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Warum brauchen wir die klassische europäische Kultur? Ein polnischer Ansatz

Lesezeit: 4 Minuten

Europa – Bevor wir die im Titel gestellte Frage beantworten, sollten wir uns überlegen, was wir unter dem Begriff der klassischen europäischen Kultur verstehen, und zwar unter dem Blickwinkel polnischer Autoren und Denker. Diese prominenten Intellektuellen unserer Zeit scheinen sich einig zu sein, dass dies unsere Zivilisation ist. Bronisław Wildstein beschreibt das Wesen der Zivilisation als „die Gewinnung eines Sinns aus der Welt, der für den Menschen verständlich ist“ (1). Professor Andrzej Nowak zufolge „stammt unser politisches Denken aus der so genannten klassischen Tradition, zunächst der griechischen und römischen, dann der europäischen“ (2). Was den Inhalt der abendländischen Zivilisation betrifft, so werden am häufigsten die politische Tradition, die Wirtschaftssysteme, die Forschungsmethoden, die technologische Innovation, die Religion, die Literatur und die Kunst genannt (3).

Professor Grzegorz Kucharczyk unterstreicht die Schlüsselrolle des Christentums bei der Entwicklung der Kultur unseres Kontinents. Ihm zufolge ist „die abendländische Zivilisation, auch lateinische Zivilisation oder Christianitas genannt, als „Nebenprodukt“ der Evangelisierungsarbeit der Kirche entstanden. Die griechischen Philosophen kannten die Kardinaltugenden Gerechtigkeit, Besonnenheit, Tapferkeit und Mäßigung. Das Christentum fügte dieser Liste drei weitere Tugenden hinzu: Glaube, Hoffnung und Liebe.“ (4) Der Dramatiker und Essayist Thomas S. Eliot war der Ansicht, dass das Christentum drei große Traditionen – Griechenland, Rom und Israel – zusammengeführt habe (5). Die geographischen Grenzen der abendländischen Zivilisation werden unterschiedlich definiert, wobei die engere Sichtweise Europa und Nordamerika einschließt, während die breitere Sichtweise auch Lateinamerika, Australien, Neuseeland und Südafrika umfasst, wobei Wojciech Roszkowski die gesamte Anglosphäre einschließt (6).

Die abendländische Zivilisation war nie perfekt, aber ihre Innovation hat Entwicklungsmöglichkeiten und Bedingungen für das materielle, soziale und persönliche Leben in einem Ausmaß geschaffen, wie es in anderen Zivilisationen nicht der Fall war, so der polnische Papst. Johannes Paul II. betonte, dass die Christianisierung Europas einen erfrischenden Impuls in den Bereichen Kultur und Wissenschaft gebracht habe. Er lehrte, dass der Glaube an einen Schöpfergott eine „Entmythologisierung des Kosmos“ ermögliche und ihn „der rationalen Neugier des Menschen“ öffne (7).

So sagt er uns, dass der wissenschaftliche Geist im Westen dank des christlichen Glaubens an die Existenz der Wahrheit und einer universellen Ordnung aufblühte. Seinem Nachfolger Papst Benedikt XVI. zufolge, der von Grzegorsz Kucharczyk zitiert wird, ist die durch das Evangelisierungswerk der Kirche entwickelte Zivilisation eine Zivilisation der „glücklichen Synthesen“, die sich durch die Fähigkeit auszeichnet, Glaube und Vernunft, Wahrheit und Freiheit, das Gute und das Schöne zu verbinden (8). Daher kann man nach Roszkowski sagen, dass das Wesen der christlichen Zivilisation im Glauben an die Wirksamkeit der Tugendpflege besteht (9). Der Beitrag der kirchlichen Lehre zur Entwicklung unserer Zivilisation ist auch die Grundlage der modernen Moral, Wissenschaft, Kultur und Kunst. Im christlichen Europa wurden zahllose Universitäten und Krankenhäuser gegründet; hier entwickelte sich die wissenschaftliche Forschung in einem noch nie dagewesenen Ausmaß und brachte unser Wissen über die Welt ständig voran, so der polnische Historiker und Schriftsteller Wojciech Roszkowski.

