Von Ilivier Bault.
Polen – Wird Polen der Norwegerin Silje Garmo und ihrer 16 Monate alten Tochter Asyl gewähren, die vor den Sozialdiensten ihrer Heimat fliehen? Außenminister Jacek Czaputowicz hat schon seit mehreren Monaten einen positiven Bescheid auf seinem Schreibtisch liegen, der ihm von der polnischen Ausländerbehörde über den Asylantrag der Norwegerin zugestellt wurde. Nach einer Untersuchung der Akte wurde bestätigt, daß die Grundrechte von Frau Garmo in Norwegen bedroht werden, insofern ihre ältere Tochter Frøya, heute beinahe 13 Jahre alt, ihr abgenommen wurde, ohne daß ihre Rechte auf eine faire Verteidigung geachtet wurden und insofern das norwegische Jugendamt (Barnevernet) versucht, ihr ohne triftigen Grund ihre jüngere Tochter ebenfalls abzunehmen. Um in Polen Asyl zu bekommen, genügt jedoch der positive Bescheid der Ausländerbehörde nicht und es ist der Außenminister – und somit die Regierung – die letztendlich entscheidet. Die Entscheidung von Herrn Czaputowicz hätte im Februar fallen müssen, aber die norwegische Mutter, die mit ihrem zweiten Kind Zuflucht in der Nähe von Warschau gefunden hat, wurde informiert, daß die Frist erst bis Mitte April, dann bis Ende Mai verlängert wurde. Der Ruf von Barnevernet ist jedoch in Polen wie in den anderen ehemaligen Ostblockländern, die eine Diaspora in der reichen skandinavischen Ölmonarchie haben, unbestritten schlecht. Fürchtet etwa die Regierung Mateusz Morawieckis, daß wenn sie Asyl norwegischen Bürgern gewährt, die es verdienen, dies Konsequenzen für die künftige Versorgung Polens mit norwegischem Gas haben könnte? Andererseits werden der Fall dieser Norwegerin und die Praktiken von Barnevernet in Polen sehr stark mediatisiert, und Silje Garmo dazu aussetzen, abgeschoben und durch die norwegischen Behörden von ihrer Tochter getrennt zu werden, während die polnischen Kinderärzte und Psychiater bestätigt haben, daß es keinen Grund gibt, dieses Kind von ihrer Mutter abzunehmen, könnte verheerende Konsequenzen für das Image von PiS bei seinen Wählern haben, die gewöhnlich an die Familienrechte sehr hängen.
Am 11. Mai vorbereitete ein PiS-Abgeordneter eine parlamentarische Interpellation vor, um den Minister offiziell zu fragen, warum er so lange wartet, um Frau Garmo und ihrer Tochter Asyl zu gewähren. Über die Unterstützung von mehreren polnischen Parlamentariern hinaus kann Frau Garmo mit der Hilfe der pro Leben und pro Familie Anwalts- und Juristenorganisation Ordo Iuris rechnen, die ihr geholfen hat, ihren Asylantrag zu stellen. Ordo Iuris verteidigte schon seit mehreren Jahren polnische Familien, die zu Opfern der mißbräuchlichen Praktiken von Barnevernet in Norwegen wurden und die Anwälte der NGO bereiten heute weitere Asylanträge für nach Polen geflüchtete norwegische Familien vor.
Silje Garmo hat ebenfalls die Unterstützung des tschechischen Europaabgeordneten Tomáš Zdechovský erhalten, der dem polnischen Minister geschrieben hat. Tomáš Zdechovský interessiert sich ganz besonders für die Praktiken von Barnevernet, seitdem er sich für seine Landsfrau Eva Michaláková einsetzt. Die beiden Kinder des Ehepaars Michalák wurden vom norwegischen Jugendamt 2011 entführt und bei zwei unterschiedlichen Pflegefamilien untergebracht. Bis heute hat Frau Michaláková ihre Kinder nicht zurückbekommen, obwohl die norwegischen Gerichte den Verdacht von Sexualgewalt nicht bestätigt haben, der die Ursache für die Entführung der Kinder durch Barnevernet war. Der Fall verursachte sogar diplomatische Spannungen zwischen Norwegen und Tschechien. Gleichermaßen verursachten die abenteuerliche Rückholaktion eines zwangsweise bei Pflegefamilien untergebrachten 9jährigen polnischen Mädchens durch den Privatdetektiv Krzysztof Rutkowski sowie seine Ausschleusung nach Polen mit der Hilfe des polnischen Konsuls 2011 einen diplomatischen Zwischenfall zwischen Oslo und Warschau. Norwegen versuchte zwar zu erreichen, daß das Mädchen zwangsweise zurückgeschickt werde, doch die polnische Justiz lehnte es im Namen des Kindeswohls ab, den norwegischen Forderungen nachzugeben. Heute noch hilft der polnische Konsul in Norwegen regelmäßig bei der dringenden Evakuierung nach Polen von polnischen Familien, die zu Unrecht von Barnevernet bedroht werden. Der gleiche Rutkowski und seine Mannschaft haben ebenfalls die Rückholaktion eines in Russland geborenen Buben organisiert, der erst per Email versucht hatte, Hilfe von den russischen Behörden zu erhalten (wofür er dann keinen Zugang mehr haben durfte).
