Von der Redaktion.
Ungarn, Budapest – Alljährlich am 15. März feiert Ungarn den Kampf um die Unabhängigkeit aus den Jahren 1848-1849, einen Kampf gegen das Habsburger Reich, der u.a. von den ungarischen Republikanern initiiert und von Polen, darunter vom General Bem – dem letzten kämpfenden General der ungarischen Aufständischen – unterstützt wurde.
An diesem Tag ist es Brauch, die ungarische Kokarde zu tragen und die Einheit der Nation zu feiern. Zu diesem Anlass lud der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán seinen polnischen Amtskollegen Mateusz Morawiecki, um die polnische Hilfe und die Freundschaft zwischen beiden Nationen zu feiern.
Am Freitag, den 15. März 2019 gegen 11 Uhr, vor dem Nationalmuseum, wo der Aufstand 1848 angefangen hatte, ergriff der polnische Ministerpräsident als erster das Wort. Und hier ist die deutsche Übersetzung seiner Rede:
Liebe ungarische Freunde, liebe polnische Freunde, die hier mit uns sind,
Danke für diese Einladung, danke dafür, dass Sie mich zu dieser großartigen Feier der Freiheit, unserer und Ihrer Freiheit bzw. der Solidarität eingeladen haben.
Die polnisch-ungarische Freundschaft dauert schon seit mehr als 1000 Jahren, seit den Königen Stephan I. und Bolesław I.
Und diese Freundschaft wurde unter Bolesław III. und Koloman fortgesetzt, einem weisen Mann, der vom Adel zwei Drittel seines Einkommens verlangte, für das Heer und für einen starken Staat.
Unsere Ritter haben an großen siegreichen Schlachten teilgenommen und auch große Niederlagen gemeinsam erlitten. Aber immer kämpften sie Schulter an Schulter.
Wie vor 171 Jahren im Befreiungskrieg, wie vor 75 Jahren in Warschau, wie vor 63 Jahren in Budapest und in der Zeit von Solidarność in Polen.
Wir waren in der Vergangenheit immer vereint und wir haben gemeinsam für unsere Freiheit gekämpft. Heute möchten wir für eine bessere Zukunft kämpfen.
Wir können heute die Zeugen einer schönen Feier sein, man kann in uns den Wunsch nach Freiheit sehen, und als ich diese großartige Feier sah, fragte ich Viktor: „Was ist diese Tafel auf der Fassade des Museums?“
Dann erfuhr ich, dass diese Tafel in Erinnerung an Sándor Bauer angebracht wurde. In Polen haben wir auch einen ähnlichen Helden, Ryszard Siwiec, und die Tschechen haben Jan Palach. Diese drei Personen haben die Gemeinsamkeit, dass sie sich selbst verbrannten, um gegen die unterdrückte Freiheit in der Tschechoslowakei zu protestieren.
Und diese drei Menschen, Sándor Bauer, Jan Palach und Ryszard Siwiec, vereinen uns heute weiterhin. Sie sind unsere Helden, die die Diktatur und die Fremdherrschaft nicht akzeptiert haben.
Vor 171 Jahren, als der Völkerfrühling noch nicht siegreich gewesen war, mussten die Honvéd [das ungarische Heer, AdÜ] und die ungarischen Soldaten ihre Waffen und Fahnen strecken.
Aber die Fahnen haben sie nicht abgegeben. Sie haben sie zerschnitten, unter sich verteilt und in ihren Häusern, in ihren Herzen versteckt.
Sie haben diese Fahnen beiseite gelegt, damit der Wind der Hoffnung erneut wehen könne. Und jener hat geweht.
Unsere heute freien Völker sind um diese Fragmente von Fahnen zusammengewachsen, um diese Fragmente unserer großen Geschichte, unserer Freundschaft, der Freundschaft zwischen Polen und Ungarn.
Und genauso wie diese Fahnen, die wieder ganz sind, sind unsere Vaterländer mehr als unsere eigenen Einzelschicksale, mehr als diese Fragmente von Fahnen. Heute kämpfen wir für eine bessere Zukunft.
Diese bessere Zukunft hängt nur von unserem Willen, von unserer Entschlossenheit ab.
Genauso wie vor 171 Jahren sind wir erneut auf der Seite der Wahrheit, der Solidarität, der kleinen Leute, der Freiheit.
Im Namen einer besseren Zukunft für Ungarn, für Polen, für Europa kämpfen wir heute für die Wahrheit und für die Gerechtigkeit.
