Von Ferenc Almássy.
Mitteleuropa – Eines der Wahlversprechen Emmanuel Macrons war es, gegen den von den Arbeitnehmern aus „Osteuropa“ verursachten „Sozialdumping“ zu handeln. Für den europäistischen Kandidaten wird diese Situation insbesondere durch ein „falsches Verhalten“ der osteuropäischen Staaten der Europäischen Union gegenüber verursacht. Insbsondere Polen wurde von Macron während des französischen Präsidentschaftswahlkampfs ausdrücklich genannt und sogar bedroht.
Vom 23.-25. August 2017 besuchte Emmanuel Macron Österreich, Rumänien und Bulgarien, um sich dort mit unterschiedlichen Staats- und Regierungschefs zu treffen. Für manche Beobachter versucht Macron vom Migrationschaos in Deutschland und von den kommenden Bundestagswahlen zu profitieren, um in Mitteleuropa Kapital zu schlagen und dort Verbündete zur Bildung einer neuen „Kleinen Entente“ zu finden. Nach dem Brexit befände sich Europa mitten in einer Umstrukturierung und nach der Wahl Trumps, die die anglo-amerikanische Welt von der EU entferne, würde Macron also diese einmalige Gelegenheit für Frankreich nutzen.
Aber daraus wird nichts. Merkel wird wiedergewählt, die amerikanischen Lobbyisten herrschen weiterhin in Brüssel, und vor allem wird Macron von Berlin gehalten. Emmanuel Macron, der „neue Bursche“ – wie ihn Viktor Orbán nannte – wird vor allem versucht haben, die Drecksarbeit für Berlin zu erledigen – das ein paar Wochen vor der Wahl innenpolitisch beschäftigt ist –: Mitteleuropa spalten bzw. ködern, beschwichtigen und verführen, so weit es geht.
Eines der Ziele der Reise Macrons ist es, die Visegrád-Gruppe zu destabilisieren. Trotz ihrer wesentlichen Bedeutung in der Region standen Warschau und Budapest nicht auf dem Programm des französischen Präsidenten. Die Botschaft ist klar und die Presse der mitteleuropäischen Länder läßt sich nicht täuschen. Der Hausherr im Élysée-Palast versucht im Dienste des harten Kerns der EU zu teilen um besser zu herrschen. Aber diese Reise ist ein Fehlschlag gewesen.
Gipfel von Salzburg: ein halber Sieg, der zu nichts Konkretem führt
Vor kurzem erklärte der slowakische Ministerpräsident Robert Fico, dass, obwohl er sich mit der Visegrád-Gruppe versteht, der Platz der Slowakei – als Mitglied der Eurozone – mit dem „Herzen der EU, Frankreich und Deutschland“ sei. Als Beweis seines guten Willens hat Fico sogar einige umverteilte Migranten aufgenommen – Schicksal des Kalenders vielleicht… dies geschah ungefähr zur gleichen Zeit wie seine Aufkündigung der Regierungszusammenarbeit mit der patriotischen Slowakischen Nationalpartei (SNS).
Da die drei Regierungschefs des Austerlitz-Formats (Österreich, Tschechien, Slowakei) alle Sozialdemokraten sind, und Fico Anzeichen für eine Annäherung mit Westeuropa gezeigt hat, schien das Terrain für Macron fruchtbar zu sein. Die als im Fokus der Gespräche angekündigte Frage der entsandten Arbeitnehmer wird jedoch keinen Konsens gefunden haben, auch wenn die vier Staatsmänner sich über die Notwendigkeit verständigten, das Problem der Gehaltsunterschiede zu lösen.
Fico und der tschechische Ministerpräsident Sobotka haben es anfangs frontal abgelehnt den Bereich Straßenverkehr in die Diskussionen einzubeziehen. Fico hat ebenfalls daran erinnert, dass Polen und Ungarn, zwei der wichtigsten Herkunftsländer von entsandten Arbeitnehmern, nichts unterschreiben werden, was darauf ziele, die Reformen in die Hände von Brüssel zu zentralisieren. Keines der elf östlichen Länder der EU wird übrigens eine Lösung akzeptieren, wo Brüssel die Gehälter der einen und der anderen diktieren würde.
