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Lesezeit: 4 Minuten

Von Thibaud Cassel.

1. Teil2. Teil – 3/3 – 3. Teil: Rumänien zwischen Gedenkfeier und Modernität

Die vom französischen Präsidenten angeprangerten „schlechten Winde“ aus dem Osten könnten wohl den „ziemlich abgeblätterten“ liberalen Lack Rumäniens wegpusten und sogar Macrons Einfluss im Westen erschüttern. Welchen Platz also für ein außergewöhnliches zugleich romanisches und orientalisches Land von 20 Millionen Einwohnern im Zusammenhang mit einer tiefgreifenden politischen Umgestaltung des Kontinents?

Rumänien und Frankreich

Seit ihrer Wiedergeburt als moderne Nation pflegt Rumänien eine interessierte Freundschaft mit Frankreich. Das Echo davon ist noch heute wahrnehmbar, da beide Länder anlässlich des hundertsten Jahrestags des Sieges von 1918 u.a. gemeinsame Ausstellungen quer durch den Kontinent organisieren. Diese Serie von Veranstaltungen wurde am. 27. November in Paris von den Präsidenten Rumäniens und Frankreichs, Klaus Johannis und Emmanuel Macron, eröffnet. Ein Ereignis, das auch die Gelegenheit ist, um den Graben zu messen, der die Antreiberin des Völkerfrühlings aus dem Jahr 1848 vom bunten Hexagon der „République en marche” trennt bzw. was Rumänien einem Europa am Ende eines Zyklus bringen kann.

Rumänien „ganz gegen“ den Westen

An diesem 27. November hat sich Klaus Johannis damit beschränkt, „die gemeinsame Geschichte und die privilegierte Beziehung zwischen Frankreich und Rumänien“ zu feiern, während der französische Präsident die Zuhörer mit seinem komplexen Denken beehrte, indem er lauter Allgemeinplätze und Undinge von sich gab. „Die Kultur ist der Zement unseres Europas,“ erklärte er im post-kulturellen Rahmen des Georges-Pompidou-Museums, bevor er einem an den Kopf warf, dass „die Sprache Europas […] die Übersetzung“ sei. Das Ereignis ist kein Teil des kulturellen Softpowers, wofür Frankreich prächtig ausgerüstet ist, sondern des liberal-libertären Mantras, das am wenigsten geeignet ist, eine wirkliche französisch-rumänische Brüderschadt zu pflegen. Wenn ein Land, so peripher es auch sei, zu schätzen aufhört, so kann man vorausahnen, dass es auch zu fürchten aufhören wird; Macrons Frankreich tritt vor entschiedeneren Playern ab.

Kapital schlagen aus dem deutsch-amerikanischen Tauziehen

Die seit zwei Jahren in der rumänischen Politik wirkende schüchterne Reorientierung besteht darin, den Sinn des nationalen Interesses wiederzufinden: wenn schon „America first“, dann auch „România first“. Wir haben neuerdings gesehen, wie die US-Regierung sich für die derzeitige rumänische Regierung einsetzte, während Deutschland die Opposition unterstützt. Diese Reibereien zwischen zwei westlichen Großmächten bieten Bukarest einen unverhofften Freiraum. Das Land befindet sich in der deutschen aber vor allem auch in der amerikanischen Einflusssphäre: nicht nur wegen dessen Grenzsituation mit der Ukraine und mit Moldawien sondern auch am Schwarzen Meer mit der ungewissen Entwicklung der Türkei. Allerdings hat Rumänien heute nichts mehr zu verlieren bzw. nicht mehr so viel abzugeben. Soweit, dass die Besteuerung der ausländischen Banken und Konzerne, die Ablehnung der Produkte schlechter Qualität, die dessen Markt überfluten…, nun zu den Optionen gehören, die bei der letzten Klausur der regierenden Sozialdemokratischen Partei (PSD) am 16. Dezember (endlich) ernsthaft besprochen wurden.

Rumänien und Visegrád-Gruppe

Die Repositionierung Rumäniens innerhalb des Westens kann mit derjenigen Polens und der anderen mitteleuropäischen Länder verglichen werden, die zugleich amerikanophil und an der deutschen Wirtschaft fest verankert sind. Die Länder des ehemaligen Osteuropas müssen zusammenarbeiten, um zählen zu können. Der Anschluss Rumäniens an die Dynamik der Visegrád-Gruppe erweist sich als unabdingbar, um sich als vollwertiger Akteur auf der europäischen Bühne behaupten zu können, sprich in der Lage zu sein, eine europäische Agenda zu befolgen, die weder die von Berlin noch die von Washington sei.