Und wir sind immer mehr davon überzeugt, dass wie sie uns 1989 zum Sieg führten, der ungarische Turul [mythischer Vogel der Ungarn, AdÜ] und der polnische weiße Adler uns zu besseren Zeiten für unsere Kinder und Enkelkinder führen werden.
Unsere beiden großen Schriftsteller Sándor Pétőfi und Zbigniew Herbert, obschon sie zwei unterschiedliche Sprachen benutzten, sprachen von dem gleichen: von dieser Verbindung, von der Herbert sprach, und von dieser Einheit, von dieser polnisch-ungarischen Nation, von der Pétőfi sprach.
Möge diese Verbindung uns vereinen, uns alle, Ungarn, Polen und Europäer. Möge sie alle vereinen, die an das Europa der Vaterländer glauben, an eine bessere Welt für die kleinen Leute und nicht für die Mächtigen, für das Establishment.
Gott segne Ungarn, Gott segne Polen und Europa! Möge Er uns eine bessere Zukunft geben!
Dann sprach auch Ministerpräsident Viktor Orbán vor den Tausenden von Menschen, die vor ihm auf dem von der Menge überschwemmten Ring standen. Und hier ist die deutsche Übersetzung seiner Rede:
Viktor Orbáns Festrede zum 171. Jahrestag der Revolution und des Freiheitskampfes von 1848/49
15. März 2019, Budapest
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident! Sehr geehrte Feiernde! Ungarn, von diesseits und jenseits der Grenze!
Heute sind die Polen hier bei uns. Sie sind heute hier bei uns, so wie sie die ganze Zeit mit uns waren 1848 und 1849, und danach auch im 20. Jahrhundert. Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, ich bitte Sie, die vom Herzen kommenden Glückwünsche der ungarischen Menschen entgegenzunehmen. Ohne die Polen wäre heute auch Ungarn nicht frei und man hätte auch Europa nicht wiedervereinigen können. Die Polen haben uns den Heiligen Papst Johannes Paul II gegeben, und sie haben uns auch die Solidarność gegeben. Sie haben dadurch den Gang der Geschichte verändert, wir konnten unsere Freiheit und die Unabhängigkeit unserer Nationen zurückgewinnen. Wir, Ungarn, bekunden unseren Respekt vor dem polnischen Volk, indem wir den Hut ziehen. Polen nimmt in den Herzen der Ungarn einen besonderen Platz ein. Es gibt stimmen, die meinen, eine derart enge Freundschaft zweier Völker sei nur eine romantische Legende und vertrage sich nicht mit den unerbittlichen Gesetzen der modernen Politik. Aber wir, Polen und Ungarn, fühlen seit tausend Jahren so, und wir glauben daran, dass das Leben selbst ein großes romantisches Abenteuer ist, das ohne wahre Freunde keinen Pfifferling wert ist. Unsere Leidensgeschichte im 20. Jahrhundert war eine gemeinsame. Wir wissen, wie man in schwierigen Zeiten ein Freund sein muss. Doch jetzt bereiten wir uns auf eine andere Art der Zukunft vor. Auf einen spektakulären mitteleuropäischen Aufstieg, auf eine Wiederholung unserer einstigen Größe. Wir bereiten uns auf eine in die Höhe führende mitteleuropäische Renaissance von überwältigender Kraft vor. Jetzt können wir auch in einem aufsteigenden historischen Zeitraum Freunde sein, in dem wir endlich so leben können, wie wir das schon immer wollten. Meine Freunde, dieser Tage war ich in Polen. Ich habe gesehen, dass wenn wir mit der Entwicklung der Polen Schritt halten wollen, wir uns dann zusammenreißen müssen. Polen ist das größte, ist das führende Land Mitteleuropas. Wenn von Brüssel aus Polen attackiert wird, dann wird ganz Mitteleuropa und werden auch wir, Ungarn, angegriffen. Wir lassen jenen Baumeistern von Imperien, die ihren Schatten auch über Mitteleuropa ausweiten wollen, ausrichten: Sie müssen immer mit dem starken polnisch-ungarischen Verband rechnen.
Sehr geehrte Feiernde!
