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László Pesty: „Ein solcher Fortschritt erfordert Konflikte. Wir sind für diese Herausforderung bereit.“

Lesezeit: 5 Minuten

Die Europäische Bürgerinitiative (EBI) „Kohäsionspolitik für die Gleichstellung der Regionen und die Erhaltung der regionalen Kulturen“ nähert sich dem Ende der Phase 2 – fast ein Jahrzehnt nach ihrem Start.

Wie uns der ungarische Politikwissenschaftler Attila Dabis, stellvertretender Vorsitzender des Lenkungsausschusses der Initiative, erklärte, begann der Rechtsstreit 2011. Aber erst 2019 konnte die Unterschriftensammlung beginnen (mindestens eine Million gesammelte Unterschriften in einem Jahr sind erforderlich, sowie das Überschreiten einer Mindestschwelle in 7 Mitgliedsstaaten).

Die Covid-Krise hat zu mehreren Verlängerungen der Frist für die Unterschriftensammlung geführt und endet nun am 7. Februar 2021 um 23.59 Uhr. Am Ende wurde neben der weitgehend erreichten einen Million Unterschriften (vor allem in Ungarn) die Mindestschwelle 9 Länder erreicht (Spanien, Schweden, Lettland, Litauen, Slowakei, Ungarn, Slowenien, Kroatien, Rumänien).

Der Filmemacher László Pesty, der für die Kampagnen irdala.hu (auf Ungarisch) und signiteurope.com (auf Englisch und anderen Sprachen) zur Unterstützung der Unterschriftensammlung verantwortlich ist, beantwortete für die Visegrád Post ein paar Fragen bezüglich dieser Initiative, die darauf abzielt, mehr Rechte auf EU-Ebene zu erhalten, um die Kultur europäischer historischer Minderheiten – u.a. der Szekler, Bretonen, Korsen, Katalanen bzw. Basken – zu bewahren.

László Pesty im Hauptquartier der Kampagne in Budapest, als er Schilder für die Europäische Bürgerinitiative vorbereitet, deren Unterschriftensammlungskampagne er leitet. Januar 2021. Bild: Visegrád Post.

Visegrád Post: Am vergangenen Wochenende haben Sie es gerade geschafft, die Schwelle im siebten Land zu erreichen. Da Sie bereits über eine Million Unterschriften hatten, ist Ihre Europäische Bürgerinitiative (EBI) nun gültig. Wie ist es gelaufen? In welchem Land haben Sie die meisten Unterschriften bekommen? Wie erklären Sie sich den Erfolg in diesen sieben Ländern?

László Pesty: Der Schutz der nationalen Minderheiten ist eine Bewegung, die in ganz Europa sehr lebendig ist. Es ist eine andauernde mühsame Arbeit. Unser Erfolg liegt nicht darin, eine Begründung zu propagieren, warum die Initiative wichtig ist. Die Herausforderung bestand darin, verschiedene Kanäle für die Kommunikation zu etablieren, online und offline. Dieses Phänomen ist nicht nur unsere persönliche Herausforderung, sondern genau das Dilemma der nationalen Minderheiten. Es gibt eine weitreichende gesellschaftliche Krise. Die EU-Entscheidungsträger haben die gesetzgeberische Macht, eine Lösung zu bieten. Das fehlende Glied ist die Kommunikation. Unsere Hauptleistung war es, die Stimmen der Ungehörten zu verstärken. Das ist das primäre Ziel jeder Europäischen Bürgerinitiative.

Wir hatten eine überschaubare Aktivität in der Region Siebenbürgen in Rumänien. In unserem Team gibt es viele Siebenbürger. Ungarn steht natürlich in enger Beziehung zu dieser Region. Es war das Naheliegendste, ihre Notlage zu kommunizieren, da wir bereits stark verbunden sind. Nationale Minderheiten begegnen überall in der EU ernsthafte Herausforderungen, aber es gibt bürokratische Hindernisse für ihre Artikulation. Spanien hat einen bedeutenden Beitrag geleistet, was die Anzahl der Unterschriften angeht. Katalanen und Basken haben bereits für die Abschaffung der Barrieren und für die Einrichtung eigener Kommunikationsmittel gekämpft. Der erforderliche Aufwand auf unserer Seite stand in einem angemessenen Verhältnis zu den für die Sache zur Verfügung stehenden Mitteln des gesellschaftlichen Diskurses und zur Flexibilität der verantwortlichen Akteure.

Visegrád Post: Der Termin ist  zweimal verschoben worden. Wie ist es gelaufen, die EBI in diesem vom Coronavirus geprägten Jahr 2020 zu organisieren? Mit welchen Schwierigkeiten hatten Sie in den vergangenen zwölf Monaten zu kämpfen?

László Pesty: Oft denken die Leute, dass es wegen der Pandemie eine Herausforderung war, die Unterschriften zu sammeln. Es war aber nicht so. Die papierbasierte Dokumentation war kein entscheidender Bestandteil der Kampagne. Wir konzentrierten uns auf die Online-Präsenz und darauf, die Unterschriften digital zu sammeln und Call-to-Action-Trichter sowohl in Offline- als auch in Online-Kampagnenelementen unterzubringen.

Was viele, auch abseits der Kampagne, nicht erkennen, ist der dramatische Zustand, in den die Gesellschaft global gesunken ist. Im Schatten von COVID ist es absurd, von irgendetwas zu sprechen. Die bitteren Nachrichten drum herum und die ständige Dringlichkeit überforderten politische Vertreter und beschäftigten die Infoportale. Wie ich bereits erwähnt habe, bestand unsere Mission darin, Kommunikationswege zu etablieren. COVID war nicht in Bezug auf den Sammlungsprozess eine große Herausforderung, sondern in Bezug auf die Verbreitung der Botschaft.

