Polen/Weißrussland – Die polnischen Grenzschutzbehörden, die durch Tausende von Militärangehörigen verstärkt wurden, versuchen derzeit zu verhindern, dass eine noch nie dagewesene Welle illegaler Einwanderer aus dem Nahen Osten und Afghanistan über Weißrussland auf polnisches Gebiet gelange. Die polnisch-weißrussische Grenze hat eine Gesamtlänge von 418 km, von denen 187 km für illegale Grenzübertritte besonders anfällig sind. Polen mobilisiert daher sein personelles und technisches Potenzial, um seine Grenze kontinuierlich zu überwachen. Außerdem wird ein 150 km langer Stacheldrahtzaun errichtet.
Das polnische Ministerium für Inneres und Verwaltung bestätigte Mitte August, dass seit Anfang des Monats mehr als 1.900 Ausländer versucht haben, die polnische Grenze illegal zu überqueren, was einen Rekord darstellt. 760 davon haben es geschafft, nach Polen einzureisen und wurden in Einwanderungszentren in Polen untergebracht. Der Zustrom hat in der letzten Woche zugenommen, und Bewohner des polnischen Grenzgebiets berichten, dass es vielen gelungen sei, die Grenze zu überqueren, ohne abgefangen zu werden. Zeugenaussagen zufolge werden sie abends in den Maisfeldern, in denen sie sich nach dem Grenzübertritt verstecken, von Fahrzeugen aufgenommen. Andere setzen ihre Reise zu Fuß fort.
Seit Beginn der Krise im Mai berichten Grenzschutzbeamte, dass der Zustrom von Migranten, die hauptsächlich aus Afghanistan und dem Irak stammen, offenbar eine organisierte und kontrollierte Aktion des weißrussischen Regimes sei.
Im Mai kündigte Präsident Lukaschenko an, dass er als Reaktion auf die von der Europäischen Union gegen Weißrussland verhängten Sanktionen Europa mit Einwanderern überschwemmen werde.
Das erste Opfer der Minsker Politik ist Litauen, wo sich die Situation seit Mai verschlechtert hat: Die Grenze des Landes wurde in diesem Jahr von etwa 4.000 Migranten überquert, 40mal mehr als 2020.
Laut Agnė Bilotaitė, Innenministerin der Republik Litauen, könnte diese Zahl bis Ende des Jahres 10.000 übersteigen, denn die weißrussische Operation wird ausgeweitet. Die Zahl der Flugverbindungen zwischen Afghanistan, dem Irak und Minsk ist gestiegen. Die Litauer und die polnische Minderheit, die unmittelbar von der Migrationskrise betroffen sind, organisieren sich, um gegen die Einrichtung von Zentren für illegale Einwanderer in ihren Städten und Dörfern zu protestieren. Am 29. Juli fand vor dem Regierungsgebäude in Vilnius eine Demonstration mit über 1500 Teilnehmern statt. Die Demonstranten forderten die Schließung eines Migrantenzentrums in Dieveniškės (poln. Dziewieniszki), eines Städtchens mit etwas mehr als 700 überwiegend polnischen Einwohnern nahe der Grenze zu Weißrussland.
Lukaschenkos Armee wird beschuldigt, neue Migrantengruppen über die litauische Grenze zu bringen. An der Grenze zu Polen stehen sich heute weißrussische Milizsoldaten und polnische Grenzschützer gegenüber, um den Zugang zu ihrem Land gegen etwa 50 illegale Einwanderer zu verteidigen, die in die EU gelangen wollen und in einem Streifen Niemandsland auf der weißrussischen Seite der Grenze bei Usnarz Górny (Podlachien) eingeschlossen sind.
