Polen – „In Anbetracht der verstärkten grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit der Tschechischen Republik scheint es, dass wir einer Einigung schon sehr nahe sind. Infolge dieser Einigung hat die Tschechische Republik zugestimmt, ihre Beschwerde beim EuGH zurückzuziehen.“ Das meldete der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki am 25. Mai auf Twitter nach Gesprächen mit seinem tschechischen Amtskollegen Andrej Babiš am Rande eines EU-Gipfels in Brüssel. Am 21. Mai hatte der EuGH nach einer Beschwerde der Tschechischen Republik im Februar eine einstweilige Verfügung erlassen, die Polen verpflichtet, den Betrieb des Braunkohletagebaus Turów nahe der tschechischen Grenze einzustellen. Dieser Auftrag wurde in einer Einzelrichtersitzung entschieden. So wies die spanische Richterin Rosario Silva de Lapuerta, Vizepräsidentin des EuGH, Polen an, die Ausbeutung einer Mine zu stoppen, die Tausenden von Menschen Arbeit gibt und Brennstoff für ein nahegelegenes Kraftwerk produziert, das zwischen 5 und 7% des Stromverbrauchs des Landes abdeckt. Dies solle bis zur Prüfung des Falles in der Sache gilt, d.h. ohne dass bereits entschieden ist, wer Recht und wer Unrecht hat, und vor allem, ob in diesem Konflikt zwischen Polen und Tschechien ein Verstoß gegen europäisches Recht vorliegt.
Die Tschechische Republik ist der Ansicht, dass der fortgesetzte Betrieb der polnischen Mine ihre Wasserressourcen gefährdet und Umweltschäden auf ihrer Seite der Grenze verursacht, und dass er gegen die europäischen Verpflichtungen Polens verstößt.
Die einstweilige Verfügung des EuGH kam nicht nur für die Polen überraschend. In einem Interview, das am 2. Juni auf der Website der tschechischen Tageszeitung Lidové noviny veröffentlicht wurde, sagte Richard Brabec, Umweltminister in der Regierung Babiš, dass „die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs wahrscheinlich eine große Überraschung für die Polen ist, aber auch ein bisschen für uns.“ In demselben Interview bedauerte der Minister jedoch die seiner Meinung nach sehr voreingenommene Sichtweise der Polen und sagte, er bedauere, dass Prag sich an den EuGH wenden müsse gegen ein Land, mit dem die Tschechen „ansonsten gute nachbarschaftliche Beziehungen“ haben. Brabec erläuterte die Position seines Landes wie folgt: „Wir verhandeln seit 2016 mit Polen über dieses Thema. In dieser Zeit gab es, glaube ich, drei Umweltminister auf polnischer Seite. Leider drehte sich die polnische Seite nur im Kreis, wir bekamen nicht alle Informationen, die wir wollten, und es wuchs das Misstrauen gegenüber ihrer Bereitschaft, mit uns als gleichberechtigtem Partner umzugehen. Die Mine rückt immer näher an die tschechische Grenze heran, und die Menschen leiden unter dem zunehmenden Lärm, Staub und den Erschütterungen. Am schlimmsten ist, dass Tausende von Menschen ihr Wasser verlieren.“
Sicher ist, dass die Polen nun mit ihren tschechischen Nachbarn verhandeln wollen, und vor dem Hintergrund der laufenden Verhandlungen ist wohl auch die am Montag verkündete tschechische Forderung zu sehen, dass der EuGH ein tägliches Zwangsgeld von 5 Millionen Euro verhängen soll, bis Polen den Betrieb seines Tagebaus einstellt.
Auf tschechischer Seite ist Richard Brabec gemeinsam mit seinem außenpolitischen Kollegen Jakub Kulhánek für die Verhandlungsführung zuständig. Auf polnischer Seite versicherte der Stabschef des ministerpräsidenten, Michał Dworczyk, am Dienstag gegenüber Radio Zet, dass die Verhandlungen unter Beteiligung u.a. des Außenministeriums und des Klimaministeriums voranschreiten und gerade ein Treffen in Tschechien stattgefunden habe, bei dem der Rahmen einer möglichen Vereinbarung skizziert worden sei. Dworczyk sagte auch, er hoffe, dass Polen eine Situation vermeiden werde, in der es eine tägliche Geldstrafe von 5 Millionen Euro zahlen müsse,
trotz der Ankündigung von Premierminister Morawiecki am 21. Mai, dass Polen keine Maßnahmen ergreifen werde, die seine Energiesicherheit gefährden würden.
Kohle liefert immer noch mehr als drei Viertel der polnischen Stromproduktion, während Gas nur 7% und Windkraft 8% ausmacht. Für Witold Waszczykowski, polnischer Außenminister in den Jahren 2015-17, muss die tschechische Klage vor dem EuGH „im Kontext der Politik gelesen werden, die in der Tschechischen Republik stattfindet, wo in ein paar Monaten, im September, Wahlen stattfinden werden. Die Partei von Ministerpräsident Babiš fällt in den Umfragen stark ab und wird die Wahlen sicher nicht gewinnen. Er greift also andere an und zeigt, dass er sich um die tschechischen Interessen kümmert.“
Am Dienstag befragt, sagte Mateusz Morawiecki, er sei optimistisch, während er präzisierte, dass es noch einige Tage oder Wochen der Verhandlungen geben werde, die „uns erlauben werden, unsere Positionen anzunähern und zur Rücknahme der Klage, die die Tschechen eingereicht haben, führen werden. Dies, nachdem er uns am 25. Mai versichert hatte, dass die Tschechische Republik „zugestimmt [habe], ihre Beschwerde vor dem EuGH zurückzuziehen.“
Das sich abzeichnende Abkommen soll eine finanzielle Entschädigung Polens an Tschechien für die durch den Betrieb der Grube Turów verursachten Schäden beinhalten, aber auch die Sicherung des Grundwassers auf tschechischer Seite
sowie die Bereitstellung aller Polen zur Verfügung stehenden Informationen über die Umweltauswirkungen des Betriebs des Tagebaus Turów.