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Lesezeit: 6 Minuten

Von Bence Leczo.

Slowakei – Möchte man die Ereignisse des Jahres 2019 zusammenfassen, so sollte man sich auf zwei Persönlichkeiten konzentrieren: die eine ist Zuzana Čaputová und die andere Marián Kočner. Sie sind diejenigen, deren Namen sich auf den Großtiteln der slowakischen Presse wiederfanden. Es ist zwar etwas verkürzt, doch wie wir es im Detail sehen werden, haben diese zwei Persönlichkeiten tatsächlich das ganze Jahr durch die öffentliche Bühne besetzt und es ist so gut wie sicher, dass es sich in der Zukunft noch fortsetzen wird. Außerdem muß man es wohl sagen: es ändert sich was in der Slowakei.

Aus politischer Sicht hatte das Jahr 2019 so ziemlich unspektakulär angefangen. Allerdings gab es schon mal ein paar kleine Überraschungen. Anfang Januar bestätigte der Untersuchungsausschuss der Matej-Bel-Universität in Neusohl (Banská Bystrica) die Anklage: der Präsident des slowakischen Parlaments, Andrej Danko, ebenfalls Vorsitzender der Slowakische Nationalpartei (Slovenská národná strana, SNS), hat in seiner Doktorarbeit ein Plagiat verübt und somit mit 26 Jahren seinen Doktortitel erschwindelt. Ein paar Tage später bewarb sich Robert Fico, der unter dem Druck der Demonstrationswellen infolge des Mordes an Ján Kuciak von seinem Amt als Ministerpräsident hatte zurücktreten müssen, für einen Posten als Verfassungsrichter. Der damalige Staatspräsident, Andrej Kiska, erklärte dann, dass es Leute gibt, die er sich freue, zu Verfassungsrichtern zu ernennen, und andere, die er niemals ernennen werde. Es brauchte nicht lange, um festzustellen, dass der Staatspräsident u.a. an den ehemaligen (linkspopulistischen) Smer-Ministerpräsidenten dachte: er kündigte an, dass er ihn nicht ernennen werde. Nach zahlreichen Schikanen (Fico hatte anfangs nicht nachweisen können, dass er mindestens 15 Jahre Rechtspraxis hinter sich habe, doch schaffte es schließlich) zog der ehemalige Regierungschef letztendlich seine Bewerbung zurück. Dann meldete die Smer, die Regierungskoalition aufkündigen zu wollen, da Fico von dessen Partnern, der SNS einerseits und der slowakisch-ungarischen Partei Most-Híd (Brücke) andererseits nicht genug unterstützt worden war. Die Most-Híd hatte in der Tat kundgetan, dass sie Fico nicht unterstütze. Übrigens erhielt dann keiner der Bewerber für das Amt eines Verfassungsrichters die notwendige Unterstützung, sodass das Parlament diese Entscheidung vertagen musste: die Situation wird sich erst am 25. September lösen.

Während es das Geringste ist, zu behaupten, dass dieses Jahr 2019 die Reihen der Unzufriedenen in der Slowakei anschwellen ließ, so sind es die Landbesitzer, die am spektakulärsten handelten, um ihrem Unmut Gehör zu verschaffen. Am Anfang des Jahres organisierten sie Blockaden in Pressburg (Bratislava), bevor sie sich mit dem Ministerpräsidenten, Peter Pellegrini, treffen konnten. Ihre Forderungen ließen sich in vier Punkten zusammenfassen: Lösung für die Gründe, wo die Subventionen angehäuft werden, Optimierung der Verwendung der europäischen Strukturfonds, Beendung der Korruption und eine bessere Pflege von Ackerland, Wäldern und Gewässern in der Slowakei. In der Folge starteten die Landbesitzer eine politische Bewegung, die zu ihrem Sprachrohr werden soll und die sie Máme toho dost’! (Es reicht!) getauft haben.

Doch wird das Jahr 2019 vor allem durch zwei Wahlen gekennzeichnet worden sein: die Präsidentschaftswahl und und die Europawahl – zwei Wahlen, die beide durch eine auf der slowakischen politischen Bühne neuen politischen Kraft gewonnen wurden.