Ministerpräsident Mateusz Morawiecki erklärte: „Polen wird nicht nachgeben. Polen reagiert entschlossen. Heute wird unsere Grenze nicht nur vom Grenzschutz, sondern auch von der Armee überwacht, gerade um zu verhindern, dass Herr Lukaschenko dieses ganze Problem der Flüchtlinge oder Migranten instrumentalisiere“. Der Sprecher der Europäischen Kommission, Peter Stano, wandte sich in einem Interview für die polnische Nachrichtenagentur PAP an Präsident Lukaschenko und sagte: „Die Instrumentalisierung von Migranten durch Weißrussland für politische Zwecke zeigt, dass das Lukaschenko-Regime keine Grenzen kennt, wenn es darum geht, ihr Leid auszunutzen“. Er sagte auch, dass die Europäische Kommission eng mit der polnischen Regierung zusammenarbeite, um eine wirksame Grenzverwaltung zu erreichen, und drohte Weißrussland mit weiteren Sanktionen, falls sich die Situation nicht rasch verbessern sollte.
Am Wochenende holten die weißrussischen Behörden die in der Nähe von Usnarz Górny gestrandeten Migranten ab, aber nicht alle wollten nach Weißrussland zurückkehren, von wo aus sie angekommen waren. Etwa 20 junge Männer blieben zurück.
Seit Beginn dieser Krise fordert die polnische linke Opposition die Regierung auf, die Einwanderer aufzunehmen, und Mitglieder der Bürgerplattform (PO) sowie der Partei Lewica bringen ihnen unter den Augen von Fernsehkameras Schlafsäcke und Lebensmittel.
Die Grenzsoldaten blockieren jedoch die Durchfahrt, da sich die Gruppe der potentiellen illegalen Einwanderer in die Europäische Union auf der weißrussischen Seite an einem Ort befindet, an dem der Grenzübertritt nicht erlaubt ist. Daher wandte sich das polnische Außenministerium an die Behörden in Minsk, um die Bereitstellung polnischer humanitärer Hilfe auf weißrussischem Gebiet zu bewilligen.
Der polnische Episkopat hat zur Einhaltung des Völkerrechts aufgerufen, das jedem das Recht auf Asyl zugesteht, doch die polnische Regierung verteidigt sich mit dem Argument, dass die Betroffenen aus Weißrussland kommen, einem Land, das sich nicht im Krieg befinde und in dem ihr Leben nicht in Gefahr sei.
Außerdem kommen viele dieser Einwanderer aus dem Irak, wo ihr Leben ebenfalls nicht in Gefahr war, wie das polnische Innenministerium betont, und wenn man ihnen die Einreise nach Polen gestatten würde, so würde dies mit Sicherheit einen zusätzlichen Zustrom auslösen. Es würde ein Signal an potenzielle Migranten in Westeuropa senden, dass die Route durch Weißrussland und Polen offen sei.
Angesichts der aktuellen Ereignisse in Afghanistan kann der Migrationsdruck auf Polen nur zunehmen. Als ein Land, das als sehr loyaler Verbündeter der Vereinigten Staaten im Nahen Osten und in Afghanistan gilt, könnte es unter besonders starken Druck anderer europäischer Länder geraten, afghanische Einwanderer aufzunehmen. Nach 2015 konnten sich die Polen gegen den Plan wehren, Migranten in ihr Land umzusiedeln. Werden sie heute entschlossen genug sein, das polnische Volk und die Außengrenze des Schengenraums vor einer neuen Welle muslimischer Einwanderer zu schützen?
In Litauen, dem Hauptziel von Lukaschenkos Destabilisierungsbestrebungen, tragen die scharfen Abschiebungen an der Grenze bereits Früchte und die Lage hat sich nach Angaben von Innenministerin Agnė Bilotaitė stabilisiert. „Wenn wir die sozialen Medien einiger Länder analysieren, aus denen irreguläre Migration stattfindet, sehen wir eine neue Tendenz, eine klare Botschaft zu senden und vorzuschlagen, dass [Migranten] diese Route nicht nehmen sollten, weil sie kompliziert ist, es gibt schwierige Bedingungen, und es wird vorgeschlagen, andere Richtungen einzuschlagen“, so die litauische Ministerin am 19. August.