Ungarn – Die nationalistische Bewegung Mi Hazánk (Unser Vaterland), die in einer Umfrage des Medián-Instituts, das der liberalen Opposition nahesteht, auf 7 % der Stimmen für die Listenwahl kam, könnte bei den ungarischen Parlamentswahlen am 3. April 2022 für eine Überraschung sorgen.
Laut einer der ungarischen Regierung nahestehenden Quelle würde Mi Hazánk übrigens eher bei 10-11% liegen, wobei die vom linken Magazin HVG in Auftrag gegebene und vom Institut Medián durchgeführte Umfrage die gesamte Wählerschaft betraf und die Nichtbeteiligung nicht berücksichtigte, die Mi Hazánk laut dieser Quelle nicht so stark treffen würde wie die anderen zur Wahl stehenden Parteien.
Mehr als zwei Monate vor dem Wahltermin ist es schwer zu sagen, ob die Partei des Bürgermeisters von Ásotthalom, László Toroczkai, die 5%-Hürde überspringen wird, um ins Parlament einzuziehen. Nichtsdestotrotz könnte die 2018 gegründete Partei, die vor sechs Monaten noch auf 2-3 % geschätzt wurde, dank ihrer klaren Position in der sanitären Frage von einer Wahldynamik profitieren.
Mi Hazánk ist die erste politische Partei, die sich im Januar 2021 offen gegen die Covid-Maßnahmen positioniert hat. Seitdem ist sie nicht von ihrer Linie abgewichen und ist nach wie vor die einzige politische Kraft in Ungarn, die in dieser Frage einen zutiefst kritischen Diskurs führt. Die nationalistische Partei hat die sanitäre Frage sogar zu ihrem wichtigsten Wahlkampfthema gemacht und spricht unverblümt von einer „Covid-Diktatur“.
Mi Hazánk ist gegen die Impfpflicht, die in Ungarn nur für bestimmte Berufe gilt, aber auch von Arbeitgebern angeordnet werden kann, und gegen die Covid-Maßnahmen. Sie organisiert regelmäßig Demonstrationen und hat eine Linie, die die ungarischen Wähler sehr gut erkannt haben, obwohl die Partei in den sozialen Netzwerken ähnlich wie die polnische Konfederacja zensuriert wird.
Obschon die nationalistische Bewegung Mi Hazánk, die dafür bekannt ist, dass einige der radikalsten Elemente des ungarischen politischen Spektrums zu ihren Mitgliederen gehören, kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass sie am 3. April einen Durchbruch bei den Wahlen erzielen könnte – und zwar vor allem aus drei Gründen.
Erstens ist der Cordon sanitaire, der diese Partei lange Zeit daran gehindert hat, Respektabilität zu beanspruchen, ernsthaft beschädigt. In privaten Gesprächen in Budapest wird die Stimmabgabe für Mi Hazánk von den kosmopolitischen linken Gesprächspartnern nicht mehr als Zeichen einer schändlichen und verwerflichen kryptofaschistischen Romantik gesehen, sondern als eine Wahl, die politisch verständlich und sogar moralisch akzeptabel geworden ist. Die ersten, die bereits im Herbst 2021 auf die Möglichkeit eines Vorstoßes von Mi Hazánk hingewiesen haben, waren die liberalen Journalisten András Hont und Zoltán Ceglédi, die für ihre covid-skeptischen Positionen bekannt sind. Am 15. Januar sprach der linke Anwalt und ehemalige LMP-Vorsitzende András Schiffer auf dem Kossuth-Platz bei einer Demonstration gegen die Impfpflicht für Lehrer, bei der auch der Journalist Árpád Szakács sprach, der in der Vergangenheit regierungsnah war und nunmehr Mi Hazánk nahesteht.
Zweitens ist Ideologie in Ungarn ein Faktor, der bei der Wahlentscheidung nur am Rande eine Rolle spielt. Entgegen der landläufigen Meinung gibt es in Ungarn nur sehr wenige aufrichtige und kompromisslose Nationalisten. Die überwiegende Mehrheit der Ungarn wählt für ihre Interessen bzw. für oder gegen Clanführer und nur sehr selten für ihre „Ideen“.
Die Ablehnung der sanitären Maßnahmen in der Bevölkerung bietet jedoch einen erheblichen Spielraum für Wahlerfolge, während Mi Hazánk offenbar verstanden hat, dass sie die Debatte personalisieren muss. Aus diesem Grund hat die Partei beschlossen, auf ihren Plakaten das Gesicht ihres Vorsitzenden zu zeigen, der sich nun als „einziger nicht geimpfter Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten“ bezeichnet.
Drittens hat Mi Hazánk den Ruf, als „Halb-Opposition“ zu fungieren und eine Partei zu sein, die von der Regierung beauftragt wurde, Themen zu setzen, insbesondere in der LGBT-Frage. In jedem Fall kann der Fidesz kaum frontal in den Kampf gegen Mi Hazánk gehen und hat a priori keine andere Wahl, als diese Bewegung laufen zu lassen. Die größte Unbekannte ist natürlich die Frage, ob die von den Meinungsforschern gemessene Stärkung von Mi Hazánk tatsächlich bevorsteht. Es ist auf jeden Fall unstrittig, ob sich die Rolle dieser Partei auf der politischen Bühne Ungarns verändert.