Und Roszkowski geht noch weiter ins Detail. Die klassische europäische Kultur ist auch unser reiches Erbe: einzigartige Kathedralen (Aachen, Chartres, Reims, Wien, London,…), historische Basiliken (Rom, Barcelona, Brüssel,…), hervorragende Maler (Leonardo da Vinci, Michelangelo, Caravaggio, Rembrandt, Rubens,…), herausragende Schriftsteller (Shakespeare, Goethe, Molière, Słowacki, Dante, Petrarca,…), hervorragende Musiker (Chopin, Bach, Vivaldi,…) und große Heilige (Thomas von Aquin, Augustinus, Johannes Paul II, Franz von Assisi, Hedwig von Polen,…).

Bis vor kurzem war die westliche Zivilisation ein natürliches Umfeld, in dem Millionen ihrer Vertreter zu finden waren, folgert Roszkowski, ein Spezialist des 20. und 21. Für diese polnischen Autoren läuft die westliche Zivilisation, die sich einer ständigen Herausforderung gegenübersieht, jedoch Gefahr, von expansiveren Zivilisationen (wie dem Islam) unterworfen zu werden oder von innen heraus durch schädliche und utopische Ideologien korrumpiert zu werden. Gegenwärtig wollen die Kreise der liberalen Linken im weitesten Sinne die grundlegenden Begriffe und Werte, die von der christlichen Zivilisation geschaffen wurden, neu definieren und neu bewerten: Gott, Wahrheit, Güte, Freiheit, Familie, Nation oder Gemeinschaft. Sie betonen, dass die Geschichte uns lehrt, dass das Infragestellen dieser Konzepte oft zu unvorstellbarem Blutvergießen und der Versklavung von Millionen von Menschen geführt habe. Die Zivilisation des Todes, vor der uns Johannes Paul II. gewarnt hat, hat allein im 20. Jahrhundert rund eine Milliarde ungeborene Kinder ermordet.

Wir begeben uns auf einen gefährlichen Weg, wenn wir beginnen, den Menschen als Mittel und nicht als Selbstzweck zu betrachten. In Polen, das stark von katholischen Werten geprägt ist, ist man der Ansicht, dass dies zu Phänomenen wie Eugenik, Menschenhandel (euphemistisch Leihmutterschaft genannt), Massenmord an Ungeborenen (Abtreibung genannt oder sogar als medizinische Handlung eingestuft), Tötung alter, leidender oder kranker Menschen (Euthanasie genannt) und Infragestellung der sexuellen Identität der Menschen führt, wobei die freie Wahl auf die Ebene der Natur ausgedehnt und die Realität ausgeblendet wird.

In den Enzykliken Centesimus annus (1991) und Evangelium vitae (1995) verwendet der polnische Papst Johannes Paul II. den Begriff „Kultur“ als Garantie für die Achtung der Menschenwürde angesichts der aktuellen Infragestellung des Sinnes des Lebens und der Zustimmung der Gesellschaft zu seiner Zerstörung. Für diese polnischen Denker brauchen wir also die klassische europäische Kultur als Schutzschild gegen die zivilisatorischen Herausforderungen, die zunehmend die Menschenwürde angreifen.

  1. Bronisław Wildstein, Bunt i Afirmacja, 2020, Esej o naszych czasach, 2020, S. 10.
  2. Andrzej Nowak, Między nieładem a niewolą. Krótka historii myśli politycznej, 2020, S. 14.
  3. Wojciech Roszkowski, Bunt Barbarzyńców. 105 pytań o przyszłość naszej cywilizacji., 2020, S. 27.
  4. Grzegorz Kucharczyk, Katedra i Uniwersytet. O kryzysie i nadziei chrześcijańskiej cywilizacji., 2021, S. 22.
  5. Wojciech Roszkowski, Bunt Barbarzyńców. 105 pytań o przyszłość naszej cywilizacji., 2020, S. 29.
  6. Ibidem, S. 28.
  7. Grzegorz Kucharczyk, Katedra i Uniwersytet. O kryzysie i nadziei chrześcijańskiej cywilizacji, 2021, S.25.
  8. Ibidem, S. 26.
  9. Wojciech Roszkowski, Bunt Barbarzyńców. 105 pytań o przyszłość naszej cywilizacji, 2020, S. 31.
  10. Ebenda, S. 32.