Rumänien hat den EU-Vorsitz während der ersten Jahreshälfte von 2019 inne und es ist in Hermannstadt (Sibiu), dass der Post-Brexit-Gipfel der EU stattfinden wird. Dieses momentane Spielen der ersten Rollen könnte Bukarest vor allzu scharfem Ostrazismus bewahren.

Ein linker Illiberalismus

Die politische Kraft der mitteleuropäischen Länder labt sich seit einigen Jahren am Populismus, sprich an der Demokratie. Doch braucht Populismus Vektoren um erfolgreich zu sein. In diesem Sinne kann er nicht aus der Abschaffung der Unterschiede zwischen Links und Rechts entstehen, obschon er langfristig dahin führen soll. In Rumänien ist es wohl die PSD, die die Wünsche des Volkes mitbekommt und „die von irgendwo“ gegen „die von nirgendwo“ verteidigen will. Trotz der politischen Auf und Abs (Spaltung, Fusion und Namensänderung) bleibt die PSD das Haupterbe der Kommunistischen Partei Nicolae Ceaușescus. In Rumänien kommt die „illiberale“ Wende also nicht von rechts wie in Ungarn und Polen. Diese Entwicklung beruht vorwiegend auf den Schultern Liviu Dragneas. Obwohl stellvertretender Ministerpräsident von Dezember 2012 bis Dezember 2014 und Präsident der Abgeordnetenkammer seit 2016 kommt seine Macht vor allem vom PSD-Vorsitz, den er seit dem Sommer 2015 ausübt.

Rumänischer Pragmatismus am Werk

Wenn die rumänische PSD als wichtiges Mitglied der Sozialistischen Partei Europas (SPE) eine bedeutende Rolle spielen kann, dann eben, indem sie den Liberalismus von links aus unterminiert, so wie das Ungarn Orbáns es von rechts aus tut. Das Gespür der Rumänen für das opportune Fin de Règne könnte für das beim Herannahen der Europawahlen von Mai 2019 immer hektischer werdende Klima empfindlich sein. Für die rumänische Linke liegt eben auf dem Spiel, mit der Titanic der liberalen Linken nicht zu sinken und einer lächerlichen und disqualifizierten Ideologie den Rücken zu kehren, indem sie sich auf die rumänische Wählerschaft stütze, die der beinahe kolonialen Ausbeutung des Landes überdrüssig ist. In diesem Sinne gedenkt sie, den Sinnspruch von Nietzsche in die Praxis umzusetzen: „Was fällt, das soll man auch noch stossen!“ Rumänien hat ein wunderbares Gehör für diesen byzantinischen Wankelmut.

Eine linksalternative Kraft in Europa?

Die rumänische Lage ist kein Einzelfall. Es ist das Los der Linken im peripheren Europa: in Portugal, in Dänemark auf einer anderen Weise und freilich in Ost- und Mitteleuropa. Dem kann man auch die von Sarah Wagenknecht innerhalb von „Die Linke“ gegründete Bewegung „Aufstehen“ assoziieren. Doch ist der sicherste Partner dieser Strömung und deren Vorkämpferin zweifelsohne die italienische Fünf-Sterne-Bewegung (M5S). Außerhalb der sozialistischen und linken Fraktionen im Europaparlament versammelt würden diese politischen Kräfte eine notwendige Rolle spielen, um die Reserven trockenzulegen, die das liberale Zentrum immer links findet, um eine Mehrheit zu bilden. Wenn eine solche Plattform sich im Rahmen der kommenden Europawahlen behaupten könnte, so würde sie ganz sicher während der Legislaturperiode 2019-2024 durch die Mitglieder der radikalen Linken erstarken, denen die Ereignisse die Augen öffnen. Der Fall Djordje Kuzmanović in Frankreich ist dafür beispielhaft: dieser Sprecher von Mélanchons „France Insoumise“ trat zurück, um gegen das linksradikale und kommunitaristische Abdriften der Partei zu protestieren, die in seinen Augen unfähig sei, sich aus der liberalen Falle zu befreien. Glücklicherweise öffnet sich die Europapolitik für neue Perspektiven.


Übersetzt von Visegrád Post.