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Russische Medien beschuldigen Polen, einen Staatsstreich in Weißrussland anzuzetteln

Lesezeit: 5 Minuten

Dieser Artikel ist am 29. Mai 2023 auf dem Portal des OJIM erschienen.

Nach dem polnischen Botschafter in Frankreich im vergangenen März hat nun auch ein pensionierter polnischer General die russischen Medien auf den Plan gerufen, die nicht davor zurückschrecken, die Realität etwas zu verzerren, um „Alarm“ zu schlagen. Der heute 67-jährige General Waldemar Skrzypczak, General der Reserve, ist ehemaliger Chef des polnischen Heeres (2006-2009) und ehemaliger Staatssekretär im Verteidigungsministerium (2012-13). Seit 2010, kurz nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Armee, betreibt er einen Blog und kommentiert häufig militärische Themen in den polnischen Medien.

Ein etwas unvorsichtiger polnischer General

So brachte General Skrzypczak am 23. Mai im polnischen Nachrichtensender Polsat News den Gedanken vor, dass ein bewaffneter Aufstand in Weißrussland zu erwarten sei und dass sich Polen darauf vorbereiten müsse. Skrzypczak sei nämlich davon überzeugt, dass diejenigen Weißrussen, die derzeit an der Seite der Ukrainer gegen die Russen kämpfen, es nicht dabei belassen würden, sondern bald das Lukaschenko-Regime würden stürzen wollen, falls die angekündigte Gegenoffensive der Ukraine erfolgreich sei. Er erklärte auch, dass Polen sie dann seiner Meinung nach genauso unterstützen sollte, wie es heute die Ukrainer unterstützt. Da Lukaschenko Polen mit seiner Migrantenoperation angegriffen habe, habe Polen laut Skrzypczak „gute Gründe, [den künftigen weißrussischen Aufständischen] zu helfen, so wie wir den Ukrainern helfen, und es ist schon jetzt an der Zeit, sich darauf vorzubereiten, um diesen Moment nicht zu verpassen“.

In einem der Sätze, die er gegenüber dem Reporter von Polsat News äußerte, der ihn bat, seine Gedanken zu präzisieren, sagte der pensionierte General, er glaube, dass dies auch eine Unterstützung der weißrussischen Aufständischen mit Munition und Waffen sein könnte, obwohl diese seiner Meinung nach ohnehin schon gut ausgebildet und bewaffnet seien und das weißrussische Volk sie unterstützen und sich „mit Begeisterung“ gegen Lukaschenko erheben werde. Er behauptete ferner, dass Russland seinem Verbündeten nicht helfen werde, weil es zu sehr damit beschäftigt sein werde, auf die Aktionen russischer Anti-Putin-Soldaten zu reagieren, wie jene, die kürzlich die Stadt Belgorod in der Russischen Föderation angegriffen haben.

Nach Ansicht des polnischen Reservegenerals muss man sich auch auf einen Exodus weißrussischer Flüchtlinge in Richtung Polen einstellen, falls sich seine Prognosen bewahrheiten sollten.

Überinterpretation durch die Russen

Übersetzung der russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti am nächsten Tag, Schlagzeile: „Polen bestätigt Berichte über westliche Vorbereitungen für einen Staatsstreich in Weißrussland.“ Und im Untertitel: „Polnischer General Skrzypczak behauptet, Warschau bereite einen Militärputsch in Weißrussland vor“. Der Artikel der Nachrichtenagentur führt diesen Gedanken weiter: „Polen bereitet sich auf einen bewaffneten Staatsstreich in Weißrussland vor und beteiligt sich an dessen militärischer Unterstützung, so der ehemalige stellvertretende Minister für nationale Verteidigung Polens, General Waldemar Skrzypczak, im Fernsehsender Polsat. Damit bestätigte er die Aussagen des weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko über die Pläne des Westens“. Abgesehen von der offensichtlichen Sinnentstellung der Äußerungen des Polen wird in dem Artikel nicht darauf hingewiesen, dass es sich um einen General im Ruhestand handelt, der nur in seinem eigenen Namen spricht.

