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Eine geeinte Opposition gegen die PiS in Polen? Das wird für ein anderes Mal sein…

Lesezeit: 4 Minuten

Polen – Am Samstag, den 6. Februar, stellte die wichtigste Oppositionspartei in Polen, die Bürgerplattform (PO), die Idee einer großen Oppositionskoalition, der „Koalition 276“ vor. Warum „276“? Denn das ist die Anzahl der Abgeordneten, die im Sejm benötigt werden, um das Veto des Präsidenten zu stürzen. Die Vorschläge der PO wurden von ihrem Vorsitzenden, Borys Budka, und vom Warschauer Bürgermeister, Rafał Trzaskowski, präsentiert, der letztes Jahr der erfolglose Kandidat gegen Andrzej Duda im zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen war.

Hinter den beiden Männern standen das Logo der neuen Koalition sowie die Logos der teilnehmenden Agrarpartei PSL, Lewica (Die Linke) und Polska 2050 (Polen 2050), einer Partei, die im vergangenen Jahr von Szymon Hołownia, einem ehemaligen Fernsehmoderator, gegründet wurde, der ein fortschrittlich katholisches Image pflegt und bei den Präsidentschaftswahlen 2020 fast 14 % der Stimmen erhalten hatte. Die Partei Polska 2050 ist gerade dabei die Bürgerliche Koalition (KO, eine Koalition aus der PO und der liberal-libertären Partei Nowoczesna – Modern – sowie Umweltschützern) in den Umfragen zu überholen, wobei Anfang Februar sowohl die KO als auch Polska 2050 im Durchschnitt mit etwa 20% der Wahlabsichten rechnen konnten.

Monatlicher Durchschnittswert der Umfragen unter Berücksichtigung der Unentschlossenen. Screenshot aus der Seite ewybory.eu

Die Erben Donald Tusks mussten reagieren, um ihren Status als wichtigste Oppositionspartei in Polen zu bewahren.

An Vorschlägen mangelte es nicht, und einige von ihnen sind so ziemlich radikal: umfassende Erneuerung des Verfassungsgerichts, umfassende Erneuerung des Nationalen Justizrats (KRS), „Entpolitisierung“ des Obersten Gerichts (das ein Kassationsgericht ist), Liquidierung des öffentlich-rechtlichen 24-Stunden-Nachrichtensenders TVP Info, dem vorgeworfen wird, ein PiS-Propagandasender zu sein, Abschaffung der Rundfunkgebühr usw.

„Um ein starkes, stabiles und sicheres Polen aufzubauen, müssen wir Gesetz und Rechtsstaat wiederherstellen. Wir werden das Verfassungsgericht und den Nationalen Justizrat wiederherstellen. Das ist unsere Verpflichtung“, so Borys Budka. „Es war die Entscheidung des Verfassungsgerichts, die Euch gezwungen hat, auf die Straße zu gehen [um gegen das Abtreibungsurteil zu protestieren]. Ja, Eure Sicherheit ist gefährdet. … Wir wollen in Zukunft das Recht auf Wahlfreiheit garantieren, damit die Würde und die Achtung von Andersdenkenden nicht vom Staat mit Füßen getreten werde.“

Am 7. Februar von der Zeitung Rzeczpospolita zu diesem Austausch der Mitglieder des Verfassungsgerichts befragt, erklärte Borys Budka :

„Ein ganz neues Verfassungsgericht ist notwendig, weil letzteres seine Legitimität verloren hat, Entscheidungen zu treffen.

