Von Miklós Dorsch
Ungarn – Der 23. Oktober 1956 ist ein Datum, was für immer in der Geschichte Ungarns und der Welt verankert bleiben wird. An diesem Tag wackelte der Kommunismus in Osteuropa: Die Ungarn sind für ihre Freiheit auf die Straßen gegangen. Manche haben das mit ihrem Leben bezahlt, die anderen haben nur ein paar Tage Hoffnung bekommen, bevor eine von Moskau durchgeführte blutige Unterdrückung Ungarn für drei weitere Jahrzehnte in den Kommunismus zurückholte.
Es ist im Jahre 1948, dass die Kommunisten durch gefälschte Wahlen an die Macht in Ungarn kamen und ein totalitäres Regime einrichteten. Es sind übrigens die allerersten Jahre, die mit einem regelrechten stalinistischen Terror am dunkelsten waren: Verschleppungen in den Gulag, Exekutionen, Schauprozesse und Allgegenwart der ÁVH (Államvédelmi Hatóság), der Staatssicherheitsbehörde, prägten den Alltag der Ungarn zwischen 1948 und 1953. Nach dem Tode Stalins wurde Imre Nagy an die Spitze des Ministerrats ernannt. Seine Politik bestand in einer Serie von Reformen, die zum Ziel hatten, das Regime zu lockern, indem man u.a. die Internierungslager bzw. die Autonomie der Geheimpolizei aufhob. Jedoch wurde er nicht einmal 2 Jahre später seines Amtes wieder enthoben.
Ende Juni 1956 infolge des Arbeiteraufstands in Posen (Polen), der von den Machthabern unterdrückt wurde, begann der neue Anführer der Kommunistischen Partei ähnliche Reformen durchzuführen wie die von Imre Nagy, gegen welche Moskau mit einer Militärintervention drohte. Im Oktober organisierten Verbände von Studenten und Intellektuellen Demonstrationen in allen großen Städten Ungarns und forderten die Rückkehr von Imre Nagy. Eine Versammlung der Unterstützung für Polen unter dem Zeichen der polnisch-ungarischen Freundschaft fand am Fuße des Standbilds vom General Bem statt. Es ist während dieser Demonstration, dass die 16 Punkte des Petőfi-Kreises angenommen wurden, die die politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen auflisten, die die Studentenverbände verlangten, darunter den Rückzug der sowjetischen Truppen bzw. freie Wahlen.
Während des ganzen Tages des 23. Oktober schloss sich eine wachsende Menschenmenge den von den Studenten organisierten Demonstrationen an: Erst vor dem Standbild vom General Bem – wo zum ersten Mal das kommunistische Wappen aus der ungarischen Fahne herausgerissen wurde, was in der Folge zum Symbol der Revolution wurde – dann am Kossuth-Lajos-Tér, der Esplanade vor dem Parlament, wo beinahe 200.000 Menschen anwesend waren. Trotz des Aufrufs zur Auflösung der Demonstrationen durch den Anführer der Kommunistischen Partei Ernő Gerő begab sich die Menge auf den Platz, wo ein gigantisches Standbild Stalins thronte.
Die Demonstranten zerstörten das Denkmal, von dem allein die Stiefeln aufrecht blieben, während der Kopf des sowjetischen Diktators auf dem Boden lag. Diese Handlung wurde zu einem der prägenden Bilder der Revolution. Als es Nacht wurde, begab sich ein Teil der Demonstranten zum Sitz des ungarischen Rundfunks, um dort zu versuchen, besagte 16 Punkte verlesen zu lassen. Die vor Ort aufgestellten Panzer und die Geheimpolizei schossen dann auf die wehrlose Menschenmenge, was der Anfang des bewaffneten Konflikts einleitete. Trotzdem wurde das Gebäude durch die Demonstranten besetzt.
Am nächsten Tag bekamen die sowjetischen Panzer den Befehl in Budapest einzumarschieren, während Imre Nagy erneut zum Ministerpräsidenten ernannt wurde. Trotz seines Versprechens, die Reformen fortzuführen, kam es zu Straßenkämpfen zwischen Demonstranten, die sich bewaffnet hatten – darunter zahlreiche Minderjährige, die Pesti Srácok (dt. Pester Jungs) – und den Kräften des Regimes: Einer der symbolischsten Schauplätze wurde die Corvingasse (Corvin köz), deren Revolutionäre die „Corvinisten“ (Korvinisták) genannt wurden.