Genauso wenig wie die russische Tageszeitung Kommersant in ihrem Artikel vom 24. Mai mit dem Titel „Ehemaliger polnischer Vizeverteidigungsminister: Warschau bereitet sich auf die Unterstützung eines Aufstands gegen Lukaschenko vor“.

„‚Wir bereiten uns auf einen Aufstand in Weißrussland vor, denn er wird kommen. Wir müssen bereit sein, die Truppen zu unterstützen, die die Operation gegen Lukaschenko anführen werden,‘ sagte der ehemalige polnische stellvertretende Minister für nationale Verteidigung auf Polsat TV. Dem polnischen General zufolge werden die Weißrussen, die für die Ukraine kämpfen, früher oder später in ihre Heimat zurückkehren. ‚Ich hoffe, dass dies einen Aufstand in Weißrussland auslösen wird, das ist es, was Lukaschenko befürchtet,‘ sagte Skrzypczak. Seiner Meinung nach sei Polen bereit, diesen Truppen zu helfen, da sie derzeit für die Ukraine kämpften. ‚Wir müssen bereit sein, die Truppen zu unterstützen, die eine Operation gegen Lukaschenko durchführen. Wir haben Gründe, ihnen zu helfen, genauso wie wir den Ukrainern helfen,‘ sagte er.

Retourkutsche

Kommersant präzisiert auch nicht, dass der Pole der Ansicht ist, dass seine Heimat gute Gründe habe, möglichen Anti-Lukaschenko-Aufständischen zu helfen, weil das Lukaschenko-Regime seiner Meinung nach Polen zuerst angegriffen habe, als es Wellen von Migranten aus dem Nahen Osten auf seine Grenze hetzte, was in den polnischen Medien oft als Akt hybrider Kriegsführung bezeichnet wurde.

Polen behauptet, der Westen plane einen Staatsstreich in Weißrussland“, titelte die Iswestija ebenfalls am 24. Mai mit der Überschrift „Skrzypczak, ehemaliger polnischer Vizeverteidigungsminister: Der Westen will einen Staatsstreich in Weißrussland organisieren“.

Der ehemalige stellvertretende polnische Verteidigungsminister, General Waldemar Skrzypczak, erklärte, dass der Westen einen Staatsstreich in Weißrussland plane. Diese Erklärung gab er am 23. Mai im polnischen Fernsehsender Polsat ab. ‚Sie müssen bereit sein, die Truppen zu unterstützen, die die Operation gegen [den weißrussischen Präsidenten Alexander] Lukaschenko durchführen werden,‘ so der General. Früher am gleichen Tag erklärte der politische Analyst Kiryl Aweryanow, dass Moskau und Minsk ihre militärische Zusammenarbeit verstärken würden, da Warschau seine Bereitschaft zu einem bewaffneten Staatsstreich in Weißrussland erklärt habe. Er machte darauf aufmerksam, dass in einer solchen Situation die wichtigste Garantie für Frieden und Ruhe in der [weißrussischen] Republik die Russisch-Belarussische Union sei. Anfang Mai betonte Lukaschenko, dass die Situation rund um Weißrussland weiterhin kompliziert sei. Er wies darauf hin, dass das militärische Potenzial der NATO in der Nähe der Landesgrenzen wachse und dass es an der Grenze zu Provokationen komme. Im Februar hatte der weißrussische Präsident erklärt, der Westen werde die weißrussische Opposition im Ausland weiterhin finanzieren, um einen Staatsstreich zu organisieren.

Auch hier findet sich kein Wort darüber, dass die Worte des polnischen Offiziers – in ihrer unverfälschten Version, in der der polnische Reservegeneral polnische Vorbereitungen zur Unterstützung eines internen Aufstands in Weißrussland forderte, aber nicht behauptete, dass solche Vorbereitungen im Gange seien – von einem pensionierten General geäußert worden waren, der seit nunmehr über 13 Jahren keine offiziellen Ämter mehr bekleidet.

Diese Worte waren in den polnischen Medien, die an die manchmal gewagten Behauptungen von General Skrzypczak gewöhnt sind, ziemlich unbemerkt geblieben, bevor die russische und die weißrussische Führung darauf reagierten, indem sie sich auf die Version stützten, die von den drei oben genannten großen russischen Medien gegeben wurde und die von zahlreichen anderen Medien in beiden Ländern immer wieder wiederholt wurde.