Es ist möglich, die Verfassung zu ändern und z. B. das Verfassungsgericht als eigenständige Institution abzuschaffen bzw. dessen Befugnisse einer der zusätzlichen Kammern des Obersten Gerichtshofs zu übertragen.“

Was den Justizrat betrifft, sagte er: „Im Senat arbeiten wir mit der PSL, mit der Linken und mit unabhängigen Senatoren an einem Gesetzesentwurf zur Reparatur des Nationalen Justizrates. Alles deutet darauf hin, dass dieses Gesetz in der nächsten Sitzung des Senats verabschiedet wird. Die Richter im Justizrat dürfen nicht von Politikern gewählt werden. Die derzeitigen Richter sind verfassungswidrig gewählt worden, ihre Wahl ist rechtlich ungültig und es muss sofort ein neues Auswahlverfahren eingeleitet werden.“

Wenn die Behauptung, die derzeitigen Richter seien unter Verletzung der Verfassung in den Nationalen Justizrat berufen worden, in Wirklichkeit eine höchst fragwürdige ist, was ist dann von dem Vorschlag zu halten, das Verfassungstribunal zu ersetzen oder abzuschaffen, wenn die Opposition die Legitimität des derzeitigen Verfassungstribunals aufgrund von drei umstrittenen Ernennungen von insgesamt fünfzehn Mitgliedern in Frage stellt? Die Verfassung müsste in der Tat geändert werden, aber dafür bräuchte es eine verfassungsmäßige Mehrheit von 307 der 460 Abgeordneten und nicht nur eine Koalition mit 276 Abgeordneten, um das Veto des Präsidenten zu stürzen.

„Ich denke, dass das Projekt ‚307’ viel ehrgeiziger und realistischer ist als die ‚276er-Koalition’“, reagierte mit einer gewissen Ironie Włodzimierz Czarzasty, der Vorsitzende von Lewica (Die Linke).

„Mit einer verfassungsmäßigen Mehrheit wird es leichter sein, hinter der PiS aufzuräumen.“

Das Problem ist, dass die PO-Führung die Parteien ihrer zukünftigen Koalition nicht im voraus von ihrem öffentlichen Vorschlag benachrichtigt hatte. Deshalb versäumten sie es nicht, gegen die Verwendung ihres Logos für die Pressekonferenz, die am vergangenen Samstag allein von der Bürgerplattform organisiert wurde, energisch zu protestieren.

Czarzasty erklärt, dass sie verhandeln und vereinbart hatten, nicht darüber zu sprechen, bis sie eine Einigung erreichen, aber dass „Borys offensichtlich nicht durchhielt“. Was Polska 2050 betrifft, so erklärte Szymon Hołownias Stellvertreter, Michał Kobosko, gegenüber Okopress, einem der engagiertesten Medien der linksliberalen Opposition:

„Borys Budka hat unser Logo auf den Grafiken verwendet. Wenn die [Bürger-]Plattform ernsthaft über ein Bündnis – vielleicht nicht über ein Bündnis, sondern bloß über eine Vereinbarung – nachdenken würde, würde sie zuerst auf uns und auf die anderen Oppositionsparteien zugehen, bevor sie ihre Pläne öffentlich macht.“

Was sieht es mit der PSL, dem ehemaligen Juniorpartner in den Regierungen von Donald Tusk aus? Marek Sawicki, eine wichtige Figur in der PSL und ehemaliger Landwirtschaftsminister unter Donald Tusk, erklärte: „Wenn Herr Budka denkt, dass es bei den Diskussionen im Senat und möglicherweise bei den verschiedenen Gesetzentwürfen bezüglich der Abstimmung um eine künftige Koalition geht, so ist es klar, dass er die Partner, mit denen er gesprochen hat, nicht verstanden hat. Denn weder die SLD [die Hauptpartei in der Lewica-Fraktion, NdR.] noch die PSL stimmten mit ihm über die 276er-Koalition und ihre öffentliche Ankündigung überein.“

Anders als in Ungarn, wo die Opposition im vergangenen Jahr Einzelkandidaturen gegen den Fidesz für 2022 ankündigte, ist also in Polen derzeit keine geeinte Opposition gegen die PiS in Sicht, und die Ankündigung einer Koalition durch die PO-Führung allein wird die Spaltung eher noch verstärkt haben.