Polen – Seit dem 26. Februar hat die Tageszeitung Gazeta Wyborcza zahlreiche Enthüllungen über den Vorstandsvorsitzenden des polnischen Ölkonzerns PKN Orlen veröffentlicht. Als ehemaliges Staatsunternehmen ist Orlen nach wie vor zu 27 % in Staatsbesitz. Die Regierung Mateusz Morawieckis hatte daher entscheidenden Einfluss auf die Ernennung des ehemaligen Bürgermeisters einer Gemeinde mit etwa 5.000 Einwohnern – der auch PiS-Mitglied ist – zum Chef eines der wichtigsten Unternehmen des Landes. Obajtek hatte einen kometenhaften Aufstieg zur Macht, nachdem die PiS im Herbst 2015 an die Macht kam.
Bereits im November desselben Jahres übernahm er die Leitung der Agentur für Umstrukturierung und Modernisierung der Landwirtschaft (ARMR). Im Juli 2016 wurde er zum Aufsichtsratsvorsitzenden der Biokraftstofftochter des polnischen Ölkonzerns Lotos, bevor er im März 2017 an die Spitze des polnischen Energiekonzerns Energa S.A. und schließlich im Februar 2018 an die Spitze von PKN Orlen, dem Giganten des polnischen Ölmarktes, berufen wurde. Unter der Führung von Daniel Obajtek hat Orlen Energa übernommen und ist nun dabei, dasselbe mit dem polnischen Rivalen Lotos zu tun. Aber der polnische Ölkonzern begnügt sich nicht mit der Konsolidierung des Energiemarktes, denn er hat auch das Vertriebs- und Verkaufsnetz der Ruch-Presse erworben und Anfang Dezember den Kauf des Polska-Press-Konzern von ihrem deutschen Eigentümer angekündigt. Diese Übernahme, die eine Repolonisierung der polnischen Regionalpresse ermöglicht, hat einen Teil der Opposition zum Aufheulen gebracht und im Ausland viel Kritik ausgelöst, da einige darin den Versuch sehen, die betroffenen Zeitungen (20 von 24 Regionalzeitungen sowie spezialisierte Publikationen und Portale) in den Dienst der PiS zu stellen.
Diese Operation erfüllt in der Tat das Versprechen der PiS, die polnischen Medien, in denen ausländische und insbesondere deutsche Konzerne stark vertreten sind, bis zu einem gewissen Grad zu repolonisieren, was Kommentatoren zu der Aussage veranlasst, dass der PKN Orlen-Chef das volle Vertrauen Jarosław Kaczyńskis, des Vorsitzenden der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), genieße und dass er nach fünfeinhalb Jahren PiS-Regierungen mehr Macht und Einfluss als ein Minister habe. So sehr, dass im Januar und Februar das Gerücht aufkam, der PKN Orlen-Chef könnte gar bald Mateusz Morawiecki als polnischen Regierungschef ablösen, obwohl Obajtek selbst die Existenz eines solchen Plans entschieden dementierte.
Doch am 26. Februar veröffentlichte die Gazeta Wyborcza, eine Zeitung, die der PiS sehr ablehnend gegenübersteht, eine Reihe von Aufnahmen aus dem Jahr 2009, aus denen hervorging, dass Daniel Obajtek während seiner Zeit als Bürgermeister von Pcim gleichzeitig eine private Firma geleitet habe, was gesetzlich verboten ist und was er im Rahmen einer Untersuchung, in die er verwickelt war, unter Eid bestritten habe. Seitdem veröffentlicht die Gazeta Wyborcza fast täglich neue Informationen über Obajteks Vergangenheit, über seine kompromittierenden Beziehungen, auch zu Mafia-Mitgliedern, und über sein Vermögen, das er laut dieser Zeitung teilweise verheimlicht habe und das über das hinausgehe, was er sich mit seinem offiziellen Einkommen normalerweise hätte leisten können.
Haben wir endlich den großen Fall, der es erlaube würde, die PiS abzuräumen, wie vor ihr die postkommunistische SLD und Tusks PO abgeräumt wurden?
Vorläufig bleibt es noch fraglich.
Zunächst einmal handelt es sich bei diesen Enthüllungen der Gazeta Wyborcza, abgesehen von den am 26. Februar veröffentlichten Aufnahmen, die in der Tat aller Wahrscheinlichkeit nach zeigen, dass Daniel Obajtek als Bürgermeister seiner Stadt heimlich ein Privatunternehmen betrieben habe und damit gegen das Gesetz verstossen habe, größtenteils um Informationen aus staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, die aus verschiedenen Gründen nicht erfolgreich waren oder in denen Daniel Obajtek, der einst als Verdächtiger galt, freigesprochen wurde, auch wenn die Zeitung behauptet, dass dies auf den Schutz zurückzuführen sei, den er ab 2015 genossen hätte. Der Orlen-Chef wies als Reaktion auf die Vorwürfe zu seinem Vermögen nicht nur darauf hin, dass er bereits zweimal von der Antikorruptionsbehörde (CBA, die die Angaben bestätigte) geprüft wurde, ohne dass Unregelmäßigkeiten festgestellt wurden, während die letzte Prüfung seine Vermögenserklärungen für den Zeitraum 2013-18 betraf: Um zu beweisen, dass er nichts zu verbergen habe, beantragte er Mitte März selbst, dass sein Vermögen erneut von der CBA geprüft werde. Diese Prüfung ist nun im Gange.
Die Staatsanwaltschaft kritisierte die Gazeta Wyborcza dafür, dass sie Anschuldigungen als wahr darstellte, die von einem Gericht mangels ausreichender Beweise zurückgewiesen worden waren. Die Gazeta Wyborcza stützte einige ihrer Anschuldigungen gegen Obajtek auch auf Aussagen von Verurteilten, die möglicherweise ein Interesse daran hatten, zu lügen, und deren Behauptungen von der Staatsanwaltschaft nicht als zuverlässig akzeptiert wurden, ohne dies ihren Lesern immer deutlich zu machen. In dem Artikel „Wie die PiS Obajtek freigesprochen hat“ behauptete die Gazeta Wyborcza weiter, dass Kassationsurteile des Obersten Gerichts aus dem Jahr 2015 politisch motiviert gewesen seien, obwohl dies mehrere Monate vor dem Sieg der PiS bei den Parlamentswahlen und mehr als zwei Jahre vor der Reform des Obersten Gerichts durch die PiS war. In einer Erklärung wies der Oberste Gerichtshof auch auf mehrere falsche Behauptungen der Zeitung hin.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Gazeta Wyborcza alles bei einem Fall daran setzt, der die PiS-Regierungen kompromittieren soll, und dadurch schnell als nicht ehrlich und seriös bezeichnet wird. Wären die Angriffe von einem anderen Medienunternehmen gekommen, hätten sie vielleicht eine größere Wirkung gehabt. Ähnlich verhält es sich, wenn die Bürgerplattform (PO) die Bildung einer parlamentarischen Kommission ankündigt, die Obajtek untersuchen soll, was angesichts der weitaus schwerwiegenderen Angelegenheiten, in die sie während der Regierungen Donald Tusks verwickelt war, kläglich an Glaubwürdigkeit vermissen lässt.
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