Mehr Aufregung in Russland als in Polen

Unter der Überschrift „Der Kreml empört sich über die Äußerungen von General Skrzypczak. Ost-Medien berichten von Warschauer Putschvorbereitungen“ schrieb die polnische Tageszeitung Gazeta Wyborcza in der Überschrift ihres am 25. Mai veröffentlichten Artikels: „Die Äußerungen des Militärs fanden ein breites Echo in den östlichen Propagandamedien, die behaupten, Polen plane einen bewaffneten Staatsstreich in Weißrussland.“ Die Zeitung gab dann für ihre Leser die Äußerungen von General Skrzypczak auf Polsat News unverfälscht wieder, einschließlich der Frage, ob Polen einen künftigen bewaffneten Aufstand in Weißrussland militärisch unterstützen sollte, und erklärte dann, dass die Worte des Generals „sofort die Propagandamedien und Vertreter des Kremls auf den Plan riefen, die sich daran machten, die öffentliche Meinung von Warschaus Plänen zur Organisation eines Staatsstreichs zu überzeugen.“

Lukaschenko setzt noch einen drauf

Und da die polnischen Medien genau verfolgen, was in den russischen Medien berichtet wird, findet der Leser weitere Einzelheiten: „Die Erklärung des polnischen Offiziers ließ auch Wladimir Putins Sprecher Dmitri Peskow reagieren, der offen erklärte, dass ‚Polen ein Russland feindlich gesinntes Land‘ sei. ‚Die polnische Regierung verfällt buchstäblich in eine russophobe Hysterie und wir sehen, dass dieses feindselige Land offen über seine Absicht spricht, sich direkt, auch mit Gewalt, in die inneren Angelegenheiten eines Nachbarstaates einzumischen,‘ sagte er in einem Interview mit Pawel Sarubin, einem Journalisten des staatlichen Fernsehens Rossija 1.“ Peskow signalisierte zudem, dass Russland notfalls in Weißrussland eingreifen würde, so auch Gazeta Wyborcza.

Ebenfalls in einem Artikel vom 25. Mai gibt die polnische Tageszeitung Rzeczpospolita ihren Lesern die Reaktion des weißrussischen Staatschefs Alexander Lukaschenko wieder: „Die weißrussischen Behörden sind bereit, einem möglichen Putschversuch entgegenzutreten, so Alexander Lukaschenko, der damit eine Aussage des ehemaligen Kommandeurs der polnischen Armee, General Waldemar Skrzypczak, kommentierte.“ Laut Rzeczpospolitaversichert der weißrussische Präsident,“ dass die Behörden in Minsk „seit langem wissen, dass Warschau sich darauf vorbereitet, einen Aufstand oder etwas Ähnliches auf weißrussischem Territorium zu organisieren.“

Die polnische Zeitung zitiert dann den weißrussischen Staatschef mit folgenden Worten: „Leider hört man nicht auf das, was ich sage. Vor einigen Monaten habe ich gesagt, dass sie sich vorbereiten – auf einen Aufstand, auf eine Revolution, ich weiß nicht, was sie in Weißrussland vorbereiten. Wir wissen schon lange, dass sie sich vorbereiten, vielleicht auf eine weitere Revolution. Sie bilden ihre Truppen aus, ganze Regimenter, ganze Bataillone. Wir wissen, wo sie sich befinden, wir kennen ihre Namen. Wir sind bereit, sie sollen kommen,“ so Lukaschenko“.

So haben die Äußerungen eines polnischen Bloggergenerals den Mythos der belagerten Festung genährt, der von den [aufeinanderfolgenden] russischen Führungen und heute auch vom weißrussischen Präsidenten, einem ehemaligen sowjetischen Apparatschik, der in der gleichen Tradition steht, gepflegt wird. Diese Worte kamen übrigens zur rechten Zeit: Kurz bevor Präsident Lukaschenko bekannt gab, dass der Transfer russischer taktischer Atomwaffen nach Weißrussland begonnen hatte.