Ein weiterer Fall, der große Aufmerksamkeit weckte, war die Entführung 2015 durch Barnevernet der fünf Kinder einer pfingstlerischen rumänisch-norwegischen Familie, die Bodnarius, wegen „christlicher Radikalisierung und Indoktrination“ so das der Familie angegebene Motiv (wie sie dies erzählte), offiziell jedoch wegen des Vorwurfs von „körperlicher Züchtigung“ (in Norwegen ist die Haue streng verboten). Diesmal war es mit Rumänien, dass sich Norwegen in einer unbequemen Lage befand, und dieser Fall hat außerdem eine Welle von Demonstrationen vor den norwegischen Botschaften weltweit zur Folge gehabt. Die Bodnarius haben mehr Glück als die Michaláks gehabt: in ihrem Fall haben die norwegischen Behörden schließlich dem internationalen Druck nachgegeben und die Kinder ihren Eltern zurückgegeben. Für die jungen Michaláks, heute 8 bzw. 13 Jahre alt, sind die Kontakte zu ihrer Mutter weiterhin äußerst eingeschränkt und beaufsichtigt, und sogar der tschechische Großvater der beiden Kinder durfte sie nicht noch einmal sehen, bevor er im vergangenen September starb. In weiteren Fällen hat Barnevernet den Beziehungen zwischen Norwegen und anderen Ländern geschadet, wie Litauen, Indien bzw. Russland. Acht Fälle bezüglich Mißbräuche des norwegischen Jugendamts sind derzeit beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg anhängig und könnten also zu Verurteilungen Norwegens wegen dessen Eingriffe in das Recht auf Privat- und Familienleben führen.
Die Besonderheit von Silje Garmo ist, daß sie Norwegerin ist und aus ihrer Heimat geflohen ist, indem sie eine gewisse Anzahl an Beweise mitnahm bzw. später mit Hilfe der polnischen Organisation Ordo Iuris über die illegalen Praktiken von Barnevernet sammelte, was vielleicht auch die besondere Verbissenheit erklärt, mit welcher die norwegischen Behörden sie verfolgen. Wenn sie Asyl in Polen bekommt, wird es das erste Mal seit dem Zweiten Weltkrieg, dass ein Staatsbürger dieses Landes, das daran gewöhnt ist, Lektionen in Sache Menschenrechte anderen zu erteilen, Asyl in einem anderen europäischen Land bekäme.
Der internationale Druck steigt somit auf der norwegischen Regierung, die versprochen hatte, die notwendige Reform des Jugendschutzsystems in Angriff zu nehmen, doch bisher wurde weiterhin nichts getan. Am 27. April hat der Ausschuss für Sozialordnung, Gesundheit und Familie der Parlamentarischen Versammlung des Europarates einen Bericht von Valeriu Ghilețchi, Vizepräsident des moldawischen Parlaments, verabschiedet. Dieser den Mißbräuchen von Barnevernet und dessen Verletzungen der Kinder- und Familienrechte gegenüber sehr kritische Bericht war wegen des Falls Bodnariu in Auftrag gegeben worden. Der moldawische Parlamentarier ruft Norwegen und die anderen Mitgliedsstaaten des Europarats auf, zu einem besseren Gleichgewicht zurückzukehren, zwischen den Interessen des Kindes, wie diese von den Behörden empfunden werden, und der Notwendigkeit, außer in absoluten Notfällen, das Recht der Kinder zu beachten, nicht gegen ihren Willen von ihren Eltern getrennt zu werden.
Tatsache ist, dass, wenn Norwegen zweifelsohne die gröbsten Verletzungen in diesem Bereich im Namen eines totalitären Weltbilds über Kindererziehung begeht, mit einem Staat, der die Eltern bevormundet, auch andere Länder in Europa, u.a. in Westeuropa, diesen Weg einschlagen. Es ist der Fall in Deutschland mit dem Jugendamt, das nach dem Vorbild vom norwegischen Barnevernet funktioniert, wo „Kinderschutz“ Gemeindesache ist und dessen Mißbräuche in die Schlagzeilen der polnischen Medien kamen, da viele Polen in diesem Land leben, was, seitdem der PiS an der Macht ist, zu regelmäßigen Interventionen der polnischen Regierung bei den deutschen Behörden führt. Aber es ist auch in weiteren Ländern der Fall, so in Frankreich, dessen Bürger auch Asyl in Osteuropa würden beantragen wollen, das allgemein als Reaktion zur kommunistischen Erfahrung die Autonomie der Familien besser respektiert, wenn Polen einen Präzedenzfall schaffen würde, indem es Silje Garmo und ihrer Tochter Asyl gewähren würde. Und vielleicht ist es auch das, was die polnische Regierung fürchtet, denn dies würde unweigerlich zu Spannungen mit den Heimatländern dieser neuen Art von Flüchtlingen führen.
Dank ihres Beraterstatus beim Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen ist die polnische pro Familie NGO Ordo Iuris nicht nur in Norwegen aktiv, sondern auch in weiteren europäischen Ländern. So intervenierte sie neulich beim Hohen Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte zugunsten des kleinen Alfie Evans, dem ein britisches Krankenhaus, trotz der Opposition seiner Eltern doch mit der Unterstützung der Gerichte, medizinische Behandlung verweigert hatte, um dessen Tod zu beschleunigen. Wegen ihres Kampfes gegen die Praktiken von Barnevernet und ihrer Aktion zugunsten der Familien in Polen und Europa hat die polnische Juristenorganisation Ordo Iuris heuer den Preis der Bewahrung der Familien der Christlichen Koalition Norwegens (KKN) erhalten.