Außerdem entschied Moskau, János Kádár an die Spitze der Kommunistischen Partei zu setzen, um Gerő zu ersetzen. Der neue Anführer bezeichnete den Aufstand als „Gegenrevolution“, wie er auch offiziell bis zum Ende des Kommunismus genannt wurde. Am 25. Oktober versammelten sich ungefähr 5000 Personen friedlich auf dem Kossuth-Tér, doch Scharfschützen der ÁVH und anwesende sowjetische Panzer schossen auf die Menschen und töteten ca. 1000 von ihnen. Dieser blutige Moment brachte die Regierung am 28. Oktober zu Fall, führte zum – vorläufigen – Rückzug der sowjetischen Truppen bzw. zur Restaurierung des Pluralismus und zur Befreiung der politischen Häftlinge, von denen der berühmteste der Kardinal József Mindszenty war.
Die Ruhe dauerte jedoch nicht allzu lange. Am 4. November startete die Sowjetunion einen nicht zuvor erklärten Krieg gegen Ungarn. Es ist an diesem Moment, dass Imre Nagy eine Rede an das Land und an die Welt bzw. einen Aufruf im Rundfunk las, der in vier Sprachen ausgestrahlt wurde.
„Hier spricht Ministerpräsident Imre Nagy. Sowjetische Truppen haben im Morgengrauen zu einem Angriff auf unsere Hauptstadt angesetzt, mit der eindeutigen Absicht, die gesetzmäßige demokratische Regierung der Ungarischen Volksrepublik zu stürzen. Unsere Truppen stehen im Kampf. Die Regierung ist auf ihrem Platz. Ich bringe diese Tatsache unserem Land und der ganzen Welt zur Kenntnis.“
Der Aufruf von Imre Nagy blieb ohne Widerhall. Ungarn bekam keine internationale Hilfe in diesem Konflikt, da die westlichen Staaten mit der Suezkrise beschäftigt waren. Die sowjetischen Panzer fuhren in Budapest ein und schossen an allen vier Ecken der Hauptstadt. Die Unterdrückung der letzten Revolutionäre auf der Tschepele-Insel (Csepel-Sziget) setzte am 11. November dem Aufstand ein Ende.
Insgesamt kostete offiziell die Revolution das Leben von 2652 Personen auf ungarischer und 722 auf sowjetischer Seite. Man schätzt, dass circa 200.000 Ungarn ihre Heimat wegen des Konflikts und der Repression verlassen mussten. Während der drei ersten Jahre nach der Revolution wurden großangelegte Repressalien durch das Kádár-Regime durchgeführt: 400 Personen – darunter Imre Nagy – wurden wegen ihrer Teilnahme am Aufstand exekutiert, über 21.000 wurden inhaftiert und 16.000 bis 18.000 wurden interniert.
Es ist offensichtlich, dass diese Ereignisse ein wesentlicher Moment in der ungarischen und europäischen Geschichte darstellen, denn es ist das erste Mal, dass ein osteuropäisches Volk so massiv gegen das Regime demonstrierte, dass die Sowjetunion militärisch eingreifen musste. Die Erinnerung an die Helden dieser Revolution gegen das sowjetische Joch zeigt übrigens der Welt, dass die Ungarn mehrmals für eine Freiheit kämpften, an der sie hängen.
Im Jahre, als der Kommunismus fiel, am 16. Juni 1989 wurden Imre Nagy und seine Märtyrerkameraden in Anwesenheit von Tausenden von Personen symbolisch auf dem Heldenplatz in Budapest noch einmal beigesetzt. An diesem Tag wurde der Junge Viktor Orbán bekannt, als er öffentlich den Rückzug der sowjetischen Truppen forderte. Der 23. Oktober 1989 wurde dagegen zum doppelten Nationalfeiertag in Ungarn, und zwar mit dem Gedenken an den Ausbruch der Revolution bzw. mit dem offiziellen Ausruf der Republik Ungarn, der mehr als 40 Jahren eines diktatorischen kommunistischen Regimes ein Ende setzte.
Am 23. Oktober 2006, anlässlich des 50. Jahrestags des Aufstands, fanden Demonstrationen statt, um den Rücktritt des liberal-sozialistischen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány zu fordern, der für einen Skandal gesorgt hatte, als er zugab, „morgens, mittags und abends“ gelogen zu haben, um die Wahlen im April dieses Jahres zu gewinnen – siehe den Dokumentarfilm von Nicolas de Lamberterie für TV Libertés über diese Ereignisse. Die Straßen von Budapest wurden damals erneut zum Schauplatz von Kämpfen zwischen regierungsgegnerischen Demonstranten und Sicherheitskräften, die u.a. unverhältnismäßig Gewalt einsetzten.
Der 23. Oktober ist nunmehr ein gesetzlicher Feiertag in Ungarn, an dem Gedenkfeiern im gesamten Land stattfinden.
Sehen Sie hier alle Bilder des Aufstands von 1956 auf der Seite von Fortepan.
Übersetzt von Visegrád Post.