Von Thibaud Cassel.
Ungarn – Dieser Besuch wurde sehr erwartet und doch… paradoxerweise von einem ohrenbetäubenden Schweigen begleitet. Am Freitag, den 11. Oktober wurde der ungarische Ministerpräsident vom französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron zum Mittagessen „für einen ersten Arbeitsbesuch“ im Elysée-Palast empfangen. Anlässlich der gemeinsamen Pressekonferenz im Hof des Palastes appellierte der Präsident zu „einer offenen und nützlichen Diskussion“ in der Zeit, wo Jean-Claude Juncker den Vorsitz der Europäischen Kommission an Ursula von der Leyen übergibt.
Diese Kommission, als neue „europäische Regierung“, deren Amtseinführung für den 1. November vorgesehen ist, macht es sowohl Paris wie Budapest schwer. Es steht in der Tat jedem Mitgliedstaat zu, einen Kommissar vorzuschlagen, den das Europaparlament anschließend nach einer Anhörung bestätigen soll. Allerdings erlebte der französische Präsident vor dem Besuch Orbán einen peinlichen Rückschlag: die Missbilligung der europäischen Abgeordneten gegenüber der französischen Kandidatin Sylvie Goulard für ein ehrgeiziges Ressort (Binnenmarkt, Industrie, Verteidigung, Weltall, Informationstechnologie und Kultur). Diese Enttäuschung folgt dem Scheitern Ungarns, dessen Kandidat für das Ressort Erweiterung und Europäische Nachbarschaftspolitik, László Trócsányi, in ähnlicher Weise – obwohl aus anderen Gründen – von den Abgeordneten abgewiesen wurde.
Die ideologischen Antagonismen bändigen
Es ist ein offenes Geheimnis, dass der westliche Progressismus und der mitteleuropäische Konservatismus sich einen heftigen Machtkampf innerhalb der EU liefern. Emmanuel Macron und Viktor Orbán sind dabei dieAushängeschilder der beiden Lager, während Deutschland dazwischen die Punkte vergibt und seinen Einfluss umso mehrerweitert.
Es sticht ins Auge, dass es zwischen der deutschen Vorherrschaft in der EU und der föderalistischen Rhetorik Emmanuel Macrons eine Korrelation gibt. Die neuliche Schmach beweist es: Frankreich wird für dessen Eifer schlecht belohnt: etwas Nachsicht für dessen unheilvolle Haushaltsdefizite aber das war’s schon. Die misslungene Ernennung Sylvie Goulards hinterlässt bei Macron einen bitteren Nachgeschmack. Föderalismus scheint dem französischen Interesse innerhalb der EU nicht mehr zu entsprechen.
Dreißig Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer ist es nun an der Zeit für mehr Koordination und Solidarität zwischen Frankreich und den ehemaligen Ostblockländern. Diese Region, wo der deutsche Einfluss sich vorwiegend ausübt, versucht, sich aus ihrer Isolation auszubrechen. Frankreich ist der viertgrößte Investor in Ungarn und Viktor Orbán betonte die Bedeutung der 670 französischen Unternehmen, die in Ungarn 44.000 Arbeitnehmer beschäftigen.
Wirtschaft und Realpolitik als Antwort für schwerwiegende ideologische Meinungsunterschiede? So lautet wohl die unsichere Wette, die in diesen Tagen von zwei einflussreichen Staatschefs innerhalb der EU versucht wird.
Übersetzt von Visegrád Post.