Während die Funktion des Staatspräsidenten in der Slowakei alles in allem eher symbolisch ist, so sind es doch die Bürger, die ihn im allgemeinen direkten Wahlrecht wählen. Am 16. März 2019, am ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen, stand die von den Parteien SaS (Liberalen), OLʼaNO (Mitte-Rechts) und SPOLU (Liberalen) unterstützte Kandidatin der Partei Progresívne Slovensko (Fortschrittliche Slowakei, PS), Zuzana Čaputová, an der Spitze. PS und SPOLU sind beide im Parlament nicht vertreten, da sie noch nicht die Gelegenheit hatten, an Parlamentswahlen teilzunehmen, während SaS und OLʼaNO sich in der Opposition befinden. Die Kandidatin dieser informellen und uneinheitliche Koalition vereinigte ca. 40% der Stimmen, was ihr ermöglichte, mit Zuversicht in die zweite Wahlrunde zu gehen. Ihr gegenüber stand Maroš Šefčovič ein unabhängiger Kandidat, der über die Unterstützung der Partei Smer verfügte. Im zweiten Wahlgang am 30. März gewann Čaputová die Wahl und wurde zur ersten Staatspräsidentin der Slowakei.

Zuzana Čaputová schaffte es, aus dem Nichts zur Präsidentin zu werden. Sie hatte sich 1999 in der Affäre bezüglich der Deponie von Bösing (Pezinok) einen Namen gemacht, als sie auf der Seite der Gegner dieses Projekts einer neuen Deponie stellte, die unmittelbar neben der alten errichtet werden sollte. Im Jahre 2013 wurde dieser Kampf mit Erfolg gekrönt, als die Genehmigung für die neue Deponie vom höchsten Gericht des Landes annulliert wurde. In dieser langen Kampagne, an der sich u.a. Greenpeace beteiligte, wurde Čaputová von Staatspräsident Andrej Kiska eine Auszeichnung verliehen. Parallel dazu führte sie ihre Arbeit als Juristin der NGO Via Iuris dazu, sich mit dem Programm der Affäre um die Aufhebungen von Amnestien durch den ehemaligen Regierungschef Vladimir Mečiar zu beschäftigen. Aus eigenem Geständnis beabsichtigte sie ursprünglich nicht, sich am Rennen um die Macht zu beteiligen, doch erklärte Frau Čaputová, dass sie gefühlt habe, etwas tun zu müssen, nachdem der Investigationsjournalist Ján Kuciak und dessen Verlobte ermordet worden waren. Diejenige, die zur Präsidentin werden sollte, hat also an den größten Demonstrationen seit der Wende teilgenommen und ein Jahr später wurde sie von der fortschrittlichen Partei Progresívne Slovensko zu ihrer Präsidentschaftskandidatin gekürt – von der sie ein Gründungsmitglied ist. Sie gewann die Wahl mit 58% haushoch im zweiten Wahlgang weit vor Maroš Šefčovič, dem Kandidaten der regierenden Smer.

Zur allgemeinen Überraschung haben Progresívne Slovensko und die mir ihr verbündete SPOLU – Občianská Demokrácia (Gemeinsam – Bürgerdemokratie, SPOLU) bei den Europawahlen mit 20,11% vor der Smer (15,72%) gewonnen, gefolgt auf dem dritten Platz von der von Marian Kotleba geführten rechtsradikalen Ľudová strana Naše Slovensko (Volkspartei Unsere Slowakei, L’SNS) mit 12%. Dieses Ergebnis ändert freilich nichts an der internen slowakischen Politik, doch die Schwächung der traditionellen Parteien (insbesondere der regierenden Smer) und das Erstarken einer westlich orientierten liberalen Partei sowie der rechtsradikalen Partei L’SNS zeigen eine interessante Entwicklung, die bemerkenswert ist.

