kürzlich viel kommentierten Fall eines vergewaltigten 14-jährigen Mädchens, das sich in Wirklichkeit als 24-jährige Frau herausstellte. In jedem dieser Fälle hat die Gesellschaft eine Reihe von Lügen gehört, dass die genannten Personen Opfer des Urteils des Verfassungsgerichts von 2020 seien.

Tatsächlich – und das habe ich bereits erwähnt – hätten die Ärzte, wenn sie sich an das Gesetz gehalten hätten, das Leben von Izabela und Agnieszka und aller Mütter, die in Gefahr waren, gerettet. Und dass sie rechtswidrig gehandelt haben, wird durch die Ergebnisse der Inspektionen des Nationalen Gesundheitsfonds, der Staatsanwaltschaft und des Patientenanwalts bestätigt, die auf zahlreiche und schwerwiegende Unregelmäßigkeiten bei der Qualität der Leistungen für die Patientin aus Pless hinweisen. Im letzten aufsehenerregenden Fall von Vergewaltigung wurde das Alter des Opfers wahrscheinlich absichtlich gefälscht, um Empörung zu erzeugen.

Natürlich ist das auch bei einer erwachsenen Frau ein schreckliches Verbrechen, aber die Frage bleibt – was bezwecken diejenigen, die die Öffentlichkeit absichtlich in die Irre führen? Meiner Meinung nach ist den Abtreibungsbefürwortern, die solche Fälle publik machen, das Wohlergehen der Opfer eigentlich ziemlich egal. Ich vermute, dass, wenn ihre Geschichten nicht mehr gebraucht werden, um das Ziel der vollständigen Legalisierung der Abtreibung voranzutreiben, sich um ihr Schicksal oder das Drama ihrer Angehörigen absolut nicht gekümmert werden wird. Leider werden solche Geschichten und ihre Protagonisten instrumentalisiert, um Pro-Abtreibungs-Postulate zu fördern und enorme finanzielle Vorteile aus der Abtreibung zu ziehen. Die Aussage von Abby Johnson, der ehemaligen Leiterin einer Abtreibungsklinik, die zum Giganten der Abtreibungsindustrie – Planned Parenthood – gehört, bestätigt diese Behauptungen.

Sébastien Meuwissen: In der polnischen und ausländischen Presse wurden viele Fake News zu diesem Fall verbreitet. Können Sie einige Beispiele nennen?

Katarzyna Gęsiak: Wie ich bereits erwähnt habe, handelt es sich vor allem um die Geschichten von Frau Izabela aus Pless, Frau Agnieszka aus Tschenstochau und einem 24-jährigen Vergewaltigungsopfer. Natürlich führen Abtreibungsbefürworter auch andere Fälle von Frauen an, die angeblich durch das Urteil des Verfassungsgerichts gestorben sind oder auf andere Weise gelitten haben, aber wie gesagt – das Gesetz erlaubt nach wie vor den Abbruch einer Schwangerschaft aufgrund einer Bedrohung für das Leben oder die Gesundheit der Mutter und im Falle einer Vergewaltigung. Das Gericht hat sich mit solchen Fällen überhaupt nicht befasst, sondern sich darauf konzentriert, dass eine Abtreibung aufgrund einer vermuteten Krankheit oder Behinderung des Kindes nicht mehr erlaubt ist. Außerdem bin ich davon überzeugt, dass Situationen wie die, die derzeit von linken Kreisen publik gemacht werden, auch vor dem Urteil von 2020 stattgefunden haben, aber das Bedürfnis, sie so laut zu verbreiten, war noch nicht so groß.