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Polnische Minderheit und demokratische Opposition in Weißrussland weiterhin gleichsam unterdrückt

Lesezeit: 4 Minuten

Weißrussland / Polen – Polen könnte seine letzten noch offenen Grenzübergänge zu Weißrussland als Vergeltungsmaßnahme schließen, wenn man den Worten des Staatssekretärs im Innenministerium, Maciej Wąsik, gegenüber dem polnischen Nachrichtenfernsehen Polsat News Glauben schenken darf.

„Für uns ist [Weißrussland] ein kleines Dachfenster, während Polen für [Weißrussland] ein Fenster zur Welt ist“, so Wąsik. Die Grenzübergänge zu Polen seien wichtig für die weißrussische Wirtschaft und für die Unterstützung, die Lukaschenko in der Bevölkerung genieße, betonte der Staatssekretär. „Wir werden nicht zögern. Wenn nötig, werden wir auch zum Sprachrohr der polnischen Minderheit“, warnte er und versicherte, dass Warschau nun „abwartet, was Minsk tun wird“ und dass die Situation sich durchaus in eine positivere Richtung entwickeln könnte, wenn die weißrussischen Behörden zeigen, dass sie dies auch wollen.

Diese Aussagen wurden gemacht, nachdem ein weißrussisches Gericht Anfang März Swetlana Tichanowskaja, die Hauptgegnerin Alexander Lukaschenkos bei den Präsidentschaftswahlen im August 2020, in Abwesenheit zu 15 Jahren Haft verurteilt hatte. Bei diesen Wahlen hatten Betrugsvorwürfe eine landesweite Welle von Demonstrationen und eine erste Reihe von Sanktionen seitens der Europäischen Union ausgelöst. Dabei handelte es sich hauptsächlich um individuelle Sanktionen gegen Personen, die für den Betrug und die darauf folgenden brutalen Repressionen verantwortlich gemacht wurden.

Siehe hierzu unser Interview mit der weißrussischen Journalistin Inna Kotschetkowa :
Selbst Russland kommt nicht an das Ausmaß der Repression heran, das wir hier in Weißrussland haben“, so eine weißrussische Journalistin (26.03.2022).

Es wird oft vergessen, dass die eigentlichen Sanktionen, die auf die Wirtschaft abzielten und die weißrussische Fluggesellschaft aus dem EU-Luftraum verbannten, erst nach der Entführung eines europäischen Zivilflugzeugs im Mai 2021 durch die weißrussischen Behörden beschlossen wurden. Die weißrussischen Behörden hatten einen Flug der Ryanair von Athen nach Vilnius gezwungen, in Minsk zu landen, um einen Oppositionellen an Bord festnehmen zu können. Es stellte sich außerdem heraus, dass das entführte Flugzeug in Polen registriert war.

Nach den neuen Sanktionen, die durch diesen Piratenakt ausgelöst wurden, begann das Regime von Alexander Lukaschenko zur „Bestrafung“ der EU und insbesondere Polens und Litauens, die die Sanktionen am stärksten vorangetrieben hatten, mit dem Massenansturm von Migranten aus dem Nahen Osten und Afrika auf die Grenzen Polens und Litauens. Dies wiederum zwang diese beiden Länder, einen Zaun entlang ihrer Grenze zu Weißrussland zu errichten, nach dem Vorbild des Zauns, den Ungarn 2015 errichtete, um Migranten auf der Balkanroute aufzuhalten. Weißrussland wurde dadurch weiter isoliert und wurde noch stärker auf die Unterstützung Russlands angewiesen. Moskau wurde von Anfang an von Warschau und Vilnius verdächtigt, hinter dem Einsatz dieser Migrationswaffe zu stehen, was die beiden europäischen Hauptstädte als einen Akt hybrider Kriegsführung betrachteten.

Die Beteiligung Weißrusslands an der russischen Militäroffensive gegen die Ukraine, die am 24. Februar 2022 begann, wobei der erfolglose Angriff auf die ukrainische Hauptstadt Kiew von weißrussischem Staatsgebiet gestartet worden war, führte dazu, dass Weißrussland ebenso wie Russland von den aufeinanderfolgenden Sanktionspaketen der EU betroffen wurde. Polen und Litauen gehören auch hier zu den Ländern, die seit Beginn des vom Kreml angezettelten Krieges die härtesten Sanktionen verhängen, was die Beziehungen zum Minsker Regime zusätzlich verschärft.

Am 9. Februar kündigte der polnische Innenminister Mariusz Kamiński die Schließung des Grenzübergangs Bobrowniki an der weißrussischen Grenze für den Güterverkehr an. Offiziell war dies eine Vergeltungsmaßnahme gegen die Beschränkungen für polnische LKWs in Weißrussland, aber die Entscheidung kam einen Tag nach der Verurteilung von Andrzej Poczobut, einem weißrussischen Journalisten, der auch ein aktives Mitglied der polnischen Minderheit ist, durch das Gericht in Grodno zustande.