Einmal wieder zuhause wird Fico über die Presse wissen lassen, dass er das Dokument nicht akzeptiert habe, das die Richtlinien „à la Macron“ präsentiert, denn dies würde die Wettbewerbsfähigkeit der slowakischen Unternehmer beeinträchtigen.
Ähnliches hört man bei Sobotka in Prag. „Wenn Frankreich, Österreich und andere westeuropäische Länder von Sozialdumping reden, von der Tatsache, dass unsere Arbeitnehmer sich auf ihrem Arbeitsmarkt für niedrige Gehälter verkaufen müssen, muß man dann sagen, dass dieses Lohnniveau bei uns auch mir der Tatsache verbunden ist, dass ihre Unternehmen bei den Gehältern in Tschechien sparen,“ so der tschechische Ministerpräsident, der sich in einem Interview zusätzlich erlaubte, daran zu erinnern, dass Tschechien keine Migranten, insbesondere keine Muslime aufnehmen wird. Ein weiterer Hinweis darauf, dass die Migrantenfrage trotz der nun von Macron unterstützten Versuche von Berlin und Brüssel nicht verhandelbar ist.
Die prinzipielle Einigkeit zwischen den vier Staatsmännern wurde von einem Teil der Presse als halber Sieg Macrons betrachtet, der, obwohl nichts Konkretes, mindestens eine Einigung über die Notwendigkeit hat erreichen können, in dieser Frage zusammenzuarbeiten. Außer dass der Populist Fico, der mit stärker werdenden Oppositionskräften in der Slowakei konfrontiert wird, je nach der Stimmung in der Innenpolitik seine Meinung wieder ändern könnte – während der Sozialdemokrat Kern sehr wahrscheinlich von einem im Laufe der letzten zwei Jahre deutlich nach rechts gerückten Sebastian Kurz ersetzt werden sollte, der darüber hinaus eine Koalition mit den Euroskeptikern der FPÖ eingehen wird.
Sobotka hat seinerseits Macron eine vierjährige Partnerschaft zwischen Paris und Prag versprochen. Aber es ist fast sicher, dass der derzeitige tschechische Ministerpräsident die Wahlen im Oktober nicht gewinnen wird bzw. dass der Milliardär und Eurogegner Babiš siegen könnte. Und somit könnte jede von Sobotka vorgegebene strategische Richtungsweisung in Kürze wohl platzen.
Rumänien und Bulgarien: freier Handel zuerst
In Rumänien und Bulgarien verfügte Macron über ein gewichtiges Argument: die Unterstützung für den Beitritt zum Schengenraum. Gemäß dem französischen Staatschef darf „Rumänien seit Jahren seine Integration im Schengenraum verlangen“. Doch dies genügte nicht um bei Präsident Johannis den Ausschlag zu seinem Gunsten zu geben: Letzterer hat sich bei der gemeinsamen Pressekonferenz für neutral gegenüber der von Macron vorgeschlagenen Reform erklärt.
Im Prinzip sind Johannis und der bulgarische Präsident Radew mit Macron einverstanden um ihre Bemühungen gegen jeden Mißbrauch bezüglich der entsandten Arbeitnehmer zu verstärken. Aber sie lehnen es ausdrücklich ab, die Regeln des freien Handels zu berühren. Schlimmer noch: Johannis hat seine Ablehnung bezüglich des Inkrafttretens bis Januar der von Macron gewünschten Reform zum Ausdruck gebracht, was jedoch das erklärte Ziel des jungen französischen Präsidenten ist. Macron erklärte hingegen zuversichtlich zu sein.
Rumänien sollte Militärhubschrauber und Flugabwehrraketen von Frankreich kaufen, das vor kurzem ein Werk von Airbus Helicopters Group in der Nähe von Kronstadt (Brașov) eröffnet hat. Airbus verlängert von fünf auf fünfzehn Jahre seine Alleinbezugsvereinbarung mit dem rumänischen Flugzeughersteller IAR als Gegenleistung für die Lieferung von 50 Hubschraubern an Rumänien in den 10 nächsten Jahren.
Was Bulgarien betrifft, wird das Land den EU-Ratsvorsitz im Januar 2018 übernehmen. Dass es den Macron-Plan ablehnt, erhöht den Druck auf den Schultern des französischen Präsidenten: seine letzte Hoffnung um seine Reform durchzubringen ist sozusagen die Ratssitzung vom 23. Oktober.