„Wir haben nichts abgewogen, sondern sind es angegangen, und haben den 15. März mit einem Gedicht und einigen Degen von Jurastudenten gemacht. Und wir leben heute davon.” So formulierte der Schriftsteller Kálmán Mikszáth. Die Zeitalter von sieben Generationen sind seit dem ersten 15. März vergangen, und wir leben immer noch davon, dass wir jedes Jahr mit den Versen von Petőfis Gedicht den Eid auf den Gott der Ungarn leisten, an der Seite der Freiheit durchzuhalten und der Knechtschaft zu widersprechen. Der gemeinsame Eid der Nation bedeutet, dass sich jeder Ungar für jeden Ungarn einsetzt, und alle Ungarn setzen sich gemeinsam für Ungarn ein. Wie es im Gedicht heißt: „Wir schwören auf den Gott der Ungarn, wir schwören, weiter keine Unfreien mehr zu sein.“
Sehr geehrte Feiernde!
Der 15. März ist das Versprechen der nationalen Einheit. „Es möge Frieden, Freiheit und Eintracht geben“ – diese Worte waren den 12 Punkten, den Forderungen von 1848 vorangestellt. Sie erinnern uns daran, dass es über der Konkurrenz und den Wortgefechten des Alltags ein gemeinsames nationales Ziel geben muss, das uns vereint. Die so vielen unterschiedlichen Ungarn, die in millionenfache Richtung zeigenden Wünsche werden auch heute durch den gemeinsamen Wunsch umfasst, dass in Ungarn eine freie Nation in ihrem eigenen unabhängigen Staat leben können soll.
Sehr geehrte Feiernde!
Seit 1848 hat die Zeit bereits entschieden, was wahr ist, und was nicht. Sie hat verworfen, was als zu leicht befunden worden war, und erhaltengeblieben ist nur die Wahrheit. Die Wahrheit ist, dass die Ungarn das Recht auf ihre eigene Heimat besitzen, das Recht auf ihr eigenes ungarisches Leben haben, so wie sie es möchten. Es mögen schwierige Zeiten kommen, wie sie nach 1848 auch gekommen waren, in denen die Wahrheit durch die rohe Kraft der Besatzer und den unglücklichen Stand der Sterne beiseite gestoßen wurde. Auch in schweren Zeiten muss man leben. Es gab Zeiten, in denen wir nicht so leben konnten, wie wir wollten, sondern nur wie es möglich war. Doch bleibt die Wahrheit auch in solchen Zeiten die Wahrheit, denn die Ideale stehen immer über der Wirklichkeit. Es kommt vor, dass wir in der Wirklichkeit des Ausgleichs leben müssen, wir aber von Lajos Kossuth träumen, und es kommt vor, dass wir zerstreut leben müssen, aber von der gemeinsamen Heimat träumen. Es hat und wird auch kein noch so starkes und raffiniertes Imperium geben, das hieran etwas ändern könnte. Wir benötigen keine Worte, um zu wissen, wovon der andere Ungar träumt. Das ist unsere wahre Kraft.
Sehr geehrte Feiernde!
Der große Marschall der Polen, Piłsudski, sagte: „Unterliegen und sich nicht zu unterwerfen, ist ein Sieg.“ Dies gilt nicht nur für die Polen, sondern auch für die Ungarn. Wenn auch unsere Befreiungskämpfe in der Regel in erneute Besatzungen mündeten, in Wahrheit hat man uns nie besiegt. Hier, im Schatten der Imperien, an der Kreuzung der Zivilisationen haben wir schließlich die um den Erhalt der Heimat, um die Erhaltung der Nation und für die christliche Kultur geführten Kriege immer gewonnen. Wir waren, wir sind und wir werden sein. Wie es im Gedicht heißt: „Der Name Ungar wird seinem alten, guten Ruf wieder würdig.“ Und so wird es wieder und immer wieder sein, solange die Welt besteht. Das ist der größte Triumph, den eine europäische Nation wie wir über die Imperien erringen kann.
Sehr geehrte Feiernde!