Auch in der Affäre um Marian Kočner und Alena Zsuzsová, die bezüglich des Mordes an Kuciak angeklagt sind, wurde das Jahr 2019 reich an Wendungen. Bezüglich der Affäre Kočner ist es die Aufdeckung der Nachrichten über den Messaging-Dienst Threema, die Anlass zum Gerede gaben. Die Nachrichten wurden auf einem Telefon gefunden, der bei einer Hausdurchsuchung beschlagnahmt wurde. Interessanterweise fanden die Ermittler ebenfalls einen Safe mit sämtlichen abgehörten Mitschnitten in der Affäre Gorila, die nunmehr online zugänglich sind. Doch sind es vor allem die schriftlichen Mitteilungen von Alena Zsuzsová, die sich als lehrreich erweisen, da mehrere einflussreiche Persönlichkeiten der Regierung darin erwähnt werden. So wird z.B. die Staatssekretärin für Justiz Monika Jankovská (Smer) vom Autor der Nachrichten „mein kleiner Affe“ genannt. Infolgedessen musste Frau Jankovská zurücktreten, obwohl sie ihre Unschuld beteuerte. Nach der Enthüllung der Nachrichten des Messaging-Dienstes Threema hat die Polizei ebenfalls die Mobiltelefone mehrerer in den Unterhaltungen erwähnten Richter beschlagnahmt. In diesen Unterhaltungen wird der ehemalige Ministerpräsident und Smer-Vorsitzende Robert Fico systematisch „der Boss“ genannt bzw. werden Staatsanwälte, ein ehemaliger Staatsanwalt, der Vizepräsident des Parlaments, mehrere Funktionäre von Parteien der Regierungskoalition bzw. die o.g. Staatssekretärin für Justiz erwähnt. Die Anschuldigungen werden von Robert Fico geleugnet, der sie als die letzten verzweifelten Versuche Kočners bezeichnet, seiner Verurteilung zu entgehen. Die anderen Beschuldigten verwenden die gleiche Verteidigungslinie. Mehrere Monate lang, vielleicht sogar ein Jahr lang, waren die Nachrichten des Messaging-Dienstes Threema im Fokus aller Debatten im öffentlichen Leben der Slowakei; für die englischsprachigen Leser, die sich dieses Themas im Detail annehmen wollen, bietet die slowakische liberale Seite spectator.sme.sk eine ganze Menge an Artikel dazu.

Um diesen Artikel mit einer beinahe positiven Note abzuschließen sei eine besonders erfreuliche Initiative am Jahresende erwähnt. Eine große zentralisierende Reform der Spitäler war vorbereitet worden, doch Ende Oktober (nach der Kündigung des Koalitionsabkommens) verhinderte die Ministerin Andrea Kalavská die Durchführung der Reform. Dabei ist es nichts Neues, dass zahlreiche Parteien (umsonst) versuchen, ihre Vorschläge nach dem Ende der Koalition im Wahlkampf zu thematisieren. So versuchte die slowakisch-ungarische Partei Most-Híd ihren Gesetzesvorschlag über die Minderheiten durch das Parlament verabschieden zu lassen, was der führende Smer-Politiker Miroslav Lajčák als unnötig bezeichnete, da – so Lajčák – die Minderheitenrechte in der Slowakei schon überdurchschnittlich gut geschützt werden. Und nun können beide Parteien gegenseitig von der Situation profitieren: Most-Híd hat alles getan, um die Minderheitenrechte zu schützen, bewahrt sein Image und rechtfertigt ihre Rolle, während Smer somit an ihre latente Ungarnfeindlichkeit anknüpft und sich darum kümmert, die in den letzten Monaten verlorenen Stimmen zurückzuholen. Die sog. „ungarische Karte“ ist keine Neuigkeit in der slowakischen Politik. Regelmäßig im Wahlkampf greifen manche Parteien die ungarische Minderheit an, um Unterstützung zu erhalten. Letztere stellt mit etwa 500.000 Mitgliedern ca. 10% der Bevölkerung des Landes dar und bildet daher eine gute Zielscheibe.

Um diesen Rückblick des Jahres 2019 in der Slowakei abzuschließen, werfen wir mal einen Blick auf die Umfragen von Ende November: die Smer liegt weiterhin mit 18% an der Spitze der Wahlabsichten, gefolgt von Za lʼudi (Für die Leute) des ehemaligen liberalen Präsidenten Andrej Kiska, von der fortschrittlich-liberalen Koalition PS-SPOLU (mit 12,5%) und der L’SNS, die mit 10% auch ins Parlament einziehen würde. Fünf weitere kleine Parteien scheinen ebenfalls in der Lage zu sein, den Einzug ins Parlament zu schaffen. Der Trend deutet auf einen Rückgang der klassischen Parteien zugunsten der neuen fortschrittlichen bzw. rechtsradikalen Parteien – wobei die Affären Gorila und Kočner eine bedeutende Rolle spielen. Der Ausgang wird sich bei den Parlamentswahlen am kommenden 29. Februar 2020 abspielen. Anschließend wird man wohl rechnen müssen, da so gut wie sicher keine Partei allein wird regieren können.

Aus dem Ungarischen für die Visegrád Post übersetzt.