Polen: ein (nicht so) überraschender Gast
Obwohl Macron Warschau nicht eingeladen hatte, befand sich Polen trotzdem im Kern der Reise des französischen Präsidenten. Die Ministerpräsidentin Beata Szydło hat prompt auf den polnischen Standpunkt bezüglich der Reform der Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern hingewiesen. Für die konservative PiS-Regierung ist die von Macron vorgeschlagene Reform des europäischen Texts unannehmbar, und die Regierung wird ihre Opposition diesbezüglich nicht aufgeben. Die Europäische Kommission wird übrigens ebenfalls in der Auseindersetzung verwickelt.
Anscheinend versuchte Emmanuel Macron einen diplomatischen Zwischenfall und ein Duell durch die Presse mit Polen zu provozieren, um seiner Reise mehr Bedeutung zu geben. Am Freitag anläßlich seiner Rede in Bulgarien antwortete der französische Staatspräsident, dass Polen „ein Land [sei], das entscheidet, sich den europäischen Interessen in zahlreichen Fragen zu widersetzen, ein Staat, der entschieden hat, sich zu isolieren“, und fügte dann hinzu, dass es sich um „einen neuen Fehler“ Warschaus handle, das, so Macron, sich „abseits“ von Europa in „zahlreichen Fragen“ stellt. Nun aber wurde „Europa aufgebaut, um Konvergenz zu erzeugen, und das ist eben der Grund für die Strukturfondsmittel, die Polen empfängt“, drohte er.
Aber es kam noch heftiger. „Polen ist keinesfalls das, was der europäische Kurs vorgibt,“ sagte noch der französische Präsident, „das polnische Volk verdient etwas Besseres […] Europa wurde auf öffentlichen Freiheiten aufgebaut, die Polen heute verletzt.“
Selbstverständlich hat Polen derartige Äußerungen nicht toleriert. „Vielleicht werden seine arroganten Erklärungen durch seinen Mangel an politischer Erfahrung und Praxis verursacht, was ich mit Verständnis beobachte, jedoch erwarte ich, dass er rasch diese Mängel behebe und in Zukunft sich mehr zurückhalte,“ erklärte vor der Presse Ministerpräsidentin Beata Szydło. „Ich empfehle dem Herrn Präsidenten, dass er sich um die Geschäfte seines Landes kümmere; vielleicht wird es ihm dann gelingen, die gleichen wirtschaftlichen Ergebnisse und sogar das gleiche Sicherheitsniveau für seine Bürger zu erreichen, wie dies von Polen garantiert wird,“ fügte Frau Szydło noch hinzu. Dann erinnerte sie „Herrn Macron [daran], dass Polen Mitglied der Europäischen Union auf Augenhöhe mit Frankreich ist“, und rief ihn auf, „kompromißbereiter zu bleiben, um die EU nicht zu spalten“.
Fehlschlag und Maskerade
Macron hat es also geschafft Hubschrauber und Raketen zu verkaufen, aber ansonsten hat er – außer den nichtgewählten österreichischen Bundeskanzler Kern, der in weniger als zwei Monaten ersetzt wird – keinen neuen Verbündeten in Mitteleuropa gefunden. Schlimmer, er zeigte seine Arroganz all diesen Ländern gegenüber, die, wenn sie auch manchmal unterschiedliche Orientierungen und Interessen haben, sich alle hinter einer gemeinsamen Identität zurückfinden: sie sind die „Ostländer“, die im 20. Jahrhundert verraten und seitdem mißachtet wurden, die sich soeben vom Totalitarismus befreit haben, sich nach Freiheit sehnen und ihren wirtschaftlichen Rückstand gegenüber dem Westen aufholen möchten.