Die Alten lehrten, man würde immer ein Kind bleiben, wenn man nicht weiß, was vor unserer Geburt geschehen ist. Wir sind eine erwachsene Nation, und wir wissen, was wir wissen müssen. Wir wissen, dass die Landnehmenden statt der imperialen Unterwerfung die freie westliche Heimat gewählt haben. Wir wissen, dass die Fürsten aus freiem Willen das Haus der Árpáden über sich erhoben haben. Wir wissen, sie haben sich auch aus freiem Willen für das Christentum entschieden. Sie hielten auch bis zuletzt im Konflikt mit den Osmanen, den Habsburgern und den Sowjets am Recht auf freie Entscheidung fest. Wir wissen also, dass der Leitstern der Geschichte der Ungarn die Freiheit ist, und ihr Leitfaden die Kette von Freiheitskämpfen. Wir wissen auch, dass der Gedanke der Freiheit aus dem Christentum emporgewachsen ist. Vor Gott ist jeder Mensch gleichermaßen frei und ebenbürtig, ganz gleich ob er reich oder arm ist, wessen Volkes Kind er auch sei. Und gleich sind auch alle Nationen, unabhängig davon, ob ihre Geschichte glücklich oder unglücklich verlief. Deshalb anerkennt unser Grundgesetz die die Nation erhaltende Kraft des Christentums. Ohne christliche Kultur gibt es keine ungarische Freiheit und gibt es auch kein freies Ungarn. Und das ist unabhängig davon so, wie wir persönlich gerade zum lieben Gott stehen. Wir wünschen auch den Völkern Europas, dass ihnen die Schuppen von den Augen fallen, dass sie sehen und verstehen sollen: Ohne die christliche Kultur wird es in Europa kein freies Leben geben, ohne die Verteidigung unserer christlichen Kultur verlieren wir Europa, und Europa wird nicht mehr den Europäern gehören. Wir wünschen den Völkern Europas, sie mögen sich von der Nachtblindheit befreien. Sie sollen erkennen, dass in einem liberalen europäischen Imperium wir alle unsere Freiheit verlieren. Ein freier Mensch kann nur der sein, der das Kind einer freien Nation ist und nicht Untertan eines Imperiums. Der europäische Mensch kann nur dann glücklich sein, wenn er selbst über sein eigenes Schicksal und das seiner Nation entscheiden kann.
Sehr geehrte Feiernde!
Der Tag der Wahlen zum Europäischen Parlament naht. Noch zehn Wochen, und er klopft an unserer Tür. Auch wir, Ungarn, müssen klären, was wir wollen, was wir wollen können. Keine einzige Nation kann etwas anderes wollen, als das, was das Wesen ihrer Geschichte ist. Wir, Ungarn, waren jene, die 1848 am längsten gekämpft hatten. Auch jene waren wir, die sich 1956 den sowjetischen Truppen, der größten Armee der Welt entgegenstellten. Und auch wir waren es, die die nach Europa begonnene Invasion von Migranten an den Südgrenzen Ungarns aufgehalten haben. Und auch wir sind es, die ein starkes Europa, starke Nationalstaaten, und neue, starke führende Politiker an der Spitze Europas sehen möchten, die nicht die Probleme hierher bringen, sondern die Hilfe dorthin schaffen, wo sie benötigt wird. Wir möchten einen neuen Anfang, um den Niedergang Europas aufzuhalten, um den Fieberträumen von den Vereinigten Staaten von Europa ein Ende bereiten zu können, damit Europa endlich wieder den Europäern gehören kann.
Sehr geehrte Feiernde!
Ungarn ist ein phantastisches Land, an einem herrlichen Ort, mit einer besonderen Kultur und talentierten Menschen. Wir sind stolz auf unsere Heimat und wir lieben sie. Ungarn zu lieben bedeutet soviel, wie wieder und immer wieder die Ungarn zu vereinen. Und die Ungarn kann man nur unter der Flagge der Freiheit vereinen. Wenn es in Ungarn Freiheit gibt, dann gibt es alles. Glückliche Friedenszeiten, Sicherheit, viele Kinder, ein an Wohlstand zunehmendes Land, eine starke Nation. Für uns ist die Freiheit kein Ziel, sondern der Weg, auf dem wir zu unseren Zielen gelangen können. Und wir, Ungarn, wollen, ebenso wie im Jahre 1848, einfache Dinge: Eine eigene Heimat, gute Nachbarn, einen verständnisvollen Partner, eine liebende Familie und Arbeit, die Nutzen, Sinn und Früchte besitzt. Deshalb ist die Freiheit für uns keine abstrakte Idee, sondern das Leben selbst; Atmung, Blutkreislauf und Herzschlag. Und da wir frei sind, hält das Leben großartige Dinge für die Ungarn bereit. Die auf uns wartenden Jahre werden beweisen, dass wir, Ungarn, nicht auf die Welt gekommen sind, um das Leben zu erleiden, sondern um ihm einen Sinn zu geben. Ungarn vor allem anderen, der liebe Gott über uns allen!
Vorwärts Ungarn!