Visegrád Post: Befürchten Sie nicht, dass die EU diese EBI ablehnen wird, so wie sie das Minority SafePack abgelehnt hat? Wir haben erst kürzlich erlebt, dass die EU-Institutionen das „Minority SafePack“ ohne zu zögern abgelehnt haben, obwohl diese Initiative darauf abzielte, die einheimischen Minderheiten Europas zu schützen und zu fördern.

László Pesty: Kommen wir noch einmal auf das gleiche Anliegen, auf die eigentliche Ursache zurück. Das EU-Parlament unterstützte MSP. Die EU-Kommission lehnte es jedoch ab. Wir erleben eine ernsthafte Entkopplung zwischen der Öffentlichkeit und den verantwortlichen Bürokraten. Die EU-Kommission verlässt sich auf einen sehr technokratischen Ansatz, der in der Tat akribisch ausgeführt wird. Inzwischen ist sie aber nicht mehr auf dem Laufenden, wie die Tragödie des Brexit beweist. Es ist unsere Aufgabe, uns auf die bürokratischen Herausforderungen vorzubereiten, vor allem aber die paradoxen Mechanismen zu durchschauen, mit denen wir rechnen müssen. Wenn wir Erfolg haben, werden nicht nur die Initiative Sign It Europe und die 50 Millionen Europäer, die als Minderheiten direkt betroffen sind, davon profitieren. Europa in dessen Gesamtheit kann sein Vertrauen in die demokratischen Institutionen zurückgewinnen. Akademische Ideologie mag auf dem Papier gut aussehen – auf Entwürfen, die in verschiedenen Büros in Brüssel herumliegen. Es ist aber eine andere Sache, nach diesen Werten zu leben, sie zum Leben zu erwecken. Ein solcher Fortschritt erfordert Konflikte und eine ehrliche, manchmal raue Kommunikation. Wir sind für diese Herausforderung bereit.

Visegrád Post: Glauben Sie, dass diese Ablehnung politisch motiviert war? In Ungarn hat das Minority SafePack ebenso wie die von Ihnen unterstützte EBI, die Kohäsionspolitik für die Gleichstellung der Regionen und die Erhaltung der regionalen Kulturen, eine breite Unterstützung erfahren. In Ungarn ist das Thema der nationalen Minderheiten aus historischen Gründen bekannt, und es ist weder ein politisches Thema, noch eine Frage von rechts oder links.

László Pesty: Ich glaube schon, dass es teilweise politisch motiviert war, aber aus den falschen Gründen. Das grundlegende Problem ist, dass die Institution der Bürgerinitiative von der EU-Kommission weder geachtet noch verstanden wird. Die Kommission mag keine Überraschungen und erfolgreiche Initiativen sind selten. Es gibt keine Präzedenzfälle, auf die man sich stützen könnte, und keine etablierten Prozesse, die die Entscheidungsfindung vorbereiten. Es ist ganz klar, dass sich die ungarische Regierung und Brüssel in einem Zustand des diplomatischen Unbehagens befinden. Außerdem darf man nicht vergessen, dass es nicht in böser Absicht, sondern aus Gründen der Volksstabilität im besten Interesse einiger Mehrheitsregierungen liegt, die nationalen Minderheiten in einem Zustand des politischen Leerlaufs zu belassen. Jede noch so kleine Geste von Vertretern der Mehrheit reichte aus, um das Zünglein an der Waage zu sein, ohne dass es einer großen Verschwörung bedurfte. Eine solche Geste könnte auf der Wahrnehmung der ungarischen Außenpolitik zurückzuführen sein, die nicht auf ethischen Überlegungen beruhte, sondern einfach auf der Logik der naiven Überzeugung für innenpolitische Interessen.

Visegrád Post: Auch wenn die EBI die Anforderungen bereits erreicht hat, können die Menschen sie immer noch unterschreiben und so die Initiative weiter stärken. Was würden Sie unseren französisch-, englisch- und deutschsprachigen Lesern sagen, um sie zur Unterschrift zu bewegen?

László Pesty: Vielen Dank für diese Frage. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um mein Hauptanliegen noch einmal zu wiederholen. Ja, die EU hat einen Rahmen für die Bürgerinitiative vorgegeben und verlangt „nur“ sieben Länder. Ja, für einen Bürokraten würde es reichen, das Projekt als abgeschlossen zu markieren und geduldig auf die Bewertung zu warten. In den Augen der Verwaltung ist das vielleicht bloß ein weiterer sperriger Bericht. Doch für mich und für alle Beteiligten bedeutet das viel mehr. Es ist etwas ganz anderes als das. Jede Unterschrift steht für einen Bürger. In einer Demokratie Wählen bedeutet nicht, an einen mathematischen Durchschnitt zu denken oder darauf zu vertrauen, dass ein anderer es für uns tut. Wählen ist eine Art modernes Ritual der Ausübung des freien Willens. Wenn wir nicht an dieses Ritual glauben würden, gäbe es kein Europa mehr. Ich möchte alle bitten zu unterschreiben, die diese Initiative befürworten. Unterschreiben Sie nicht wegen der Zahlen. Unterschreiben Sie um die Initiative zu unterstützen, um ein bürgernahes Europa zu unterstützen, in dem jeder ein Mitspracherecht hat.


Um die Bürgerinitiative zu unterschreiben, klicken Sie hier unten:
signiteurope.com