Ein Mißerfolg also für den französischen Präsidenten, dessen Ambition es war, „Europa neuzugründen“ um zu vermeiden, dass „es platze“ und dass man einer „Zerschlagung der Europäischen Union“ beiwohne. Sein Reformvorschlag prallt gegen eine klare Opposition seitens einiger Mitgliesstaaten und findet keine kompensierende Unterstützung in der Region. Es erscheint also derzeit mehr als gefährdet, dass diese Reform bis Ende des Jahres durgebracht werde, wie sich dies Macron zum Ziel gesetzt hatte. Allerdings zeigt er sich zuversichtlich und wartet auf das Treffen von Ende Oktober. „Bis Oktober werden wir das Abkommen gemeinsam fertigstellen, das eine positive Lösung für alle bringen wird. [.. ] Und gemäß den ehrgeizigen Zielen, die Frankreich auf den Tisch gestellt hat, ist dieses Abkommen auch möglich.“
Der Beobachter wird sich wohl ob des Sinnes dieser Reise und dieser auf die Frage der entsandten Arbeitnehmer fokussierten Kommunikation fragen dürfen, die in zahlreichen ost- und mitteleuropäischen Ländern von der Presse als eine Ablenkungsstrategie betrachtet wird, die die vielen innenpolitischen Probleme Frankreichs vergessen lassen sowie die Beliebtheitswerte eines Präsidenten aufbessern will, der noch weniger Rückhalt genießt als François Hollande am Anfang seiner Amtszeit. Sich gegen die europäischen entsandten Arbeitnehmer zu stellen – man kann allerdings wohl verstehen, dass das Schreckgespenst des Brexit und der Druck protektionistischer Kräfte einen gewissen Einfluß auf die Politiker der französischen Regierung haben – steht einigermaßen im Widerspruch mit einer den Nicht-Europäern gegenüber extrem großzügigen Einwanderungspolitik. Spricht man von Sozialdumping, so wäre es kohärent damit anzufangen, über die beinahe 300.000 legalen und illegalen, vor allem afrikanischen Einwander zu reden, die jedes Jahr nach Frankreich kommen.
Es ist auch interessant die Zahlen anzuschauen, die sich auf diese Frage beziehen. Zuerst entsprechen die entsandten Arbeitnehmer 0,7% der europäischen Arbeitnehmer. In Frankreich stellen nur die Polen ein bedeutendes Kontingent von entsandten Arbeitnehmern „aus Osteuropa“ dar, und zwar 17% von allen, und sind besonders im Bausektor konzentriert.
Wie dem auch sei bleibt Macron die folgende Option übrig: wenn die Europäische Kommission die Novellierungen ablehnt, kann der Europäische Rat diese einstimmig annehmen; angesichts der Standpunkte mancher Mitgliedsstaaten ist dies undenkbar. Aber wenn das Europaparlament den Text abändert, kann es diesen dem Europäischen Rat vorlegen, wo dann der Text mit der bloßen Mehrheit der Stimmen angenommen werden kann…
Der Schlüssel für die ost- und mitteleuropäischen Länder ist es, ihre eigenen Lohnregeln definieren zu können. In diesem perversen System der EU ist es ihre einzige Möglichkeit, um mit den Wirtschaftsriesen im Westen des Kontinents wettbewerbsfähig zu sein. Und es ist auch derzeit eine beträchtliche Einnahmequelle für sie.
Das Europa mit zwei Geschwindigkeiten wird immer mehr Realität. Die von Macron in der Form von Warnungen im Namen des Gemeinwohls ausgestoßenen Drohungen über die europäischen Fonds bzw. die Nachhaltigkeit der Europäischen Union zeigen die Bedeutung der zu kommenden Krise. Die Kluft zwischen Ost und West wurde nicht beseitigt und die wirtschaftlich strukturelle Fraktur zwischen beiden Seiten des Kontinents führt heute zu einer Situation von noch nicht dagewesenen Spannungen innerhalb der EU.
Der Westen wird sich so oder so für eine gewisse Form des Protektionismus entscheiden müssen, und dies wird „das Europa mit zwei Geschwindigkeiten“ noch verstärken, das sich der harte Kern der EU-Gründer wünscht… und das die ost- und mitteleuropäischen Länder ablehnen. Wenn es so weiter geht, ist es durchaus möglich, dass die Visegrád-Gruppe und/oder die Drei-Meere-Initiative sich einen stärkeren institutionellen Inhalt zulegen und sich neue Werkzeuge verschaffen, um diesem Randeuropa die Möglichkeit zu geben im Rennen zu bleiben, nachdem seine westlichen Brüder es erneut verraten hätten.