Von Olivier Bault.
Poland – Für den Präsidenten des Europäischen Rats Donald Tusk war das am Montag nicht die erste Ladung wegen der Flugkatastrophe von Smolensk, die am 10. April 2010 96 Menschen das Leben kostete, darunter dem Präsidenten Lech Kaczyński und seiner Frau sowie polnischen hochrangigen Offizieren. Aber es war seine erste Ladung als Zeuge in einem von Familien der Opfer gegen den Leiter seiner Kanzlei Tomasz Arabski eingeleiteten Prozeß, da dieser damit beauftragt worden war, die Reise der Präsidentendelegation zu organisieren, die in Smolensk des 70. Jahrestags des Massakers an polnischen Offizieren in Katyn durch das NKWD gedenken wollten.
Für Donald Tusk ist es nicht die erste Landung von einem Richter für seine Rolle in der Katastrophe von Smolensk
Der frühere Ministerpräsident hatte schon im Juli 2017 Erklärungen den Staatsanwälten darüber zu geben gehabt, dass Leichen von Opfern sich bei ihrer Rückführung aus Russland nicht in den richtigen Särgen befanden, wie dies anläßlich der von der PiS-Regierung im Rahmen ihrer Gegenuntersuchung über die Katastrophe von Smolensk in Auftrag gegebenen Exhumierungen festgestellt worden war. Manche würden sich in Polen wünschen, dass Tusk wegen Hochverrats vor Gericht käme, weil er akzeptiert hat, dass die Untersuchung über diese Katastrophe unter der ausschließlichen Kontrolle Russland verlaufe, obwohl es seit 1993 ein Abkommen zwischen Polen und Russland bezüglich der Unfälle u.a. von Militärmaschinen gibt, das es den polnischen Ermittlern erlaubt hätte, an der Untersuchung zu gleichen Bedingungen wie ihre russischen Amtskollegen teilzunehmen. Die Tu-154 der polnischen Regierung, die im Anflug auf den Militärflughafen von Smolensk abgestürzt ist, war eine Maschine der polnischen Luftwaffe und wurde von Militärpiloten geflogen. Die Konsequenz dieser verheerenden Entscheidung Donald Tusks ist der Verdacht eines Anschlags, der dadurch bekräftigt wird, dass Moskau es weiterhin ablehnt, acht Jahre nach der Katastrophe, das Wrack sowie die Flugschreiber der verunglückten Maschine an Polen zu liefern.
Manche möchten, dass der Präsident des Europäischen Rats in Polen wegen Hochverrats vor Gericht stünde
Letzten Montag hatte der Präsident des Europäischen Rats u.a. zu sagen, was er über die Entscheidungen wußte, die im April 2010 zu zweit getrennten Besuchen für die Gedenkfeier anläßlich des 70. Jahrestags des Katyn-Massakers geführt haben: seine, zusammen mit dem russischen Ministerpräsidenten Wladimir Putin, am 7. April, und die des polnischen Präsidenten zusammen mit Vertretern der Familien der in Katyn umgebrachten Offiziere, am 10. April. Donald Tusk schien vieles vergessen zu haben, und u.a. die – durch Dokumente bewiesene – Tatsache, dass es ursprünglich gemäß dem Willen von Präsident Kaczyński nur einen einzigen gemeinsamen Besuch in Katyn geben sollte. Hier auch wird Tusk von seinen Gegnern des Verrats verdächtigt, weil er Putins Vorschlag angenommen hat, den Besuch des polnischen Präsidenten zu trennen, den der russische Ministerpräsident seit den Ereignissen in Georgien 2008 nicht allzu sehr in seinem Herzen trug, als der polnische Präsident mit mehreren ost- und mitteleuropäischen Staats- und Regierungschefs nach Tbilissi geflogen war, um das kleine Land gegen die gerade stattfindende russische Invasion zu unterstützen. Auch Tusk liebt seinen politischen Feind nicht, der als Präsident über Befugnisse im Bereich Außenpolitik verfügte. Und es wird ihm vorgeworfen, anläßlich der Gedenkfeier in Katyn seine eigenen politischen Interessen gegen diejenigen seines Landes bevorzugt zu haben.
Der Prozeß wurde von einem Teil der Familien der Opfer eingeleitet, nachdem die Staatsanwaltschaft 2013 die Ermittlungen eingestellt hatte
Die politischen Freunde von Donald Tusk betrachten ihrerseits diesen Prozeß als politisch motiviert, auch wenn er von Familien von Opfern eingeleitet wurde. Allerdings, als die Staatsanwaltschaft im Herbst 2013, als Tusk Ministerpräsident war, die Ermittlungen gegen den Leiter seiner Kanzlei Tomasz Arabski sowie gegen zwei hohe Beamten dieser Kanzlei und zwei Angestellte der polnischen Botschaft in Moskau eingestellt hatte, hatte sie merkwürdigerweise ihre Entscheidung dadurch gerechtfertigt, dass die im Bereich der Vorbereitung der Reise der polnischen Präsidentendelegation festgestellten Fahrlässigkeiten nicht mit böser Absicht stattgefunden hatten, während sie doch präzisierte, dass diese Personen wohl viele Fahrlässigkeiten begangen hatten! Es ist gerade nach dieser Entscheidung der Staatsanwaltschaft, dass mehrere Familien von Opfern der Katastrophe entschieden hatten, den Leiter von Tusks Kanzlei zivilrechtlich zu belangen.
Olivier Bault