Zum Verständnis der Repressionen gegen die polnische Minderheit in Weißrussland siehe auch:
Warum das Lukaschenko-Regime die polnische Minderheit ins Visier nimmt (1.04.2021).

Poczobut erhielt eine Strafe von 8 Jahren in einer Strafkolonie wegen Aufstachelung zum Hass, Aufruf zu Sanktionen gegen Weißrussland, Handlungen zum Nachteil von Weißrussland und Rehabilitierung des Nationalsozialismus. In Weißrussland und Russland, zwei Ländern, in denen die sowjetische Geschichtsschreibung noch immer vorherrscht, wird die Erwähnung der deutsch-sowjetischen Allianz von 1939-41 und die positive Darstellung des Kampfes der polnischen Partisanen gegen die sowjetischen Besatzer und das kommunistische Regime nach dem Zweiten Weltkrieg per se als Rehabilitierung oder Verherrlichung des Nationalsozialismus betrachtet. Wenn also Vertreter der polnischen Minderheit in Weißrussland der „verstoßenen Soldaten“ (polnische Partisanen, die bis in die 1950er Jahre weiterkämpften) oder sogar der Armia Krajowa (AK) gedenken, der polnischen Heimatarmee, die gegen die Deutschen kämpfte, deren Mitglieder aber bei der „Befreiung“ Polens von der Roten Armee verhaftet, deportiert bzw. hingerichtet wurden, drohen ihnen entsprechend hohe Haftstrafen.

Seit Beginn des Krieges in der Ukraine hat Weißrussland auch mehrmals Bulldozer geschickt, um Friedhöfe zu zerstören, auf denen AK-Soldaten begraben sind, was ein weiterer Grund war, den der Staatssekretär des polnischen Innenministeriums vor einigen Tagen anführte, als er mit der Schließung aller Grenzübergänge zu Weißrussland drohte.

Andrzej Poczobut war im März 2021 zusammen mit mehreren anderen Vertretern der polnischen Minderheit verhaftet worden, darunter Andżelika Borys, die Vorsitzende des Bundes der Polen in Weißrussland (Związek Polaków na Białorusi, ZPB), der seit den ersten Repressionen gegen diese Organisation im Jahr 2005 im Visier des Lukaschenko-Regimes steht.

Einen Monat nach Poczobut wurde nicht nur die weißrussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja, die nach Litauen geflohen ist, in Abwesenheit verurteilt, sondern auch vier weitere Oppositionelle, darunter Pawel Latuschka, ein ehemaliger Kulturminister und ehemaliger weißrussischer Botschafter in Polen von 2002 bis 2008 (und später in Frankreich von 2012 bis 2019), der gleichfalls zu 18 Jahren Strafkolonie verurteilt wurde.

„Ich habe versucht, meinen Anwalt zu kontaktieren, aber er hat sich geweigert zu kommunizieren. Ich weiß nicht, was die Grundlage [meiner Verurteilung] war, ich habe keine Informationen darüber, was die Ermittlungen enthielten, was die Anklageschrift enthielt, ich kenne die Zeugen nicht, ich kenne die Beweise nicht“, erklärte Latuschka am 6. März im polnischen Fernsehen TVN24 und versicherte, dass er heute im Gefängnis wäre, wenn Polen ihm nicht im September 2020 Asyl angeboten hätte. Latuschka sagte jedoch, dass er selbst in Polen um sein Leben fürchte, und er versicherte, dass er Drohungen erhalten habe: „Ich erhalte Signale, dass sie mich ermorden wollen, dass sie mich entführen wollen, dass sie mich in einem Kofferraum aus Polen herausbringen wollen. Sie haben sogar einen speziellen Film angeblich für diesen Anlass gedreht, wie sie mich nach Minsk bringen.“

Am Freitag verurteilte das Gericht in Minsk auch einen Menschenrechtsaktivisten und Träger des Friedensnobelpreises 2022, Ales Bjaljazki, zu 10 Jahren Gefängnis wegen „Schmuggel“ und „Finanzierung von Demonstrationen“. Bjaljazki ist ein ehemaliger Stadtrat von Minsk (von 1991 bis 1996), der 1996 die Organisation Wjasna (Frühling) gründete, um den Opfern der Übergriffe des Lukaschenko-Regimes zu helfen. Er hatte bereits von 2011 bis 2014 wegen angeblicher Steuerhinterziehung im Gefängnis gesessen. Im Jahr 2012 erhielt er den Lech-Wałęsa-Preis, eine polnische Auszeichnung, die 2008 anlässlich des 25. Jahrestages der Verleihung des Friedensnobelpreises an den Führer der Gewerkschaft Solidarność, Lech Wałęsa, zur Zeit der Unterdrückung durch das kommunistische Regime in Polen geschaffen wurde.